Weibliche Düfte: Männlicher als je zuvor?
In Zeiten von olfaktorischen Nebelhörnern und holzigen, scharfen Zitrusfrüchten müssen Parfümeure, um mit den männlichen "Pfauen" zu konkurrieren, ihre weiblichen Parfums aufpeppen, damit sie über den Lärm hinaus wahrgenommen werden.
Wie konnte es dazu kommen?
Ein paar Hintergründe
Früher hielten sich maskuline Düfte und Parfums im Allgemeinen eher in Grenzen. In den siebziger Jahren erschienen Kreationen wie Yatagan, Grey Flannel und Z-14, die einen starken Charakter hatten, aber nicht so stark in der Sillage waren. Davor gab es gelegentlich Parfums wie Aramis oder Jicky, aber im Allgemeinen waren die männlichen Düfte recht brav.
Dann folgten die achtziger Jahre - als die weibliche Parfümerie mit Giorgio, Poison und all den üblichen Verdächtigen in Extravaganz ausbrach. Das Beste, was die Männerwelt zu bieten hatte, waren Xeryus, Fahrenheit und Joop! Homme. Außergewöhnlich, aber nicht in der gleichen Liga.
Daraufhin kam es, wie Luca Turin es ausdrückte, zu einem Umsturz, als die Parfums wie ein Stapel Teller auf dem Boden zerschellten. Auf beiden Seiten des Parfummarktes herrschte eine Zeit lang aquatische Ruhe, aber mit dem Aufkommen der "Spiky Woods" Mitte der Nullerjahre geriet das maskuline Parfum in einen regelrechten Rausch, Stichwort Invictus, Bleu und Sauvage.
Plötzlich drehte die männliche Seite durch und schrie die weibliche Seite nieder. Die Parfümeure sahen sich gezwungen, zu reagieren und wendeten die Methoden und Strukturen der weiblichen Parfümerie an: Wenn du sie nicht schlagen kannst, dann schließe dich ihnen an. Sie haben sich mit Duftstoffen bewaffnet - und wir reden hier nicht von ISO-E-Super und Hedione, sondern eher von Ambroxan und synthetischen Stoffen, die nach Grapefruit riechen.
"Spiky Woods" ist auch heute noch das vorherrschende Paradigma, und bevor wir das genauer betrachten, möchte ich ein paar Gründe dafür nennen, warum Frauenparfums immer mehr zu Männerparfums werden.
Einige Gründe
Ein möglicher Faktor ist der allgemeine Druck auf die Rezepturbudgets, der die Palette der Parfümeure auf die billigsten Stoffe einschränken würde. Aber nicht nur die billigsten, sondern auch die sparsamsten Materialien könnten bevorzugt werden, d.h. die lautesten und diffusesten Moleküle, die in Nanogramm pro Kilo dosiert werden können... Im Drydown tauchen immer wieder Ambrox und holziger Amber auf: billig und laut anstelle von Qualität und Nuancen.
Hinzu kommt der Trend, eine Version für Sie und eine für Ihn zu veröffentlichen - die ähnliche Akkorde und Themen verwenden, um eine gewisse "familiäre Ähnlichkeit" zu schaffen; im Endeffekt gibt es dann zwei Formeln zum Preis von einer (und einem bisschen).
Es könnte auch sein, dass Parfum, wie Popmusik, immer einfacher wird, mit weniger Noten und weniger komplexen Melodien (siehe nature.com, science.org, etc.).
Und um noch einmal Turin zu zitieren: Männliche Parfums sind weibliche Parfums ohne Basisnote, wie er sagt.
Wenn das der Fall ist, wären weibliche Parfums, die mehr Noten, Akkorde, Harmonien und Klangfarben haben, von dieser Verarmung stärker betroffen als die ohnehin schon dürftigen Männerdüfte; und so würden sich weibliche und männliche Parfums tendenziell angleichen - sowohl in der Qualität, als auch im Stil.
