16.01.2022 - 07:02 Uhr
Parma
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18
Unterschätzte Feige
Ich mag Feigendüfte - vor allem wenn sie grün und wenig süß ausgerichtet sind und somit stärker das Feigenblatt sowie die unreife Frucht betonen - kann sie aber nur sporadisch tragen, weil sie mir vom Duftcharakter her etwas zu speziell sind. Dieser hier ist bisher die einzige Ausnahme.
„Marc Jacobs Men“ ist grasig-frisch mit einem weichen Würzton, leicht holzig und zart kokoscremig-süß. Clean, linear und zurückhaltend. Mit großer Ähnlichkeit zu Diptyques „Philosykos EdT“. Jedoch ohne dessen moderate Fruchtsüße. Wie seine Casual-Variante. Etwas reduzierter. Glatter. Ein Tick mehr funktionales Parfum als naturalistische Nachbildung.
Thema hier ist das Feigenblatt. Ein Duftbestandteil, der in den Jahren um die Jahrtausendwende - ausgelöst durch die ersten Feigendüfte überhaupt, Giacobettis „Premier Figuier“ (1994) und „Philosykos“ (1996) - eine zaghafte Blüte erlebte (Marc Jacobs Men, 2002). Normalerweise zeichnet sich dieser Bestandteil durch eine Kombination von frisch-grünblättrigen Eindrücken (üblicherweise durch das Givaudan-Molekül ‚Stemone‘ oder auch durch das nach frisch geschnittenem Gras riechende Molekül ‚Hexenol‘) und laktotischen Eindrücken, die u.a. an Kokosnuss, Creme, Milch etc. erinnern (v.a. durch das Molekül ‚Gamma-Octalactone‘), aus. Genau diese Kombination nutzt Marc Jacobs Men, mit dem Zusatz einer zarten Kardamomwürze und trockenen Holznuance. Somit wird der Geruch von Feigenblättern fast realistisch nachgebildet. Ich sage fast, da ich durch die Abstimmung das Gefühl habe, dass es eine etwas bereinigte, sanftere Nachbildung ist. Der Gras-Blatteindruck ist z.B. nicht so herb und scharf wie im Philosykos und der Kokosvibe nicht so intensiv.
Im Vergleich zu anderen feigenblattzentrierten Düften aus jener Zeit ist er mit Sicherheit der sauberste. Zum Vergleich sind zwei bekanntere, Diors „Dune pour Homme“ (1997) und der sehr ähnliche - bis auf die Basis - „Good Life for Men“ von Davidoff (1998, Pierre Bourdon), deutlich herber und „männlicher“ angelegt. Sie gehen in eine zwar ebenfalls grüne, dabei jedoch mehr sandig-erdige, teilweise dunstig-heuartige und etwas wärmere Richtung. Nuancen davon erscheinen auch im Jacobs durch den Zusatz von Kardamom, aber deutlich zurückgenommener. Insofern würde ich ihn als einen geglätteten Feigenblattduft bezeichnen. Was ihm zu einem reifen Feigenduft fehlt, ist die Fruchtsüße, die in der Regel über das Aroma von Trockenpflaumen erzeugt wird (z.B. sehr deutlich in Lubins „L‘Eau Neuve – Figaro“ zu erkennen). Es gibt in der Duftcharakteristik von Feigenblättern aber auch noch die leicht bittere Ausrichtung, die an die Schale von unreifen Früchten erinnert und z.B. prominent in Profumum Romas „Ichnusa“ (2000) in Szene gesetzt ist. Dieses Merkmal tritt im Jacobs-Duft jedoch nicht auf.
Auf dem Teststreifen ist der Eindruck noch nuancierter: Dort habe ich das Geruchsbild eines Schilfgrases (die leichte Wassernähe wird evtl. durch die auf meiner Haut nicht wahrnehmbare aquatische Nuance suggeriert, die in der Pyramide aufgeführt ist), welches mit einem hauchzarten Film weißer Hautpflegecreme überzogen ist. Wodurch die - wie schon angedeutet - eher herbe Grascharakteristik wunderbar abgefedert wird. Dadurch erscheint der Graston weicher und gepflegter, ohne allerdings seine eigenständige Charakteristik aufzugeben. Er vermeidet dabei auch das Abdriften in Pflegeprodukt-Gefilde. Ich erwähne das, weil an manchen Stellen diese Assoziation aufkommt - so wie bei mir auch (mit Sicherheit hervorgerufen durch Gamma Octalactone) -, allerdings ist dieser Eindruck sowohl auf dem Papier wie auch auf meiner Haut nie duftbestimmend. Das bleibt eindeutig der frische Graston.
