Top Rezensionen

2019
FvSpee vor 5 Jahren 123 41
3
Sillage
5
Haltbarkeit
8.5
Duft
Das ist jetzt nicht so, wie es aussieht!
Es ist eine in diesem Forum immer wieder angesprochene Binsenweisheit, dass ein Duft - jedenfalls wenn wir uns ihm nicht in Form von Blindproben unter Laborbedingungen nähern - nicht nur durch seinen schnöden Geruch definiert wird (das gilt nicht nur für die Bewertung, sondern sogar schon für die Wahrnehmung), sondern auch durch seine Akzidentialia: Die Farbe der Flüssigkeit, die Form des Flakons, das Gesicht der Werbekampagne, die Deklaration als "männlich" oder "weiblich", der Name des Produkts und das Image der Firma. Für diejenigen, die näher hinsehen, kommen der Parfumeur, die angegebene Duftpyramide (die oft genug ganz falsche Fährten legt!) und vielleicht auch die Kommentare der Vor-Rezensenten hinzu.

"Softly" von Jil Sander ist für mich ein Fall, an dem man dies wunderbar studieren kann: 107 Besitzerinnen (darunter viele, die sich niedliche Nicknames wie Flöckchen und Rosawolke gegeben haben, wogegen ich übrigens gar nichts habe, "Flöckchen" mag ich sogar besonders gern) gibt es hier und einen (1) Besitzer. Man kann das verstehen: Der Duft ist als "Damenduft" deklariert, die Pyramide mit Magnolie, Jasmin, Orangenblüte und Vanille könnte fluffiger nicht daherkommen und was durch Farbe und Form noch in der Schwebe gehalten wird (immerhin kein rosa und kein Plüsch), kippt dann durch den Namen des Wässerchens: "Softly"! Welcher Kerl will schon "Softly" tragen! Wenn er nicht gerade bekennender Softie ist. Aber selbst dann würde er wohl höchstens die entsprechenden Taschentücher benutzen.

Ich möchte aber wetten, dass dieser Duft der mit 200 gelisteten Kreationen außerordentlich produktiven Nathalie Lorson (neben einer ausgewachsenen Boucheron-Serie unter anderem ein Amouage, drei Cool-Water-Flanker. zwei Le Labos, einen ganzen Haufen anderer Jil Sanders und, sicher ihre berühmteste Schöpfung: Encre Noir) bei einer anderen Namensgebung und einer Vermarktung als "unisex" einen völlig anders strukturierten Kundenkreis erreichen würde.

"Softly" nehme ich nämlich heute, nach mehreren Tagen Nutzung in Folge (aus einer im Souk erworbenen Abfüllung) genauso wahr, wie vor etwa 2 Jahren, als ich ihn erstmals getestet und ein Statement dazu geschrieben habe: Als weder besonders soft noch ausgesprochen feminin. Zunächst mal geht ihm jede Süße oder Süßlichkeit gänzlich ab, ebenso jede übertriebene Flauschig- oder Fluffigkeit; die Cashmeran-Warnlämpchen bleiben alle komplett dunkel. Trotz Vanille, Orangenblüte, Jasmin und Moschus ist das definitiv kein Zuckerwatteduft.

Dieser Duft startet mit einer ausgesprochen sympathischen zitrischen Frischenote (Schwerpunkt Orange), die von colognig-kristalliner Klarheit ebenso weit entfernt ist wie von Weichspülerschmeichelei. Hinzu kommt eine leicht seifige, insoweit vielleicht durchaus ein wenig an (ein sehr gutes) Waschmittel erinnernde Note. Das ist kein schmuseweich, sondern ein Duft wie orangefrische (auch ein bisschen Richtung Petitgrain oder gar Neroli angehauchte) Baumwolle; wie ein Hemd oder T-Shirt, an dem mal jemand mit einem hochwertigen Cologne-Sprüher vorbeigelaufen ist. Schon nach einer halben Stunde hat sich "Softly" mit der Haut verbunden und ist dann eigentlich kein "Parfüm" mehr (deshalb wundert es mich auch nicht, dass er bei 108 Besitzern keinen hat, der ihn als "Signaturduft" bezeichnet), sondern ein Hautgeruchveredler, ein Ausstrahlungsbooster: Er verleiht eine Aura von Frische, Freundlichkeit und Sauberkeit, vielleicht auch von Ausgeglichenheit und Ruhe - aber keiner pappigen Trägheit, sondern der Art von Ruhe, in der die Kraft liegt. In diesem Modus, wo unsere Mitmenschen uns als "gut riechend" wahrnehmen werden, ohne sich sicher zu sein, ob wir überhaupt etwas aufgetragen haben, hält "Softly" durchaus noch einige Stunden.

Ich bin mir ziemlich sicher, dass einige Arbeit darin steckt, einen Duft zu schaffen, der so unangestrengt, unauffällig und mühelos wirkt. Sicherlich kein Meilenstein der Parfümeriegeschichte, aber ein mehr als nur grundsolider: ein vollendet ausgewogener, vornehm dezenter Eigenduftaufheller, der für Feuerwehrmänner und Fliesenleger ebenso geeignet ist wie für Federchen und Flöckchen.
41 Antworten
Turandot vor 5 Jahren 103 38
8
Flakon
7
Sillage
5
Haltbarkeit
8
Duft
Nett - und das ist diesmal nett gemeint.
Wieder einmal versuche ich den Duft aus einer anderen Perspektive zu beurteilen.

Hat Chanel sowas schon im Sortiment?
Nein haben sie nicht, also ist das schon mal ein Pluspunkt. Erweitert damit den Kundenkreis. Weder blümelt es wie bei Chance oder Coco Mademoiselle, noch wird es anstrengend wie bei N°19 oder Cristalle. Es wummst auch nicht wie bei Coco oder N°5. 1957 schielt nicht zurück nach alten Klassikern, sondern setzt die saubere Chanel-DNA gekonnt fort. Die Raffinesse der etablierten Exclusifs fehlt allerdings.