Ein Parfum, das die Tendenz veranschaulicht, dass sich die weiblichen Düfte immer mehr den männlichen annähern: Libre.
Libre: Eine Fallstudie
2004 brachte Viktor & Rolf Flowerbomb heraus, einen bittersüßen Moschusduft mit, ironischerweise, wenig Blüten. Flowerbomb ist mit dem Moschus und der Orangenblüte von Narciso for Her (2003: Christine Nagel und Francis Kurkdjian) verwandt, den Tania Sanchez als etwas maskulin und hart beschreibt. Narciso for Her hat eine gewisse Schärfe, aber nicht den orangefarbenen Ton oder die echte Schärfe, die man in "Spiky Woods" findet; das kommt erst später.
Im Jahr 2019 hat Libre die Grundidee von Flowerbomb, einem pudrig-moosigen Vanille-Amber, aufgegriffen und mit einer Kopfnote aus Marzipan und Zitrusfrüchten überlagert, die anfangs so scharf ist, dass es fast wehtut. Der Kopf ist so spitz und kantig, dass Libre auf eine Art und Weise hervorsticht, wie es die unscharfe Rundheit von Flowerbomb nie könnte. "Projection" ist hier das Schlafwort; ein Begriff, der von einigen männlichen Parfum-Fans verwendet wird, aber ich habe ihn in der Literatur noch nicht gesehen. Der Begriff "Projection" beschreibt die Wirkung von "Spiky Woods" sehr gut, wohingegen ein Wort wie "Diffusion" die durchdringende Qualität der Sillage nicht erfassen kann.
Libre kombiniert einen femininen Kern - wie Flowerbomb - mit den Kopfnoten von "Spiky Woods", was ihn heller und erkennbarer macht. Er ist in Qualität und Stil näher an einer spritzigen, maskulinen Orange als Flowerbomb oder Narciso vor ihm. In Libre ist der Einfluss von "Spiky Woods" deutlich zu spüren.
(Ihr fragt euch sicher, warum ich mich für Flowerbomb und nicht für Narciso for Her entschieden habe, obwohl Narciso vorher da war und Flowerbomb inspiriert haben könnte? Grund dafür ist, dass Narciso mehr Charakter hat und eher in eine andere Richtung geht. Flowerbomb hingegen ist eine leere Leinwand, die sich leichter mit dem unverwechselbaren Ton der "Spiky Woods" überschreiben lässt, einem Riff, das in den dazwischenliegenden Jahren entstanden ist und einen starken maskulinen Einfluss auf Libre hat).
So ist Libre eine "weibliche" Marke, die "männliche" Elemente auf moderne Weise einsetzt. Außerdem macht es sich die Geschichte der Marke Yves Saint Laurent zu eigen. In den Werbespots trägt das Model einen Smoking, den der Designer 1966 neu geschnitten und für Frauen entworfen hat. Sie trägt ihn à la Grace Jones, d. h. darunter nackt - was gewagt und provokativ und nicht passiv "weiblich" ist.
Man könnte sagen, er spiegelt das dynamische Gefühl von Libre und seinem gemischten Gender-Stil aus spritziger Orange und moschusartigem Hautduft wider. Wer also in einer Parfümerie einen Dior Homme-Flakon mit einer YSL-Gürtelschnalle entdeckt und denkt, es handele sich um einen Herrenduft im Damenbereich, der hat zur Hälfte recht.
Mit seinem quadratischen Flakon, der blaugrauen Schachtel und seinem Namen, der unabhängig oder verfügbar bedeutet, ist Libre ein kohärentes, wenn auch abgeleitetes Paket, das auf einem hellen, kantigen Duft basiert. Er versucht, sich von weiblichen Stereotypen zu befreien, indem er maskuline Konventionen aufgreift. Dabei befreit er sich nicht wirklich vom Geschlecht, sondern wählt nur einen anderen Ansatz dafür.
