Top Rezensionen

2024
Yatagan vor 4 Monaten 81 125
8
Flakon
6
Sillage
7
Haltbarkeit
5
Duft
Was passiert, wenn Dior den New Look neu definiert
Unkommentierte Düfte No. 178

Der sog. New Look bezeichnet einen neuen Stil in der Damenmode der 50er Jahre, der figurbetont und feminin war und von Christian Dior ab Frühjahr 1947 präsentiert wurde. Alles weitere weiß Wiki besser.

Da Dior damit seinerzeit die Damenmode revolutionierte, handelt es sich hier um ein für Dior besonders prestigeträchtiges Label, bei dessen olfaktorischer Umsetzung besondere Sorgfalt zu erwarten war. Nun ist Francis Kurkdjian durchaus jemand, der es könnte, steht allerdings eher für artifizielle Düfte, und zwar sowohl bei den schweren Düften wie "Baccarat Rouge 540 (Eau de Parfum) | Maison Francis Kurkdjian" als auch bei den hellen Colognes wie "Gentle fluidity (Silver) | Maison Francis Kurkdjian". Nahezu alle Düfte zeichnet eine durchaus künstlerisch ambitionierte Synthetik aus: artifizielle Düfte eben.

So auch der neue "New Look | Dior". Das Ergebnis ist m.E. ernüchternd: Im Zentrum der Komposition stehen Aldehyde, die ich durchaus zu schätzen weiß, wenn sie gut eingebunden sind, etwa in florale, ambrierte oder orientalische Kompositionen. Hier jedoch sorgt die Kombination mit Weihrauch, der nicht etwa schwer und sakral, sondern hell, silbrig, ätherisch daher kommt und die künstlich prickelnde Wirkung der Aldehyde unterstreicht, dafür, dass der New Look zu einem Synthetic Look wird. Mir fehlt das Fleisch, die Basis, die Grundierung, die Farbe: der Duft wirkt - synästhetisch betrachtet - grau, weiß, silbern, im eigentlichen Sinne kalt, ganz anders also als der New Look von Dior. Man kann das natürlich durchaus mögen. Ich kann es nicht würdigen.

Was Christian wohl dazu gesagt hätte?

125 Antworten
Yatagan vor 1 Monat 81 86
8
Flakon
8
Sillage
9
Haltbarkeit
8
Duft
Ariadnefaden
Unkommentierte Duft No. 180

Tilia ist der lateinische Name für Linde und legt damit eine Spur, die ein wenig in die Irre führen könnte, aber wie der Faden der Ariadne den Weg aus dem Labyrinth weisen kann. Zunächst ist für mich Heliotrop dominanter, der sehr charakteristisch duftet und m.E. immer eine etwas mattierte, eigenwillig cremige Pudrigkeit verströmt. Auch Ginster erscheint mir plausibel und unter diesem Gerüst ist dann auch die Lindenblüte erkennbar, wenn auch weniger stark und charakteristisch als in "Lindenblüte | Parfum-Individual Harry Lehmann" oder "Tilleul (1995) | d'Orsay" und anderen vergleichbar intensiven Lindenblütenparfüms, die ich zwar schätze, die aber zuweilen eine so schmerzliche Süße verströmen, dass sie wie melancholische Erinnerungen wirken. Hier wurde damit stilvoll und mit Raffinesse umgegangen und die Komposition passt in Summe, wirkt wie aus einem Guss, und vielleicht gehört ja auch der o.g. Jasmin und Vetiver zu diesem stimmigen Gesamteindruck, auch wenn ich sie mir allenfalls einbilden kann.

Wie man synthetische und geradezu inflationär gebrauchte Duftstoffe wie Amboxan gut einbinden kann, zeigt dieser Duft ganz nebenbei ebenfalls: Alles wirkt ein wenig wie stark duftende Hautcreme - und das ist nicht plakativ, sondern sogar ein bisschen sexy.

An diesen Gedanken anschließend, möchte ich noch betonen, dass der Duft m.E. sehr feminin ist, was nicht ausschließt, dass ihn Männer tragen sollten, womöglich gerade diejenigen mit maskuliner Aura, um ihren weiblichen Schatten zur Geltung zu bringen (psychoanalytisch gesprochen).

