24.03.2020 - 16:32 Uhr
Pinkdawn
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Pinkdawn
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Let the Sunshine in
Ein gefährliches Virus zwingt uns derzeit, möglichst zu Hause zu bleiben. Ich versuche, die Zeit zu nutzen, um längst fällige Tätigkeiten in meiner Wohnung zu erledigen. Schränke und Schubladen werden einer Revision unterzogen. Was soll bleiben, was darf gehen? Dabei stoße ich oft auf längst Vergessenes. Erinnerungen werden wach. Da ist Daisy, Marc Jacobs Erfolgsduft, im 100-ml-Flacon mit den niedlichen Plastikgänseblümchen, der mir immer noch gefällt. Er ist noch erstaunlich voll. Ich kann nicht widerstehen und sprühe den Duft auf.
Eine grüne Frische umgibt mich, die bald süßer wird, ohne ihre Frische zu verlieren. Belebende rosa Grapefruit, kühlende Veilchenblätter und süße Walderdbeeren umschmeicheln mich. Lieblich, anmutig, fröhlich …
Plötzlich fühle ich mich ins Jahr 2008 katapultiert. Oder war es 2007? Auf jeden Fall ist es Frühling. Ich habe einen interessanten Mann im Internet kennengelernt. Sepp. Ein Fotografielehrer an der Höheren Grafischen Lehranstalt. Wir verstehen einander sofort. Das Foto, das sein Lieblingsschüler für mich von ihm gemacht hat, zeigt einen attraktiven, verletzlichen Mann mit scheuem Lächeln. Bald erzählt er mir, dass seine Frau kürzlich mit ihrem Fitnesstrainer durchgebrannt ist und ihn und ihre beiden Teenagertöchter in ihrem schmucken Haus mit Garten am Stadtrand von Wien zurückgelassen hat.
Unser Kontakt vertieft sich rasch. Ich werde süchtig auf seine Mails, die mich täglich schon beim Frühstück erwarten. Er ist charmant, liebenswert und bald omnipräsent in meinem Leben. Irgendwann beginnen wir auch zu telefonieren. Seine laute Stimme passt nicht so ganz zu dem empfindsamen Typ auf dem Foto, aber egal. Ich habe ebenfalls eine schmerzhafte Trennung hinter mir und sehne mich nach Zweisamkeit. Gegen meine Depressionen mache ich eine psychoanalytische Gesprächstherapie. Meine Analytikerin rollt die Augen. Sie versteht nicht, warum Sepp sich nicht mit mir treffen will. Er möchte es ja, verschiebt es aber von einer Woche zur nächsten. „Geben Sie Acht, dass das nicht wieder eine Ihrer illusionären Männerbeziehungen wird“, warnt sie mich. Leicht gesagt. Ich verstehe es ja auch nicht, warum er einem persönlichen Treffen mit mir so hartnäckig aus dem Weg geht. Inzwischen erleben wir bereits Eifersuchtskonflikte, Zerwürfnisse, Konflikte und filmreife Versöhnungen – alles virtuell, versteht sich.
Der Sommer ist schon längst ins Land gezogen. Es ist Ende August – und plötzlich will er mich treffen. Ich kann es kaum glauben. Ich zweifle bis zuletzt, ob er kommt. Dann sehe ich ihn im Gewitterregen zu unserem Treffpunkt, einem Café mit Gastgarten, laufen, sein blaues Armani T-Shirt als Regenschutz über den Kopf gezogen.
Ich gebe zu, der Mann auf dem Foto gefällt mir besser. Der Lieblingsschüler hatte seinem Status alle Ehre gemacht und gute Arbeit geleistet, sehr gute Arbeit. Bin ich enttäuscht? Daran will ich jetzt nicht denken. Ich konzentriere mich auf das, was mir an ihm gefällt: sein spitzbübisches, ansteckendes Lachen, seine natürliche, unbefangene Art.
Es dauert nicht lange, und wir beginnen zu schmusen. Etwas unvermittelt bricht er dann auf, unter einem Vorwand. Fast in Panik, wie mir scheint. Ich bin irritiert. Dann herrscht Funkstille. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Nach Tagen vergeblichen Wartens auf ein Lebenszeichen schreibe ich ihm schließlich kurz: Ich hoffe, dass ich ihn nicht allzu sehr verschreckt habe … So ähnlich halt. Wieder dauert es einige Tage, dann antwortet er. Er habe erkannt, dass er noch lange nicht für eine neue Beziehung bereit sei, aber er sei immer für mich da, wenn ich etwas brauche.
„Was lernen wir daraus“, fragt meine Analytikerin und antwortet gleich selbst, man solle sich nicht so lange Zeit lassen mit einem persönlichen Treffen. Weiß ich, aber ich hatte nicht die Kraft, ihn vor die Alternative zu stellen: Du, pass auf, entweder wir treffen einander in den nächsten zwei Wochen oder wir lassen das Ganze.
