25.02.2018 - 08:50 Uhr
FvSpee
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10
Zu den Sternen
Sehr kurz zusammengefasst könnte man "Neroli ad Astra" als einen Duft mit hesperidischem Auftakt und cremigem Ausklang beschreiben. Damit würde man jedoch, so meine ich, zu sehr an der Oberfläche verbleiben, denn dieser scheinbar so schlichte und gefällige Duft mutet, so scheint es mir, immer ungewöhnlicher, ja fast gebrochener und verstörender an, je intensiver man ihn auf sich wirken lässt.
Pierre Guillaume und seine "Parfumerie Générale" gehört zu den mir auf Anhieb sympathischen Duftlinien, vielleicht weil mir die Klarheit der Flakons und ihrer Etikettierung so gefallen, vielleicht, weil einer der ersten von mir getesteten PGs, nämlich "Indochine", zu den faszinierendsten Parfums gehören, die ich je riechen konnte. Dass ich der Marke generell gewogen bin, daran konnten auch einige weniger schöne Dufterfahrungen mit der P.G. bisher nichts ändern.
Den Namen und die Nummerierung dieses Duftes vermochte ich bisher nicht zu entschlüsseln. Er trägt die Nummer 19.1, als ob er nachträglich zwischen 19 und 20, gewissermaßen als 19a oder 19bis, dazwischengeschoben worden wäre. Nun ist die 19, Louanges Profanes, zwar ebenfalls ein Duft mit Neroli in der Herznote, ansonsten scheint er aber keinerlei Übereinstimmungen mit "NaA" aufzuweisen. Und "Neroli ad Astra", nun, Neroli - einer wohl mythischen Etymologie zufolge nach einer Prinzessin Nerola benannt - ist das zitrisch-blumig duftende Öl der Pomeranzenblüte, das in der Parfumindustrie im Orient wie im Okzident seit Jahrhunderten gerne verwendet wird, mal in der Kopfnote (z.B. bei Nio von Xerjoff oder bei Tabac Original von Mäurer und Wirtz), meist in der Herznote (z.B. bei Reflection Man von Amouage, Habit Rouge von Guerlain oder eben hier) und mal sogar in der Basisnote (jawohl, in 4711, obwohl viele negieren würden, dass dieser Duft in seiner Entwicklung überhaupt die Basisnote erreicht). "Ad astra" wiederum ist Latein, bedeutet "zu den Sternen" und hat zwar noch ein paar andere Assoziationen (nach einer Internetrecherche heißt z.B. auch eine Kurzgeschichte von William Faulkner so), ist aber wohl vor allem als Teil des (nicht-klassischen, also in der Antike nicht nachweisbaren) Ausspruchs "per aspera ad astra", abgewandelt "per ardua ad astra" ("Durch Härten zu den Sternen" oder "Durch Mühen zu den Sternen") bekannt, der ähnlich wie die verwandten Dikta "no cross, no crown", "ad angusta per augustam" oder "ohne Fleiß kein Preis" sagen will, dass Erfüllung erst nach harter Anstrengung zu erhoffen ist. Demnach heißt dieser Duft "Neroli zu den Sternen". Wie dieser Name zu den Duft passt, vielleicht könnt ihr Leser mich darüber aufklären. Angesichts seiner dezidiert kurzen Haltbarkeit dürfte es jedenfalls wohl nicht als "Neroli bis zu den Sternen" zu deuten sein. Und da das "schwierige" hier eher am Ende denn am Anfang des Duftverlaufes kommt, kann auch keine Rede davon sein, dass man sich hier erst durch etwas hindurchkämpfen muss, um dann am Ende genießen zu dürfen.