Diese Kombination sorgt auch dafür, dass Marc Jacobs Men - trotz seines Namens - für mein Empfinden ein Unisex-Duft ist, da er weder traditionell dominant weibliche noch männliche Merkmale aufweist (wobei man Kokos eher mit weiblichen Parfums in Verbindung bringt). Holz und Kardamom gleichen dabei etwas zur männlichen Seite aus.
Die Wahl eines solchen Duftcharakters - Feigen(blatt)düfte sind eine absolute Randgruppe in der Parfumwelt - war für ein Designerhaus in dem Preissegment und zudem für dessen ersten Herrenduft überhaupt (von nur vier in 20 Jahren!) eine absolut ungewöhnliche und sicher mutige Entscheidung. Eventuell vergleichbar mit der Diors für Dune pour Homme als neuen Herrenduft nach neun Jahren Pause, der auf den sehr erfolgreichen „Fahrenheit“ folgte (die Entscheidung für jenen war sicherlich ebenso mutig durch die starke Akzentuierung des Veilchenblatts – und später die für die Irisnote in „Dior Homme“). Vom Duftprofil her deshalb mit klarem Nischencharakter, der sich auch in einer eher designeruntypischen Qualität widerspiegelt (bis auf die leicht generische Holznote). Ohne die den späteren Jacobs-Düften inne wohnende deutliche Synthetikanmutung. Für mich ein mindestens gleichwertiger Philosykos-Ersatz. Auch in Punkto Haltbarkeit und Sillage. Unaufdringlich, aber in den ersten zwei bis drei Stunden für die nähere Umgebung gut wahrnehmbar. Persönlich finde ich ihn zudem tragbarer, da er etwas straighter sowie eine Nuance weniger komplex und photorealistisch ist als der Diptyque. Näher am Menschen. Eine geglättete, „attraktive“ grüne Feige. Frisch-gepflegt. Mit einer unangestrengten Eleganz. Dadurch folgt er der Tradition der Marke, überwiegend sehr cleane, unprätentiöse Düfte zu entwerfen, die sich meist auf einen oder wenige Duftbestandteile konzentrieren, sehr schlank komponiert sind und immer wieder eine merkbare Eigenständigkeit aufweisen ohne anzuecken (ich denke z.B. an den Pfeffer-Duft „Bang“ und die Splash-Reihe mit Düften wie „Rain“, „Pomegranate“ etc.). Man könnte vielleicht sagen: Es ist die Bauhaus-Ausgabe des Diptyque (gemeint ist der Design-Stil). Ein Duft für jeden Tag. Unkompliziert im Duftbild und trotzdem besonders. Keiner, der meine Seele berührt - dazu ist er zu sauber und funktional angelegt - aber er geht etwas unter die Haut. Ein richtig gut gemachtes und ausgewogen abgestimmtes Parfum (Ralf Schwieger; sein drittes, u.a. nach Malles "Lipstick Rose").
Für alle Feigenliebhaber*innen aus meiner Sicht ein lohnenswerter Test. Allerdings wird der Duft nicht mehr produziert, ist jedoch online immer wieder mal zu noch verträglichen Preisen zu finden.
Testenswerte Vertreter aus jüngerer Zeit sind aus meiner Sicht v.a. Arte Profumis „Figo Moro“ (2017), der ebenfalls beide Merkmale betont und vom Gras-Blatteindruck her zwischen dem Premier Figuier und Philosykos anzusiedeln ist, sowie eine ganz dezente Kokoscremigkeit aufweist, und Armanis „Figuier Eden“ (2012, Christine Nagel), bei dem zwar kein Feigenblatt als Bestandteil aufgelistet ist, dafür grüne Feige und Gras, was den gleichen Effekt hervorruft. Wer es bitterer mag, wird vielleicht bei Heeleys „Athenean“ (2021) fündig, der mir persönlich erst etwas zu dumpf und terpentinartig angelegt ist (Galbanum), bevor er später eine leichte Nussigkeit und dezent cremige Kokossüße entwickelt.
Abschließend noch zwei Hinweise:
Zum einen auf das sehenswerte Video von Siebter zu diesem Duft weiter unten und zum anderen auf den interessanten Blog „Reise durch den Feigenhain“ von Andin, in dem viele Feigendüfte in einer persönlichen Betrachtung beschrieben werden.