(Nur ein Wort zur Terminologie: Einige Parfümeure argumentieren, dass Düfte kein Geschlecht haben, was auch stimmt, aber da die Mainstreamindustrie an der Idee von Rosa und Blau, von "ihr" und "ihm" festzuhalten scheint, denke ich, dass es zum Verständnis der Produkte hilfreich ist, sie in ihren Begriffen zu sehen, auch wenn wir mit den zugrunde liegenden Ansichten vielleicht nicht einverstanden sind).
Was denkt ihr? Werden weibliche Düfte immer männlicher?
Wenn das bei Libre bezweckt wurde, hat es jeder danach besser gemacht. Das Parfum ist wie Frankensteins Monster, nicht männlicher, sondern trutschig. Eau de Cologne plus den üblichen Noten die man in fast jedem Parfum findet. Und bei Prada Paradox, fett Neroli?
Ohne mich. :D
Mir fehlt da ein konkretes Thema, dass an einem oder ein paar wenigen konkreten und prägnanten Beispielen behandelt wird.
Und zu deiner Frage: Nein, ich finde nicht, dass weiblich Düfte immer männlicher werden. ,Kilian's Good girl gone bad', Memos ,Sintra` oder auch d&g's ,the one' empfinde ich als weiblich wie eh und je.
Mein persönlicher Eindruck ist eher, dass es in der Zwischenzeit einfach unglaublich viel Auswahl gibt. Im Drogeriemarkt für ein paar Euro, in Fachparfümerien in Nischengeschäften und Online. Das finde ich z.B. äußerst faszinierend! Ganz subjektiv ;)
Troztdem Danke für deinen Beitrag!
Daher ich freue mich tatsächlich über eine olfaktorische "Annäherung" der Damen und Herrendüfte und hoffe es ist zukünftig noch egaler wer welches "duftende Geschlecht" trägt.
Wenn ich mir heutzutage dann aber viele Chypre Düfte ansehe, die in den 70er und 80er Jahren (und noch heute) als Frauendüfte beworben werden, riechen die für mich deutlich maskuliner, kerniger als viele moderne Herrendüfte wie Dior Homme, YSL La Nuit de l'Homme , One Million ...
Denke daher man kann diese These in beide Richtungen aufstellen.
Aber sehr interessant es auch aus der Perspektive zu sehen.
Am Ende trifft vielleicht beides zu und man trifft sich wieder in der "Unisex-Mitte" 😅
Mal sehen wo die Trends in Zukunft hingehen 😊
Es gibt süßere Männerdüfte, die es vllt. früher nicht gab. Ich mag süße Männerdüfte. Ich finde es gibt immer mehr unisex Düfte. Jeder sollte einfach tragen was ihm gefällt. Ich finde es sollte aber immer diese drei Sparten geben nur zur Orientierung. Wenn aufeinmal alles unisex wäre, würde mich dies glaube ich überfordern. Deinen Text hab ich gern gelesen!
@Medusa00 In deiner Sammlung befinden sich übrigens auch "Zwitter"-Düfte. ;) Zudem solche, die jüngere/heutige Nasen sicherlich vermehrt so einordnen würden, z.B. Paloma Picasso!
Es gibt etliche Düfte die zwar von beiden Geschlechtern tragbar sind, trotzdem lehnen sie für meine Nase dann doch immer in Richtung eines Geschlechts.
Wer sich von einem Wort wie Gleichmacherei oder Zwitter angegriffen fühlt - sollte eventuell seine eigene Geschlechterrolle nochmals für sich klar machen/überdenken.
Gleichmacherei & Gleichberechtigung sind 2 vollkommen unterschiedliche Dinge.
Zu Zweiterem erübrige ich mir hier aber jegliche weiteren Worte - weil sonst: *Shitstorm Incoming*
Persönlich finde ich den Einsatz des Unisex-Labels inflationär & in 90% der Fälle fehl am Platz.
Es dient: Marketing & Absatz.
Friede?