Polarisiert der Duft?
Nein - denn unangenehm oder gewöhnungsbedürftig ist er wirklich nicht.
Da wummst nix, da provoziert nix, da eckt man auch nicht mit an. Das kann man gut oder langweilig finden. Ein Fehler im Sinne der Verkaufszahlen ist es sicher nicht. Somit komme ich nicht umhin, auch mal dran zu denken, dass die Firmen neue Parfums nicht deshalb auf den Markt bringen, um der Welt was Gutes zu tun, sondern um schlicht und ergreifend Umsatz zu machen. Ich gehe davon aus, dass die Entstehungskosten von der limitierten Edition eingebracht werden. Wenn nicht - N°5 schafft den Spielraum für alles, was von Chanel zu bezahlen ist...

Bei Düften, die als pudrig gelten zucke ich oft erst mal zurück, denn entweder sind sie für mich zu einseitig irislastig - wobei ich Iris mag aber eben nicht inflationär - oder mir bleibt die Luft weg, weil ich das Gefühl habe, in eine Puderdose oder noch schlimmer in eine Packung Waschmittel geniest zu haben. Keines von beiden kann ich 1957 vorwerfen und deshalb beschreibe ich diese eher trockene Note auch nicht pudrig, sondern eher seidig.

Muss man diesen Duft in der Sammlung haben?
Müssen muss man gar nichts, aber er würde z.B. in meiner Chypresammlung eine durchaus sinnvolle feine und leichte Ergänzung darstellen, ohne auf sportliche, zitrusfrische, tropische oder sonstige Ferienstimmung zurück-
zugreifen. 1957 ist hell, freundlich, rücksichtsvoll, beruhigend, unkompliziert, schmeichelnd und ja, der Duft wird auf meiner Wunschliste landen, auch wenn bei mir damit keine ausgesprochen romantischen Gefühle aufkommen wollen und ich ihn auch nicht als das Nonplusultra im Chanel-Portfolio ansehe. Ich mag ihn und das reicht, denn ich bin mein eigener Maßstab.

Nett ist ja bekanntlich bei Duftbewertungen oft die Umschreibung für überflüssig. Dieses mal meine ich es aber ganz wörtlich. Ich mag nicht nur den den Duft selbst, mag auch seine Zurückhaltung was Haltbarkeit und Sillage anbelangt und gehe in Bezug auf die Einordnung einfach davon aus, dass er nicht explizit als unisex dargestellt wurde, sondern das Thema einfach unter den Tisch fallen gelassen wurde. Es ist nicht wichtig, wer ihn trägt, Hauptsache man fühlt sich damit wohl.

Ich denke wieder einmal: Olivier Polge hat alles richtig gemacht.











38 Antworten
FrauLohse vor 4 Jahren 92 37
9
Flakon
6
Sillage
9
Haltbarkeit
9
Duft
Ernsthaft? Eure Töchter braucht es nicht?
Ich verstehe diese Aufregung nicht. "Kein Vergleich..." etc. Warum muss eine Neuinterpretation verglichen werden? Es ist ein neuer, moderner Duft, der auf dem Fundament eines Klassikers steht.

Liebe No.5 Fans, ihr seid nicht die Zielgruppe. Punkt.

Warum echauffiert ihr euch? Warum nehmt ihr euch die Anmaßung heraus, zu beurteilen, ob es den Duft gebraucht hätte? Ihr habt die 5, die ihr mögt und liebt. Was wollt ihr? Ist ja nicht so, dass man die 5 gegen das L'Eau ausgetauscht hätte. Warum freut man sich nicht einfach, dass Chanel es gelungen ist, die 5 in zwei Varianten einem neuen, jungen Publikum zur Verfügung zu stellen? Dass es kein Aussterben gibt, dass ein Klassiker weiter lebt.

No. 5 Premiere konnte mich bereits einfangen und das trotzdem ich den Klassiker nicht mal ansatzweise mag. Doch das L'Eau schafft etwas, dass ich seit Jahren nicht mehr erlebt habe. Ein Gefühl von Singualität. Das ist der Duft, mit dem ich von anderen verbunden werden will. Nach den vielen getesteten Düften schon erstaunlich, da es sich ja hier nur um ein belangloses Wässerchen handelt, das die Welt nicht gebraucht hätte. ;)

Das L'Eau ist modern, es ist spritzig und frisch. Es ist ein strahlendes Transparent. Diamonds are the girl's best friend. Zitronensaft, frisch ausgepresst, empor geschossen wie ein Feuerwerk, getragen von dem Grundgerüst des Klassikers, diese kleine Kante, ich würde sie fast als rauchig beschreiben, obwohl sie nicht rauchig ist. Blütenzarte Süsse begleitet die nächste Phase, ohne an Frische zu verlieren. Waschmittelmoschus, der in trockener Pudrigkeit endet. Erst dachte ich, er würde cremig im Abgang, aber das ist falsch. Gott, wie sehr ich es liebe, wie das duftet am nächsten Tag in meiner Jacke. Ich vergrabe meine Nase darin. Jeden Tag.

Statt Sandelholz und Vanille, wie im Premiere ist es hier Moschus und Zeder, die den Duft am Ende bestimmen. Dadurch bleibt der Duft immer sauber, bekommt im Abgang jedoch eine sehr klassische Anmutung, ein wenig nostalgische trockene Pudrigkeit. Gerade jetzt im Winter strahlt der Duft für mich noch mehr, als im Sommer. Ist deutlich besser und länger für mich wahrnehmbar. Der Duft einer Eisprinzessin.

