27.06.2014 - 12:15 Uhr
Yatagan
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Yatagan
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44
Identitäten und Lebenszyklen: Studien zum Vetiver
Unkommentierte Düfte No. 43
In Anlehnung an Erik H. Eriksons berühmtes Werk von Identität und Lebenszyklus und das Stufenmodell der psychosozialen Entwicklung beim Menschen stelle ich hier mal eine steile These auf: psychosoziale Entwicklung schließt die Entwicklung des Duftgeschmackes ein. Dünnes Eis? ich riskiere es.
Die erste Stufe psychosozialer Entwicklung nach Erikson basiert auf der Entwicklung von Ur-Vertrauen (oder Ur-Misstrauen) und ist in aller Regel mit dem 1. oder 2. Lebensjahr abgeschlossen. Welche Rolle könnten Düfte hier spielen? Ganz offensichtlich doch eine ganz entscheidende, denkt man nur an Untersuchungen über die Bindung des Säuglings an Mutter (oder Vater) auch über den Geruch, Gefühle der Geborgenheit, Gerüche von Nahrung, Haut etc.
Um hier keine soziologische Grundsatzdiskussion über den Wert psychosozialer Studien für Düfte zu eröffnen, überspringe ich weitere Phasen und konzentriere mich sodann auf die Stufe des Kindes- und frühen Jugendalters, in der der Wunsch der Teilhabe an der Welt der Erwachsenen ein besonders wichtiger Aspekt der Identitätsbildung ist und bei Düften dazu führen könnte, dass das Rasierwasser (oder gar Duft) des Vaters, das Parfum der Mutter „erlernt“ wird und prägend wirkt.
Ich jedenfalls habe hier zum ersten Mal einen Vetiver-Duft gerochen (Guerlain Vetiver).
Ohne Zweifel dürften auch Erlebnisse in der Entwicklung von Intimität, Partnerschaft und Beziehung (Stufe 6) dazu führen, dass bestimmte Düfte „gelernt“, gewollt, gewählt werden. Wir roch der Duft der ersten Freundin, des ersten Freundes, wie riecht Intimität, Haut, Haare, wie roch der begehrte Andere? Da dürften Düfte mit starker Aussage, erotischer Zusage an das andere Geschlecht die bevorzugte Wahl darstellen.
Da bleibt kaum Raum für Düfte mit Vetiver.
Erst auf der Stufe des reiferen Erwachsenenalters sind wir offenbar dann Willens, uns (wieder) mit „schwierigen“ Düften auseinander zu setzen, Duft nicht (nur) als erotisches Stimulans einzusetzen.
Spätestens hier begann MEINE Geschichte mit Vetiver, ausgelöst durch Erinnerungen an meine Kindheit (s.o.).
Vetiver ist eine komplexe Pflanze und obgleich sie in aller Regel eine sehr maskuline Prägnanz besitzt, ist sie anspruchsvoll, prätentiös. Bei kaum einem Duft wird so häufig darüber diskutiert, ob er nun von jungen Menschen (ich schreibe bewusst nicht Männern) getragen werden könne.
Was mich an dieser Diskussion erstaunt, ist die Tatsache, dass Vetiver in der Parfümerie eigentlich nie unmodern (im engsten Sinne des Wortes) wurde, eigentlich für jede Generation wieder neu entdeckt wird. Der unglaubliche Erfolg des sperrigen Encre Noires ist gar nicht anders erklärbar: Vetiver ist gefragt, in je neuen Variationen.
Während die klassisch-erdigen, z.T. als grasig-modrig empfundenen Vetiver-Düfte (Guerlain Vetiver, Carven Vetiver in jeweils alter oder neuer Formulierung, Givenchy Vetyver, CdG Vettiveru, Lubin Le Vetiver, Creed Original Vetiver, Etro Vetiver, Annick Goutal Vetiver in alter Formel, Vetiver de Frederic, Dominguez Vetiver Hombre, MPG Route du Vetiver und Racine, Czech & Speake Vetiver Vert, Mazzolari Vetiver, Piver Vetiver, Royall Lyme Vetyver und Floris Vetiver) eher einen eingeschworenen Fanclub haben (zu dem ich mich auch rechne), kaum jedoch ohne Weiteres neues, jüngeres Publikum erschließen, gelingt dies postmodernen Variationen offenbar viel eher.
Dazu gehören die „schwarzen“ und bitteren Vetivers wie Chanel Sycomore, Lalique Encre Noire und dem Vetiver aus Diors Privée-Reihe, vielleicht auch Grey Vetiver von Tom Ford. Keine einfachen Vertreter. Auch wenn sie z.T. erfolgreich sind, dürften es dennoch keine Düfte sein, die sehr junge Käufer spontan zu ihrem ersten Duftkauf inspirieren. Da braucht es in den meisten Fällen wohl Vorerfahrung oder Reife (s.o.). Somit eine mutige Marketingentscheidung.
Nicht weiter in den Blick nehme ich den großen Erfolg eines Vetiver-Nebenstrangs, der durch das clever-geniale Terre d‘Hermès initialisiert wurde: Grapefruit, Patchouli, Pfeffer, Zeder und...Vetiver. Das ist inzwischen eine unendliche Geschichte.
