Top Rezensionen

2013
Chnokfir vor 11 Jahren 70 23
2.5
Flakon
5
Sillage
2.5
Haltbarkeit
1
Duft
Von der Finanzierung eines Lamborghini Aventador
Manchmal kommt man ja wie die Jungfrau zum Kinde. Beziehungsweise zur Praktikantin. Seit einigen Jahren meinen ja alle Schulen, sie müssen ihre 13-18 jährigen Schüler für mehrere Wochen zur Berufsorientierung in die Unternehmen schicken. Mit für die Unternehmen eher ernüchternden Ergebnissen und Erlebnissen. Auch mein Unternehmen hat sich deshalb entschieden, für einige Zeit keine Schüler mehr zu nehmen. Bis ich und eine Kollegin uns mal wieder haben breit schlagen lassen.

Pia stand irgendwann vor der Tür. Eine Woche sollte sie in der Buchhaltung und Verwaltung bleiben, bis sie dann für weitere vier Tage in die Technik unserer Airline wechselt. 14 Jahr, blondes Haar, so stand sie vor mir. Ich habe neben meinem Schreibtisch einen Katzentisch nebst Computer zu stehen, also darf sie sich zu mir setzen und meinen wohlfeinen Worten lauschen. Das mit dem „Du“ hat sie drei Tage lang nicht begriffen. Ist sie nur so gut erzogen? Flösse ich soviel Respekt ein? Oder wirke ich nur schon so alt?

Da sitzt sie nun und lauscht meinen wohlfeinen Worten. Die Ablage braucht sie nicht machen – das erspare ich ihr und vor allem uns. Statt dessen darf sie stundenlang durchs Haus stiefeln und Post verteilen, Excel malträtieren, für mich eMails schreiben, Rechnungen buchen und die Kasse zählen. Ja, EUR 40.000,00 haben den gewünschten Effekt auf sie nicht verfehlt – sie durfte insgesamt sechs mal zählen, bis endlich der Wert des Kassenbuches ermittelt wurde.

Wie wirkt nun ein 14-jähriges blondes Ding vom platten Land auf einen Mann, der selber leider noch keine Kinder hat? Sie ist ja so was von süss! Und das meine ich im wahrsten Sinne des Wortes. Sie stand noch nicht einmal ganz in der Tür zu unserem Büro, da war olfaktorisch schon komplett überfordert. Da musste ich auf jeden Fall tätig werden. Ebenso wie bei ihrer Wahl der Bürokleidung und der richtigen Nutzung ihres Smartphones.

Ich bat sie, doch auf ihr Smartphone zu verzichten, es stumm zu schalten und bis zur Mittagspause im Rucksack zu verstauen. Ungläubiges, aber stummes Staunen. Ob jemand daheim im Sterben liege? Nein, natürlich nicht! Ob sie denn das Ding auch daheim am Esstisch, sonntags in der Kirche oder während des Unterrichts benutze? Klar doch! Jetzt ungläubiges Staunen meinerseits. Das Ding wanderte dann doch in ihren Rucksack. Ich versprach ihr, die gemeinsame Zeit so interessant zu gestalten, dass sie das Smartphone nicht vermissen würde. Und ich hielt Wort. Jetzt weiss sie das Zahlenfeld einer Tastatur zu schätzen und kann es annähernd blind bedienen.

Wo sind eigentlich die netten weiblichen Kolleginnen, wenn man sie mal braucht? Im Urlaub. Also hatte ich die ehrenvolle Aufgabe, Pia schonend beizubringen, dass eine Leggins zwar an sich ein wunderschönes Kleidungsstück sein kann, jedoch kein vollwertiger Ersatz für eine Hose ist. Zumindest nicht, wenn man sie alleine trägt, ohne Rock oder Kleid drüber. Gut, sie hat definitiv die Figur dafür und wenn nicht jetzt mit 14, wann dann? Mit 44 wohl kaum. Sie nahm mir auch prompt ab, dass diese Kleiderwahl für den Schulhof optimal sei, hier im Büro eher nicht. Immerhin, am nächsten Tag hatte sie wirklich enge Hot Pants drüber. Manchmal zählen auch die kleinen Erfolge.

Und während sie so neben mir schuftete, kramte Pia alle 45 bis 60 Minuten in ihrem kleinen Rucksack herum und fand neben Muttis liebevoll bestückter Tupperdose und dem 5-Liter-Kanister FruchtTiger eine Schminktasche in der Grösses eines Bundeswehr-Seesacks. Damit pilgerte sie dann alle 45 bis 60 Minuten zu Nasszelle und ward erst in fünf Minuten wieder gesehen. Doch nicht eine beachtlich intensive Monatsblutung war der Grund. Nein, das Lippgloss musste erneuert, die Wimpern nachgetuscht, der Kajal nachgezogen und die Augen neu betont werden. Und dazu nahm sie noch einen kräftigen Schluck aus der Pulle.

Nein, sie hatte keinen Doornkaat oder Jägermeister auf Red Bull dabei. Sie hat ihren Duft aufgefrischt. Könnte man ganz höflich so sagen. Aber das trifft es nicht. Sie hat gedieselt. Und wie sie gedieselt hat! Da stosse selbst ich als verständnisvoller und zurückhaltender Berufsnörgler an meine Grenzen.

Rück den Flakon raus! Wollen wir mal sehen, was das denn Feines ist. Das Wort Nuttendiesel lag mir auf der Zunge und wurde mehrmals heruntergeschluckt. Und da stand er nun vor mir. Erstmals vis-a-vis. Justin Bieber. Beziehungsweise die Special Edition seines „Someday“. Ja, hoffentlich kommt irgendwann „someday “der Tag, an dem ich diesen Duft wieder aus der Nase bekomme, ihn vergessen habe und wieder glücklich den gleichnamigen Song von Depeche Mode hören kann.

Eine rote Vase mit angedeuteten bunten Plastikblütenblättern drauf. Die leider schon etwas dezimiert aussahen, sie brechen nämlich schnell ab. Weiss sie aus eigener leidvoller Erfahrung. Ist nämlich in den vier Monaten seit Weitnachten, als ihr Vati erstmals diesen Fusel schenkte, die sechste Flasche. Ich zeigte mich beeindruckt. Ja, das geht ins Geld. Aber man bekommt ja was für sein Geld. Zum Beispiel auch ein Charme in Form eines Herzchens und eines kleinen Schlüssels zu erstgenanntem. Das kann man so lieb an all seine Freundinnen verschenken. Sähe ja auch doof aus, würde man selber mit einem Dutzend Herzchen und Schlüsselchen herumlaufen. Aber wieso schenkt man der besten Freundin den Schlüssel zum Herzen von Justin Bieber? Ich frage besser nicht!

Und wieso sprüht Pia denn dauernd nach? Weil der Duft sich nach eigenem Bekunden nach knapp einer Stunde wieder verduftet. Kann ich nicht glauben. Will ich nicht glauben. Ich bitte Pia also, den Duft am kommenden Tag mit der Morgentoilette in üblicher Menge aufzutragen und dann im Büro nicht wieder nachzulegen. Wollen wir mal sehen, wie schnell der Duft dann wirklich weg ist. Und in der Tat, nach knappen zwei Stunden konnte ich nichts mehr an ihr wahrnehmen. Sie legt nach und noch vor der Mittagspause ist sie wieder „clean“.

Das finde ich nicht gut. Zumindest für Pia und ihren Geldbeutel. Für mich schon. Denn der Duft ist echt heftig. Es ist süss, süss und nochmals süss. Süsse rote Beeren, süsse Blumen, süsse Vanille. Und das alles vollsynthetisch. Das riecht man. Mehr aber auch nicht.

Ein Lichtblick, in ihrem Flakon schwappt nur noch ein kleiner Rest. Ja, sie will wieder nachkaufen. Wenn das doch bloss nicht immer so teuer wäre. Denn Vati und Mutti weigern sich neben dem Schulsachenzuschuss, einem Klamottenzuschuss jetzt auch noch einen Parfumzuschuss zum Taschengeld zu gewähren. Kann ich nachvollziehen. Oder auch nicht. Ich habe dazu ambivalente Empfindungen, wäre sie denn meine Tochter.

