16.05.2013 - 16:18 Uhr
Yatagan
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Yatagan
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46
Es war im Sommer des Jahres 1700 in Russland
Es war im Sommer der Jahres 1700 in Russland. Ein junger ehrgeiziger Apotheker war in der Kutsche auf dem Weg nach St. Petersburg. In seiner Tasche das Rezept für ein Erfrischungswasser, das nicht nur belebende, sondern auch medizinische, heilende Wirkung haben sollte. Keine ungewöhnliche Annahme in dieser Zeit.
So stolz war der junge Mann auf seine Rezeptur, dass er fest entschlossen war, seine Erfindung nach seinem Herrscher, Zar Peter dem Großen, zu benennen: Tsar.
In der mittäglichen Schwüle war er gerade mit der Korrektur seines Manuskripts zur Rezeptur beschäftigt, als er in einen wohligen Schlaf fiel. Sein am geöffneten Fenster liegender Arm entspannte sich, die Hand öffnete sich - und das Rezept entschwebte durch das offene Fenster, landete im Schlamm des unebenen Weges, wurde von nachfahrenden Kutschen und darüber hinweg trottenden Ochsenkarren in den Schlamm Russlands getreten.
Wenige Tage nach diesem Malheur, das der junge Apotheker voller Entsetzen eine halbe Stunde später bemerkte (dessen Spur sich aber hier verliert), fand ein junges Mädchen, das beim Sammeln von Beeren und Pilzen die Straße nach St. Petersburg überquerte, unversehens das Papier. Sie wickelte ihre Pilze darin ein, legte sie in einen Korb und lief zu ihrer Mutter.
Ihre Mutter wunderte sich über das von gelehrter Hand geschriebene Papier und schob es zwischen die Seiten eines Buches, einer Bibel. Nach ihrem Tod, viele Jahre später, wanderte die Bibel - und mit ihr auch das geheimnisvolle Papier - wieder in den Besitz des Mädchens.
Da Bibeln in längst vergangenen Zeiten ein wertvoller und mit Ehrfurcht behandelter Besitz waren, wurde sie - und mit ihr das Rezept - über mehrere Generationen vererbt, bis schließlich ein Spross dieser Familie mit der alten Bibel nichts mehr anfangen konnte, - eine neuere und schönere prangte neben anderen Büchern im Schrank -, und schenkte die unansehnlich gewordene alte Bibel im Jahre 1889 dem Pfarrer eines russischen Dörfchens unweit von St. Petersburg zur weiteren Verwendung. Eigentümlicherweise lag das alte Rezept noch immer zwischen den Buchseiten, auf der zweiten Seite des Buches Jona, gerade dort, wo der Prophet über Bord geworfen, vom Wal verschluckt wird. Und so wie Jona vom Wal verschlungen und doch geborgen wurde, so lag auch das Rezeptblatt sicher in der Heiligen Schrift, rührte sich nicht, verhielt sich klug und geduldig und wartete auf seine Stunde.
Der Nachfolger des Pfarrers schenkte die alte zerfledderte und doch wenig gelesene Bibel kurz nach der Jahrhundertwende seinem gelehrigsten Schüler, einem jungen Mann, der einige Jahre später in die Wirren der Oktoberrevolution in Russland geriet und es zeitweilig für angeraten hielt, sein Heimatland zu verlassen.
Nach seinem Tode entschied seine Frau, inzwischen in Frankreich beheimatet, die alte Bibel wegzuwerfen (der Respekt vor heiligen Schriften war nun längst nicht mehr so groß), ihre Tochter aber erkannte den antiquarischen Wert des Buches, erbat sie sich, und nach einer Schätzung kam ans Licht, dass die Bibel aus dem Jahre 1699 datierte und inzwischen von erheblichem Wert war.
Im Jahre des Herrn 1989 flatterte das alte Blatt mit den verblichenen handgeschriebenen Zeilen schließlich aus der alten Bibel, so wie Jona tausende Jahre zuvor dem Wal entstiegen war, wurde quasi aus den Tiefen der Geschichte an Land gespuckt, fiel dabei in die Hände des Mannes jener Frau, die die Bibel besaß, und wurde nach fast 300 Jahren zum ersten Mal wieder gelesen.