Besonders viel Freude machen mir derzeit die Außenseiter im großen Konzert, die Vetiver in einer weicheren Fassung interpretieren (Prada Infusion de Vetiver, Ditpyque Vetyverio, Lubin Le Vetiver Bluff und Itasca, 4711 Vetyver & Bergamot, Monotheme Vetiver Bourbon, TdC Sel de Vetiver, Malle Vetiver Extraordinaire, L‘Artisan Timbuktu und Coeur de Vetiver Sacré, AC Vetiver Fatal, Armani Vetiver Babylone, Bois Vetiver Ambrato, Profumi di Firenze Fresco di Vetiver, L‘Occitane Eau de Vetyver).
Zu dieser letzten Gruppe, zu der faszinierend unterschiedliche Vertreter und viele Nichtgenannte gehören, muss auch Jo Malones Vetyver gerechnet werden. Gerade die weicheren Vetiver-Düfte nutzen häufig Vetiveröl aus hochwertigem, sanft-runden hatitianischem Vetiver oder gar gleich den berühmten Vetiver Bourbon von Réunion.
Wie mir scheint, wurde dieses Öl auch in Malones Vetyver verarbeitet, ohne Zweifel natürlich auch Vetiverylacetat, das offenbar zu einer eleganteren Entfaltung der holzig-erdigen Noten führt. Im Ergebnis fehlt die Erdigkeit, die Muffigkeit fast ganz; was bleibt ist jedoch die krautig-grüne Komponente des Vetivers, die dem Duft seinen einzigartigen Charme verleiht.
Essentiell ist für mich eine zitrische Kopfnote (Zitrone, Bergamotte oder Neroli etc.), die hier gegeben ist. Beifuß könnte die balsamische Note dieses Duftes weiter unterstreichen. Eigentlich ein einfacher, charmanter, überzeugender Duft ohne lange Liste der Inhaltsstoffe: plain, klar, konzentriert.
Als Resümee lässt sich festhalten, dass die letztgenannten Vertreter und der hier im Besonderen genannte Duft im Grunde einen guten Einstieg in die Welt des Vetivers ermöglichen, dass gerade Düfte mit Vetiver Bourbon-Anteil weicher und runder wirken, weniger erdig-dunkel und damit für Vetiver-Neulinge attraktiv sein dürften.
Jo Malones Vetyver könnte somit eine gute Alternative für diejenigen sein, denen Vetiver nicht in allen, aber doch in bestimmten Phasen seiner Duftentwicklung zu krautig (Kopfnote) oder zu erdig (Herz- und Basisnote) erscheint.
In Anlehnung an Erik H. Eriksons berühmtes Werk von Identität und Lebenszyklus und das Stufenmodell der psychosozialen Entwicklung beim Menschen stelle ich hier mal eine steile These auf: psychosoziale Entwicklung schließt die Entwicklung des Duftgeschmackes ein. Dünnes Eis? ich riskiere es.
Die erste Stufe psychosozialer Entwicklung nach Erikson basiert auf der Entwicklung von Ur-Vertrauen (oder Ur-Misstrauen) und ist in aller Regel mit dem 1. oder 2. Lebensjahr abgeschlossen. Welche Rolle könnten Düfte hier spielen? Ganz offensichtlich doch eine ganz entscheidende, denkt man nur an Untersuchungen über die Bindung des Säuglings an Mutter (oder Vater) auch über den Geruch, Gefühle der Geborgenheit, Gerüche von Nahrung, Haut etc.
Um hier keine soziologische Grundsatzdiskussion über den Wert psychosozialer Studien für Düfte zu eröffnen, überspringe ich weitere Phasen und konzentriere mich sodann auf die Stufe des Kindes- und frühen Jugendalters, in der der Wunsch der Teilhabe an der Welt der Erwachsenen ein besonders wichtiger Aspekt der Identitätsbildung ist und bei Düften dazu führen könnte, dass das Rasierwasser (oder gar Duft) des Vaters, das Parfum der Mutter „erlernt“ wird und prägend wirkt.
Ich jedenfalls habe hier zum ersten Mal einen Vetiver-Duft gerochen (Guerlain Vetiver).
Ohne Zweifel dürften auch Erlebnisse in der Entwicklung von Intimität, Partnerschaft und Beziehung (Stufe 6) dazu führen, dass bestimmte Düfte „gelernt“, gewollt, gewählt werden. Wir roch der Duft der ersten Freundin, des ersten Freundes, wie riecht Intimität, Haut, Haare, wie roch der begehrte Andere? Da dürften Düfte mit starker Aussage, erotischer Zusage an das andere Geschlecht die bevorzugte Wahl darstellen.
Da bleibt kaum Raum für Düfte mit Vetiver.
Erst auf der Stufe des reiferen Erwachsenenalters sind wir offenbar dann Willens, uns (wieder) mit „schwierigen“ Düften auseinander zu setzen, Duft nicht (nur) als erotisches Stimulans einzusetzen.
Spätestens hier begann MEINE Geschichte mit Vetiver, ausgelöst durch Erinnerungen an meine Kindheit (s.o.).