Auf jeden Fall will ich mir nicht nachsagen lassen, ich wäre kein Gutmensch. Also fahre ich sie nicht wie abgemacht nach der Arbeit zur Bushaltestelle, sondern gemeinsam steuern wir den Duty Free Bereich am Flughafen an. Ich zeige ihr ein paar Düfte, die ich mir an ihr vorstellen könnte. Sie entscheidet sie für „Touch of Pink“ von Lacoste und ich spendiere ihr noch einen kleinen Reiseflakon von Hugo Deep Red von Hugo Boss.

Pia war happy, war es doch günstiger als ihr geliebter Justin Bieber. Hält dabei auch noch länger und riecht dabei auch noch gut. Und meine Nase freut sich auch. Eine klassische win-win-Situation. Sie hat was gelernt dabei. Ob fürs Leben, sei jetzt mal so dahin gestellt. Auf jeden Fall kann sie jetzt aber das Zahlenfeld halbwegs blind bedienen. Und Rechnungen buchen. Mails auf Englisch schreiben. Und sie hatte ein ordentliches Bündel Hundert-Euro-Scheine in der Hand. Aber Buchhaltung ist dann wohl doch nichts für sie.

Am Ende bleiben noch einige Fragen. Hat Justin Bieber bei diesem Duft selbst Hand angelegt? Trägt Selena Gomez diesen Duft? Und wie viel von diesen Duftis muss man verkaufen, damit Justin Bieber seinen Lamborghini Aventador bezahlen kann.
23 Antworten
Markyta vor 11 Jahren 69 19
5
Flakon
2.5
Sillage
2.5
Haltbarkeit
10
Duft
4711, das Schreckgespenst der “es könnte ja einer Denken ich bin nicht cool Fraktion”
4711 ist 1792, wie bereits seine Vorgänger von Farina, als eine Art “Wundermedizin” auf den Markt gekommen, in einer Zeit, als die moderne Medizin noch weitestgehend in den Kinderschuhen steckte und sich Ärzte vor operativen Eingriffen meist nicht einmal die Hände wuschen.

Eau de Colognes wurden bei Kopfschmerzen auf die Stirn getupft, man rieb damit Schwellungen ein, benetzte Tücher wurden gegen Fieber auf die Stirn gelegt, innerlich sollten sie gegen Magenbeschwerden, innere Unruhe (Prösterchen….) und was weiß ich noch alles wirken. Wahrscheinlich halfen sie auch gegen Furunkeln und den bösen Blick.
Nach damaligen Maßstäben war 4711 ein Medikament.

“Häää?” (Übersetzungshilfe: “Entschuldigen Sie bitte, könnten Sie das vielleicht noch einmal Wiederholen, ich habe Sie nicht verstanden.”)

“Dat wor eh Medikament, du Tünnes”

“Ach, dann wor dat at jar ken Paföng?“

Enäääh! (In der hochdeutschen Übersetzung bedeutet dies - “Ich bewundere Ihre unglaubliche Auffassungsgabe und ihre deduktive Denkfähigkeit und muss Ihnen in allen Punkten vorbehaltlos zustimmen.“)

Bei 4711 freute man sich grade dumm und dusselig über die schöne neue Hausnummer, als Napoleon auch schon einen Wermutstropfen vorbei brachte, obwohl Mühlens für den sicher auch ein freies Fläschchen hatte ( Santé…).
Napoleon führte nämlich die Deklarationspflicht für innerlich anzuwendende Medikamente ein.

“Och Nääh, wat do drin es, dat jeit doch kinne Minsch jet aan”
Herr Mühlens wäre aber kein- kölscher Jung - gewesen, hätte er für dieses marginale Problemchen keine Lösung gefunden.
Kurzer Hand schrieb er “nur zur äußeren Anwendung” aufs Etikett, und wechselte die Flaschenform, - denn diese war nur “richtigen Medikamenten”, wie zum Beispiel dem etwas später auf dem Markt erschienenen Klosterfrau Melissengeist vorbehalten (Prösterchen….).

Trotz dieser Umdeklaration wurde 4711 zu einer beliebten Allzweckwaffe in so mancher Hausapotheke. Zum Fieber senken, gegen Kopfschmerzen, zur Wunddesinfektion, als “Waschersatz” (sauberes Wasser gab es ja auch lange nicht so wie heute aus der Leitung) und so blieb es bis weit in die sechziger Jahre.

Ja unsere Omas und Opas rochen oft nach 4711, ich glaube aber das hat kaum einer als “Paföng” betrachtet. “Paföng” war was für reiche Leute und französische Schauspielerinnen.

Seltsamer Weise finden einige erklärte Gegner den Geruch von 4711 sogar toll, so lange sie nicht wissen was es ist. Einem Kollegen hab ich mal erzählt, dass sei ein neuer Duft von Aqua di Parma, der war am nächsten Tag ganz Unglücklich darüber, dass sie den in seiner Stammparfumerie weder kannten noch hatten. Und auch du lieber Don, fändest den wahrscheinlich gar nicht soooo schlecht, würdest du ihn in einer schönen bunten Flasche von Bond No.9 riechen.

Letztendlich ist es aber Unsinn zu sagen, es ist nicht gut, weil es nicht so ist, wie ich es von einem Duftwasser erwarte. Ich kaufe mir doch keinen Diesel in der verbrauchsarmen Ökovariante und beschwere mich hinterher, dass der für die Formel 1 völlig ungeeignet ist (Eigentlich ein schlechter Vergleich, denn Autobild tut genau das).

Ja die Zitrusnote riecht am Anfang beißend wie Riechsalz, dazu wurde es doch genau so gemacht. Also ist das doch gut. Es erfüllt gestern wie heute immer noch genau den Zweck für den es hergestellt wurde. Deshalb ist es auch noch da. 4711 wird nicht getragen, man benutzt es. Es gehört zur kölschen Identität, wie der Dom und Tünnes und Schääl. Und der Erfolg gibt ihm eines, nämlich Recht.

Und beschwert euch auch nicht immer über eine zu geringe Silage und Haltbarkeit bei Colognes, egal ob jetzt dieses oder jedes andere. Dafür sind die Dinger nicht gemacht, im Gegenteil, ein Cologne mit großer Haltbarkeit würde seinem Zweck zu wider laufen. Sie dienen der Erfrischung, vielleicht hat ja der eine oder andere in der Schule aufgepasst und kann sich noch dunkel an das “Verdunstungsprinzip” erinnern. - Wenn auf einer Oberfläche eine Flüssigkeit verdunstet, das ist in diesem Fall auch gerne Mal der Alkohol, der macht das nämlich besonders schnell, dann kühlt die Unterseite ab. Viel hilft da zwar nicht immer viel, aber oft hilft oft, und wenn dann jedes Mal eine Riesenduftwolke zurück bliebe, würde man das bei großer Hitze nicht mehr so ganz angenehm finden.

“Ahsuuu” (Übersetzungshilfe: “Ich hab das zwar nicht so ganz verstanden, sage aber jetzt einfach Mal ja.”)
*

Und wenn in spätestens 20 Jahren auch die letzte Flasche Boss Bottled im Sumpf der Vergessenheit versunken ist, werden wahrscheinlich immer noch Heerscharen chinesischer, japanischer und amerikanischer Touristen in die Glockengasse pilgern und sich mit 4711 eindecken.
19 Antworten
Yatagan vor 11 Jahren 67 29
9
Flakon
6
Sillage
7
Haltbarkeit
10
Duft
Durch die Wüste
Timbuktu, die Oasenstadt, die in den letzten Jahren Schlagzeilen machte, weil sie zwischen Tuareg und den Ansar Dine umkämpft und zum Spielball eines furchtbaren Bürgerkriegs wurde, war einst eine glanzvolle Wüstenmetropole, die größte und bedeutendste Stadt des afrikanischen Reiches der Songhai, das im 15. und 16. Jahrhundert gigantische Ausmaße hatte und sich über mindestens ein halbes Dutzend heutiger afrikanischer Staaten erstreckte. Timbuktu war ein Hort der Kultur, der Kunst und afrikanischer Machtentfaltung, die man bis heute in Europa zumeist nicht zur Kenntnis nimmt, verbindet man mit Afrika doch leider oftmals nur Armut und Entwicklungsrückstände. Tatsächlich war Timbuktu für die damalige Zeit auch nach mitteleuropäischen Maßstäben eine bedeutende Großstadt, deren Größe vermutlich bis zu 25.000 Einwohner betrug, größer als die meisten Städte in Mitteleuropa. Eher ins Reich der Legende gehören Vermutungen, dass Tibuktu damals womöglich mehr als 100.000 Einwohner gehabt haben könnte, vollkommen auszuschließen ist es aber nicht.