Der Duft hat übrigens einen Nachteil, den hier viele als Vorteil empfinden könnten: Er hat eine starke Ausstrahlung in Bezug auf Sillage und Haltbarkeit; für mich des Guten zuviel, denn ich schätze leichtere, dezentere Düfte. Ein Sprühstoß hat mich den gesamten Nachmittag und Abend begleitet. Dennoch: wieder ein großer Wurf von Barrois - ganz im Stile von "Ganymede (Eau de Parfum) | Marc-Antoine Barrois", der vollständig anders riecht, aber Synthetik und klassische Komposition ebensogut verbindet.
86 Antworten
Yatagan vor 3 Monaten 81 109
7
Flakon
7
Sillage
8
Haltbarkeit
7
Duft
Wie Sie erfolgreicher Parfumeur werden können
Wenn Sie sich mit dem Gedanken tragen, eine erfolgreiche Parfumeurin oder ein erfolgreicher Parfumeur werden zu wollen, dann hätte ich hier ein paar wirklich gute Tipps für Sie:

1. Verwenden Sie Oud, synthetisches reicht völlig (natürliches überfordert ohnehin die meisten Nasen), denn Oud muss rein! Ohne Oud sind Sie nicht am Puls der Zeit und schlecht riechen tut es ja nun wirklich nicht.
2. Verwenden Sie Himbeere: Himbeerketon ist prima, wird auch in der Lebensmittelchemie verwendet, ist billig und kommt einer echten Himbeere immerhin nahe. - Damit haben Sie diesen Vibe von "Tuscan Leather (Eau de Parfum) | Tom Ford" - und der hat sich ja nun wirklich nicht schlecht verkauft.
3. Karamall wäre gut, mag ja jede:r, und ist überdies mit Maltol leicht und billig nachzubasteln. Der Gourmandtrend hält sich schließlich hartnäckig, obwohl er schon dutzendfach totgesagt wurde.
4. Pfeffer muss auch noch rein, denn Männer mögen das Prickeln auf der Haut und Frauen mögen das Prickeln an Männern: vice versa!
5. Ohne Amber geht gar nichts! Damit ist natürlich nicht echtes Ambra gemeint (viel zu teuer, Sie Naivling...), sondern ein synthetisches Substitut und da käme natürlich vor allem Ambroxan, ein aus Sclareol synthetisierter Duftstoff, in Frage.
6. Idealerweise riecht das dann alles ungefähr so (und gar nicht mal schlechter) wie ein bereits bekannter Duft, z.B. ganz zufällig wie "Oud for Greatness | Initio" , der teuer, erfolgreich und bekannt ist - und schon sind Sie eine gemachte Frau oder ein gemachter Mann.
War ja gar nicht so schwer!

ist das nun alles schlecht? Eigentlich nicht, denn das riecht ja gar nicht übel, auch wenn Sie sich jetzt damit abfinden müssen, dass an jeder Ecke jemand so riecht wie Sie und Ihre Abnehmer:innen, aber es gibt schließlich Schlimmeres.

Viel Erfolg!
109 Antworten
Ponticus vor 4 Monaten 69 63
9
Flakon
7
Sillage
7
Haltbarkeit
9.5
Duft
Die Schwere und die Leichtigkeit des Seins
Endlich! Die turbulenten Tage sind vorbei, die Tage vor den Tagen, die Tage zwischen den Tagen, die Festtage an sich und nun fast auch die Tage nach den Tagen. Die Vorfreude war ja noch recht schön, die Feiern selbst sind ihr aber inzwischen zu hektisch, zu laut, zu viele Meinungen, Rücksichten und Veränderungen des gewohnten Tagesablaufs. Die Welt um sie herum verändert sich schnell, zu schnell für sie und auch schneller als früher. Das liegt nicht nur daran, daß sie schon alt ist und taperig. Sie will auch nicht mehr an allem teilhaben. Die fahlen, grauen Haaren hängen ihr strähnig über ein Gesicht voller Falten und tiefer Furchen, die so ein langes Leben zu oft und zu deutlich als Spuren hinterlassen. Es macht sie auch nicht froher, daß sie ihr Schicksal sicher mit tausenden anderer Frauen teilt. Ihr Lebensmut, ihre Lust auf Neues und ihr Glücklichsein scheinen in der Vergangenheit begraben.