Zu dem Thema der "bösen" Spikywoods kann ich nur sagen, dass das produziert wird was der Markt verlangt und diese Synthetischen Duftstoffe aus Gründen existieren, z.B. Grapefruit darf man nicht mehr als Naturaloil verwenden. Synthetische Duftstoffe beherrschen den Aufbau moderner Parfüms nicht nur weil sie günstig sind, sondern auch weil sie eine gleiche Qualität und Verfügbarkeit gewährleisten und zu dem oftmals verträglicher für den Nutzer sind, da viele Allergene umgangen werden können. Die Welt ist im Wandel und so sind es auch ihre Düfte.
Da ich immer bereit bin neues zu lernen wäre ich dir für Quellenangaben mit denen du dich ja befasst hast dankbar.
Konträr zu deinem Standpunkt, dass das Angebot den Konsum bestimmt, gibt es Abhandlungen die ein gegenteiliges Bild zeichnen. Diese werden gerne von Konzernen in Auftrag gegeben um das Konsumverhalten besser zu verstehen und das Marketing daran anzupassen.
So gibt es eine Studie der EBS, die darlegt, dass Werbung und Angebot nicht im Stande sind einen Nicht-Bedarf oder einen Mehrkonsum in einer Produktkategorie auszugleichen.
Es ist im allgemeinen ein Trugschluss zu glauben, dass Angebot alleine ausreicht um den Konsumer zu beeinflussen. Wieso? Ladenhüter, Flops und Marktforschung wären so nicht existent.
Das Angebot kann auch Nachfrage erzeugen. Es wird gekauft, was beworben wird, was im Regal steht.
Kunsthandwerk bedeutet aber nicht komplett natürlich, es ist auch eine Kunst diese Kombinationen zu kreieren, auch wenn sie nun aus dem Labor kommen und nicht aus der Natur. Die Parfümeure die diese Zusammenstellungen kreieren sind ja trotzdem Meister ihres Fachs und ihnen diese Fähigkeit aufgrund der Verwendung von Synthetik abzusprechen ist einfach falsch.
Ich verstehe den Mehrwert nicht, die Ehre als Mann zu haben, neben einer Frau ein Ei zu legen.
Gemischte Umkleiden gibt es nicht und gemischt Saunen werden oft gemieden. Warum also zusammen sein Geschäft erledigen...
Aber ja, Tamponspender auf Herrentoiletten werden die Welt sicherlich retten. Willkommen im 21. Jahrhundert
So wie es langsam normaler wird Unisex-Toiletten zu finden, so schlägt sich dieser öffnende Trend nach meinem Empfinden auch in den Düften wieder. Wie gesagt, ich freue mich drauf, dass jede*r so sein darf wie eine*r will und es mehr Freiheiten für alle gibt, auch für die, die sich zwischen und außerhalb der gesellschaftlichen Normen bewegen. Dabei können wir alle nur gewinnen und in diesem Sinne bin ich gespannt auf die neuen Duftrichtungen die sich auftun werden.
Nicht unerheblich für die Beantwortung Deiner Frage ist nicht zuletzt, daß sich als "weiblich" und "männlich" deklarierte Düfte dahingehend immer mehr aufeinander zubewegen, als daß "männliche" Düfte gerade eine bis vor nicht allzulanger Zeit undenkbare Versüßung und Verblumung durchmachen und damit in Richtung einer Duft-Charakteristik wandern, die lange Zeit eher den "weiblichen" Düften vorbehalten schien.
Es verschieben sich also gerade die Maßstäbe und alle Schwellenwerte, die bisher zur Einordnung "männlich"/"weiblich" hergenommen werden konnten.
Anders gesagt: Weil viele Männerdüfte inzwischen ungeniert in den Duftwelten der Damen wildern und deutlich süßer, blumiger und damit weiblicher werden, dann könnten Frauendüfte plötzlich - nicht absolut, wohl aber im Vergleich, diese Einschränkung halte ich für wichtig - männlicher wirken.