Vetiver ist eine komplexe Pflanze und obgleich sie in aller Regel eine sehr maskuline Prägnanz besitzt, ist sie anspruchsvoll, prätentiös. Bei kaum einem Duft wird so häufig darüber diskutiert, ob er nun von jungen Menschen (ich schreibe bewusst nicht Männern) getragen werden könne.
Was mich an dieser Diskussion erstaunt, ist die Tatsache, dass Vetiver in der Parfümerie eigentlich nie unmodern (im engsten Sinne des Wortes) wurde, eigentlich für jede Generation wieder neu entdeckt wird. Der unglaubliche Erfolg des sperrigen Encre Noires ist gar nicht anders erklärbar: Vetiver ist gefragt, in je neuen Variationen.
Während die klassisch-erdigen, z.T. als grasig-modrig empfundenen Vetiver-Düfte (Guerlain Vetiver, Carven Vetiver in jeweils alter oder neuer Formulierung, Givenchy Vetyver, CdG Vettiveru, Lubin Le Vetiver, Creed Original Vetiver, Etro Vetiver, Annick Goutal Vetiver in alter Formel, Vetiver de Frederic, Dominguez Vetiver Hombre, MPG Route du Vetiver und Racine, Czech & Speake Vetiver Vert, Mazzolari Vetiver, Piver Vetiver, Royall Lyme Vetyver und Floris Vetiver) eher einen eingeschworenen Fanclub haben (zu dem ich mich auch rechne), kaum jedoch ohne Weiteres neues, jüngeres Publikum erschließen, gelingt dies postmodernen Variationen offenbar viel eher.
Dazu gehören die „schwarzen“ und bitteren Vetivers wie Chanel Sycomore, Lalique Encre Noire und dem Vetiver aus Diors Privée-Reihe, vielleicht auch Grey Vetiver von Tom Ford. Keine einfachen Vertreter. Auch wenn sie z.T. erfolgreich sind, dürften es dennoch keine Düfte sein, die sehr junge Käufer spontan zu ihrem ersten Duftkauf inspirieren. Da braucht es in den meisten Fällen wohl Vorerfahrung oder Reife (s.o.). Somit eine mutige Marketingentscheidung.
Nicht weiter in den Blick nehme ich den großen Erfolg eines Vetiver-Nebenstrangs, der durch das clever-geniale Terre d‘Hermès initialisiert wurde: Grapefruit, Patchouli, Pfeffer, Zeder und...Vetiver. Das ist inzwischen eine unendliche Geschichte.
Besonders viel Freude machen mir derzeit die Außenseiter im großen Konzert, die Vetiver in einer weicheren Fassung interpretieren (Prada Infusion de Vetiver, Ditpyque Vetyverio, Lubin Le Vetiver Bluff und Itasca, 4711 Vetyver & Bergamot, Monotheme Vetiver Bourbon, TdC Sel de Vetiver, Malle Vetiver Extraordinaire, L‘Artisan Timbuktu und Coeur de Vetiver Sacré, AC Vetiver Fatal, Armani Vetiver Babylone, Bois Vetiver Ambrato, Profumi di Firenze Fresco di Vetiver, L‘Occitane Eau de Vetyver).
Zu dieser letzten Gruppe, zu der faszinierend unterschiedliche Vertreter und viele Nichtgenannte gehören, muss auch Jo Malones Vetyver gerechnet werden. Gerade die weicheren Vetiver-Düfte nutzen häufig Vetiveröl aus hochwertigem, sanft-runden hatitianischem Vetiver oder gar gleich den berühmten Vetiver Bourbon von Réunion.
Wie mir scheint, wurde dieses Öl auch in Malones Vetyver verarbeitet, ohne Zweifel natürlich auch Vetiverylacetat, das offenbar zu einer eleganteren Entfaltung der holzig-erdigen Noten führt. Im Ergebnis fehlt die Erdigkeit, die Muffigkeit fast ganz; was bleibt ist jedoch die krautig-grüne Komponente des Vetivers, die dem Duft seinen einzigartigen Charme verleiht.
Essentiell ist für mich eine zitrische Kopfnote (Zitrone, Bergamotte oder Neroli etc.), die hier gegeben ist. Beifuß könnte die balsamische Note dieses Duftes weiter unterstreichen. Eigentlich ein einfacher, charmanter, überzeugender Duft ohne lange Liste der Inhaltsstoffe: plain, klar, konzentriert.
Als Resümee lässt sich festhalten, dass die letztgenannten Vertreter und der hier im Besonderen genannte Duft im Grunde einen guten Einstieg in die Welt des Vetivers ermöglichen, dass gerade Düfte mit Vetiver Bourbon-Anteil weicher und runder wirken, weniger erdig-dunkel und damit für Vetiver-Neulinge attraktiv sein dürften.
Jo Malones Vetyver könnte somit eine gute Alternative für diejenigen sein, denen Vetiver nicht in allen, aber doch in bestimmten Phasen seiner Duftentwicklung zu krautig (Kopfnote) oder zu erdig (Herz- und Basisnote) erscheint.
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