Nun hat sie sich wieder in ihre eigene kleine Welt in ihrem Zimmer zurückgezogen und betrachtet ihre weihnachtlichen Gaben, alle noch akkurat verpackt und ungeöffnet. Auch wenn alle unterm Baum riefen, auspacken, auspacken, bitte auspacken, bewahrte sie sich, wie immer, diesen persönlichen Moment für später auf. Jetzt ist Ruhe, jetzt ist Stille und sie erspähte das Geschenk ihrer Urenkelin. Diese ist ihr die Liebste von allen, denn sie erinnert sie mit ihre Liebe zu Tanz und Rockabilly Partys sehr an ihre eigene Jugend. Als aufmerksame, interessierte Zuhörerin ist sie auch an ihren alten Geschichten interessiert und die ergraute Uroma kommt dem gerne nach. Durch die Erzählungen sowie dem Schwelgen in fernen Erinnerungen fühlt sie sich junger und diese Stunden gehören mittlerweile zu den wenigen frohen Momenten ihres Lebens.

Die dem Geschenk angehängte Karte beiseite legend, öffnet sie das kleine Päckchen und ein hübscher Flakon von Guerlains Shalimar Cologne lacht ihr ins Gesicht. Shalimar ist ihr Parfüm! Bereits als junges Mädchen begeisterte sie sich für diesen trockenen, vanilligen Blütenduft, mit dem sie sich damals schon sehr erwachsen fühlte. Ihre freundlichen Art, die Petticouts, hübsche, weite Röcke und natürlich ihr Duft machten sie zum Mittelpunkt auf dem Tanzboden und begehrt auf jeder Party. Ihr altes Herz hüpft ein wenig bei diesen Gedanken.

Das Cologne von Shalimar kannte sie jedoch nicht. Die erste Sprüher zeigen aber, es ist Shalimar. Diese leichte und doch intensive Shalimararomatik überzeugte sie sofort. Der Duft ist, wie im originalen EdT, schon ganz Dame und kommt doch in seiner Leichtigkeit sehr mädchenhaft daher. Das Aroma der markanten Blütenmischung besticht durch den gewohnten Charme, erscheint aber auch sehr jugendlich und frisch. Ohne den Geruch des Blütengebindes zu erdrücken, legt sich in Bälde eine gut austarierte, warme Vanille über das Bouquet und läßt auch noch einen Platz für leicht rauchige Facetten und einen Hauch von wildem Leder. Etwas süßlicher Schmelz in der Art von Lipgloss hält balsamisch dagegen. Die Vanille bildet im Verlauf zusammen mit der Tonkabohne ein göttlich duftendes Gespann, welches das himmlische, warm-würzige Blütenarrangement wie auf Händen durch einen sanft-rauchigen, leicht süßen Pudernebel trägt. Der Wohlgeruch dieser Komposition fügt sich, genau wie schon im Original des EdT, im Finale zu einem grandios duftendem, harmonischen Ganzen.

Das Grundgerüst des Geruchs von Shalimar ist im Cologne, im EdT und im EdP gut vergleichbar. Das Cologne beeindruckt vor allem mit seiner Leichtigkeit und das trotz des erhalten gebliebenen intensiven Duftes, der das Fehlen der gewohnten Schwere und Tiefe durch frische Quirligkeit, Agilität und Vitalität mehr als ausgleicht. Die freundliche Unkompliziertheit machen das Cologne für einen breiteren Einsatz akzeptabler und auf etwas andere Art als das Original ebenfalls sehr verführerisch.

Der alten Dame liefen ein paar Tränchen über ihr faltiges Gesicht, aber ihre Augen leuchteten. Der Grund war nicht das wunderbar duftende Cologne, das inzwischen ihr Zimmer ausfüllte, noch die wärmenden Gedanken mit der der Duft sie in ihre leidenschaftliche Jugend entführte. Ihre Hände zitterten ein wenig, als sie zum wiederholten Male die Karte laß, die dem Geschenk beigegeben war, „Für meine im Herzen jung gebliebene Oma ein leichter Duft der Erinnerungen. Deine dankbare Zuhörerin“.

Herzlichen Dank und auch für Euch alles Gute im neuen Jahr!