Was das alles mit Daisy zu tun hat? Vieles, alles eigentlich. Sepp hat recht schnell einen Kosenamen für mich gefunden: Daisy. Wie er darauf kam, weiß ich nicht. Natürlich war ich entsprechend sensibilisiert auf diesen Namen. Als ich das neue Parfum von Marc Jacobs bald darauf in einer Parfümerie entdeckte, dank seines originellen Flacons war es ohnehin unübersehbar, musste ich den Duft einfach testen. Ich war begeistert von seiner blumigen Frische und musste es sofort haben.
Ich habe es einige Monate lang sehr gern getragen, den ganzen Sommer lang. Als die Geschichte mit Sepp zu Ende ging, verlor ich das Interesse an dem Duft. Ich wollte durch nichts mehr an ihn erinnert werden. Daisy wanderte aus meinem Blickfeld in einen Schrank.
Über zehn Jahre später habe ich keine emotionalen Probleme mit Daisy mehr. Ich kann mich dem Duft unvoreingenommen nähern.
Ich schnuppere an meinem Handrücken. Daisy ist mittlerweile sehr viel blumiger geworden. Veilchen, Gardenie und Jasmin tanzen über die sonnige Frühlingswiese. Gardenie und Jasmin kann ich nicht wirklich voneinander unterscheiden. Es ist ein heller, freundlicher Duft, fröhlich, unbeschwert, anmutig und lieblich. Natürlich haben diejenigen recht, die ihn als zu wenig sophisticatet und komplex bezeichnen, ihm Belanglosigkeit und wenig Originalität vorwerfen. Aber muss denn immer alles kompliziert und eine intellektuelle Herausforderung sein?
Daisy ist ein Sommerduft – leicht, sonnig, verspielt und ein wenig romantisch, bis zuletzt, wenn sich die Blüten und Erdbeeren mit Moschus und Vanille zu einem gourmandig-cremigen happy end verbinden. Daisy will nicht kompliziert oder kapriziös sein. Sie ist, was sie ist, ein zarter Duft aus spritziger Grapefruit, vielen weißen Blüten, fruchtigen Erdbeeren, nicht zu süßem Moschus und frischem Grün. Auch dafür muss Platz sein im Reich der Düfte. Und manchmal ist einem - mir - durchaus danach zumute.
Sicher, ähnliche Blumendüfte gibt es viele. Aber Daisy sticht trotzdem aus der Masse heraus. Die Qualität ist unverkennbar, die Komposition gelungen und die einzelnen Duftnoten harmonieren ganz wunderbar. Einzig die Haltbarkeit könnte besser sein. Doch es ist eben ein sommerliches Eau de Toilette, das nicht zu schwer sein will.
Ich sehe in Daisy keinen Duft, der - weil blumig-frisch - nur jungen, unbeschwerten Mädchen steht. Ich finde überhaupt, dass man sich von derartigen Schubladisierungen langsam, aber sicher frei machen sollte. Die bis heute ungebrochen anhaltende Beliebtheit und fast zahllose Flanker von Daisy scheinen das zu bestätigen.
Eine grüne Frische umgibt mich, die bald süßer wird, ohne ihre Frische zu verlieren. Belebende rosa Grapefruit, kühlende Veilchenblätter und süße Walderdbeeren umschmeicheln mich. Lieblich, anmutig, fröhlich …
Plötzlich fühle ich mich ins Jahr 2008 katapultiert. Oder war es 2007? Auf jeden Fall ist es Frühling. Ich habe einen interessanten Mann im Internet kennengelernt. Sepp. Ein Fotografielehrer an der Höheren Grafischen Lehranstalt. Wir verstehen einander sofort. Das Foto, das sein Lieblingsschüler für mich von ihm gemacht hat, zeigt einen attraktiven, verletzlichen Mann mit scheuem Lächeln. Bald erzählt er mir, dass seine Frau kürzlich mit ihrem Fitnesstrainer durchgebrannt ist und ihn und ihre beiden Teenagertöchter in ihrem schmucken Haus mit Garten am Stadtrand von Wien zurückgelassen hat.
Unser Kontakt vertieft sich rasch. Ich werde süchtig auf seine Mails, die mich täglich schon beim Frühstück erwarten. Er ist charmant, liebenswert und bald omnipräsent in meinem Leben. Irgendwann beginnen wir auch zu telefonieren. Seine laute Stimme passt nicht so ganz zu dem empfindsamen Typ auf dem Foto, aber egal. Ich habe ebenfalls eine schmerzhafte Trennung hinter mir und sehne mich nach Zweisamkeit. Gegen meine Depressionen mache ich eine psychoanalytische Gesprächstherapie. Meine Analytikerin rollt die Augen. Sie versteht nicht, warum Sepp sich nicht mit mir treffen will. Er möchte es ja, verschiebt es aber von einer Woche zur nächsten. „Geben Sie Acht, dass das nicht wieder eine Ihrer illusionären Männerbeziehungen wird“, warnt sie mich. Leicht gesagt. Ich verstehe es ja auch nicht, warum er einem persönlichen Treffen mit mir so hartnäckig aus dem Weg geht. Inzwischen erleben wir bereits Eifersuchtskonflikte, Zerwürfnisse, Konflikte und filmreife Versöhnungen – alles virtuell, versteht sich.
