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14.11.2022 - 09:43 Uhr
Intersport
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18
Nachts an der Kreuzung
'Die Seine hatte sich in Dunst gebettet'*
Botanische Genetik, Kreuzungen, DNA. Wann tauchte das Kürzel der Desoxyribonukleinsäure im Zusammenhang mit Parfum Besprechungen auf? So oft wie mir diese Abkürzung unterkommt, hat sie scheinbar eine steile Karriere hin gelegt. Sobald zusammenfassend auf Stil, Signaturen, und Kodes verwiesen werden muss, wird munter zur DNA gegriffen. Das Urprotokol der modernen Duft DNA war vielleicht die 'Guerlinade'. Eine Gruppe von Zutaten die eine Art Akkord / Skelett etlicher Guerlain Düfte umschreibt, die in Aimé Guerlain's Jicky (1889) ihre früheste Inkarnation fand, und der bereits 1921 mit Jacques Guerlain's Guerlinade ein eigener Duft gewidmet wurde. Spätestens mit Héritage (1998) wurde auf Begriff und Historie wieder vermehrt und gezielt verwiesen.
Als die französische Marke Le Couvent diesen Sommer ein neues Vétiver-zentrisches Parfum, vom kürzlich berufenen Chefstrategen und Chefparfumeur Jean-Claude Ellena angekündigt hat, war meine Neugierde geweckt. Vétiver, eine Zutat die Ellena zwar nur selten unmittelbar, aber stets eigenwillig ins Rampenlicht gestellt hat. Auch wenn Terre (2006) schon gerne mal als Vétiver Duft diskutiert wird, und Bel Ami Vétiver (2013), wie bereits aus dem Namen zu erahnen, aus Bel Ami Genetik plus Vétiver besteht, Vétiver Tonka (2004) Ellena's so bekannte Reduziertheit zelebriert, oder auch neuere Düfte wie Chap. 2 - Vétiver & Iris (2021) in Zusammenarbeit mit seiner Tochter - es sind nicht viele. Vetivera wirbt mit einer ähnlichen Dualität: hier haitianisches Vetiver und madagassischer Pfeffer. Das Bild zur Veröffentlichung: Photomontage einer grünen, saftig, hügeligen Landschaft, die aus Asturien's Hinterland stammen könnte, und aufbauschendes Meereswasser, splash, auch irgendwie atlantisch. Per Pressetext spricht der Parfumeur dass Vétiver nicht als mehrheitlich maskuline Zutat gesehen werden muss, folglich der Name Vetivera und auch von Meerwasser, la mer (féminine) und l’océan (masculin) … alles mit einer gewohnt kompakten Zutatenliste. Zu Vetiver und Pfeffer kommen Bergamotte und Zeder. That's it.
Aber bei Vetivera ist mehr im Spiel, fast möchte ich den Duft als komplex bezeichnen - nicht auf Grund eines besonders abwechslungsreichen Verlauf mit ausgeprägter Dynamik oder einem Pandämonium an Noten, Vetivera, als Ganzes, ähnelt einem Hybrid zweier Ellena'scher Kreationen: erwähntes Vétiver Tonka und Épice Marine (2013). Um bei botanischer Genetik zu bleiben: Vetivera ist eine Kreuzung, eine Überschneidung und Verwebung der Grundgerüste zweier Düfte. Sauber zweigeteilt, in den Proportionen identisch mit Vetivera's visuellen Sujet. Ein Duft, der die bereits von den Hermèssenzen vorgeschlagene Disziplin 'layering' umsetzt? Dabei funktioniert diese Kreuzung in Vetivera überraschend gut. Das Vétiver wird durch einen Ableger des Algenone-gewürzten Akkord der Épice Marine Genetik gesättigter, üppiger und feuchter und weniger nussig als in Vétiver Tonka. Eine deutliche Süsse bleibt die Vétiver Note ist cremig und eine Nähe zum tonka'schen Vétiver und auch Bel Ami Vétiver ist vorhanden. Der 'Épice' Aspekt aus Épice Marine widerum erhält eine eigenständigere Silhouette mit weit weniger, aber noch leicht spürbaren Cumin. Zur Kontextualisierung: Épice Marine, das in Zusammenarbeit mit dem französischen Koch Oliver Roellinger enstanden ist und Ellena's offene Hommage an Roudnitska's Eau d'Hermès (1951) ist, war eine dezenter Gewürz-Aquat mit reichlich Referenz zum ewigen Déclaration (1998) Akkord, und stärker noch zu dem von Ellena verehrten und oft erwähnten Roudnitska Klassiker. Vétiver Tonka, ein nussig-heuiges Vétiver das in der Polyphonie der 2000'er Vétivers die Leichtbau Schule vertrat und vorantrieb. Diese Genealogie, gerade zu Aspekten aus der Eau d'Hermès / Épice Marine Sequenz ist da.