63 Antworten
Nutmeg vor 3 Monaten 62 11
10
Flakon
7
Sillage
8
Haltbarkeit
8.5
Duft
Missionarsstellung wäre ein noch blöderer Name gewesen oder Marketing ist auch kein leichtes Brot
Tatsächlich hatte ich mich schon schadenfreudig auf eine Art Vanille-Waterloo eingestellt.

Backvanille, Bibergeil und Jasmin und fertig ist das Meisterwerk.
Ich hätte darauf gewettet.
Und fragt mich nicht wieso ausgerechnet Jasmin.

Aber er ist tatsächlich gut.
Ich meine nicht "er verursacht weder Migräne noch Übelkeit" - gut sondern "für einen zivilisierten Preis würde ich ihn kaufen" - gut.

Seit längerem endlich wieder ein Tom Ford Duft mit einem gewissen Alleinstellungsmerkmal. Mir fällt kein anderer ein der diesen Vibe so einfängt.

Wie der Name schon andeutet findet hier Vanille in jeder Form statt. Vanilleschote, Vanillezucker, Vanilleduftbäumchen. Backvanille. Vanille Vanille Vanille. Erstaunlicher Weise wird sie trotzdem nie zuviel und Blütenteppich und Mandelsprenkel machen daraus einen sehr tragbaren und interessanten Duft.
Sogar die Performance ist mehr als in Ordnung. Auf Kleidung riecht man den Duft wahrscheinlich noch in zehn Jahren. Falls man kein Fan von Hygiene ist.

Achso, der Sex. Keine Ahnung wo der sein soll. Animalik nehme ich überhaupt nicht wahr.

Das muss beim Brainstorming der Marketingabteilung ungefähr so abgelaufen sein:

- Wie wäre es mit Vanilla Sex. Das ist platt genug um Aufmerksamkeit zu erregen. Und die Kunden vermuten gleichzeitig eine erotische Komponente. Erotische Wirkung zieht immer.

- Gni Hi Hi.
Der hat Sex gesagt. Pffffft.

- Hubert, reiß dich zusammen. Hast du dir endlich einen Preis überlegt.

- Öhm. Drölfzighundert Golddukaten ?

- Ja das ist sehr gut kalkuliert. Der Ford hat immer viel zu wenig verlangt. Künstler, was will man erwarten.

Und da wären wir schon wieder bei der viel besungenen Preispolitik.
Hat meiner Meinung nach in Rezensionen nichts verloren. Außer es ist der einzige Grund das Parfum nicht zu kaufen.

Es ist der einzige Grund das Parfum nicht zu kaufen.