Timbuktu wurde zum Mittelpunkt des Geisteslebens im Reich der Songhai, es gab zahlreiche Koranschulen, von denen mindestens eine mit einer mittelalterlichen Universität vergleichbar war. Nicht umsonst wurde die scheinbar unermesslich reiche Stadt in Afrika im heutigen Mali zu einem Ort der Sehnsucht anderer afrikanisch-arabischer Potentaten und der Europäer, zu einem Ort, an dem man im Rahmen kolonialer Expansion Reichtümer zu gewinnen hoffte, die dort gehandelt wurden: Gold, Elfenbein, Pfeffer, Leder, Moschus...

Was hat das alles mit L‘Artisans Timbuktu zu tun?

Zunächst einmal gehe ich davon aus, dass Düfte nicht ganz zufällig sprechende Namen tragen. Zumeist verbindet sich mit einer Bezeichnung eine Konnotation, entstehen Assoziationen, die uns neugierig machen sollen auf den Duft, natürlich auch Teil des Marketingkonzepts sind: letztlich aber legitim, notwendig und manchmal sogar im Sinne der Abrundung eines Gesamtkunstwerks. Und ein Gesamtkunstwerk ist Timbuktu für mich allemal. Neugierig gemacht hat mich zunächst aber nicht der Name, sondern Luca Turin, der in seinen Publikationen immer wieder auf Timbuktu hinweist. Der berühmteste Parfümkritiker sieht in Timbuktu gar einen der zehn besten Herrendüfte (oder Unisex-Düfte, je nach der eigenen Perspektive), ordnet ihm aber Attribute wie leise und dezent zu und erinnert sich gar, das Potential dieses Duftes zunächst gar nicht erkannt zu haben.

Dass wir es bei Timbuktu mit einem leisen Duft zu tun haben, wird sicherlich auch der Grund gewesen sein, warum es mir genauso ging, ich zunächst mit dem Duft nicht viel anfangen konnte. Als ich es vor Jahren zum ersten Mal testete, war meine Nase nicht aufnahmefähig, ich erinnere mich noch Timbuktu als einen Duft unter mehreren getestet und schließlich beiseite gelegt zu haben: was für ein Fehler! Timbuktu ist eine Diva, braucht seinen eigenen Auftritt ohne Konkurrenz, will mit Geduld wahrgenommen werden. Ich gebe es zu: nicht eben eine besondere Stärke von mir.

Nach Luca Turins Kritik zu diesem Duft war ich aber bereit, mich erneut mit diesem Duft zu befassen und dank einer großzügigen Abfüllung (ganz herzlichen Dank an Zionist!), konnte ich das ausgiebig tun. Um es an dieser Stelle kurz zu machen: Nach wenigen Tagen des Testens habe ich mir einen Flakon geleistet, denn dieser Duft fasziniert mich mehr als fast alle anderen Düfte, die ich in den letzten Jahren kennen gelernt habe, mehr als viele alte Klassiker und mehr als die meisten anderen Nischendüfte, die ohne Zahl auf den Markt geworfen werden.

Gelegentlich gelingt es mir zwar bei einem Duft Inhaltsstoffe zu riechen, zu ahnen, was in einem Duft verarbeitet wurde, - ebenso oft benötige ich als Stütze aber die Duftangaben des Herstellers, diejenigen hier auf Parfumo oder aus einer anderen versierten Parfumkritik (z.B. denen von Luca Turin), um mich wirklich souverän orientieren zu können. Für Timbuktu gilt das in jedem Fall. Weiß man jedoch, dass der Duft Kardamom, Pfeffer und Weihrauch enthält (die Karawanenstadt Timbuktu lässt grüßen), dann erscheint alles vollkommen offensichtlich, wird der Duft transparent, fast durchsichtig, zumal vor allem der Weihrauch auch für ungeübte Nasen gut erkennbar ist.

Auch die Komponenten Myrrhe und Papyrus lassen Assoziationen mit der glorreichen Vergangenheit von Timbuktu zu, da die Oasenstadt in Mali auch für ihre bedeutenden antiken Bibliotheken berühmt war (erst im vergangenen Jahr wurde wieder bekannt, dass bei den Kämpfen eine bedeutende historische Bibliothek in den Flammen aufging): als Reminiszenz der Geruch von Papyrus.

Für mich besonders dominant ist aber überraschenderweise der Geruch der Mango, der einen exotischen, frisch-fruchtigen Akzent setzt und der in Kombination mit dem lichten, wenig schweren Weihrauch, dem Pfeffer und dem Vetiver einen kongenialen Kontrast bildet. Benzoe und Patchouli, beides Töne, die ich nicht besonders liebe, sind nur dezent wahrnehmbar und sorgen eher für die Grundierung in diesem pastellfarbenen olfaktorischen Gemälde, das Frauen ebenso gut gefallen dürfte wie Männern.

Für mich ist ein Duft, der keinen starken fruchtigen Akzent enthält, zu stark, zu wuchtig, zu schwer. Betrand Duchaufour geht hier andere Wege: er ersetzt die klassischen Hesperiden oder den Lavendel (die traditionellen helle Töne des Auftakts) durch Mango, wagt viel und gewinnt alles. Ein frischer und delikater Geruch, der gemeinsam mit dem Vetiver bis in die Basisnote wahrnehmbar ist.

Eine klassische Duftentwicklung gibt es hier m.E. nicht zu beschreiben. Die genannten Noten (insbesondere Mango, Pfeffer, lichter, dezenter Weihrauch, Vetiver) sind von Anfang an präsent, entwickeln sich allenfalls mit der Zeit stärker und kontrastreicher. Dabei wird der Duft nur noch schöner und angenehmer: ein Gemälde, das zwar harmonisch und hell gestaltet wurde, das aber dennoch Raum für Spekulationen und Interpretationen lässt (so wie die Gemälde der späten Impressionisten am Rande zum Expressionismus: Lovis Corinth).

Ich bin froh durch die Anregung von Zionist in diese duftende Oasenstadt gereist zu sein, denn dieser Aufenthalt hat mir meinen Sommerduft beschert. Nun wäre zu wünschen, dass das wirkliche Timbuktu zur Ruhe käme, dass seine historischen Gebäude und seine Bedeutung für die afrikanische Geschichte wieder zur Geltung kämen und es wieder zu einem Ort der Sehnsucht würde, den man auch tatsächlich gefahrlos betreten könnte. Einstweilen müssen wir uns mit L‘Artisans Timbuktu behelfen, auch ein Kunstwerk von besonderem Rang.
29 Antworten
Kiengira vor 11 Jahren 67 28
7.5
Flakon
7.5
Sillage
7.5
Haltbarkeit
5
Duft
Die Wahrheit über Dornröschen ( Ich hoffe ,nicht so schlimm für Grimm)
Dornröschen lag im Bett und schlief,
es ging so ziemlich alles schief…
Sie hatte sich so oft gewundert
in all den Jahren (fast schon hundert).
Da kamen Knappen, Prinzen, Ritter…
Es schaffte keiner, es war bitter.
So lag sie da, es war zum Weinen,
…und wartete auf diesen einen,
der endlich kam und wach sie küsste.
Er sollte fesch sein und er müsste
ihr ewig seine Liebe schwören,
er müsste sie zutiefst betören
Er sollte riechen wie ein Gott,
laut Märchen war sie ja fast tot.