Der Sommer ist schon längst ins Land gezogen. Es ist Ende August – und plötzlich will er mich treffen. Ich kann es kaum glauben. Ich zweifle bis zuletzt, ob er kommt. Dann sehe ich ihn im Gewitterregen zu unserem Treffpunkt, einem Café mit Gastgarten, laufen, sein blaues Armani T-Shirt als Regenschutz über den Kopf gezogen.
Ich gebe zu, der Mann auf dem Foto gefällt mir besser. Der Lieblingsschüler hatte seinem Status alle Ehre gemacht und gute Arbeit geleistet, sehr gute Arbeit. Bin ich enttäuscht? Daran will ich jetzt nicht denken. Ich konzentriere mich auf das, was mir an ihm gefällt: sein spitzbübisches, ansteckendes Lachen, seine natürliche, unbefangene Art.
Es dauert nicht lange, und wir beginnen zu schmusen. Etwas unvermittelt bricht er dann auf, unter einem Vorwand. Fast in Panik, wie mir scheint. Ich bin irritiert. Dann herrscht Funkstille. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Nach Tagen vergeblichen Wartens auf ein Lebenszeichen schreibe ich ihm schließlich kurz: Ich hoffe, dass ich ihn nicht allzu sehr verschreckt habe … So ähnlich halt. Wieder dauert es einige Tage, dann antwortet er. Er habe erkannt, dass er noch lange nicht für eine neue Beziehung bereit sei, aber er sei immer für mich da, wenn ich etwas brauche.
„Was lernen wir daraus“, fragt meine Analytikerin und antwortet gleich selbst, man solle sich nicht so lange Zeit lassen mit einem persönlichen Treffen. Weiß ich, aber ich hatte nicht die Kraft, ihn vor die Alternative zu stellen: Du, pass auf, entweder wir treffen einander in den nächsten zwei Wochen oder wir lassen das Ganze.
Was das alles mit Daisy zu tun hat? Vieles, alles eigentlich. Sepp hat recht schnell einen Kosenamen für mich gefunden: Daisy. Wie er darauf kam, weiß ich nicht. Natürlich war ich entsprechend sensibilisiert auf diesen Namen. Als ich das neue Parfum von Marc Jacobs bald darauf in einer Parfümerie entdeckte, dank seines originellen Flacons war es ohnehin unübersehbar, musste ich den Duft einfach testen. Ich war begeistert von seiner blumigen Frische und musste es sofort haben.
Ich habe es einige Monate lang sehr gern getragen, den ganzen Sommer lang. Als die Geschichte mit Sepp zu Ende ging, verlor ich das Interesse an dem Duft. Ich wollte durch nichts mehr an ihn erinnert werden. Daisy wanderte aus meinem Blickfeld in einen Schrank.
Über zehn Jahre später habe ich keine emotionalen Probleme mit Daisy mehr. Ich kann mich dem Duft unvoreingenommen nähern.
Ich schnuppere an meinem Handrücken. Daisy ist mittlerweile sehr viel blumiger geworden. Veilchen, Gardenie und Jasmin tanzen über die sonnige Frühlingswiese. Gardenie und Jasmin kann ich nicht wirklich voneinander unterscheiden. Es ist ein heller, freundlicher Duft, fröhlich, unbeschwert, anmutig und lieblich. Natürlich haben diejenigen recht, die ihn als zu wenig sophisticatet und komplex bezeichnen, ihm Belanglosigkeit und wenig Originalität vorwerfen. Aber muss denn immer alles kompliziert und eine intellektuelle Herausforderung sein?
Daisy ist ein Sommerduft – leicht, sonnig, verspielt und ein wenig romantisch, bis zuletzt, wenn sich die Blüten und Erdbeeren mit Moschus und Vanille zu einem gourmandig-cremigen happy end verbinden. Daisy will nicht kompliziert oder kapriziös sein. Sie ist, was sie ist, ein zarter Duft aus spritziger Grapefruit, vielen weißen Blüten, fruchtigen Erdbeeren, nicht zu süßem Moschus und frischem Grün. Auch dafür muss Platz sein im Reich der Düfte. Und manchmal ist einem - mir - durchaus danach zumute.
Sicher, ähnliche Blumendüfte gibt es viele. Aber Daisy sticht trotzdem aus der Masse heraus. Die Qualität ist unverkennbar, die Komposition gelungen und die einzelnen Duftnoten harmonieren ganz wunderbar. Einzig die Haltbarkeit könnte besser sein. Doch es ist eben ein sommerliches Eau de Toilette, das nicht zu schwer sein will.
Ich sehe in Daisy keinen Duft, der - weil blumig-frisch - nur jungen, unbeschwerten Mädchen steht. Ich finde überhaupt, dass man sich von derartigen Schubladisierungen langsam, aber sicher frei machen sollte. Die bis heute ungebrochen anhaltende Beliebtheit und fast zahllose Flanker von Daisy scheinen das zu bestätigen.
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