11 Antworten
Floyd vor 20 Tagen 56 48
8
Flakon
8
Sillage
8
Haltbarkeit
8
Duft
Mit den Geistern vergangener Zeiten
Magst Du mit mir in die Wälder kommen? Ich hab noch ein halbes Kräuterbonbon, das könnten wir uns teilen. Du kannst mir vertrauen. Es gibt dort ganz viele Tannen, sie nadeln wie im Regen nach den Weihnachtstagen. Du brauchst keine Angst zu haben. Sind Rosengeranien, die sich darin ranken, weshalb dort scharfe Nebel wabern, wie die silbernen Wolken aus den Haaren um meine kalten Augen. Willst Du wie ich einen Moosmantel haben, den selben, den unsere Großväter trugen? Geh weiter und er wird Dir wuchern. Siehst Du die dunklen seifigen Spuren wie weiche Furchen in den erdigen Böden zwischen den dürren feuchten Stämmen? In deren langen braunen Schatten noch schleichen Moschusfährten, unsichtbar zwar und doch verflochten mit den Geistern vergangener Zeiten.
**
Erst seit 2017 kreiert der kalifornische Autodidakt Manuel Cross Düfte für sein eigenes Rogue-Label. Wer ein paar seiner Parfums gerochen hat, wird dessen ureigene DNA blind erkennen können, sind es doch zumeist schwere, erdige, eher Vintage-orientierte Moose, die in Verbindung mit balsamischen Noten seine Düfte tragen, so auch in "Targhee Forest", der sich dem gleichnamigen National Forest im Nordwesten der USA widmet.
Man betritt diesen Wald durch einen schroffen, kühlen Nebel aus ätherisch grünem Wüstenbeifuß, feuchten Koniferennadeln und scharfer, leicht Haarspray-artiger Rosengeranie. In Verbindung mit Nuancen von Tannenbalsam kann man entfernt auch bald mal an ein Kräuterbonbon denken, jedoch eher eines der schärferen Sorte, bevor das Cross-typische Eichenmoos schwer erdig, dezent seifig und in Kombination mit dem Moschus auch minimal animalisch wirkend sich dominant unter die hellen Aromen schiebt. Ein Retro-Moos, wie man es noch von den Düften der Väter und Großväter kennt. Patchouly trägt dabei seinen Teil zum feucht-erdigen Gesamtcharakter bei, Zeder färbt dunkel-holziger, das Tannenbalsam ist ein vergilbter, harziger Film, durch welchen man diesen Wald betrachtet, der deutlich bis moderat und auf meiner Haut überdurchschnittlich lange seine Bilder projiziert. Eine herrliche Zeitreise in die Vergangenheit.
48 Antworten
Floyd vor 3 Monaten 56 49
8
Flakon
7
Sillage
8
Haltbarkeit
9.5
Duft
Take up thy caleidoscope and walk
Auf Deiner Suche nach neuen Küsten schaust Du durch Fleisch von Limettenbaumwurzeln wie durch ein Theaterglas. Du spürst keine Wellen, da ist nur etwas Salz vor dem Bug in den wogenden Nebeln, drin wirbeln Tropfen von Zitrusölen wie Gischt der Flora fremder Inseln. Nimm Dein Kaleidoskop, beginne zu gehen. Zypressenkronen erscheinen, verschwinden im Weihrauch über den Stränden, dahinter erspähst Du fellige Böden, die atmend sich heben und senken. Bäuche von Klippschliefer-ähnlichen Wesen, warmwürzige Ambra-Blasen, die wie fließende Dias in Honig zerplatzen, zeitlupenartig über schmutzigen Blüten, die sich winden am Boden, welkend verleben, eins werdend mit den harzigen Erden.
Oh, Fiona, das solltest Du sehen! All die ledernen Osmanthusblüten in seidig schimmernden Biberkleidern. Wie die Harzkörnchen neue Bilder erzeugen, wann immer wir am Prisma drehen. Wie die Sandelholzplanken zu Staub nun verwehen, zu sanftem Rauch über morschen Rinden, fernen Wolken von Belugavanillen, die sich spiegeln in dunklen Bernsteinseen im Herzen der innersten Inseln.
**
New Oceans And Meridians (N.O.A.M. Botanical Perfumes) ist ein olfaktorisches Raumzeitreisebüro, verlässt bekannte Küsten, erschafft bildgewaltige Kunst, umgibt Dich mit fernen Orten, hüllt Dich in Abenteuer und ist dabei absolut tragbar. Das Schweizer Label verwendet für seine komplexen Kompositionen ausschließlich hochwertige natürliche Rohstoffe. Es pflegt den persönlichen Kontakt zu kleinen Destillen, Händlern und Herstellern. So ist es auch diesmal wieder die Rarität der teils kostspieligen Materialien, welche die kleine Manufaktur dazu zwingt, die Auflage auf zwanzig Flakons zu beschränken.
Dass man bei jedem Tragen immer wieder neue Facetten darin entdeckt, ist wohl der Grund für die Namensgebung. "The Ambergris Caleidoscope" beginnt mit hellgrünen, wurzelig-hesperidischen Noten (Kaffernlimette, Bergamotte) über sanft animalisch-harzigen (Hyraceum, Elemi) Aromen. Manchmal ist es auch eher das Neroli, das sich in der Eröffnung mit Weihrauchharzen zeigt, durchwoben von der ätherischen korsischen Zypresse. Unter der dezent salzigen Ambra werden bald auch die animalischen Noten etwas deutlicher, werden der warmwürzige vegane schwarze Moschus-Attar und das Hyraceum mal von leicht indolischem Jasmin unterstrichen, dann wieder von ledrigen Facetten (Zibet, Osmanthus). In dieser Phase erinnert mich der Duft entfernt an Fiona von TSVGA. Ein Labdanum-artiger Honig bildet zunächst neben der Ambra das Rückgrat des Herzens, changiert mit morschen Rinden (Oud) vor einem rauchigen Hintergrundrauschen von Sandelholzpulver, dunkler Vanille, Black Sacra Incense und verschiedenen Harzen. In der Basis bilden vor allem Amber und Benzoe die Tiefe des Sees darunter, welche noch lange Zeit auf der Haut erhalten bleibt. Das Kaleidoskop ist in seiner Komplexität der Noten erstaunlich transparent und vielschichtig und bleibt moderat in seiner Projektion.
49 Antworten
Turandot vor 1 Monat 54 21
8
Flakon
7
Sillage
9
Haltbarkeit
9.5
Duft
Ein neuer Stern am Dufthimmel...
...und was habe ich nun davon? Wie lange hoffte ich schon, mal wieder einen "echten", ja "richtigen" neuen Guerlainduft zu entdecken. Fast hätte ich die Hoffnung aufgegeben, hatte schon ketzerisch vermutet, die modernen Guerlainnasen können es halt einfach nicht. Aber weit gefehlt, sie können es schon noch - und wie. Aber ich werde wohl nie mehr, als mit ein paar Tröpfchen zum Testen, sozusagen einen Blick durchs Schlüsselloch in höhere Guerlaindimensionen blicken dürfen.