Und es wussten alle Recken,
man kann die Dornenfrau nur wecken,
mit einem märchenhaften Kuss
doch vorher, und das war ein Muss…
Der Auserwählte musste kriechen,
durch Dornen, und er musste riechen,
wie nie zuvor ein Mann gerochen,
und wenn er noch so lang gekrochen...

Der erste war Sir James, der Edle
ich glaube Bond, so war sein Name.
„ Ich geh da einfach rein und wedle
mit meinem Duft, und weck die Dame.“
„Da hilft kein Schütteln und kein Rühren,
damit kannst mich nicht verführen.
Wirst mich mit diesem Duft nicht kriegen,
nee, ich schlaf weiter, 007!

Der zweite kam auf hohem Ross,
es war der schöne Ritter Boss!
„Ist Rosenwasser aus dem Osten,
Dornröschen, wart! Ich lass dichs kosten
Los! Riech mal, meine holde Maid!
Enttäusch mich nicht, der Weg war weit.“

„Pfui Teufel, Hugo, riechst du schlecht,
bleib so im Tiefschlaf, jetzt erst recht!
Hau ab und sattle schnell dein Rösschen!
So wird das nix mit deinem Bösschen!“

Doch dann kam Georg aus Armanien
( damals Vertreter für Geranien).
Der Boss und James, die skypten ihm
„ Geh bloß nicht zu der Tante hin!
Die schläft nur, und sie ist verwöhnt,
hat unsern guten Duft verpönt!!
Vergiss es! Lass daheim die Lanze,
du hast bei der auch keine Chance!“

Doch Georg dachte sich, „Pass auf!
Heut mach ich mal das Beste drauf,
ich schaffe eine Kreation,
hab sie im Kopf, ich weiß es schon.
Dornröschen soll nicht länger warten
Ich geh mal kurz in meinen Garten.

So! kurz gepflückt, nun destillieren.
Dann nix wie rein auf allen vieren
Ins Schloss, ich glaub am besten vorne,
weil hinten alles zu, Scheiss Dorne!“

Und dann kams so, so stehts geschrieben…
Als Frühaufsteher, es war sieben,
stand er vor ihr mit einem Tuch…
Er wusste es…, nur ein Versuch!

„Oh! Was für ein betörend Duft
liegt plötzlich in des Schlosses Luft.
Das riecht so gut, wird immer schöner!
Sag, Giorgio, bist du Italiener?

Ich riech Orangen , wie sie reifen,
beweg die Arme, will sie greifen!

Wart, Liebster! Bitte bloss nicht gehen,
ich rieche Veilchen, will sie sehen!

Ich öffne Nase und die Augen,
bemerk die Rose, will sie saugen!
Und jetzt Safran und Vanille!
Hab jetzt genug von dieser Stille!
Komm, hilf mir, will mich jetzt erheben
Das ganze Schloss kommt nun zum Leben.
Sogar die Dornen werden morsch!
Komm her, du musst mich küssen, Schorsch!“

Und mit diesem einen Kuss
War laut Gebrüdern Grimm nun Schluss!

Doch nein! Erweiterte Version…!!
Ich glaub, ihr ahnt es alle schon.

Sie leben weiter, beide! …Wie?
In diesem Duft: Rose D’Arabie!!
28 Antworten
Apicius vor 11 Jahren 65 20
10
Flakon
5
Sillage
5
Haltbarkeit
10
Duft
Für Gourmets, nicht für Gourmands
Fabelwesen, Feen, Naturgeister, die an moosigen Quellen hausen und geheimnisvolle Tränke brauen - das sind die keltischen Korrigane, die hier ihren Namen herleihen. An Geschichten hat es Gilles Thevenin und seiner Marke Lubin noch nie gemangelt, und wenn Werbung Kunst sein kann, dann lässt sich das an der wunderbaren Web-Präsentation von Lubin erfahren.

Wer nun bei Korrigan an ein grünes Wald-und Wiesenparfum oder gar an Miraculix' Zaubertank denkt, liegt ganz falsch. Die Idee Korrigan scheint mir auf der Annahme zu beruhen, dass diejenigen, die für mystische Kelten-Romantik empfänglich sind, etwas ganz anderes ebenfalls mögen: einen sinnlichen Bettlakenduft mit leckerer Gourmand-Note.

Ein „Likör aus Karamellholz“ prägt die Kopfnote, in der Pyramide unzureichend beschrieben mit den Noten Whiskey und Cognac. Ich zögere, hier von Karamellbonbon zu sprechen, das wäre viel zu simpel. Zum Buttertoffee gesellt sich ein wärmender Schnaps, ein wenig Booziness. Und eine anheimelnde Würzigkeit mag man dem Safran zuschreiben. Gleichzeitig bilden aber bereits cremige und milchige Moschusnoten einen Hintergrund, der betont sauber und aufgeräumt wirkt. Ich möchte das als ein Art Italienische-Eisdielen-Akkord sehen: es sind die köstlichen Aromen, die von Sorten wie Malaga, Pistazie, Haselnuss oder Torrone ausgehen, verbunden mit dem Eindruck jener kühlen Sauberkeit, die die Herstellung von Speiseeis erfordert. Wem hat sich das nicht in Kindertagen eingeprägt?

Nach einer Weile verlassen uns die Gourmand-Noten, es geht etwas leiser weiter. Ein cremiger, weicher Akkord bleibt uns, ein Hautduft im doppelten Sinn, denn er zieht sich dorthin zurück, und er duftet auch so. Erst ganz zum Ende der Präsentation verrät uns die Lubin-Webseite, worum es ihnen eigentlich geht: die Darstellung von Intimität, Sinnlichkeit und privaten Momenten.

Wiederum wäre auch dieser Akkord mit „cremiger Moschus“ vollkommen unzureichend beschrieben, dazu wirkt er auf mich viel zu komplex. Doch Leder, Vetiver, Zeder und Oud vermag ich nicht gesondert zu riechen. Allenfalls fügt eine minimale dunkle Harzigkeit einen herberen Aspekt hinzu.

Persönlich bin ich überhaupt kein Freund von Gourmand-Düften, doch Korrigan begeistert mich in jeder Hinsicht, und die Gründe sind schon fast zu vielfältig, um sie alle aufzuzählen.

Zunächst einmal hat Gilles Thevenin eine gute Hand bei der Auswahl seiner Parfümeure, denen er offenbar die Zeit lässt, die für die Entwicklung eines wirklich guten Parfums erforderlich ist. Ich denke, das kann man riechen, und zwar an einer gewissen Homogenität des Dufts. Die Noten wirken nicht wie einzeln nebeneinandergestellt; es ist etwas Eigenes entstanden, von großer Eleganz und Schönheit.

Dann fällt mir an Korrigan ein Grundgerüst auf, das ich in den meisten anderen Parfums sehr problematisch finde: Ich meine die spektakuläre Kopfnote, hinter der es dann deutlich zurückhaltender weiter geht. Selten finden solche Parfums meine Zustimmung - denn ihnen ist meist vorzuwerfen, dass sie auf den kurzfristigen Eindruck setzen, auf Schnellkäufer abzielen, die dann nur umso enttäuschter sind.

Bei Korrigan ist das ganz anders. Wenn das ein Parfum sein soll, das man gemäß Lubin für „intime Momente aufbewahrt“, dann muss es etwas Besonderes bleiben. Dann darf das Erlebnis Korrigan vor allem nicht beliebig reproduzierbar sein, wie ein gewöhnliches Karamellbonbon. Tatsächlich kann man Korrigan in voller Schönheit nur einmal am Abend haben – wenn die Kopfnote verblasst, bleibt nur die Erinnerung und der leise Ausklang. Ein zu frühes Nachlegen bringt die schöne Kopfnote nicht oder nicht vollständig zurück – man verstärkt im wesentlichen damit nur die noch vorhandene Basisnote. Korrigan ist letztlich ein Gourmand-Duft für Parfum-Gourmets, nicht für Gourmands!