Ein knackiges, fokussiertes oder einnehmendes Vétiver, wie es vielleicht Noten vermuten lassen ist Vetivera nicht - hier wird die Krux einmal mehr deutlich, was Inhalte besetzten, was drinnen steckt, und was individuell erscheint. Nähert man sich dem Duft mittels der hier vorgeschlagenen Reduktion auf die Gesamtakkorde aus Vétiver Tonka und Épice Marine so bleibt Vetivera eine Stimmung, eine nebulöse Figur aus dem Dunst zweier Parfums mit all ihrem Ballast und Historien, im der Umrisse etlicher Facetten reingelesen werden können - neben einem zu Beginn, kurzen und deutlichen Pfefferton, ich nehme ich im Verlauf dezente Kaffee Assoziationen wahr, aber da ist noch mehr, Kleinteiliges, immer an der Schwelle zur Identifizierbarkeit. Diese Unschärfe macht Vetivera letztendlich ganz sympathisch, auch wenn der eternal return, sei es DNA, Stil oder Code bei Düften und Parfumeuren auch schon mal abschrecken mag. Als Konzentration gibt Le Couvent 'Parfum' an (!) - der Duft wird schnell hautnah und klingt wie so viele Parfums dieser Tage als Ganzes aus. In den letzten Phasen gesellen sich minimalste Duschgelspuren zum Vétiver, Überbleibsel synthetischer Bausteine.
* Georges Simenon: Maigrets Nacht an der Kreuzung. Übersetzung: Annerose Melter. Diogenes, Zürich 1983
Botanische Genetik, Kreuzungen, DNA. Wann tauchte das Kürzel der Desoxyribonukleinsäure im Zusammenhang mit Parfum Besprechungen auf? So oft wie mir diese Abkürzung unterkommt, hat sie scheinbar eine steile Karriere hin gelegt. Sobald zusammenfassend auf Stil, Signaturen, und Kodes verwiesen werden muss, wird munter zur DNA gegriffen. Das Urprotokol der modernen Duft DNA war vielleicht die 'Guerlinade'. Eine Gruppe von Zutaten die eine Art Akkord / Skelett etlicher Guerlain Düfte umschreibt, die in Aimé Guerlain's Jicky (1889) ihre früheste Inkarnation fand, und der bereits 1921 mit Jacques Guerlain's Guerlinade ein eigener Duft gewidmet wurde. Spätestens mit Héritage (1998) wurde auf Begriff und Historie wieder vermehrt und gezielt verwiesen.
Als die französische Marke Le Couvent diesen Sommer ein neues Vétiver-zentrisches Parfum, vom kürzlich berufenen Chefstrategen und Chefparfumeur Jean-Claude Ellena angekündigt hat, war meine Neugierde geweckt. Vétiver, eine Zutat die Ellena zwar nur selten unmittelbar, aber stets eigenwillig ins Rampenlicht gestellt hat. Auch wenn Terre (2006) schon gerne mal als Vétiver Duft diskutiert wird, und Bel Ami Vétiver (2013), wie bereits aus dem Namen zu erahnen, aus Bel Ami Genetik plus Vétiver besteht, Vétiver Tonka (2004) Ellena's so bekannte Reduziertheit zelebriert, oder auch neuere Düfte wie Chap. 2 - Vétiver & Iris (2021) in Zusammenarbeit mit seiner Tochter - es sind nicht viele. Vetivera wirbt mit einer ähnlichen Dualität: hier haitianisches Vetiver und madagassischer Pfeffer. Das Bild zur Veröffentlichung: Photomontage einer grünen, saftig, hügeligen Landschaft, die aus Asturien's Hinterland stammen könnte, und aufbauschendes Meereswasser, splash, auch irgendwie atlantisch. Per Pressetext spricht der Parfumeur dass Vétiver nicht als mehrheitlich maskuline Zutat gesehen werden muss, folglich der Name Vetivera und auch von Meerwasser, la mer (féminine) und l’océan (masculin) … alles mit einer gewohnt kompakten Zutatenliste. Zu Vetiver und Pfeffer kommen Bergamotte und Zeder. That's it.