Trotz aller Luftigkeit, trotz aller Spritzigkeit hat der Duft eine klassisch elegante Anmutung, die zu Jeans und Sneaker, zur Abendrobe, zum Hosenanzug passt. Schnoddrige Lässigkeit gepaart mit stilvoller Herkunft. Und so wie ich Nicole Kidman als Botschafterin für Premiere perfekt ausgesucht fand, so steht Lily Depp ihr in Nichts nach.
Eine zarte Gestalt, zwischen lässig und fein, romantisch und frisch, ein wenig Nostalgie in sich tragend und sei es auch nur die Erinnerung an die einst berühmte Vanessa in ihrem Blick, ihren Gesten, ihrem Sein, die ihr nicht abzusprechen ist. Genauso erscheint mir das L'Eau. Die Tochter einer Ikone, in ihren Gesichtszügen die Erinnerung an die Mutter und doch jemand ganz anders. Verwerflich in meinen Augen, die Tochter mit der Mutter vergleichen zu wollen, zu sagen,das Kind hätte es ja nicht gebraucht.

Das L'Eau ist mehr als ein Wasser. Es ist Chanels Antwort auf eine neue Zeit, in der die Erinnerung an die alte Epoche zauberhaft weiter transportiert wird.

37 Antworten
Can777 vor 5 Jahren 91 48
8
Flakon
9
Sillage
9
Haltbarkeit
9.5
Duft
The fountain of youth
Es war schon sehr spät am Abend. Sie saß in ihrem Schlafzimmer vor der Frisierkommode,schaute in den Spiegel und bürstete dabei ihr immer noch langes,aber mittlerweile weißes und fein gewordenes Haar. Sie war schon sehr,sehr alt geworden. Nach ihrem neunzigsten Geburtstag hatte sie aufgehört zu zählen. Sie hatte ihren Ehemann,der ihre größte Liebe war überlebt und selbst ihr einziges Kind. Das Leben war schon lange nicht mehr schön für sie. Ihr Körper schmerzte und um ihre Seele wurde es immer dunkler. Sie wusste schon am Morgen das dieser Tag anders enden würde als sonst. Sie hatte heute noch eine Verabredung mit einem alten,vertrauten Freund hatte sie irgendwie im Gefühl. Sie wollte dafür gut aussehen. Also begann sie sich zu schminken. Nicht viel,nur ein wenig. Ein wenig Lippenstift,ein bisschen Wimperntusche und Puder. Genau so wie früher. Sehr viel früher! Und sie wollte gut duften für ihre Verabredung. So griff sie zu dem schlanken Flakon mit der kleinen,goldenen Schleife. Sie hatte ihn Jahrzehnten nicht mehr benutzt. Es war nicht mehr viel in ihm,aber für heute Abend würde es noch reichen. Sie schaute sich noch einmal im Spiegel an bevor sie die Augen schloss und sich mit dem Duft parfümierte. Sanft legte sich der duftende Nebel auf sie. Und mit immer noch geschlossenen Augen entstieg ihr ein leiser Seufzer der Zufriedenheit!

Als sie die Augen wieder öffnete sah sie sich wieder im Spiegel an. Sie schaute in ein anderes Spiegelbild. Sie war nicht mehr alt und gebrechlich. Sie war wieder jung und wunderschön. Ihre Haut war glatt,makellos und weich wie ein Pfirsich. Die langen,welligen Haare waren rotbraun,voll und glänzten in den würzigsten Farben des Orients. Die Haut auf ihren Dekolleté und den Schlüsselbeinen war so glatt und ebenmäßig,dass sie das Licht reflektierte durch das leicht ölige Parfum was sie sich soeben aufsprühte. Die Lippen waren voll und sinnlich und ihr Gesicht war perfekt und engelsgleich. In ihrem Inneren spürte sie die Leidenschaft und das hitzige Feuer der Jugend fließen. Es floss durch ihre Adern wie würzig-warmer und verflüssigter Zimt. Sie fühlte die Leidenschaft,die Kraft und Macht ihrer Selbst in sich. Sie war eine begehrenswerte junge Frau voller unbändiger und zügelloser Energie. Vor ihren geistigen Auge fügten sich die zerrissenen und rauchigen Fetzen ihres Lebens wie harzig-süße und vanillige Blütenblätter zusammen und entlockten ihr ein Schmunzeln. Sie blickte sich selbst noch einmal tief in die glänzenden,amberfarbenen Augen ihres eigenen und jugendlichen Selbst und lächelte sich tief zufrieden und sehr wissend an!

Dann stand sie auf und ging langsam und ohne noch einmal in den Spiegel zu schauen in Richtung ihres Bettes. Nur ein einziges Mal drehte sie sich noch um und schaute auf den jetzt leeren Parfumflakon und dachte sich im Stillen. „Die Jugend ist nicht leicht. Sie ist viel,viel mehr. Sie ist schwer,reichhaltig und zutiefst tiefsinnig. Und sie besteht aus unvergänglicher,zeitloser Schönheit!“. Dann setzte sie sich auf ihr Bett und strich nochmal das Kopfkissen und ihr Nachthemd glatt,legte sich hin und löschte das Licht auf ihren Nachttisch. Sie schloss ihre Augen. Sie war sehr müde aber glücklich,als tief in ihrem Inneren eine Stimme sanft in ihr Ohr flüsterte: Bist du bereit? Ihre Verabredung war da!...und sie flüsterte in die Dunkelheit zurück bevor sie sanft und friedlich lächelnd entschlief: Ich bin bereit,lass uns gehen mein lang erwarteter Freund,..ich bin jetzt schön für Dich!

Düfte sind wie Seelen der Blumen;man kann sie fühlen,selbst im Reich der Schatten.
-Joseph Joubert-

https://m.youtube.com/watch?v=o_1aF54DO60

48 Antworten
Steee vor 5 Jahren 91 12
8
Flakon
8
Sillage
8
Haltbarkeit
9
Duft
Mehr Missgunst als Bewertung
Ich bin ein durchaus positiver Mensch, dennoch muss ich meinen zweiten Kommentar am Stück, aus einem eher negativen Grund verfassen und zwar weil ich der Meinung bin, dass manchen Düften hier unrecht getan wird. Ich weiß schon, ist doch egal, trag was dir gefällt und fertig. Mach ich auch. Trotzdem möchte ich hierzu was sagen.