Ich komme auf meine einleitenden Worte zurück: "Neroli ad Astra" kann man sich wohl, auch wenn er hier mit den klassischen drei Noten präsentiert wird, am ehesten nähern, wenn mal ihn sich als Zwei-Phasen-Duft vorstellt. Die erste Stunde dominiert eine wundervoll aufgefächerte orange aromatische, auch bisweilen leicht herbe und fein-grüne Zitrik. Ich behaupte, dass dabei eine Aufteilung in die Kopfnoten-Mandarine und das Herznoten-Neroli nur eine Fiktion wäre: Diese beiden Duftnoten sind untrennbar miteinander verbunden und bilden den eigentlichen Körper des Duftes in seiner Frühphase. Es ist aber wirklich nur auf den ersten Blick, dass wir meinen, das sei eben ein schöner, ziemlich feiner Hesperide und sonst nichts. Denn in diese ohnehin bereits ziemlich raffinierte und kaleidoskopartik spielende Zitrik mischen sich immer wieder feinfruchtige und vor allem dann immer stärker blumige Noten. Die Birne ist hier genial ausgewählt, sie ist nur dezent fruchtig und nimmt in ihrer kühlen Cremigkeit das Duftgeschehen in der späteren zweiten Phase wie ein musikalisches Motiv voraus. Die blumigen Akkorde schwellen dann dermaßen stark an, dass sie der bis dahin frisch spielenden Zitrik nachgerade die Luft abdrücken, das Parfum wird in dieser Phase für zwanzig, dreißig Minuten fast schon schwül, und das kann man, finde ich, durchaus aus bedrohlich und abgründig empfinden. Um welche Blumen es sich handelt, hätte ich alleine nie ermittelt, ich hätte vielleicht auf Rosen und Nelken getippt. Nach der Duftpyramide sind es die Rosengeranie (sehr plausibel) und die nur äußerst selten verwendete Agavenblüte, nach der Parfumo-Datenbank gibt es außer diesem Parfüm nur noch zwei weltweit, in denen Agavenblüte enthalten ist, einer davon ist eingestellt und einer ohne nähere Nachweise. Nur in dieser Phase übrigens identifiziere ich "Neroli ad astra" als Damenduft, vorher und nachher halte ich ihn für unisex.
Dann, nach etwa einer Stunde, bricht das blumig-schwüle Geschehen, das bis zuvor der Hesperidik Gewalt angetan hatte, unvermittelt selbst zusammen. Dieser Zusammenbruch ist eher Ab- als Umbruch, ich habe rückblickend fast den (natürlich allenfalls metaphorisch "wahren") Eindruck, ich hätte für ein paar Minuten gar nichts mehr gerochen. Schließlich ist dann für abschließende 1-2 Stunden (dies ist wahrlich kein haltbarer Duft) die sehr hautnahe, eher glimmende, zweite Duftphase zu spüren. Diese ist mit "cremig" zwar durchaus richtig beschrieben, aber Vorsicht! Andere der Zitrus-wird-zu-Creme-Formel folgende Düfte wie "Classic Orange" von von Eusersdorff oder "Softly" von Jil Sander klingen in einer warmen, in Wahrheit vanilligen (so wie die Sahnenote in Tees in Wirklichkeit durch Vanille oder Vanillin erzeugt wird) Cremigkeit aus, diese Cremigkeit hier ist weder warm noch weich, sie ist im Gegenteil sehr kühl und glatt, und - wohl der Moschus - eher von einer milden, von fernde geahnten Animalik. Ist dieser Duft "schön"? "anziehend"? "gefällig"? Ich weiß es nicht. Faszinierend ist er allemal. Ist in diesem kühlen, fernen Residuum noch irgendetwas von der fröhlichen Neroli-Mandarinen-Spielerei des Anfangs aufgehoben? Ich bin mir nicht sicher.
So denke ich dann am Ende an die alten griechischen Mythen darüber, dass die Götter allerlei Männer und Frauen aus verschiedenen Gründen als Sternbilder an den Himmel versetzten, wie etwa Kassiopeia. Und ich habe zwar keine Ahnung, ob es das war, woran Pierre Guillaume bei seiner merkwürdigen Namensgebung dachte, aber es kommt mir fast so vor, als sei die einstmals sehr lebendige Nerola hier eines gewaltsamen Todes gestorben und dann "zu den Sternen" versetzt worden, wo wir sie als kühles, sanftes Sternbild, fern, erhaben und etwas beängstigend vielleicht, noch weiter bewundern können.