Aber bei Vetivera ist mehr im Spiel, fast möchte ich den Duft als komplex bezeichnen - nicht auf Grund eines besonders abwechslungsreichen Verlauf mit ausgeprägter Dynamik oder einem Pandämonium an Noten, Vetivera, als Ganzes, ähnelt einem Hybrid zweier Ellena'scher Kreationen: erwähntes Vétiver Tonka und Épice Marine (2013). Um bei botanischer Genetik zu bleiben: Vetivera ist eine Kreuzung, eine Überschneidung und Verwebung der Grundgerüste zweier Düfte. Sauber zweigeteilt, in den Proportionen identisch mit Vetivera's visuellen Sujet. Ein Duft, der die bereits von den Hermèssenzen vorgeschlagene Disziplin 'layering' umsetzt? Dabei funktioniert diese Kreuzung in Vetivera überraschend gut. Das Vétiver wird durch einen Ableger des Algenone-gewürzten Akkord der Épice Marine Genetik gesättigter, üppiger und feuchter und weniger nussig als in Vétiver Tonka. Eine deutliche Süsse bleibt die Vétiver Note ist cremig und eine Nähe zum tonka'schen Vétiver und auch Bel Ami Vétiver ist vorhanden. Der 'Épice' Aspekt aus Épice Marine widerum erhält eine eigenständigere Silhouette mit weit weniger, aber noch leicht spürbaren Cumin. Zur Kontextualisierung: Épice Marine, das in Zusammenarbeit mit dem französischen Koch Oliver Roellinger enstanden ist und Ellena's offene Hommage an Roudnitska's Eau d'Hermès (1951) ist, war eine dezenter Gewürz-Aquat mit reichlich Referenz zum ewigen Déclaration (1998) Akkord, und stärker noch zu dem von Ellena verehrten und oft erwähnten Roudnitska Klassiker. Vétiver Tonka, ein nussig-heuiges Vétiver das in der Polyphonie der 2000'er Vétivers die Leichtbau Schule vertrat und vorantrieb. Diese Genealogie, gerade zu Aspekten aus der Eau d'Hermès / Épice Marine Sequenz ist da.
Ein knackiges, fokussiertes oder einnehmendes Vétiver, wie es vielleicht Noten vermuten lassen ist Vetivera nicht - hier wird die Krux einmal mehr deutlich, was Inhalte besetzten, was drinnen steckt, und was individuell erscheint. Nähert man sich dem Duft mittels der hier vorgeschlagenen Reduktion auf die Gesamtakkorde aus Vétiver Tonka und Épice Marine so bleibt Vetivera eine Stimmung, eine nebulöse Figur aus dem Dunst zweier Parfums mit all ihrem Ballast und Historien, im der Umrisse etlicher Facetten reingelesen werden können - neben einem zu Beginn, kurzen und deutlichen Pfefferton, ich nehme ich im Verlauf dezente Kaffee Assoziationen wahr, aber da ist noch mehr, Kleinteiliges, immer an der Schwelle zur Identifizierbarkeit. Diese Unschärfe macht Vetivera letztendlich ganz sympathisch, auch wenn der eternal return, sei es DNA, Stil oder Code bei Düften und Parfumeuren auch schon mal abschrecken mag. Als Konzentration gibt Le Couvent 'Parfum' an (!) - der Duft wird schnell hautnah und klingt wie so viele Parfums dieser Tage als Ganzes aus. In den letzten Phasen gesellen sich minimalste Duschgelspuren zum Vétiver, Überbleibsel synthetischer Bausteine.
* Georges Simenon: Maigrets Nacht an der Kreuzung. Übersetzung: Annerose Melter. Diogenes, Zürich 1983
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