Zu Beginn: Ich bin kein Fanboy vom guten Jeremy, um ehrlich zu sein, aktuell eher das Gegenteil, da mir das Interesse zu Parfüms etwas zu emotionslos rüber kommt. Das hat hier aber nichts zu suchen.
Ich finde es schade, dass viele Düfte, eben auch wie dieser hier, sehr subjektiv und persönlich bewertet werden. Ob man Jeremy mag oder nicht ist jedem selbst überlassen und ich verstehe beide Seiten. Zugegeben, er war ein großer Einfluss, welcher mich Parfüms näher gebracht hat und dafür bin ich dankbar. Die Videos waren damals einfach unterhaltsam. Andererseits muss ich mich auch erst mit dem Gedanken anfreunden, dass er kein wirklicher Vertreter der Leidenschaft für Parfüms ist, sondern ein Kaufmann. Wie auch immer man zu diesem Thema steht, er hat anscheinend einiges richtig gemacht, angesichts dessen, was er erreicht hat.

Mir war seitdem ich den Preis kannte klar, dass ich mir den Duft nicht kaufen werde. Jedoch bin ich seit längerem auf der Suche nach einem einfachen Büro- und Alltagsduft, den man immer benutzen kann ohne viel darüber nachzudenken, was man sich gerade aufsprüht. Nach ein paar Überlegungen sollte die Entscheidung zwischen Reflection Man und dem Office for Men fallen. Ich dachte ich wusste schon, dass ich mich sowieso für den Reflection Man entschieden habe, aber nach ein paar Meinungen meines engeren Freundes- und Familienkreises war das Ergebnis bei einem direkten Vergleich mehr als eindeutig.
Ja, ich weiß schon, davon sind viele "Laien" die sich nicht viel mit Düften beschäftigen. Letztendlich sind aber über 95% der Menschen, die da draußen umher laufen und unsere schönen Düfte riechen, "Laien". Was also die Auswahl eines Alltagsduftes angeht, gebe ich sehr viel auf diese Meinungen.

Wie ich schon öfter sagte, Parfüms ist ein extrem subjektives Thema und es gibt kein richtig und kein falsch. Was ich jedoch nicht verstehe, wie kann ein Duft wie dieser hier zum einen schlecht geredet werden, weil er eine Mischung aus Aventus / Bleu de Chanel / Sauvage und sonst was ist, dann aber gleichzeitig deutlich schlechter bewertet sein, als ein Explorer, der auch nichts anderes ist? Zusätzlich gibt es hier über 40 Bewertungen zwischen 0 und 4, was ja wirklich unterirdisch aber völlig in Ordnung ist, wenn das jemand so wahr nimmt. Wie dann aber diese Personen komplett widersprüchlich einen Aventus mit 9-10 bewertet haben und als Signaturduft angeben.. das ist einfach Missgunst.
Die "Duft"bewertung wird hier oftmals komplett fehlinterpretiert und es fließen etliche andere Faktoren mit ein, sei es der Preis, die Launen gegenüber Jeremy, oder sonst etwas.

Noch ein paar Worte über den Office for Men selbst. An die, die Jeremy so unbedingt rein garnichts gönnen wollen, stellt euch bitte kurz vor, dass der Duft von einem anderen x-beliebigen Haus veröffentlicht wurde und ich bin mir sicher, wir kommen auf einen grünen Pfad. Also mal komplett unvoreingenommen und ohne Erwartungen.
Er startet sehr frisch und wird mit der Zeit holzig, das Ganze mit einer Haltbarkeit von ca 8 Stunden. Das wars auch schon. Mehr ist es nicht, aber eben auch nicht weniger. Bahnbrechend ist er sicherlich nicht und etwas Neues auch nicht. Das sollte er aber auch nie sein, und das war von vorne rein klar.
Zu meinem Teil kann ich nur behaupten, noch nie einen frischen Duft mit einer derartigen Haltbarkeit auf meiner Haut gehabt zu haben, was als Alltagsduft ein durchaus wichtiges Kriterium ist.

Man kann sich hier die Kommentare durchlesen und wird feststellen, dass nur diejenigen, die Kritik äußern, viele Pokale und Zustimmung erhalten. Dementsprechend weiß ich ja was mir blüht, aber wenn nur ein oder zwei hier aufgrund meines Kommentars die Sache etwas fairer, von weiter oben betrachten, hat es sich schon gelohnt.
12 Antworten
Ajlen vor 5 Jahren 86 25
3
Flakon
8
Sillage
9
Haltbarkeit
7.5
Duft
Love to hate you
Da ist er also, der lang erwartete erste Duft von Jeremy. Und mindestens genauso lange durfte man sich auf den Schlagabtausch zwischen Fanboys und Hatern freuen. Popcorn und Bier waren wohlweislich rechtzeitig bereitgestellt und ich wurde nicht enttäuscht.

Ich selbst war am Parfum so interessiert, dass ich ihn zwar gern frühzeitig testen wollte, aber wiederum nicht interessiert genug um es blind zu kaufen. Ich habe Jeremys Videos lange und gerne verfolgt, bis es mir dann in mehrerer Hinsicht zu blöd wurde, insbesondere diese fragrancearmy mit leicht sektenartig fanatischen Tendenzen. Trotzdem, oder vielleicht gerade deshalb, traue ich mir zu das Produkt von der Person getrennt zu betrachten und für mich zu bewerten.

Was ich nicht verstehe:
Warum der gute Jeremy für sein Guerilla-Marketing verurteilt wird. Ich meine jetzt mal ehrlich, Leute. Wer sich auch nur ein bisschen mit ihm beschäftigt hat, weiß, dass er sicher nicht vor hat, zur Mutter Theresa der Parfumindustrie zu werden. Der will auch finanziell groß rauskommen und ich finde das erstmal nicht verwerflich. Außerdem hat Klappern schon immer zum Handwerk gehört. Fast alle erfolgreichen Personen sind auch zu einem gewissen Grad Selbstdarsteller. Und keiner von uns würde sein Produkt als Mittelmäßig anpreisen. Insofern hat er aus unternehmerischer Sicht alles richtig gemacht. Das kann man auch mal so für sich stehen lassen.