Schließlich passen die beiden Teile von Korrigan ausgesprochen gut zusammen – angesichts der unterschiedlichen Themen ist das keine Selbstverständlichkeit. Denn die meisten Gourmand-Düfte finde ich ziemlich unerotisch, und sinnliche Moschusdüfte sind dagegen nur selten lecker. Korrigan ist beides. Es gefällt mir damit auch deutlich besser als Lubin's Idole, der als direkter Vorgänger gelten kann. Denn auch dort gibt es eine spektakuläre, herrlich besoffene Kopfnote, darauf wird alles viel beliebiger und zurückhaltender. Dort fehlt mir noch die Klammer, welche wie im Fall von Korrigan den Drydown für den Gesamtduft in ein Konzept einordnet.

Das Auge riecht mit – nicht zuletzt wird man Lubin für die Gestaltung des cremefarbenen Flakons beglückwünschen müssen: eine Form, die mit organischen Rundungen der Hand schmeichelt, während die Kappe einerseits einen dynamischen Aspekt einbringt, andererseits aber auch an die archaische Strenge des Ethno-Themas von Idole erinnert.

Das stärkste Argument für Korrigan ist ganz simpel: seine Schönheit. Als Bettlakenduft bringt Korrigan wie kein zweites Parfum Zärtlichkeit und Intimität zum Ausdruck, weniger den wilden Sex. Und als Gourmand-Parfum duftet Korrigan viel leckerer als jedes vergleichbare Lebensmittel. Eine Praline oder ein Bonbon, welche so gut schmecken wie Korrigan riecht – das kenne ich nicht.
20 Antworten
Buchmensch vor 10 Jahren 62 15
7.5
Flakon
2.5
Sillage
2.5
Haltbarkeit
4
Duft
Abschied von Oma
In vielen Rezensionen klassischer Parfüms finde ich die Bemerkung »Das war der Duft meiner Oma!«, und in den allermeisten Fällen bedeutete das für den Rezensenten etwas Positives, eine schöne Erinnerung. 4711, echt Kölnisch Wasser, war das Parfum meiner Oma. Und die Erinnerungen daran sind für mich ziemlich traurige.

Meine Oma war eine kinderliebe, herzensgute Frau und ne eschte kölsche Mädsche. Ganz selbstverständlich pilgerte sie mit uns Kindern, wenn wir bei ihr zu Besuch waren, zum 4711-Haus in der Glockengasse, wo wir das Glockenspiel bestaunen und Zweipfenningstücke zu echten Medaillen prägen lassen konnten, und über allem lag der Geruch von Kölnisch Wasser. Bevor ich irgendwelches Parfüm besaß, hatte ich doch schon als Grundschülerin mein erstes 5ml-Fläschchen 4711, dazu kamen die allseits beliebten Erfrischungstücher, und ich wollte immer so einen schicken Erfrischungsstick haben …

Wenn ich den Geruch von Kölnisch Wasser beschreiben müsste, komme ich ins Schwimmen. Nach was riecht es? Nach Kölnisch Wasser, was sonst! Das hat sich so fest in meiner Nase festgefressen - stechend, zitronig, mit einem Hauch von Bergamotte, die man nur als passionierter Earl-Grey-Trinker identifizieren lernt, und alles in allem mehr wie ein Putzmittel als mit etwas, mit dem man sich zu Duftzwecken einsprüht. Ich habe 4711 nie als Parfüm empfunden, sondern mehr als ein übermächtiges Deodorant, mit dem erhitzte Haut im Sommer schön abgekühlt werden konnte, und es half auch gegen Mücken- und Bienenstiche, Brennesseln, Sonnenbrand (*schmerz*) und zur Desinfektion von Schürfwunden (*brüll!* *kreisch!*). Oma schwor auf ihr 4711, und was für Oma gut war, das konnte auch den Enkeln nicht schaden.

Aber meine Oma war nicht nur der liebste Mensch der Welt - sie war auch buchstäblich eine Frau ohne Eigenschaften, Interessen oder Hobbies. Ihr ganzes Leben lang war sie immer nur für andere da - hat nach dem Tod der Mutter den Stiefvater versorgt, verheiratet, verwitwet, zwei Kinder großgezogen und sich die nächsten dreißig Jahre lang von der eigenen großen Schwester und deren Mann terrorisieren lassen, immer getan, was von ihr verlangt wurde, und nie an sich gedacht. Und das ist längst nicht so positiv, wie das klingt. Als auf einmal die Schwester tot war, die Kinder aus dem Haus, der Schwager ein Pflegefall und selbst die Enkel groß, war niemand mehr da, der meine Oma brauchte, so wie sie gebraucht werden musste, und sich selbst zu brauchen hatte sie nie gelernt. Sie erkrankte an schweren Altersdepressionen, war lange in der Psychiatrie, und selbst hinterher, trotz Seniorentreff und Beschäftigungstherapie, war sie außerstande, ihr eigener Mensch zu sein.

Und am schlimmsten merkten wir das, wenn sie Geburtstag hatte. Sie ist sehr alt geworden - 95 Jahre - und ihre Geburtstage mussten immer groß gefeiert werden, obwohl sie meistens nur dabeisaß und seufzte und sagte »Mich hat der liebe Gott wohl vergessen.« Was soll man Oma schenken? Sie interessiert sich für nichts. Sie liest nicht. Sie hört keine Musik. Geht nicht aus, ins Kino, Theater, Oper. Und Blumen? Damit ist doch schon der Garten voll, und der macht so viel Arbeit … Fragte man Oma, über was sie sich freuen würde, fiel ihr immer nur eine Sache ein: Eine Kleinigkeit von 4711. Sonst nichts. Und so eilten mein Vater, seine Schwester, meine Cousine und mein Cousin, meine Geschwister und ich in die Glockengasse oder zum Douglas im Kölner Hauptbahnhof und kauften Kölnisch Wasser. Erfrischungstücher, Erfrischungssticks, Flaschen über Flaschen mit Kölnisch Wasser, die meine Oma dann in ihre Schublade legte. Sie bekam genug Kölnisch Wasser von uns, um darin Vollbäder nehmen zu können (nicht nötig, sie bekam ja auch den 4711-Badezusatz), aber ich kann mich nicht erinnern, dass sie jemals danach gerochen hätte.

Sie bekam jedes Jahr Kölnisch Wasser von mir, bis zu ihrem 90. Geburtstag. Das war das Jahr, in dem meine Vater die Riesenflasche mitbrachte. 800 ml in der Molanusflasche - das war Overkill, zum einen für uns andere Gäste, die wir da mit unseren bescheidenen 100 ml-Fläschchen standen, aber vor allem für meine Oma.Sie starrte die Flasche an, und in ihrem Gesicht las ich das Wissen, dass sie nicht mehr lange genug leben würde, um das Ende dieser Flasche zu sehen, und es war ein unglaublich trauriger Moment. Danach wünschte sich Oma zum Geburtstag lieber gar nichts mehr, und ich suchte Ausreden, um mich vor diesen entsetzlich beklemmenden, vorwurfsbelasteten Familienfesten zu drücken und besuchte meine Oma lieber unter dem Jahr, was ihr auch lieber war, denn der Trubel war ihr selbst viel zu viel.

Sie starb 2008, im November. Ziemlich genau fünf Jahre ist das jetzt her. Und ich kann bis heute kein Kölnisch Wasser riechen, ohne weinen zu müssen. Weniger um meine Oma. Als mehr um das Leben, das sie niemals hatte.
15 Antworten
Yatagan vor 10 Jahren 60 29
5
Flakon
7.5
Sillage
10
Haltbarkeit
7
Duft
2014 Gründe, warum Du diesen Duft an Silvester nicht tragen sollst
Im Jahre 2013 waren in Deutschland laut Kraftfahrzeugbundesamt 2537 Bentleys zugelassen. Das schließt die Uraltexemplare, die zeitweise stillgelegt und under reconstruction stehen, bereits ein. Diese britischen Luxuskarossen, zwischenzeitlich Ableger von Rolls Royce, inzwischen zum Volkswagen-Konzern gehörig, kosten soviel wie ein Eigenheim auf dem Land. Insofern nimmt es nicht wunder, dass nicht allzuviele Deutsche sich für den Kauf eines solchen Fahrzeugs erwärmen konnten. Nebenbei: Von den 2537 in Deutschland stehenden Wagen wurden mehr als 1000 gewerblich zugelassen, sei es als Firmenwagen, sei es als Showkarosse bei Autovermietern. Der potentielle Kundenkreis sollte also eher klein ausfallen: ca. 1500 Privatbesitzer, von denen nicht alle Duftliebhaber sein dürften.
Warum also erlebt ein solcher Duft hier und heute einen solchen Hype? Da muss doch was dran sein.