Das Papier erzählte von vielen Inhaltsstoffen eines Duftes ohne Namen, verriet aber - der Entstehungszeit gemäß - nichts über Mengenangaben oder Zubereitung. Philippe Bousseton, ein Parfümeur, las von Bergamotte, Koriander, Lavendel, Neroli, Rosmarin, Estragon, Geranie, Jasmin, Maiglöckchen, Gartennelke, Pfeffer, Pinie, Rose, Wacholder, Amber, Eichenmoos, Leder, entschied sich darüber hinaus für die Beimischung exotischerer, im 18. Jahrhundert nicht verfügbarer Duftstoffe wie Kokos, Patchouli, Tonkabohne, Vetiver, Sandelholz und Zeder, von denen das Papier zwischen den Zeilen zu raunen schien, und verband das Ganze zu einem Duft, der ihm so königlich erschien, dass er nicht lange über einen passenden Namen nachdenken musste: Tsar sollte der Duft heißen, stammte er doch aus dem frühen 18. Jahrhundert (aufmerksame Leser wissen: aus dem Jahr 1700), wie eine Datierung des alten Rezepts ergeben hatte, geschrieben in kyrillischen Buchstaben, mithin also aus der Zeit und dem Land Zar Peters des Großen.
Ob sich die Entstehung des Duftes so oder ähnlich abgespielt hat, kann ich nicht mit Sicherheit sagen, ich weiß aber, dass ich es so oder ähnlich geträumt habe. Da ich es vorziehe, meinen Träumen nicht nur zu glauben, sondern sie auch Ernst zu nehmen, möge man mir diese Geschichte glauben - oder auch nicht.
Fest steht, dass der Duft von edlem Geblüt ist, einem Zar durchaus angemessen wäre, nicht verspielt, nicht einfach nur frisch, sondern grün, elegant, komplex, einzelne Komponenten sind nur schwer zu isolieren, vielleicht Lavendel und Bergamotte am Anfang, eine Ledernote in der Basis, dazwischen viele tiefgrüne Pflanzentöne wie aus einem verwunschenen, düsteren Garten: Geranie, Moos, Maiglöckchen, das ich besonders liebe.
Hätte ein junger Apotheker in Russland auf einer Fahrt nach St. Petersburg sein Rezept nicht verloren: wer weiß schon, was dann geschehen wäre.
So stolz war der junge Mann auf seine Rezeptur, dass er fest entschlossen war, seine Erfindung nach seinem Herrscher, Zar Peter dem Großen, zu benennen: Tsar.
In der mittäglichen Schwüle war er gerade mit der Korrektur seines Manuskripts zur Rezeptur beschäftigt, als er in einen wohligen Schlaf fiel. Sein am geöffneten Fenster liegender Arm entspannte sich, die Hand öffnete sich - und das Rezept entschwebte durch das offene Fenster, landete im Schlamm des unebenen Weges, wurde von nachfahrenden Kutschen und darüber hinweg trottenden Ochsenkarren in den Schlamm Russlands getreten.
Wenige Tage nach diesem Malheur, das der junge Apotheker voller Entsetzen eine halbe Stunde später bemerkte (dessen Spur sich aber hier verliert), fand ein junges Mädchen, das beim Sammeln von Beeren und Pilzen die Straße nach St. Petersburg überquerte, unversehens das Papier. Sie wickelte ihre Pilze darin ein, legte sie in einen Korb und lief zu ihrer Mutter.
Ihre Mutter wunderte sich über das von gelehrter Hand geschriebene Papier und schob es zwischen die Seiten eines Buches, einer Bibel. Nach ihrem Tod, viele Jahre später, wanderte die Bibel - und mit ihr auch das geheimnisvolle Papier - wieder in den Besitz des Mädchens.