Pierre Guillaume und seine "Parfumerie Générale" gehört zu den mir auf Anhieb sympathischen Duftlinien, vielleicht weil mir die Klarheit der Flakons und ihrer Etikettierung so gefallen, vielleicht, weil einer der ersten von mir getesteten PGs, nämlich "Indochine", zu den faszinierendsten Parfums gehören, die ich je riechen konnte. Dass ich der Marke generell gewogen bin, daran konnten auch einige weniger schöne Dufterfahrungen mit der P.G. bisher nichts ändern.
Den Namen und die Nummerierung dieses Duftes vermochte ich bisher nicht zu entschlüsseln. Er trägt die Nummer 19.1, als ob er nachträglich zwischen 19 und 20, gewissermaßen als 19a oder 19bis, dazwischengeschoben worden wäre. Nun ist die 19, Louanges Profanes, zwar ebenfalls ein Duft mit Neroli in der Herznote, ansonsten scheint er aber keinerlei Übereinstimmungen mit "NaA" aufzuweisen. Und "Neroli ad Astra", nun, Neroli - einer wohl mythischen Etymologie zufolge nach einer Prinzessin Nerola benannt - ist das zitrisch-blumig duftende Öl der Pomeranzenblüte, das in der Parfumindustrie im Orient wie im Okzident seit Jahrhunderten gerne verwendet wird, mal in der Kopfnote (z.B. bei Nio von Xerjoff oder bei Tabac Original von Mäurer und Wirtz), meist in der Herznote (z.B. bei Reflection Man von Amouage, Habit Rouge von Guerlain oder eben hier) und mal sogar in der Basisnote (jawohl, in 4711, obwohl viele negieren würden, dass dieser Duft in seiner Entwicklung überhaupt die Basisnote erreicht). "Ad astra" wiederum ist Latein, bedeutet "zu den Sternen" und hat zwar noch ein paar andere Assoziationen (nach einer Internetrecherche heißt z.B. auch eine Kurzgeschichte von William Faulkner so), ist aber wohl vor allem als Teil des (nicht-klassischen, also in der Antike nicht nachweisbaren) Ausspruchs "per aspera ad astra", abgewandelt "per ardua ad astra" ("Durch Härten zu den Sternen" oder "Durch Mühen zu den Sternen") bekannt, der ähnlich wie die verwandten Dikta "no cross, no crown", "ad angusta per augustam" oder "ohne Fleiß kein Preis" sagen will, dass Erfüllung erst nach harter Anstrengung zu erhoffen ist. Demnach heißt dieser Duft "Neroli zu den Sternen". Wie dieser Name zu den Duft passt, vielleicht könnt ihr Leser mich darüber aufklären. Angesichts seiner dezidiert kurzen Haltbarkeit dürfte es jedenfalls wohl nicht als "Neroli bis zu den Sternen" zu deuten sein. Und da das "schwierige" hier eher am Ende denn am Anfang des Duftverlaufes kommt, kann auch keine Rede davon sein, dass man sich hier erst durch etwas hindurchkämpfen muss, um dann am Ende genießen zu dürfen.