Ist es auch. Punkt. Bentley for Men Intense ist ein Spaßduft. Böse Menschen würden sagen: ein Duft für Leute, die gerne mit einem rosafarbenen Bentley durch Miami fahren. Wer das sein könnte, wird hier nicht verraten.

Bei allem Zynismus: Dummerweise muss ich zugeben, dass ich diesen Duft auch gar nicht so schlecht finde. Meine Wertung schwankt zwischen 70 und 80%. Weil Weihnachten war, habe ich mich für die höhere Wertung entschieden. Friede auf Erden! (Update: nach Weihnachten nur noch 70%)

Trotzdem werde ich diesen Duft nicht an Silvester tragen, auch wenn er derzeit der Hype aller Hypes zu sein scheint (s. Wertung auf Parfumo) und das solltest Du auch nicht.

Hier die Gründe im Einzelnen:

Du sollst Bentley for Men Intense nicht an Silvester tragen, weil dieser Duft zu dick aufträgt und deine Mitmenschen diesen dicken Pinselstrich nicht verstehen könnten.

Du sollst Bentley for Men Intense nicht an Silvester tragen, weil Dein Chef, der sich neulich einen neuen Bentley zugelegt hat, auf der Silvesterfeier deiner Firma keinen Zweiten mit diese Duft dulden würde.

Du sollst Bentley for Men Intense nicht an Silvester tragen, weil deine Frau oder dein Lebenspartner dezentere Düfte an dir bevorzugt und dich noch in diesem Jahr kalt abservieren könnte.

Du sollst Bentley for Men Intense nicht an Silvester tragen, weil diese Mixtur aus Gewürzen und Rumaroma mit einer schweren Basis aus Sandelholz und Weihrauch einfach ein wenig so riecht, als hätte die Parfümeurin schlicht alles zusammen gekippt, was derzeit als edel und chic in Düften gilt.

Du sollst Bentley for Men Intense nicht an Silvester tragen, weil Du deinen guten Geschmack mit einem Duft von Guerlain oder Caron viel unaufdringlicher und stilsicherer beweisen kannst.

Du sollst Bentley for Men Intense nicht an Silvester tragen, weil die wirklich guten englischen Duftmarken nicht Bentley heißen, sondern Harris, Trumper, Floris, Truefitt & Hill, Penhaligon's oder Woods of Windsor.

Du sollst Bentley for Men Intense nicht an Silvester tragen, weil viel nicht immer viel hilft.

Du sollst Bentley for Men Intense nicht an Silvester tragen, weil der Schnee dieses Jahr ausgeblieben ist und Du zu den sommerlichen Temperaturen besser ein leichtes, elegantes Cologne tragen solltest (z.B. Eau d'Orange Verte von Hermès oder Treffpunkt 8 Uhr als Kompromiss).

Du sollst Bentley for Men Intense nicht an Silvester tragen, weil Du jetzt schon ahnst, dass dieser Hype nicht allzu lange anhalten wird und Du dich im kommenden Jahr schon bald fragen wirst, wie Du nur auf die Idee kommen konntest, ausgerechnet zu Silvester diesen Duft zu tragen.

Du sollst Bentley for Men Intense nicht an Silvester tragen, weil dir dieser Duft für ordinäre Silvesterpartys viel zu schade ist und Du ihn lieber für dich zu Hause trägst: da fällt die wuchtige Duftwolke auch niemandem auf den Wecker.

Du sollst Bentley for Men Intense nicht an Silvester tragen, weil Du schon immer der Meinung warst, dass die Kombination aus Patchouli UND Weihrauch eigentlich nur etwas für Parvenüs oder für Männer wie Cary Grant ist, die sich auch Kombinationen wie blaues Dinnerjackett zur grauen Hose leisten (können).

Du sollst Bentley for Men Intense nicht an Silvester tragen, weil Du ein Liebhaber von Harris Tweed-Jacketts bist und diese sich nicht mit einem Duft vertragen, der den Namen eines pseudoenglischen Autos für Neureiche trägt (meine Empfehlung: Bristol Cars).

Du sollst Bentley for Men Intense nicht an Silvester tragen, weil Du nicht den selben Duft tragen willst, wie alle anderen Männer auf deiner Silvesterparty.

Du sollst Bentley for Men Intense nicht an Silvester tragen, weil dein guter Geschmack es dir verbietet und Du ohnehin eine Abneigung gegen Silvesterpartys hast. Du bleibst zuhause oder gehst ins Theater.

Alle weiteren 2000 Gründe sind unherheblich und müssen unerwähnt bleiben.

Wenn Du den Duft trotzdem tragen willst: Meinen Segen hast Du.

Vielleicht treffen wir uns ja auf der Silvesterparty bei M. in E.. Aber sei gewarnt. Untersteh dich und trage den gleichen Duft wie ich. Da verstehe ich keinen Spaß.
29 Antworten
Palonera vor 11 Jahren 58 20
7.5
Flakon
7.5
Sillage
7.5
Haltbarkeit
8
Duft
drei Wochen
Es war Liebe.
Ganz gleich, was wir heute sagen, um uns die Dinge zurechtzubiegen, um Entschuldigungen und Erklärungen zu finden, um das Stechen und Brennen, das Gefühl der Leere dort zu kaschieren, wo sie weh tut.
Wir lachen, als wäre nichts gewesen, reden von Narretei, von Kinderkram, von albernen Träumen, tun erwachsen und abgeklärt – und vermeiden jeden Blick auf das Bild, das uns beide zeigt.
Kopf an Kopf, Hand in Hand, noch keine zwanzig, damals im Orangenhain bei Pedreguer, ein Stück weit hinter Dénia.
Vor zwei Tagen war ich an die Costa Blanca gekommen, allein, nur einen Rucksack als Gepäck und in der klapprigen Ente, die bei jeder Steigung auseinanderzufallen drohte.
Es war Mai, die schönste Zeit des Jahres, drei lange Wochen lagen vor mir – Sonne, Sand, blaues Mittelmeer, im Hinterland die Sierra und vor allem: Einsamkeit.
Mehr wollte ich nicht, mehr brauchte ich nicht.
Keine Ahnung, warum ich anhielt, als ich dich an der staubigen Straße stehen sah, den Daumen hochgereckt.
Du hast gelacht, als du eingestiegen bist – und von diesem Augenblick an warst du bei mir.
Du brachtest mich dazu, barfuß den Montgó zu besteigen, weil ich nur Flip-Flops im Gepäck hatte, schwammst mit mir im Morgengrauen dem Sonnenaufgang entgegen, lagst mit mir in der Mittagshitze in der Hängematte im Garten deiner Großmutter, um uns der Duft der Orangenbäume und des Jasmins.
Deine Haut duftete warm und doch herb nach jener Seife, die es nur dort gab und die aus Zitronenschalen hergestellt wurde.
Die Nächte waren erfüllt vom Duft der Tuberosen neben dem Haus, vom Schweißfilm auf unserer Haut und dem Atem, der sich wieder beruhigte – bis zum nächsten Mal.
Wir erzählten und hörten zu, wir lachten und alberten, träumten und schwiegen, schwebend in einer Blase außerhalb von Zeit und Raum.
Drei Wochen lang.
Ich lachte, als ich ins Auto stieg, du trugst die blöde Sonnenbrille mit den verspiegelten Gläsern und wurdest im Rückspiegel immer kleiner.
"Ein Bauer", redete ich mir ein, "nur eine Urlaubsbekanntschaft – heul nicht, in zwei Wochen weißt du nicht einmal mehr seinen Namen!"
Zwei Wochen. Zwei Monate. Zwei Jahre.
Studium, Arbeit, Karriere.
Hier und da ein kleines Spiel für eine Nacht, manchmal auch mehr.
Fünfundzwanzig Jahre.
Vor mir liegt das Bild.
Kopf an Kopf, Hand in Hand.
Ich spüre, wie mein Herz schlägt.
In einer Stunde geht mein Flug, diesmal habe ich Wanderschuhe dabei.
Für den Montgó.
Falls du dort oben bist.
20 Antworten
Yatagan vor 11 Jahren 58 31
10
Flakon
5
Sillage
7.5
Haltbarkeit
9
Duft
Insel über dem Winde
Ich reise gern. Seit geraumer Zeit habe ich aber ein Ziel, das ich bisher weder erreicht habe noch in nächster Zeit erreichen werde: die Insel Saba. Saba gehört zu den Inseln der niederländischen Antillen in der Karibik, geographisch zählt man sie zu den sogenannten "Inseln über dem Winde". Saba ragt wie ein smaragdgrüner Kegel aus dem Wasser, Strände im eigentlichen Sinne gibt es keine, die Landepiste für Flugzeuge, die an der einzigen wirklich flachen Stelle dieses grünen Kegels liegt, gilt als einer der kürzesten der Welt. Eine Landung auf Saba hat wohl immer etwas Dramatisches, fast schon Endgültiges. Auf der Insel leben gut 1700 Einwohner, meist niederländischer Abstammung. Noch heute gehört die Insel zu den niederländischen Besitzungen in der Karibik und die Einwohner hegen auch nicht die Absicht, diese Abhängigkeit von Europa aufgeben zu wollen.

