Vorspiel
Die Welt hält lustige Zufälle für uns alle bereit: als ich vor Kurzem ein Päckchen von einem lieben Parfumo-Mitglied erhielt (ich weiss nicht, ob die Person genannt werden will), befand sich darin eine Überraschung, die so nicht geplant war. Besagte Person packte aus Versehen eine Abfüllung in den Umschlag, die dort eigentlich nicht landen sollte. Ich hoffe, die hat den Verlust vielleicht schon durch einen größeren Flakon ersetzt?
Ich jedenfalls (nichtsahnend) wurde neugierig ob dem unbekannten Neuzugang, ich recherchierte – und erlebte eine Überraschung…
Geschichtsstunde mit Tante Esclarmonde:
1. Grasse
Wir beginnen unsere Geschichte mit einem kleinen Jungen namens Pierre-Francois Lubin, der im Alter von zehn Jahren um 1784 eine Stelle als Lehrling im traditionsreichen Haus des Parfumeurs Tombarelli in Grasse antrat. Die Familie Tombarelli unterhielt schon seit 1580 eine Apotheke und Parfümerie in jenem weltbekannten Ort und gilt als Mitbegründer der Parfumindustrie dort.
2. Paris
Wenige Jahre später, um 1792, beschloss der ehrgeizige junge Lubin, nach Paris zu gehen und er verschrieb sich dem Bestreben, in die Gilde der Parfumeure aufgenommen zu werden. Sein neuer Meister war nicht weniger berühmt als Tombarelli: es handelte sich um Jean-Louis Fargeon, einen der persönlichen Parfumeure der königlichen Familie. Von nun an verfolgte der junge Lubin mit größter Aufmerksamkeit alle Handlungen seines Meisters. Es war eine glückliche Zeit für sein Handwerk: seit dem Sonnenkönig Ludwig XIV. fand man zunehmend Gefallen an allerlei Toilettenwässerchen, Parfums und anderen Schönheits- und Pflegeutensilien bei Hofe. Sie waren fester Bestandteil der höfischen Galanterie geworden. Bei Hofe konkurrierte Jean-Louis Fargeon durchaus mit anderen namhaften Parfumeuren: darunter befand sich auch ein junger Mann mit Namen Jean-Francois Houbigant, der uns heute noch ein Begriff ist.
3. Ein geheimer Garten
Die Königin Marie-Antoinette unterhielt im weitläufigen Park um Versailles ein Nebenschlösschen (der Grand Trianon), in dessen Nähe sie sich ein kleines fingiertes Bauerndörfchen bauen ließ. Manche haben ihr deshalb nachgesagt, sie sei verrückt gewesen, weil sie sich dort in eine dekadente Bauernidylle hineinträumte, während ihr Volk verhungerte. Man sollte jedoch bedenken, dass es sich bei dem Dorf um eine Anlage handelte, in der sie – im philosophischen Geist der Zeit – „zurück zur Natur“ und zum einfachen Leben, fernab der Hofetikette finden wollte. Damit hat die Dekadenz zumindest eine anspruchsvolle Grundlage.
4. Der Wunsch der Königin
Lange Zeit war das französische Königspaar ohne Kinder geblieben, 1778 wurde eine Tochter geboren. Als die Königin Marie-Antoinette im Oktober 1781 endlich einem kleinen Thronfolger das Leben schenkte, überhäufte sie der König mit Geschenken, darunter auch eigens für sie angefertigte Parfumkreationen.