Ich komme auf meine einleitenden Worte zurück: "Neroli ad Astra" kann man sich wohl, auch wenn er hier mit den klassischen drei Noten präsentiert wird, am ehesten nähern, wenn mal ihn sich als Zwei-Phasen-Duft vorstellt. Die erste Stunde dominiert eine wundervoll aufgefächerte orange aromatische, auch bisweilen leicht herbe und fein-grüne Zitrik. Ich behaupte, dass dabei eine Aufteilung in die Kopfnoten-Mandarine und das Herznoten-Neroli nur eine Fiktion wäre: Diese beiden Duftnoten sind untrennbar miteinander verbunden und bilden den eigentlichen Körper des Duftes in seiner Frühphase. Es ist aber wirklich nur auf den ersten Blick, dass wir meinen, das sei eben ein schöner, ziemlich feiner Hesperide und sonst nichts. Denn in diese ohnehin bereits ziemlich raffinierte und kaleidoskopartik spielende Zitrik mischen sich immer wieder feinfruchtige und vor allem dann immer stärker blumige Noten. Die Birne ist hier genial ausgewählt, sie ist nur dezent fruchtig und nimmt in ihrer kühlen Cremigkeit das Duftgeschehen in der späteren zweiten Phase wie ein musikalisches Motiv voraus. Die blumigen Akkorde schwellen dann dermaßen stark an, dass sie der bis dahin frisch spielenden Zitrik nachgerade die Luft abdrücken, das Parfum wird in dieser Phase für zwanzig, dreißig Minuten fast schon schwül, und das kann man, finde ich, durchaus aus bedrohlich und abgründig empfinden. Um welche Blumen es sich handelt, hätte ich alleine nie ermittelt, ich hätte vielleicht auf Rosen und Nelken getippt. Nach der Duftpyramide sind es die Rosengeranie (sehr plausibel) und die nur äußerst selten verwendete Agavenblüte, nach der Parfumo-Datenbank gibt es außer diesem Parfüm nur noch zwei weltweit, in denen Agavenblüte enthalten ist, einer davon ist eingestellt und einer ohne nähere Nachweise. Nur in dieser Phase übrigens identifiziere ich "Neroli ad astra" als Damenduft, vorher und nachher halte ich ihn für unisex.
Dann, nach etwa einer Stunde, bricht das blumig-schwüle Geschehen, das bis zuvor der Hesperidik Gewalt angetan hatte, unvermittelt selbst zusammen. Dieser Zusammenbruch ist eher Ab- als Umbruch, ich habe rückblickend fast den (natürlich allenfalls metaphorisch "wahren") Eindruck, ich hätte für ein paar Minuten gar nichts mehr gerochen. Schließlich ist dann für abschließende 1-2 Stunden (dies ist wahrlich kein haltbarer Duft) die sehr hautnahe, eher glimmende, zweite Duftphase zu spüren. Diese ist mit "cremig" zwar durchaus richtig beschrieben, aber Vorsicht! Andere der Zitrus-wird-zu-Creme-Formel folgende Düfte wie "Classic Orange" von von Eusersdorff oder "Softly" von Jil Sander klingen in einer warmen, in Wahrheit vanilligen (so wie die Sahnenote in Tees in Wirklichkeit durch Vanille oder Vanillin erzeugt wird) Cremigkeit aus, diese Cremigkeit hier ist weder warm noch weich, sie ist im Gegenteil sehr kühl und glatt, und - wohl der Moschus - eher von einer milden, von fernde geahnten Animalik. Ist dieser Duft "schön"? "anziehend"? "gefällig"? Ich weiß es nicht. Faszinierend ist er allemal. Ist in diesem kühlen, fernen Residuum noch irgendetwas von der fröhlichen Neroli-Mandarinen-Spielerei des Anfangs aufgehoben? Ich bin mir nicht sicher.
So denke ich dann am Ende an die alten griechischen Mythen darüber, dass die Götter allerlei Männer und Frauen aus verschiedenen Gründen als Sternbilder an den Himmel versetzten, wie etwa Kassiopeia. Und ich habe zwar keine Ahnung, ob es das war, woran Pierre Guillaume bei seiner merkwürdigen Namensgebung dachte, aber es kommt mir fast so vor, als sei die einstmals sehr lebendige Nerola hier eines gewaltsamen Todes gestorben und dann "zu den Sternen" versetzt worden, wo wir sie als kühles, sanftes Sternbild, fern, erhaben und etwas beängstigend vielleicht, noch weiter bewundern können.
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