Fast unerreichbare Ziele haben ihren eigenen Wert, so wie ein Ideal, das man erreichen will, an dem man sich orientiert. Es sind Lebensziele, die der Zukunft ein Bild geben. Eines Tages werde ich auf Saba landen.

L'Instant erinnert mich deshalb so sehr an diese karibische Insel, weil er zwar exotische Düfte verbindet (Zitrone, Bergamotte, Anis, Kakao, Sandelholz, Hibiskus etc.), gleichzeitig aber auch die europäische Perspektive verrät, so wie Saba eine europäische Insel inmitten der exotischen Karibik geblieben ist: L'Instant ist kultiviert - nicht überschwenglich, Gentleman - nicht wilder Verführer, beherrscht - nicht euphorisch, genial durchkomponiert - nicht genialisch improvisiert.

Wie riecht es auf Saba? Natürlich weiß ich das (noch) nicht, aber in meiner Vorstellung verknüpfen sich die Gerüche der Insel mit meinem derzeitigen Lieblingsduft für den Alltag: L'Instand de Guerlain pour Homme, und zwar ausdrücklich mit der unprätentiösen, einfachen, ursprünglichen Version, nicht mit der Extreme-Variante, die ich wegen ihres starken Kakao-Geruchs, der mir dabei zu sehr im Mittelpunkt steht, nicht so sehr mag.

L'Instant ist wie eine frische Brise, die vom Meer herkommt und die Gerüche von exotischen Früchten und Pflanzen herbeiträgt. Im Zentrum steht zunächst die Zitrone, ein Auftakt, so wie ich ihn gerne mag. Ich liebe zitrische Düfte wie Annick Goutal Eau d'Hadrien, Monsieur Balmain, Truefitt & Hill West Indian Limes, Geo F. Trumper West Indian Extract of Limes, Fath Green Water und viele ähnliche mehr. Hier bei L'Instant ist die Zitrone aber kein Solitär oder so stark im Zentrum wie bei den oben Genannten, sondern von Anfang an gut eingebunden in florale Akzente und Bergamotte, sicherlich auch in den Duft der Grapefruit, die in besonders schöner Form in Czech & Speakes Citrus Paradisi ausgestaltet wurde. Grapefruit hat m.E. einen leicht animalisch kräftigen Duft, anders als die Zitrone, die nur hell, sauber und säuerlich riecht, anders auch als die Orange, die saftig und süß erscheint, oder als die Mandarine, die als Duft oft eine gewisse durchdringende Schärfe hat, im Gegensatz zu ihrer lieblichen Wirkung auf der Zunge. Beim Geruch von Grapefruit muss ich immer an etwas schwer Animalisches denken, so als mischten sich Gerüche des Körpers oder von welkenden Blumen in den Duft. Das erzeugt in gewisser Weise eine erotische Wirkung, deren Duft aber nicht jedermanns oder -fraus Sache sein mag. Vielleicht ist dies auch der Grund, weshalb die Extreme-Version dieses Duftes, bei der dieser Effekt nicht zutage tritt, beliebter ist als diese ursprüngliche Fassung.

Ist der Anis unterscheidbar? Ja und Nein. Anis an sich hat einen besonders markanten Geruch, bekannt aus diversen Alkoholika oder den charakteristischen Anisplätzchen. Als Gewürz in Gerichten ordnet sich der Anis jedoch stärker unter und das scheint mir auch hier der Fall zu sein. Er ist da, ohne sich in den Vordergrund zu drängen.

Wenn dann ein Duft Akzente von Lavendel, Zedernholz und Sandelholz enthält, hat er bei mir eigentlich schon gewonnen. Trotzdem muss man sagen, dass auch diese Komponenten, alles Duftnoten mit besonderem, klar unterscheidbarem Charakter, hier eher in die Gesamtkomposition eingebunden sind, sich zu einer großen Melange mischen, die die Unterscheidung der einzelnen Noten sehr schwer macht.

Dabei muss ich bei diesem Duft immer an eine Brise denken. Eine Brise, die von einer exotischen Insel herbei weht, deshalb auch nicht allzu beständig ist, schnell fortgetragen werden kann, obwohl ich mit der Haltbarkeit dieses Duftes zufriedener bin als manche meiner Vorredner. Einräumen muss ich aber, dass die Sillage mit der Zeit deutlich abnimmt. Dann ist der Duft nur noch für den Träger (oder die Trägerin) gut erkennbar.

Den exotischen Akzent vervollständigt dann die ganz dezente Kakaonote, die in diesem Duft und seinem Bruder, dem Extreme, offenbar nicht von jedem so deutlich wahrgenommen wird. Für mich ist sie, unterstützt vielleicht von Patchouli, das manchmal einen ähnlichen Charakter annehmen kann, gut unterscheidbar, bleibt aber bei L'Instant ganz im Hintergrund, anders als beim Extreme, wo sie für mich zu stark dominiert.