Was ich verstehe:
Warum der gute Jeremy für sein Guerilla-Marketing verurteilt wird. Ich meine jetzt mal ehrlich, Leute. Wer sich so als Teil der Parfumcommunity inszeniert, darf sich nicht wundern, wenn bei der jetzt gebotenen Preis-Leistung das Ganze als cash-cow entlarvt wird. Und wenn man dann noch zum Großmeister der Superlative mutiert, muss sich dann halt auch an seinen Worten messen lassen. Die Erwartungshaltung bei „the best juice“, „the best sprayer“ und „unique“ ist eben offenbar nicht erfüllt worden. Vermutlich war das auch schlicht und ergreifend so nicht wirklich zu erfüllen. Aber daran trägt er halt selbst Schuld. Das kann man auch mal so für sich stehen lassen.

Was ich rieche und bewerte:
Ein solides Stöffchen, was von Alberto Morillas auch so zu erwarten war. Um „mass appealing“ zu sein, sollte man sich der Einfachheit halber an der Masse orientieren. Nichts Schlimmeres ist hier geschehen. Dabei herausgekommen ist ein guter Mashup aus den üblichen Verdächtigen. Fruchtfrische mit Referenz an Bleu, Dylan und Co. Pfeffer und Ambroxan aus der Sauvage-Ecke. Etwas synthaquatische Gió-Frische und mit minimal Iris überpudert. Soweit so gut und dabei nichts falsch gemacht. Das Rad neu zu erfinden, wäre riskant gewesen. Das hatte ich deswegen auch nicht erwartet. Ich persönlich störe mich erst am letzten Drittel. Denn die zugegeben hervorragende Haltbarkeit wird wohl mit einer Überdosis Kunstholz erreicht. Ich würde es mit Artisan Pure vergleichen, nur in Nervig. Ich sehe auch Parallelen zu Oudh al Misk, wo mir schon vor Jahren eine ähnliche Holzigkeit den Duft ebenfalls vermiest hat. Ich mag ja gerne „long lasting“, aber das hier ist eher long lästig.

Was ich daraus schließe:
Office One ist bei Weitem nicht so schlecht, wie er hier geredet wird. Und er ist noch viel weniger den Hype wert, der darum gemacht wird. Der Duft ist gut und solide, nicht mehr und nicht weniger. Wenn sich die Grabenkämpfe beruhigt haben, wird er sich wohl irgendwo um die 7,5 einpendeln, wo er dann auch aus meiner Sicht richtig eingeordnet ist. Zumindest in diesem Forum, dessen Niveau erfreulicherweise klar über pantydroppenden ladies reactions liegt. Kaufkandidat ist es für mich nicht, weil ich für die Ausdauer diesen langen und nervigen Ausklang nicht in Kauf nehmen mag. Gerade in Relation zum Preis gibt es dann doch eine Vielzahl besserer, alternativer Optionen, die ich vorziehen würde. Auch, wenn sie dann eben nicht so lange halten.
25 Antworten
Yatagan vor 5 Jahren 85 48
9
Flakon
7
Sillage
7
Haltbarkeit
8
Duft
Das kleine Weiße
Ich bin mir vollständig bewusst, dass ich mir mit der Einschätzung, dass dieser weiße Moschus-Duft nicht das Nonplusultra des Winters 2018 / 2019 ist, den Zorn ziemlich vieler Frauen auf mich ziehen werde, und ich bin mir natürlich auch darüber im Klaren, dass ich mir nicht anmaßen muss, einen Duft gut oder schlecht zu bewerten, der nun mal nicht meinen Vorlieben entspricht, darum bekommt er von mir die Note, die da oben steht und darum versichere ich all denen, die sich nun angetriggert fühlen: "Es tut mir wirklich wirklich leid, und ich entschuldige mich vorbehaltlos (...), ich biete notfalls einen kompletten und völligen Widerruf an. Den Beschuldigungen fehlte ja eigentlich auch jegliche faktische Basis, und es hat sich dabei in keinster Weise um einen fairen Kommentar gehandelt und entsprang somit aus purer Bösartigkeit. Und aufs Tiefste bedauere ich das Unglück, welches mein Kommentar bei einigen verursacht haben könnte - oder bei ihrer Familie. Und hiermit versichere ich, das ich mir nie wieder einen solchen Fehltritt erlauben werde, weder jetzt noch in Zukunft." (Zitat einigermaßen frei nach "Ein Fisch namens Wanda").

Im Ernst: irgendwie ist der Duft schon gut und erinnert mich stark an den (wahrscheinlich) viel teureren White von Puredistance, der auch weißen Moschus mit einer honigsüßen Note featured, bei jenem allerdings etwas raffinierter und komplexer, bei diesem hier etwas plakativer. Ob es allerdings überhaupt nötig ist, dass man pudrigen Moschus mit pudriger Iriswurzel und "pudrigen Noten" (s.o.) kombiniert...? Offenbar schon.

In Ordnung geht dann allerdings eine feine scharf-florale Note, die einerseits natürlich durch das angeblich enthaltenen Neroliöl (das man aber nicht so klar im Sinne von "ja, klar ist da Neroli drin", riechen kann, sondern eher so im Sinne von "ja, klar, da oben steht was von Neroli, also muss das wohl diese helle fruchtig-florale Note sein, die ich da rieche"), andererseits auch durch das angeblich enthaltene Bergamotteöl (Ihr wisst schon...) hervorgerufen werden könnte.