„Marc Jacobs Men“ ist grasig-frisch mit einem weichen Würzton, leicht holzig und zart kokoscremig-süß. Clean, linear und zurückhaltend. Mit großer Ähnlichkeit zu Diptyques „Philosykos EdT“. Jedoch ohne dessen moderate Fruchtsüße. Wie seine Casual-Variante. Etwas reduzierter. Glatter. Ein Tick mehr funktionales Parfum als naturalistische Nachbildung.
Thema hier ist das Feigenblatt. Ein Duftbestandteil, der in den Jahren um die Jahrtausendwende - ausgelöst durch die ersten Feigendüfte überhaupt, Giacobettis „Premier Figuier“ (1994) und „Philosykos“ (1996) - eine zaghafte Blüte erlebte (Marc Jacobs Men, 2002). Normalerweise zeichnet sich dieser Bestandteil durch eine Kombination von frisch-grünblättrigen Eindrücken (üblicherweise durch das Givaudan-Molekül ‚Stemone‘ oder auch durch das nach frisch geschnittenem Gras riechende Molekül ‚Hexenol‘) und laktotischen Eindrücken, die u.a. an Kokosnuss, Creme, Milch etc. erinnern (v.a. durch das Molekül ‚Gamma-Octalactone‘), aus. Genau diese Kombination nutzt Marc Jacobs Men, mit dem Zusatz einer zarten Kardamomwürze und trockenen Holznuance. Somit wird der Geruch von Feigenblättern fast realistisch nachgebildet. Ich sage fast, da ich durch die Abstimmung das Gefühl habe, dass es eine etwas bereinigte, sanftere Nachbildung ist. Der Gras-Blatteindruck ist z.B. nicht so herb und scharf wie im Philosykos und der Kokosvibe nicht so intensiv.
Im Vergleich zu anderen feigenblattzentrierten Düften aus jener Zeit ist er mit Sicherheit der sauberste. Zum Vergleich sind zwei bekanntere, Diors „Dune pour Homme“ (1997) und der sehr ähnliche - bis auf die Basis - „Good Life for Men“ von Davidoff (1998, Pierre Bourdon), deutlich herber und „männlicher“ angelegt. Sie gehen in eine zwar ebenfalls grüne, dabei jedoch mehr sandig-erdige, teilweise dunstig-heuartige und etwas wärmere Richtung. Nuancen davon erscheinen auch im Jacobs durch den Zusatz von Kardamom, aber deutlich zurückgenommener. Insofern würde ich ihn als einen geglätteten Feigenblattduft bezeichnen. Was ihm zu einem reifen Feigenduft fehlt, ist die Fruchtsüße, die in der Regel über das Aroma von Trockenpflaumen erzeugt wird (z.B. sehr deutlich in Lubins „L‘Eau Neuve – Figaro“ zu erkennen). Es gibt in der Duftcharakteristik von Feigenblättern aber auch noch die leicht bittere Ausrichtung, die an die Schale von unreifen Früchten erinnert und z.B. prominent in Profumum Romas „Ichnusa“ (2000) in Szene gesetzt ist. Dieses Merkmal tritt im Jacobs-Duft jedoch nicht auf.
Auf dem Teststreifen ist der Eindruck noch nuancierter: Dort habe ich das Geruchsbild eines Schilfgrases (die leichte Wassernähe wird evtl. durch die auf meiner Haut nicht wahrnehmbare aquatische Nuance suggeriert, die in der Pyramide aufgeführt ist), welches mit einem hauchzarten Film weißer Hautpflegecreme überzogen ist. Wodurch die - wie schon angedeutet - eher herbe Grascharakteristik wunderbar abgefedert wird. Dadurch erscheint der Graston weicher und gepflegter, ohne allerdings seine eigenständige Charakteristik aufzugeben. Er vermeidet dabei auch das Abdriften in Pflegeprodukt-Gefilde. Ich erwähne das, weil an manchen Stellen diese Assoziation aufkommt - so wie bei mir auch (mit Sicherheit hervorgerufen durch Gamma Octalactone) -, allerdings ist dieser Eindruck sowohl auf dem Papier wie auch auf meiner Haut nie duftbestimmend. Das bleibt eindeutig der frische Graston.