Mit Perle Impériale hat Guerlain wieder einen Duft geschaffen, den ich schlicht und ergreifend vollendet, ja perfekt nennen möchte. Seidig, schmeicheln, schimmernd wie Perlen, zart pudrig und doch niemals süß oder gar schwer schwebt der Duft über meiner Haut. Es mag ja sein, dass geübte Nasen die Feige, das Sandelholz oder ein weiches Leder erkennen können. Die Haltbarkeit ist auch erstaunlich, denn im Grunde ist das bei aller Eleganz und allem Ausdruck doch ein zarter Duft. Er flüstert, aber was er flüstert ist Poesie, ist Harmonie, ist einfach vollendet. Ich kann nur das Ergebnis genießen und habe gar keine Veranlassung, auch nur den Versuch zu unternehmen, die Rezeptur aufzudröseln.

Bin ich nun wirklich traurig, den Duft niemals wirklich mein Eigen nenne zu dürfen? Fast trifft das zu - aber ich will mich lieber drüber freuen, dank Parfumo zumindest mein "Achtel-Lorbeer-Blatt" genießen zu können. (Geklaut bei Reinhard Mey) Also schweig ich fein still und beschreibe Glück einmal mehr damit, einen neuen Guerlainduft erleben zu können.
21 Antworten
Floyd vor 3 Monaten 52 46
7
Flakon
7
Sillage
7
Haltbarkeit
9
Duft
The Darker Sounds, Vol.54
Wie lange wohl ist es schon dunkel. Wie viele Tage schon bin ich im Schuppen. Polarlichter flimmern mit den klammen Böden in grünen Wellen durch die beschlagenen Scheiben. Sie rinnen über die Lackfarbendosen, die alten Autoreifen. Liegen noch Tannen aus fernen Tagen, im Sommer vergangen, längst vergessen, die durch Risse in alten Farbeimern knorrige Wurzeln schlagen. Da fließen Flechten aus ihren Nadeln wie verzweigte Amöben aus Terpentin, die über ausgebauten Rückbänken, geflickt mit öligen Lederlumpen, den frisch gestrichenen hölzernen Wänden wie lebende Organismen mäandern. Sie starren mit mir aus den Fenstern. Dorthin, wo die frierenden feuchten Wiesen sich mit dem nassen Asphalt der Straßen in die boreale Nacht ergießen. Man kann sich schon allerhand einbilden. Da sind keine Übergänge zu sehn, nur kondensierende Wärme über atmenden Rücken wilder Silhouetten.
**
Fischersund, das Label von Jón Þór Birgisson, dem Sänger und Gitarristen der isländischen Postrockband Sigur Rós, vertreibt neben den eigenen Düften auch Kunstgegenstände. Das Haus versteht sich selbst als begehbares Kunstwerk, ständigem Wandel unterworfen. Es sei "a place where people can come and rest in their senses, a space that communicates directly with your senses, be it through smell, sound, touch or taste." Die Düfte der dunklen 'Skammdegi' Serie (No.23, No.54 und Flotholt), erzeugen diffus kühle Bilder karger nordischer Landschaften.