Wenn man das alles so zusammen schmeißt, dann kommt bei 1957 ein Duft heraus, der vielen (v.a. Frauen?) gefallen wird (Moschus, Iris, Honig) und den ich wirklich nicht an einem Mann riechen muss (Bitte spart euch Kommentare zur Gender-Thematik bei Parfum: Danke!), der aber an einer Frau vermutlich ganz entzückend riecht (Bitte spart euch...: Ach, vergesst es!).

Irgendwie musste ich bei diesem Duft spontan an das kleine Schwarze denken, das angeblich zur Grundgarderobe einer Frau gehöre (was ja sehr schön ist) und das hier kontrastierend einen olfkatorischen Widerschein als kleines weißes Duftwunder gefunden hat. Könnte essentiell werden.
Wahrscheinlich gefällt es mir dann sogar irgendwann auch.
48 Antworten
Turandot vor 5 Jahren 84 19
5
Flakon
7
Sillage
8
Haltbarkeit
9
Duft
Magie vergangener Zeiten
Ich oute mich als Liebhaberin nostalgischer Kurorte. Genieße die sympathisch altmodisch, aber gepflegte Atmosphäre, lasse mich in Zeiten versetzen, die längst vorbei sind und gönne den alten Damen, ihre vor vielen Jahrzehnten bekommenen Pelze dann doch im Winter mal wieder im Kurpark spazieren zu führen. Wo sollten sie damit sonst auch hin... ?

Ob Marienbad, Bad Pyrmont, Baden-Baden oder sogar das kleine, ein wenig verschämte Bad Wörishofen hier gleich um die Ecke. Ein wenig verstaubt ist die Eleganz solcher Orte schon und der Glanz vergangener rauschender Feste ist inzwischen nur noch Erinnerung. Wie haben wir jungen Mädchen es genossen, von unserem Chef nach einer Jahreskonferenz ins Kasino von Baden-Baden eingeladen zu werden und mit ein paar Jetons als Spielgeld durften wir unser Glück herausfordern. Einarmige Banditen gab es damals noch nicht und fasziniert beobachteten wir die Fingerfertigkeit der Croupiers und bewunderten, wie sie das Geschehen an den Tischen jederzeit im Blick hatten. Voller Erstaunen nahmen wir zur Kenntnis, dass die Einwohner von Baden-Baden keinen Zutritt zu dem Glückstempel hatten, damit sie sich nicht ruinieren. So gehörte zu dem nostalgischen Charme damals auch ein wenig der Odem des Geheimnisvollen, vielleicht sogar Verbotenem, nicht zuletzt Dank des ein oder anderen Kurschattens.

Ich bin erstaunt, wie gut Prada mit "Marienbad" die Atmosphäre solcher Orte und vor allem dieser Zeit eingefangen hat. Unendlich weich, pudrig und schmeichelnd legt sich der Duft auf die Haut und verwöhnt die Trägerin mit Harmonie, Seidigkeit, zurückhaltender Eleganz und einer Noblesse, die zu den Bildern passt, die ich vor Augen habe, wenn ich das Parfum wahrnehme.

So deftig die Pyramide wirkt, so umhüllend und golden wirken die Ingredienzien nachdem Daniela Andrier sie zu einem kostbaren Parfum verwoben hat. Das Leder so weich wie edler Stoff, der Weihrauch zieht nur einen matten Schleier über das Ganze, Amber umhüllt mit Wärme und Zärtlichkeit und die Vanille hält sich hier vornehm zurück. Wie plakativ werden diese Noten oft verwendet, hier aber zeigt sich, wie man z.B. mit Oud und Amber umgeht, ohne dass einem der vordere Orient die Luft zum Atmen nimmt. Einfach nur wunderbar. Marienbad muss sich hinter berühmteren Düften z.B, von Guerlain nicht verstecken.

Ein Tropfen Wehmut fällt in den Becher für mich allerdings, wenn ich mir den Flakon ansehe. Ja, er ist modern, schnörkellos, klar, auch schön - aber so ein wenig hätte er sich dann doch der Romantik alter Kurorte anpassen können, auch wenn die Blütezeit der Badetempel in Zeiten von Krankenkassen, Reha, Zuzahlungen, und Budgetkürzungen dann doch der Vergangenheit angehört. Aber man wird ja doch mal träumen dürfen. Schade, dass die Düfte aus dieser Zeit nicht auch dem Denkmalschutz unterliegen wie die Trinkhallen und Villen der Kurorte. "Marienbad" holt zumindest ein wenig des Zaubers davon in die Gegenwart.



19 Antworten
Flaconesse vor 4 Jahren 82 27
Neulich im Parfümlabor
Zwei in weiße Kitteln gekleidete Menschen unterhalten sich:

Karl: Moin Meister, was machen wir heute?
Anna: Wir kreieren ein neues Parfüm, wurde von irgendso einem französischen Modeschöpfer in Auftrag gegeben, Öwwes Irgendwie. Roscher war's nicht…Ist auch egal...
Karl: Oh cool, das haben wir im 1.Lehrjahr schon besprochen, Parfümorgel richtig?
Anna: Fast, die Schule ist nicht up-to-date, sowas verstaubtes wie diese Orgel haben wir hier nicht mehr, wir benutzen den Parfum-O-Mat 2000.

Karls Augen werden groß. Anna bedeuten ihm in die hintere Ecke des Labors zu gehen, in der ein unscheinbarer schwarzer Kasten mit angeschlossenem Laptop steht, ähnlich der Dinger, die in den CSI-Serien benutzt werden, um DNA-Proben zu analysieren und den Mörder zu überführen.