Königin Marie-Antoinette schätzte die Kreationen von Monsieur Fargeon, und eines Tages im Jahr 1782 rief sie ihn zu sich, und zwar in ihr verklärtes Dörfchen im Park. Er bewunderte die duftende blühende Pracht, die die Königin in ihrem kleinen Reich unterhielt. Dort trug sie ihm ihren Wunsch vor, diesen zauberhaften, ja fast geheimen Ort ihres Glücks in einem Parfum einzufangen. Sie nannte Fargeon Rosen und Veilchen als ihre Lieblingsblumen. In der Nähe gab es auch eine Orangerie, so dass der Duft der Orangenblüten nicht fehlen durfte. Noch heute zeugen überdies Stickereien und Webmuster in den Originalbezugsstoffen und Vorhängen und im Wanddekor des Grand Trianon von Marie-Antoinettes Liebe zu exklusiven exotischen Früchten, Gewürzen und Hölzern, von denen Bergamotte, Galbanharz, Patchouli, Kardamom, Tonkabohne, Zimt und Weihrauch sowie Zedernöl und Sandelholz ihren Eingang in die Komposition fanden. Hinzu kamen der einheimische Lavendel, die Iris und die drei Weißen der Nacht: Jasmin, Lilie und Tuberose. Auch Moschus und Amber sollten nicht fehlen. Mit diesem intimen Auftrag ging Fargeon ans Werk, stets begleitet von den wissbegierigen Blicken seines Lehrlings Lubin. Das Ergebnis, das Fargeon Marie-Antoinette präsentierte, traf ins Schwarze: Das „Parfum du Trianon“ war geboren. Von nun an bis zu ihren letzten Tagen in Gefangenschaft trug die Königin stets einen kleinen Flakon aus schwarzer Jade, die den kostbaren Inhalt vor Licht schützen sollte, bei sich.
5. Bis zum bitteren Ende
Wie es nur wenige Jahre später für die königliche Familie weitergehen sollte, ist bekannt. Eine Anekdote erzählt, dass man die Königin auf der versuchten Flucht aus Frankreich im Sommer 1792 an ihrem Parfum erkannt haben soll… Tatsächlich jedoch blieb Jean-Louis Fargeon seiner Königin bis zum Ende treu: noch in Gefangenschaft in der Conciergerie belieferte er sie mit Toilettenartikeln – zwischen die er immer wieder auch ein Fläschchen Parfum du Trianon schmuggelte, das es der Königin ermöglichen sollte, in unbeschwerte, glückliche Tage ihres Lebens zurückzureisen. Vor ihrer Hinrichtung im Oktober 1793 steckte sie den letzten Flakon des Parfums ihrer engen Vertrauten, der Duchesse de Tourzel zu, und bis heute befindet sich dieser im Besitz der Nachkommen der Duchesse.
Nach der Enthauptung der Königin musste sich auch bald der loyale Jean-Louis Fargeon vor dem Revolutionstribunal verantworten. Zu seiner alten Form fand Fargeon nicht wieder zurück. Er verstarb im Jahr 1806 in Paris.
6. Das Parfum lebt weiter
Nicht zu vergessen jedoch sein aufmerksamer Schüler: 1798 hatte Pierre-Francois Lubin in der Pariser Rue Sainte Anne ein eigenes Geschäft eröffnet. Unter seinen kunstfertig hergestellten Erzeugnissen befand sich auch ein Parfum, das er „Jardin secret“ nannte: es war das Parfum der Königin, das er einst aus dem Unterlagen seines Meisters kopiert hatte! Bis in die 1930er Jahre verkaufte das Haus Lubin diesen Duft. Vor kurzer Zeit sind Pierre-Francois` Aufzeichnungen wieder gefunden worden, und das Geheimnis um den Garten der Königin wurde gelüftet. Seit Sommer 2011 ist es nun wieder erhältlich: das Parfum der Königin.
Wer die Geschichte von Jean-Louis Fargeon und der Entstehung des Parfum du Trianon selbst lesen möchte: Elisabeth de Feydeau, Jean-Louis Fargeon, parfumeur de Marie-Antoinette, Versailles 2004 (leider bisher nicht ins Deutsche übersetzt).
P.S.: Und für alle, die noch interessiert, wie ich Marie-Antoinettes Duft finde: 90% und: Zunächst nehme ich vor allem die Orangenblüte wahr. Zwischen Rose und Orangenblüte wurde gut ausbalanciert. Nach einiger Zeit erkenne ich viel Patchouli, die Gewürze, Hölzer und Harze. Diese bilden in ebenfalls perfekter Balance einen prächtig-aromatischen Hintergrund. Jasmin und v.a. Tuberose bringen eine gewisse Schwere ein. Der Duft strahlt eine große, warme, festliche und prachtvolle Aura aus. Das Veilchen konnte ich bisher nicht finden...
Vielleicht ist Black Jade nicht für jeden Tag geeignet, weil wirklich opulent (aber das ist natürlich Geschmackssache), auf jeden Fall ist dieser Duft wirklich etwas ganz besonderes.
Viel Spaß Ihr Lieben – Geschichte rockt!