Aura
Top Rezension
30
Insel des Schweigens
Was bei Fleur de Chine schief gelaufen ist: Tom Fords Inspiration für diesen Duft umzusetzen, nämlich „skandalöse Weiblichkeit“, wie sie zum Beispiel Ruan Lingyu in den Shanghaier Kinofilmen der 30er-Jahre ausstrahlte, mit dunkelrotem Lippenstift und in seidenem Cheongsam (diese knöchellangen Kleider mit seitlichem Beinschlitz und hohem Stehkragen). Er ist weder dramatisch noch kühn noch glühend oder verführerisch, wie er angepriesen wird.
Was bei Fleur de Chine gelungen ist: Einen Duft zu schaffen, der zwar lieblich und unschuldig ist, dabei aber nicht langweilig. Und das habe ich noch nicht oft erleben dürfen, ich bin nämlich sehr schnell gelangweilt von Düften, die nicht mit mir diskutieren, sondern nur dümmlich lächelnd ihr Röckchen heben, um gefallen zu wollen.
Aber ich merke, der hier will mir was mitteilen, also sperre ich die Sinne auf , lausche und warte. Sag was. Aber er hebt nur den Finger an die Lippen und bedeutet Schweigen. Ich schiele vorsichtshalber nach unten: das Röckchen ist sittsam über den Knien, gut. Er nimmt mich an der Hand, wir stehen unter einem Mandarinenbaum inmitten eines chinesischen Gartens. Überall blühen fremdartige asiatische Blumen, fragil und bezaubernd. Inmitten des Gartens ist ein Teich angelegt, in dem farbenprächtige Koi-Karpfen ihre trägen Runden drehen. Eine Brücke aus Bambus führt zu einer Insel im Teich, auf der ein Pavillon im traditionellen chinesischen Baustil steht. Wir lassen uns auf weichen Kissen nieder und Fleur de Chine schenkt mir einen Blütentee ein. Ein Windspiel klimpert meditativ im Wind...
Fleur de Chine hat Wellness-Charakter. Es sind zwar viele Ingredienzen, aber die spielen so harmonisch zusammen, dass es leicht und unkompliziert bleibt. Asiatisches Blumenbouquet und Tee. Ganz natürlich. Ich erkenne am ehesten Clementine, Pfingstrose, Magnolie, Pflaume, Blauregen und natürlich Tee, viel Tee. Hinoki als Zutat habe ich hier das erste Mal gelesen, es ist eine Zypressenart, deren Holz nach Zitrone duftet. Die Pollen des Hinoki sind in Japan übrigens der häufigste Allergieauslöser für Heuschnupfen.
Gesprochen hat Fleur de Chine immer noch nicht mit mir, aber es tut ganz gut, zwischendurch einfach mal die Klappe zu halten. Und niesen muss ich auch nicht.
Ich bin entspannt und schlafe ein. Ein klein bisschen langweilig ist mir dann nämlich doch noch geworden. Als ich nach zwei Stunden wieder aufwache, sind Garten, Tee und Pavillon verschwunden. Ich schnuppere dem Duft nach und stosse leider auf eine leicht holzig-muffige Note. Ich glaube, der Cheongsam war doch nicht aus Seide, sondern aus Polyester.
Trotzdem: In der Kategorie blumig, weiblich, nett hab ich noch nicht viel Besseres gerochen! Es wundert mich, dass dieser junge Duft hier bisher so wenig Beachtung gefunden hat, wo wir Parfumos doch eigentlich immer ganz geil sind auf Frischfl...akons. Darum: Unbedingter Testtipp!