Diese Kombination sorgt auch dafür, dass Marc Jacobs Men - trotz seines Namens - für mein Empfinden ein Unisex-Duft ist, da er weder traditionell dominant weibliche noch männliche Merkmale aufweist (wobei man Kokos eher mit weiblichen Parfums in Verbindung bringt). Holz und Kardamom gleichen dabei etwas zur männlichen Seite aus.
Die Wahl eines solchen Duftcharakters - Feigen(blatt)düfte sind eine absolute Randgruppe in der Parfumwelt - war für ein Designerhaus in dem Preissegment und zudem für dessen ersten Herrenduft überhaupt (von nur vier in 20 Jahren!) eine absolut ungewöhnliche und sicher mutige Entscheidung. Eventuell vergleichbar mit der Diors für Dune pour Homme als neuen Herrenduft nach neun Jahren Pause, der auf den sehr erfolgreichen „Fahrenheit“ folgte (die Entscheidung für jenen war sicherlich ebenso mutig durch die starke Akzentuierung des Veilchenblatts – und später die für die Irisnote in „Dior Homme“). Vom Duftprofil her deshalb mit klarem Nischencharakter, der sich auch in einer eher designeruntypischen Qualität widerspiegelt (bis auf die leicht generische Holznote). Ohne die den späteren Jacobs-Düften inne wohnende deutliche Synthetikanmutung. Für mich ein mindestens gleichwertiger Philosykos-Ersatz. Auch in Punkto Haltbarkeit und Sillage. Unaufdringlich, aber in den ersten zwei bis drei Stunden für die nähere Umgebung gut wahrnehmbar. Persönlich finde ich ihn zudem tragbarer, da er etwas straighter sowie eine Nuance weniger komplex und photorealistisch ist als der Diptyque. Näher am Menschen. Eine geglättete, „attraktive“ grüne Feige. Frisch-gepflegt. Mit einer unangestrengten Eleganz. Dadurch folgt er der Tradition der Marke, überwiegend sehr cleane, unprätentiöse Düfte zu entwerfen, die sich meist auf einen oder wenige Duftbestandteile konzentrieren, sehr schlank komponiert sind und immer wieder eine merkbare Eigenständigkeit aufweisen ohne anzuecken (ich denke z.B. an den Pfeffer-Duft „Bang“ und die Splash-Reihe mit Düften wie „Rain“, „Pomegranate“ etc.). Man könnte vielleicht sagen: Es ist die Bauhaus-Ausgabe des Diptyque (gemeint ist der Design-Stil). Ein Duft für jeden Tag. Unkompliziert im Duftbild und trotzdem besonders. Keiner, der meine Seele berührt - dazu ist er zu sauber und funktional angelegt - aber er geht etwas unter die Haut. Ein richtig gut gemachtes und ausgewogen abgestimmtes Parfum (Ralf Schwieger; sein drittes, u.a. nach Malles "Lipstick Rose").
Für alle Feigenliebhaber*innen aus meiner Sicht ein lohnenswerter Test. Allerdings wird der Duft nicht mehr produziert, ist jedoch online immer wieder mal zu noch verträglichen Preisen zu finden.
Anmerkung:
Ein anderer in meinen Augen gelungener Feigenblattduft aus der damaligen Hochzeit ist Hermès‘ „Un Jardin en Méditerranée“ (2003). Er verbindet die frisch-grünen und sandig-herben Aspekte der Duftnote. Testenswerte Vertreter aus jüngerer Zeit sind aus meiner Sicht v.a. Arte Profumis „Figo Moro“ (2017), der ebenfalls beide Merkmale betont und vom Gras-Blatteindruck her zwischen dem Premier Figuier und Philosykos anzusiedeln ist, sowie eine ganz dezente Kokoscremigkeit aufweist, und Armanis „Figuier Eden“ (2012, Christine Nagel), bei dem zwar kein Feigenblatt als Bestandteil aufgelistet ist, dafür grüne Feige und Gras, was den gleichen Effekt hervorruft. Wer es bitterer mag, wird vielleicht bei Heeleys „Athenean“ (2021) fündig, der mir persönlich erst etwas zu dumpf und terpentinartig angelegt ist (Galbanum), bevor er später eine leichte Nussigkeit und dezent cremige Kokossüße entwickelt.
Abschließend noch zwei Hinweise:
Zum einen auf das sehenswerte Video von Siebter zu diesem Duft weiter unten und zum anderen auf den interessanten Blog „Reise durch den Feigenhain“ von Andin, in dem viele Feigendüfte in einer persönlichen Betrachtung beschrieben werden.
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