"No.54" verbindet den Geosmingeruch feuchter Erde, nasse Gräser und würzige Flechten der borealen Nacht scheinbar mit dieser Kunstwerkstatt. Die natürlichen, frisch-grünen Aromen verschwimmen förmlich mit synthetischen Holzlack- und Farbnoten, setzen den hellen Geruch von Terpentin frei, der sich irgendwie in den harzigen Nadeln und Hölzern der Tanne sowie den benzinartig-rauchigen Wurzeln des Vetiver zu verlaufen scheint. Irgendwo liegen ein paar alte Autoreifen, fließt Wasser aus den Wiesen über nassen Asphalt, der mit dezent urinösen Noten (Ammoniak) in Leder und animalischem Moschus verschwimmt, stets im Diffusen bleibt, als rieche man all dies in einem öligen Lappen, mit welchem man das Gesamtbild verschmiert hat. Für mich der faszinierendste Geruch des Hauses mit einem gewissen Suchtfaktor.
46 Antworten
Floyd vor 2 Monaten 52 43
9
Flakon
7
Sillage
7
Haltbarkeit
8.5
Duft
Der Geruch der höheren Register
Hellgrau fließt der Tag durch die Bleiglasfenster auf hohe Pfeifen der Zungenregister, wie schmale Lichtbalken einer scharfen Schraffur. Ihr kühler Klang verwirbelt die Wogen aus Weihrauch über den Mündungen. Ihre Körper aus Zinn lassen Noten erstrahlen, die tieferen Labdanumtasten werden Wellen aus hellen Obertönen, die in klammen Gewürzen und Hesperiden durch die alten Gemäuer wehen, um an Lichtflecken auf den Kirchenbänken aus Zeder zu kondensieren. Die Notenköpfchen sind Harztopfen mit Fähnchen aus Pfefferschleiern. Deine Augen verschließen sich über den Fingern, um den Duft ihrer Klänge zu atmen.
**
Dass das Multitalent Filippo Sorcinelli über seine Ausbildung in sakraler Musik und dem Schneidern von Gewändern für Papst Franziskus und Papst Benedikt XVI. in die Welt der Düfte kam, wird nicht zuletzt durch seine Unum-Reihe, welche ursprünglich zur Beduftung der Kirchengewänder konzipiert war, sowie seine Extrait de Musique-Reihe, welche sich den verschiedenen Orgelregistern zuwendet, deutlich.
"Trompette 8" widmet sich einem der ältesten Register. Dieses Register hat durch die Zinnlegierung seiner hohen Pfeifen (siehe auch das von mir hochgeladene Bild dazu) einen besonders klaren und markanten Klang und soll, wie der Name schon sagt, eine Trompete imitieren. Tatsächlich liest sich die Pyramide so, als würde man die Tasten von links nach rechts spielen wollen, beginnend mit den tieferen Noten, scharf und klar gerändert durch die Gewürze gleitet man mit den Fingern zu den höheren Tönen.
So beginnt die Tonleiter hier mit scharfwürzig hellem Grau aus schwarzem Pfeffer, in dessen klammem Flirren deutliche Chilinoten wahrnehmbar sind, welche das darunter liegende Labdanum eher wie eine bräunliche Färbung alter Bleiglasfenster erscheinen lässt, die Süße gekonnt ausbalanciert. Hell und kühl wirkt auch der Weihrauch, der von Beginn bis Ende, nicht zuletzt durch das Elemi zitrisch geprägt dominiert. Auch die Bergamotte hat daran zunehmenden Anteil. Die Zeder ist dezent, wirkt blau und kühl und wird in der Basis neben dem etwas würzigeren rosa Pfeffer wahrnehmbar.
Das wirkt durchweg harmonisch, kühl-hesperidisch-harzig, würzig und nur dezent rauchig. Die Durchschlagskraft eines Trompetenregisters hat er allerdings nicht, bleibt der Duft bei mir doch eher moderat bis hautnah und auch nur für wenige Stunden, was ich ja sehr schätze.
https://www.youtube.com/watch?app=desktop&v=IdoaLxK2-M4
43 Antworten