loewenherz
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Anna Stanislavovna Shcherbakova
heißt die gegenwärtige Olympiasiegerin im Eiskunstlauf der Damen. Obschon als seinerzeit amtierende Weltmeisterin angetreten war sie im Februar in Peking doch fast ein wenig der Underdog unter den drei favorisierten Russinnen - im Schatten des athletischen Sprungwunders Alexandra Trussova und des erst fünfzehnjährigen Wunderkindes Kamila Valieva, alle miteinander aus der Schule der umstrittenen Eteri Tutberitse. Trussova sprang dann zwar in ihrer Kür fünfmal vierfach, doch lief sie unsauber und stolperte einmal zu viel, und Valieva wurde kurz vor dem Wettbewerb des Dopings überführt, trat dennoch an und konnte dem Druck im Einzelwettbewerb nicht standhalten; ihr Fall war der Skandal dieser Winterspiele. Shcherbakova wurde in Kurzprogramm und Kür mit fehlerfreien Vorträgen je Zweite - und weil die jeweils Erste im anderen Wettbewerbsteil (je einmal Valieva und Trussova) patzte, reichte es am Ende für den Sieg.
Anna Shcherbakova ist in Erscheinung und Stil so etwas wie der Archetyp der zarten und doch stählernen Eiskunstläuferin, verortet irgendwo zwischen Haunted Beauty und gejagtem Reh, trainiert von der eisernen Hand Tutberitses, die auch Achtjährige mit Blut im Schlittschuh antreibt, noch höher zu springen und noch weiter - und wenn gejammert würde, seien da gleich zig andere Mädchen, die ihren Platz binnen Minuten einnähmen, wenn man denn nicht wirklich wollte. Details des Eiskunstlaufs langweilten hier, aber in der Kombination aus technisch höchstem Anspruch (wenngleich 'nur' zweimal vierfach in der Kür und ohne den bei den Damen noch immer mythischen Dreifachaxel) und ihrer Musikalität, ihrer choreographischen Präzision und einer für eine damals Siebzehnjährige bemerkenswerten läuferischen Reife gewann sie olympisches Gold (das um ein Vielfaches mehr wiegt als ein Welt- oder gar nur Europameistertitel) zu Recht.
Alle geschilderten Charakteristika - das Ernste, das Hochdisziplinierte und Beherrschte, das Dramatische und die Grazie und Anmut findet sich auch in Rose de Russie, dem tragischen unter den drei Rosendüften, die Tom Ford Anfang 2022 launchte - und der als Reaktion auf den russischen Überfall auf die Ukraine ebenso eilig wie still und leise wieder vom Markt genommen wurde, weil das Russische in seinem Namen ihn plötzlich unverkäuflich gemacht hatte. Das kann man übertrieben finden oder albern und doch als ein Signal auch konsequent und richtig - gerade wenn man bedenkt, wie gleichgültig ein Parfum mehr oder weniger angesichts der Umstände doch ist. Die einzige Chance, ihn seitdem noch zu riechen, ist als Teil eines kaum beachteten Miniaturensets aller drei Rosendüfte, das an wenigen Orten noch feilgehalten wird. (Ich habe ihn in den USA gerochen.) Rumours say, er würde unter anderem Namen vielleicht neu aufgelegt.
Dabei ist Rose de Russie ein besonderer und ein sehr schöner Duft - performant wie die zarte Anna Shcherbakova, wie sie erst in dramatischem Schwarz und dann in blassem Purpur auf dem Eis von Peking zur Goldmedaille lief. Das Tändelnde und Neckende der Rose tritt gleich nach der Kopfnote zurück hinter etwas Unnahbares, Dunkles, was hier mit 'russisch' wohl gemeint ist und Rose de Russie mehr noch als Rose de Chine und Rose d'Amalfi, die anderen beiden aus der Rosenkollektion, androgyn und ernst und sehr besonders macht - und zu einem, an den man sich erinnert, auch wenn man den Akkord 'dunkle Rose' schon hundertfach gerochen zu haben glaubt. Nichts hier ist lieblich, geschweige denn süßlich - stattdessen legt er etwas Bitteres und Bleiches, etwas verletzlich Anmutendes unter das Rosentimbre und macht ihn zu einem intimen Winterduft - beschädigt vielleicht, aber nicht zerbrochen - und einem, der vermisst wird.
Fazit: wir werden sie wohl nicht wiedersehen: Tom Fords ernsten Rosenduft und die schöne Anna Shcherbakova. Ersteren, weil er zum falschen Zeitpunkt den falschen Namen erhalten hat. Und zweitere, weil russische Läuferinnen aus demselben Grund bis auf weiteres von allen internationalen Wettbewerben ausgeschlossen sind (was man wiederum unfair finden kann wie konsequent und richtig). Und weil sie für eine Eiskunstläuferin - geformt im Stile Tutberidses, die Mädchen- und keine Frauenkörper sucht - mit nun achtzehn einfach zu alt geworden ist. Bedauern kann man beides.