Anna: Hier ist unser Schätzchen, ich hab's schon hochgefahren und mit Mainstream kalibriert
Karl: Mit was genau wird das kalibriert?
Anna: Mit je 1mL La Vie est Belle, Cool Water, Coco Mademoiselle und 4711 Echt kölnisch Wasser, das sind unsere vier Eckpunkte in dessen Rahmen wir uns bewegen wollen, geruchstechnisch.
Karl: Warum gerade diese und keine Monodüfte oder ausgefallenere Kreationen?
Anna: Mit Nischendüften würden wir kalibrieren, wenn wir Nische herstellen wollen, Mit Monodüften, wenn wir ganz kreativ sind, für einen Standard-Designerduft reicht diese Kalibrierung aus. Wir haben Umfragen durchgeführt und diese Kalibrierdüfte zählen zu den Top 10 der Kategorie. Ist einer davon gerade nicht vorrätig, nehmen wir etwas Vergleichbares oder lassen den Punkt weg, das merkt hinterher eh kein Mensch...
Karl: Verstehe…
Anna: Bereit, deinen ersten großen Wurf zu landen?
Karl (zögerlich): Hm………..ja?
Anna: Keine Angst, man kann praktisch nichts falsch machen, das System ist idiotensicher. Hier, wähle einfach 2-3 beliebte Parfüms aus der Liste der Designerdüfte aus, die Du kombinieren willst. Die werden dann in dem oberen Fenster angezeigt und direkt darunter erscheinen die Duftnoten. Wenn Du die anklickst, kannst Du sie stärker oder schwächer einstellen oder ganz herauslöschen. Wenn‘s Dir dann gefällt, klickst Du auf „Brew“ dann wird der erste Liter zusammengemischt und da hinten in die Braunglasflasche gefüllt. Gleichzeitig wird eine Datei mit der genauen Rezeptur erstellt, beides wird an den Auftraggeber verschickt. Alles klar?
Karl: Ja, klingt total easy. Aber woher weiß ich, dass der erste Versuch was wird? Kann man auch weniger als 1L zusammenmischen , damit man testen kann, ob‘s einem gefällt und nicht direkt so viele Rohstoffe verschwendet?
Anna: Ah super Wirtschaftlichkeit hattet ihr wohl auch schon? Deine Art zu denken gefällt mir. Ein wichtiges Detail hab ich ausgelassen. Hier die 2 Schläuche, die da aus der Maschine raushängen, steckst Du Dir in die Nase. Wenn Du deine Kreation riechen willst, drückst Du über dem Brew-Button auf „Sniff“, dann wird ein der Duft über die Schläuche in die Nase eingeleitet, aber drücke bloß nicht öfter als einmal drauf, sonst bekommst Du den Duft nie wieder aus der Nase. Das ist mir mal passiert, das Touchpad hatte irgendeinen Hänger und hat den Button fünf mal hintereinander ausgelöst, so schnell konnte ich nicht die Schläuche rausziehen, das System ist sehr reaktiv. Ich eine ganze Woche war nichts mit mischen, weil ich den Geruch von schwülstigen Blüten in der Nase hatte. Aber genug geschwafelt, los geht‘s!
Karl: Ok mal sehen, ich nehm einfach den hier und den hier.
Anna: Ah Mon Guerlain EdP, gute Wahl und Calvin Klein Women EdP, na da bin ich mal gespannt. Hier hinter dem Duftnahmen kannst Du die Prozentuale Verteilung der Anteile eintragen.
Karl: Gut, dann nehme ich einfach mal vom ersten 10, nein warte 15% und vom zweiten nehmen wir 85%.
Anna: Sehr gut, jetzt die Duftnoten: Dreh auf, was Du magst, klick weg was Du nicht magst.
Karl: Ok, das ist einfach, Orangenblüte volle Lautstärke, Lavendel ganz leise und Eukalyptus muss raus. Fertig.
Anna: Super, dann nehmen wir mal eine Nase davon, bevor wir es zusammenbrauen. Jeder bekommt einen Schlauch, das muss reichen.

Sie schieben sich erwartungsvoll die Schläuche in die Nase. Anna nickt Karl zu, dieser erwidert die Geste, dann drückt Sie auf „Sniff“. Ein schnelles kleines Rumpeln, ein leises Zischen, etwas rattert und blitzschnell strömt der Duft in die Nasen.

Anna: Gar nicht mal schlecht, für deine erste Kreation! Bravo, ist schon so gut wie verkauft. Ich seh's vor mit, irgendein schöner Flakon, ein junges Ding, vielleicht Topmodel oder Sängerin, macht die Werbung, ein schmissiger Name…Und uns werden sie irgendwelche cosmopolitischeren Pseudonyme verpassen, das ist leider immer so.
Karl: Wie schon fertig, das war doch jetzt erst die Kopfnote, arbeiten wir nicht weiter dran?
Anna: Quatsch Kreation gelungen. Der Duft muss in den ersten 3 Minuten in der Parfümerie überzeugen, Kopfnotenfänger nennt man das, wenn man böse ist. Und Zeit ist Geld, das Budget ist knapp, wir müssen heute 5 weitere Parfüms kreieren. Ein gefälliger Designerduft ist es geworden.
Karl: ok, dann drücke ich jetzt auf Brew?
Anna: Auf geht’s, die File hat den Code L-1br€ bekommen, schreib das bitte später in dein Protokollbuch.

Etwas desillusioniert darüber, dass es so schnell ging einen neuen Duft zu basteln ist Karl schon, irgendwie hat ihm dabei die Magie gefehlt. Andererseits, welcher Azubi hat schon einen selbst kreierten Duft in den Parfümerieregalen stehen?!

27 Antworten
SchatzSucher vor 5 Jahren 81 49
9
Flakon
9
Sillage
10
Haltbarkeit
10
Duft
Herzensangelegenheiten...
Waren die 80er und 90er Jahre für mein Empfinden noch voll von Zuversicht, Mut und Aufbruch, erscheint mir die heutige Zeit wie ein sich schleichend ausbreitendes Abrissunternehmen, sowohl was menschliche und moralische Grundwerte betrifft, als auch auf wirtschaftliche und politische Themen bezogen. Irgendwie wird nur herumgeeiert und man kommt nicht mehr in die Puschen. Leider auch dufttechnisch nicht mehr so richtig.