Da Bibeln in längst vergangenen Zeiten ein wertvoller und mit Ehrfurcht behandelter Besitz waren, wurde sie - und mit ihr das Rezept - über mehrere Generationen vererbt, bis schließlich ein Spross dieser Familie mit der alten Bibel nichts mehr anfangen konnte, - eine neuere und schönere prangte neben anderen Büchern im Schrank -, und schenkte die unansehnlich gewordene alte Bibel im Jahre 1889 dem Pfarrer eines russischen Dörfchens unweit von St. Petersburg zur weiteren Verwendung. Eigentümlicherweise lag das alte Rezept noch immer zwischen den Buchseiten, auf der zweiten Seite des Buches Jona, gerade dort, wo der Prophet über Bord geworfen, vom Wal verschluckt wird. Und so wie Jona vom Wal verschlungen und doch geborgen wurde, so lag auch das Rezeptblatt sicher in der Heiligen Schrift, rührte sich nicht, verhielt sich klug und geduldig und wartete auf seine Stunde.
Der Nachfolger des Pfarrers schenkte die alte zerfledderte und doch wenig gelesene Bibel kurz nach der Jahrhundertwende seinem gelehrigsten Schüler, einem jungen Mann, der einige Jahre später in die Wirren der Oktoberrevolution in Russland geriet und es zeitweilig für angeraten hielt, sein Heimatland zu verlassen.
Nach seinem Tode entschied seine Frau, inzwischen in Frankreich beheimatet, die alte Bibel wegzuwerfen (der Respekt vor heiligen Schriften war nun längst nicht mehr so groß), ihre Tochter aber erkannte den antiquarischen Wert des Buches, erbat sie sich, und nach einer Schätzung kam ans Licht, dass die Bibel aus dem Jahre 1699 datierte und inzwischen von erheblichem Wert war.
Im Jahre des Herrn 1989 flatterte das alte Blatt mit den verblichenen handgeschriebenen Zeilen schließlich aus der alten Bibel, so wie Jona tausende Jahre zuvor dem Wal entstiegen war, wurde quasi aus den Tiefen der Geschichte an Land gespuckt, fiel dabei in die Hände des Mannes jener Frau, die die Bibel besaß, und wurde nach fast 300 Jahren zum ersten Mal wieder gelesen.
Das Papier erzählte von vielen Inhaltsstoffen eines Duftes ohne Namen, verriet aber - der Entstehungszeit gemäß - nichts über Mengenangaben oder Zubereitung. Philippe Bousseton, ein Parfümeur, las von Bergamotte, Koriander, Lavendel, Neroli, Rosmarin, Estragon, Geranie, Jasmin, Maiglöckchen, Gartennelke, Pfeffer, Pinie, Rose, Wacholder, Amber, Eichenmoos, Leder, entschied sich darüber hinaus für die Beimischung exotischerer, im 18. Jahrhundert nicht verfügbarer Duftstoffe wie Kokos, Patchouli, Tonkabohne, Vetiver, Sandelholz und Zeder, von denen das Papier zwischen den Zeilen zu raunen schien, und verband das Ganze zu einem Duft, der ihm so königlich erschien, dass er nicht lange über einen passenden Namen nachdenken musste: Tsar sollte der Duft heißen, stammte er doch aus dem frühen 18. Jahrhundert (aufmerksame Leser wissen: aus dem Jahr 1700), wie eine Datierung des alten Rezepts ergeben hatte, geschrieben in kyrillischen Buchstaben, mithin also aus der Zeit und dem Land Zar Peters des Großen.
Ob sich die Entstehung des Duftes so oder ähnlich abgespielt hat, kann ich nicht mit Sicherheit sagen, ich weiß aber, dass ich es so oder ähnlich geträumt habe. Da ich es vorziehe, meinen Träumen nicht nur zu glauben, sondern sie auch Ernst zu nehmen, möge man mir diese Geschichte glauben - oder auch nicht.
Fest steht, dass der Duft von edlem Geblüt ist, einem Zar durchaus angemessen wäre, nicht verspielt, nicht einfach nur frisch, sondern grün, elegant, komplex, einzelne Komponenten sind nur schwer zu isolieren, vielleicht Lavendel und Bergamotte am Anfang, eine Ledernote in der Basis, dazwischen viele tiefgrüne Pflanzentöne wie aus einem verwunschenen, düsteren Garten: Geranie, Moos, Maiglöckchen, das ich besonders liebe.
Hätte ein junger Apotheker in Russland auf einer Fahrt nach St. Petersburg sein Rezept nicht verloren: wer weiß schon, was dann geschehen wäre.
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