Schon immer waren es die Meisterklassen an der Akademie zu Dufterstadt gewesen, die besondere Aufmerksamkeit im gesamten Land erregten. Waren alle Ingredienzien vorhanden? Hatten die Kobolde ausreichend Lavendel gehortet, Weihrauchsträucher rechtzeitig geritzt und die kostbaren Iriswurzeln fachzwergisch aufbereitet?
Professor Olfaktio Galbanus Naseweiß kümmerte sich um derlei Selbstverständlichkeiten nicht. Sein Anliegen war es, die Studenten in die hohe Kunst der Parfümerie einzuweihen – ein durchaus anspruchsvolles Unterfangen nicht zuletzt angesichts der ethnischen Vielfalt, die sich in seinem Laboratorium tummelte. Dabei hatten Vorprüfungen, diverse Tests und das gefürchtete Praktikum an der alchemistischen Fakultät die Zahl der Teilnehmer bereits drastisch reduziert: Ganze sechs Studenten hatten sich für die Meisterklasse empfohlen – und kämpften nun mit der Aufgabe, die Professor Naseweiß ihnen zum Abschluss gestellt hatte: „Kreieren Sie ein Parfum, das Gegensätze versöhnt und die Vielfalt unseres Landes spiegelt. Die Uhr läuft – ab jetzt!“
Blumilas trug den für ihn so typischen hochmütigen Ausdruck im Gesicht, während er mit spitzen Fingern Zitronenessenz, Birkensaft, Pfeffer und Thymian aus den Regalen sammelte. „Blöder Elf, blöder“, murmelte Par’Feng, der sich Einiges darauf einbildete, als bislang erster und einziger G’Ork die Aufnahmeprüfung an der Akademie bestanden zu haben. Er würde Blumilas schon zeigen, wo der Pfeffer wächst - das dachte er mit grimmiger Miene und griff zielsicher nach Zimt und dem Tiegel mit der Aufschrift „Weihrauch; unheilig“. Derweil rührte Myrthisia angelegentlich Nelken- und Veilchenessenz mit einer guten Portion Moschus zusammen, auf dass die Aromen ganz besonders feenhaft verpudert werden sollten. Mochten die Jungs ruhig darum streiten, wer den größten Staxis unterm Wams trug; derlei Kindereien waren weit unter ihrer Würde. Dazu summte sie eine alte traurige Feenweise.
Das erregte den Unmut ihrer Kommilitonin am Nebentisch (der eher einem durchschnittlichen Unterstand im Feenforst ähnelte: Selbst ein ausgewachsener G’Ork hätte ihn mühelos unterqueren können, ohne seinen gehörnten Schädel einziehen zu müssen.) „Ruhe!“, grollte Ambretel laut, und die Wucht ihres Trollatems fegte Myrthisia umstandslos von den Beinen. Rasch verhärtete Ambretel alle 16 Zementbeutel in ihrer Brust, denn natürlich brach Myrthisia sofort in Tränen aus. Weil die Trollin für ihr mitfühlendes Wesen bekannt war, schüttete sie rasch noch eine ordentliche Portion tonkagebohnertes Amber in ihr gärendes Gemisch aus Hölzern und Patchouli, auf dass die Süße des Dufts die junge Fee beruhigen möge. Allein – alle Mühe war umsonst, denn es war Blumilas, der herbeieilte, um die Fee zu trösten. „Typisch!“, dachte Stinkidor, der sich ohnehin immer als Außenseiter empfand und die Welt eher misanthropisch betrachtete, „Spielt also wieder den Gentle-Elf, der Lackaffe!“ Tatsächlich war seinem Wesen ein solches Verhalten fremd – so wie den meisten anderen Zwenschen auch: Als Mischwesen – halb Zwerg, halb Mensch – wurde ihnen häufig mit Misstrauen begegnet, was sie mit einem demonstrativen Mangel an Mitgefühl quittierten. Vor allem aber hatte Stinkidor jetzt ganz andere Sorgen, denn aufgrund seiner üblichen Trödelei waren die meisten wertvollen Essenzen und Balsame bereits in den Händen seiner Kommilitonen. Also griff er sich, was noch übrig war. Galbanum, Zimt und Benzoe hatte er sich eben gesichert und wollte nach dem Tabak greifen, als er ein seltsames Tröten unter sich vernahm. „Hey, Tabak, Wermut und Anis krieg ich!“ Mürrisch zog Stinkidor seine Hand zurück. „Ist gut, Fruktael!“, sagte er betont gleichmütig und sah dem seltsamen Wesen dabei zu, wie es souverän am Regal hochkletterte, dabei geschickt die Vorzüge seines erstaunlichen Körpers nutzend. Wieselflink huschte der Äpfel-Ant nach oben und setzte dabei seinen Rüssel geschickt ein, um sich zwischen den Streben durchzuhangeln. Mit einem letzten Satz landete er sicher auf seinen sechs Füßen, das unvermeidliche, bereits halb vergorene Fallobst souverän auf dem tropfenförmigen Hinterteil balancierend. „Dass man immer ins Hintertreffen kommen muss, bloß weil man klein ist!“, beschwerte sich Fruktael, trötete bekräftigend ein weiteres Mal mit seinem Rüssel und schnappte sich die begehrten Ingredienzien.