Ich stelle fest, daß sich bei diesen im zunehmend unerträglichen Übermaß an politisch korrekten, angepaßten und austauschbaren Wässerchen immer größere Ermüdungserscheinungen bei mir bemerkbar machen. Es gibt zwar Ausnahmen, die mein Herz erreichen, doch sind es nicht so viele.
Poison verkörpert von allem das absolute Gegenteil. Der Duft kommt selbst als Eau de Toilette so urgewaltig und kraftvoll daher, daß einem förmlich die Knie zittern.
In den 80ern ging es laut, knallbunt und olfaktorisch unglaublich heftig zu und dazu auch noch ganz unbekümmert.
Da hat man noch Düfte entworfen, die auf deutsch gesagt noch Arsch in der Hose und so richtig Oberweite hatten. Und ich meine richtige Naturoberweite, nichts künstlich aufgeblähtes. Da hat man sich noch keine Gedanken gemacht um "Hach, bloß keinen Sprüher zu viel.. hach, der könnte ja meine Umgebung belästigen. Nein, da sind ja verbotene Stoffe drin. Da fallen ja die Fliegen von der Wand und der nach neuesten EU-Richtlinien angerührte Putz gleich mit."
Poison ist also nach dem so unglaublich gewandelten Empfinden in der heutigen Zeit herrlich politisch unkorrekt, der hält nicht die Klappe und ist schon ne halbe Stunde vor dir da.
Die Ausstrahlung reicht ungefähr von Flensburg bis zum Bodensee und eine Haltbarkeit von mind. 15 Stunden spricht ebenfalls für sich.

Was die Duftnoten betrifft, ist es praktisch unmöglich, alles einzeln aufzudröseln. Da hat man alles verwendet und noch viel mehr. Poison ist eine Wand, dicht, massiv und dazu noch extrem schön gestaltet.
Am lautesten kreischt die Tuberose, gefolgt von Jasmin, die den anderen Blumennoten kaum eine Chance zur Entfaltung lassen. Aber warum auch, kümmert doch nicht...
Es ist kräftig gewürzt, es raucht ein wenig und holzig ist es noch dazu. So eng verwoben, daß nicht mal eine Stecknadel dazwischenpaßt.
Meiner Meinung nach hat man mit Poison ein absolutes Meisterwerk geschaffen, das auch noch 34 Jahre nach seinem Erscheinen eine absolute Existenzberechtigung hat.

Sicher ist der Duft schlagartig berühmt und bekannt geworden, sicher ist er von den Falschen gnadenlos missbraucht worden, hat bis weit in die 90er Jahre hinein ganze Innenstädte kontaminiert und wurde somit sehr vielen Duftfreunden völlig verleidet. Und viele sagen sich nach wie vor "Mit Poison kann man mich jagen", weil jede Stadt, jedes Café, jedes Theater und jede Bar nach Poison gerochen hat.
Hier ist nichts mit Heititei und Kuschiwuschi, bei Poison wird nicht um den heißen Brei geschwafelt, sondern eine klare Ansage gemacht. Ein Sprüher zu viel und selbst eine Konzerthalle kann regelrecht vergiftet werden und das Publikum hüstelt genervt vor sich hin oder ergreift hektisch die Flucht.

Doch in den letzten Jahren ist es ruhig geworden, die Poison-Familie hat reichlich Zuwachs bekommen, der Zuwachs ist aber weitaus leiser und gesitteter und manche Nachkommen sind auch schon wieder Geschichte.
Schön sind sie alle mehr oder weniger, wobei ich die ganz Neuen, die Girls, noch nicht kenne. Ich glaube aber sie können der großen allmächtigen Mutter nicht das Wasser reichen.
Nun besitze ich aus nostalgischen Gründen, weil ich diesen Duft wahnsinnig liebe und er mir immer an den "richtigen" Trägerinnen begegnet ist, selbst einem guten Freund von mir stand er hervorragend, zwei Versionen des Poison EdT. Eine unreformulierte Version im ovalen Flakon und eine von 2015 im apfelförmigen Fläschchen. Es gibt Unterschiede, keine großen, aber sie sind bemerkbar. Die Haltbarkeit, die Projektion und die Dichte sind bei der neueren Version ein wenig schlanker. Aber gut ist der Duft immer noch. Verdammt gut. Auch wenn er etwas gelitten hat.

Leider versucht man mit aller Gewalt, uns Konsumenten auf vielerlei Weise in eine gewisse, nennen wir es mal Allgemeinheitsform zu pressen, olfaktorisch und gesellschaftlich. Seit längerer Zeit fällt es mir auf und es gefällt mir nicht. Vielen anderen sicher auch nicht, doch es sollte jeder für sich entscheiden, inwieweit er/sie da mitmachen will.
Mir persönlich gehen die immer paranoider werdenden Reglementierungen immer mehr auf den Keks und ich denke, ich werde mein Augenmerk künftig noch mehr auf Vintagedüfte beschränken.
Die unkastrierten. Uns wird immer mehr der Spaß an Düften genommen, doch für Düfte wie Poison und andere unbekümmert laute Vertreter dieser Gattung braucht es eine große Portion Spaß, Humor und Selbstbewußtsein. Daran mangelt es mir allerdings nicht.

Poison bleibt ein Duft, der auch heutzutage immer noch weitaus mehr zu erzählen hat als manch eins dieser gesichts- und konturlosen Modewässerchen der heutigen Zeit. Und hat selbst in einer EdT-Konzentration mehr Durchschlagskraft als manch ein EdP der heutigen Zeit.

Ja, der Kommentar ist lang geworden. Wem er nicht gefällt, darf ihn gern übersehen und sich andere angucken, gibt ja genug hier. Es gibt Dinge und Herzensangelegenheiten, die mal rausmüssen. Und ein solcher Ausnahmeduft mit einem so hohen Wiedererkennungswert verdient nichts anderes als die volle Punktzahl.
49 Antworten