L'Instant ist für mich ein idealer Begleiter. Anders als meine Lieblingsdüfte von Guerlain, Heritage und Habit Rouge, muss ich nicht in der richtigen Stimmung sein, um ihn zu tragen. Durch die zitrische Erföffnung und den dezenten Auftritt aller Komponenten, die harmonische Melange, kann man ihn bedenkenlos wählen, wenn man morgens vor dem Büro einen Begleiter für die Arbeit benötigt, wenn man abends nicht zu stark auffallen möchte (im Theater?), wenn man bei der Damenwelt (hoffentlich) keine machohaften Auftritte bevorzugt, wenn man elegante oder sogar lässige Kleidung unterstreichen möchte. Das dürfte schon fast eine vollständige Aufzählung aller denkbaren Gelegenheiten im Alltag sein. Und doch lässt sich noch etwas ergänzen: Ich liebe auch Düfte, die ich nur für mich selbst trage, die ich immer wieder auf meiner Haut oder auf meiner Kleidung riechen, deren Entwicklung ich voller Spannung verfolgen möchte. Auch für solche Gelegenheiten ist L'Instant geignet, kann er doch die Stimmung heben und leichter Melancholie vorbeugen, noch lange ein Gefühl von Beschwingtheit zurück lassend, so wie der Traum von einer Insel.
31 Antworten
Michelangela vor 11 Jahren 58 16
10
Flakon
7.5
Sillage
7.5
Haltbarkeit
10
Duft
DAS PURE ENTSETZEN!
Als der bekannte Parfumeur Jean Carles im Auftrag von Elsa Schiaparelli ein unvergleichlich erotisches, vulgäres und unwiderstehliches Parfüm zusammenbraute und unter dem Namen "Shocking" (das Entsetzen) veröffentlichte, erzählte man sich, dass man den Kiefer von Coco Chanel auf die Pflastersteine der Rue du Faubourg Saint Honoré schlagen hörte!
Erstaunen oder pures Entsetzen?
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Obwohl ich unverhohlene Verehrung für Mademoiselle Gabrielle hege, mußte ich herzlich lachen, als ich diesen Satz während meiner Recherchen zu lesen bekam! Die Feindschaft der beiden Damen ist leicht nachzuvollziehen: Strebte Coco Eleganz, Contenace und Schlichtheit in ihren Kreationen an, so präsentierte Elsa die ihren eher schrill, provokant und skandalös.
Zwei gegensätzliche Personen mit zwei ebenso gegensätzlichen Parfums.
Während Chanel N°5 unverhohlen elegant und nur hinter vorgehaltener Hand als "sexy" beschrieben wurde, galt Shocking als die Inkarnation des Verwerflichen und vulgären!
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Shocking beginnt mit einem vollen Bouquet überreifer Orangenblüten, kräftigem, dunklen Estragon und einer betörenden, fast schon berauschenden Duftverlockung der Narzisse. Das ganze wird von exotischen Nelken untermalt, auf denen zuvor ein paar Zibetkatzen ihre persönliche Visitenkarte hinterlassen haben. Zerwühlte schlüpfrige Laken, gehüllt in den Duft von Moschus, Opiaten und süßem, angenehm duftenden Lustschweiß - eine handvoll Rosenblüten - zerdrückt von warmen, sich liebenden Körpern - die nun auf einem weichen Mantel aus Eichenmoss ruhen.....
Ein Duft wie eine Droge, bei dem man immer sicher sein kann, dass einige Menschen ihn abgöttisch lieben und andere ihn absolut ekelerregend finden würden!
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Natürlich machte dieser Duft Schlagzeilen...
was sonst hätte man auch von einer Designerin erwarten können, die unsere Welt schon mit dem Hummer-Kleid, Trompe L'oeil Pullover oder einem Schuh-Hut erschütterte.
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Fast 20 Jahre gehörte Shocking zu den begehrtesten Parfums der Welt.
Von den Tagen an, als der blasse Prinz Edward für eine "Bürgeliche" ein Königreich wegwarf, durch den zweiten Welt Krieg bis ins Zeitalter von Sophia Loren, Marilyn Monroe und Jayne Fonda hatte Shocking seinen Höhepunkt. Es war das Parfüm der Femmes Fatale, die Gardenien in ihrem Haar trugen, französische Zigaretten rauchten, Tango tanzten und den Namen jedes Nachtclubbesitzers zwischen Paris und New York kannten. Frauen, die sich trauten!
Und dann änderte sich der Zeitgeist....
Youth Dew und Charlie eroberten den Markt und Mitte der 70er Jahre war Shocking ebenso so schwer zu finden, wie es einem blinden Huhn mit einem Korn gelingen würde.
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Die liebenswerten Verrücktheiten der Schiaparelli feierten ihre größten Triumphe in den exaltierten Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg: Wiederaufbau; Restauration und Diors New Look schufen ein Klima, das schöngeistigen Paradisvögeln ihrer Art selten zuträglich ist. 1954 schloß Elsa Schiaparelli ihren Salon an der Place Vendome, zog sich zurück und schrieb ihre Memoiren.
Shocking wurde entworfen, um die eigene Persönlichkeit der Schiaparelli widerzuspiegeln, "shocking pink" nannte sie den Nerv der Farbe Rot - eine Signatur, ein Markenzeichen, nachdem sie auch ihre Biographie benannte: "Shocking Life".
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Doch das ist noch nicht alles...
Gemäß der Duft-Rezension wurde die Formel für Shocking von Martin Gras 1997 neu entworfen und das "neue und (angeblich) unverbesserte" Shocking von Schiapparelli Benessere 1998 wieder auf dem Markt eingeführt.
Aber das ist nicht mehr der Stoff der einstigen Legende! Es ist zwar dieselbe bernsteinfarbige Flüssigkeit wie beim Vintage und wird auch in einem Flakon, der wie ein Rumpf gestaltet ist, präsentiert, aber der Schein trügt!
Sobald sich die Aldehyde und der bergamottige Auftakt verzwiebelt haben, öffnet sich ein Herz aus dunklen Blüten, ein freundliches Aufflammen der betörenden Narzisse, dazu Nelke und Honig. Hier und da sticht eine krautige Note hervor, die sich aber nicht wirklich fassen lassen will. Die Katze im Duft wurde von Monsieur Gras einfach gekillt und durch ein Stofftier ersetzt. Ja gekillt - nicht nur Krallen, Barthaare und Schwanz gestutzt, sondern definitv TOT! Kein Pipi, keine verschwitzen Laken und auch keine schmutzigen Gedanken prägen das Bild...
Die pelzige Basis von Patchouli und Holz schmilzt nahtlos mit dem Honig zusammen und hinterlässt ein warmes, wohliges Gefühl.
Diese Version dürfte schon fast wieder für die höfliche Gesellschaft und die Frau des Hochwürden passen...
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Fazit und persönliche Erkenntnis:
Vor mir stehen ein kleines Vintage-Extrait und ein Sprühflakon der neuen Version. Auf jedem meiner Handrücken schwebt der Schleier der jeweiligen Version des Duftes.
Es ist ein unverkennbarer Unterschied auszumachen und dennoch ist und bleibt es Shocking.
Die Änderung der Formel hat so manchem eingefleischten Shocking-Fan das pure Entsetzen entlockt! Doch inzwischen ist es ja allgemein bekannt, dass Düfte reformuliert werden und ich erfreue mich der Tatsache, dass ich "überhaupt" noch in den Genuss kommen darf, so eine alte Legende in olfaktorischer Form miterleben zu dürfen. Auch wenn die Special Effekts etwas verändert wurden - die Geschichte lebt weiter.
Daher möchte ich keinesfalls behaupten, dass die Neuauflage schlecht ist. KEINESFALLS! Doch bei der Neuauflage handelt es sich nicht mehr um einen skandalösen Duft! Ich erlaube mir, ihn in die Kategorie von Düften wie z.B. "Tabu" von Dana oder "Habanita" von Molinard einzustufen. Dunkel, weich und sehr lasziv - aber ein "Entsetzen" kann er mir nicht entlocken! Wenn ich in der Stimmung dafür bin - wenn es kalt ist und ich will, dass mich etwas Großes und Warmes hält - greife ich danach. Er hat eine wunderbare Silage und überdauert fast den ganzen Tag.
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Was das Vintage betrifft:
So öffne ich noch einmal das kleine Extrait und einen Augenblick träume ich davon, eine von jenen schockierenden Ladies zu sein, die sich frech und ganz selbstbewusst - mit übergeschlagenen Beinen, im Hummerkleid an der Reling eines Überseedampfers platzieren, während die Blitzlichter der Paparazzis auf sie hinabprasseln....

Was für ein großes Glück, noch einen pre'97 Flakon in die Finger zu bekommen....

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Kurze Info über Elsa Schiaparelli:
Sie war und bleibt der Paradiesvogel unter den Pariser Couturiers: Schillernd, shocking - wie sie auch dieses Parfum taufte - und exzentrisch aus Lust, Laune und Überzeugung. Elsa Schiaparelli (1890-1973), gebürtige Römerin, Freundin der Dadaisten und Surrealisten und selbst Schöpferin von wundersamen Kunstwerken aus Stoff, Imagination und Inspiration, schrieb in der Zeit zwischen den Kriegen ein Kapitel Modegeschichte, das zu den originellsten und poetischsten der Haute Couture zählt. Als sie sich 1922 in Paris niederläßt - frisch geschieden, mittellos und eine dreijährige Tochter am Rockzipfel-, findet sie im Kreis der Avantgarde-Künstler nicht nur rasch Aufnahme, sondern auch ein Klima vor, das ihre verwegene, verspielte, jedenfalls unerschöpfliche Phantasie zum Handeln beflügelte...
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