Bis zum Abend herrschte Schweigen im Saal, während jeder der sechs Studenten konzentriert zu Werke ging; nur das Klappern der Instrumente und Tiegel dekorierte die Stille mit den Klängen des Handwerks. Schließlich schlug die Uhr, und Professor Naseweiß’ Stimme dröhnte durch den Saal. „Die Zeit ist abgelaufen. Treten sie zurück!“ Dann machte er eine Runde durch die Halle und beschnupperte, was seine Schüler komponiert hatten. Schließlich kehrte er an sein Lehrpult zurück, putzte sich umständlich mit einem riesengroßen Taschentuch die Nase und blickte in den Kreis der aufgeregt wartenden Studenten. „Keiner von Ihnen hat die Aufgabe erfüllt!“, sagte er traurig. “Keiner…!“ Irgendwo aus dem Regal erklang ein schüchternes „Tröööt!“ – sonst blieb es still. „Aber…“, hub er an, und seine Augen blickten schon weitaus freundlicher, „…wir werden das Kind schon schaukeln! Bringen sie mir ihre Düfte!“ Während die Angesprochenen seiner Aufforderung folgten, stellte er einen großen gläsernen Tiegel auf den Tisch neben seinem Pult. „Jetzt kommt es nur noch auf die Dosierung an!“, flüsterte der Professor und entnahm mit einer langen, haarfeinen Pipette Proben aus den frisch zubereiteten Düften – etwas mehr von dem einen, nur eine Idee vom anderen, noch etwas hier und dort - und ganz besonders wenig aus dem Tiegel, den ihm Ambretel serviert hatte. Dann rührte er die Mischung vorsichtig um, wedelte sich mit der Hand ein wenig des aufsteigenden Dufts in die Nase und grunzte genießerisch.
„Das ist er, unser Nationalduft. Und Ihr, meine lieben Studenten, habt dazu beigetragen – jeder seinen Teil. Schnuppern Sie mal!“ Professor Olfaktio Galbanus tupfte sich ein wenig von der Mischung auf den Handrücken und wedelte den Duft seinen Studenten zu. „Ganz wunderbar: Eine dezente, aber vernehmbare Zitrone zu Beginn, ein Scheibchen nur im Alkohol, das den Wermut beschwingt und dem Anis die Spitze nimmt. Leicht beschwipst und fröhlich mit einer minimalen lakritzigen Süße. Sehr menschlich mit einer Verbeugung gen Elfingen – und jeder Äpfel-Ant wird den Wermut zu schätzen wissen. Dann…“ und er wedelte erneut mit der Hand, „…dann kommen die Zwergenbäcker zu Wort, weil der Zimt sich entfaltet. Ganz wunderbar, wie der Weihrauch dabei mitspielt…“, dabei nickte er Par’Feng freundlich zu, „…und der Pfeffer hält alles im Gleichgewicht: Da ist Schärfe, die nicht beißt, dazu eine würzige, aber nicht bittere, sehr feenhafte Blumigkeit, die ihre lieblichen Aromen erst nach und nach freisetzt. Sehr überzeugend – und fast ein wenig überraschend obendrein. Schließlich folgt die troll’sche Schwere; das Patchouli war eine gute Idee, Ambretel! Und wie süßlich die Vanille ergänzt, begleitet von einem kleinen Klafter hellen, freundlichen Holzes – wirklich zauberhaft. Abgerundet von einem eher lieblichen Amberhauch und dem Moschus, der die Tonkabohne weiter zerstäubt. Allein – hatte ich dich nicht mit dem Tabak hantieren sehen, Fruktael?“ Ein kurzes Trompeten bestätigte die Beobachtung des Professors. „Nun, wir müssen wohl akzeptieren, dass nicht jedes Aroma seinen Weg ins Bouquet findet – aber ich bin mir sicher, er spielt eine bedeutende Rolle für den Gesamteindruck, Fruktael!“ Ein letztes Mal wedelte der Professor den Duft vom Handrücken, dann straffte er sich, setzte eine betont feierliche Miene auf und sprach: „An dem, was wir hier heute abend erschaffen haben, arbeiteten Generationen von Parfumeuren. Jetzt haben wir ihn endlich: Den einzig wahren Nationalduft unseres wunderschönen Landes Lillipur! Ich gratuliere Ihnen – und werde dem Rat sofort Bericht erstatten. Herzlichen Dank Ihnen allen!“ Damit eilte er unter dem Applaus seiner Studenten aus der Halle – einzig Ambretel wirkte etwas verkniffen, während sie ihre riesigen Pranken aneinanderschlug.
Und so geschah es, dass Ambretel des nachts, als alle wohlbehütet und friedlich in ihren Betten lagen, zurück in die Halle des Laboratoriums schlich, so leise es ihre gewaltigen Füße erlaubten. Ein Kerzchen nur erhellte ihr den Weg, aber es genügte, um den von ihr komponierten Duft zu finden, von dem der Professor so schändlich wenig in das neue Nationalparfum gegeben hatte. Beherzt nahm sie den Tiegel, aus dem noch immer vanilliglich der Amber dampfte, und schüttete alles in des Professors Mischung. Dann pustete sie die Kerze aus und huschte trampelnd aus dem Saal…
Deshalb hat der Duft, der so heißt wie das Land, in dem er kreiert wurde, bis heute eine leichte Schlagseite: Vor allem Ambretels Amber ist es, das dem Parfum im Verein mit der sehr großzügig applizierten Tonkabohne ein gehöriges Maß an Süße verleiht. Schlecht riecht das nicht, denn des Professors maßvolle Mischung hatte Schlimmeres bereits im Vorfeld verhindert – aber die so wunderbar verspielte Kopf- wie die innig-warme Herznote werden seither von einer etwas zu süß-gruftigen Basis bedrängt, die nicht jederfraus (und vor allem nicht jedermanns) Geschmack treffen wird. Das ist schade – stört die Bewohner Lillipurs aber wenig: Hauptsache, sie haben ihren Nationalduft!