Top Rezensionen

Monat
Floyd vor 19 Tagen 56 48
8
Flakon
8
Sillage
8
Haltbarkeit
8
Duft
Mit den Geistern vergangener Zeiten
Magst Du mit mir in die Wälder kommen? Ich hab noch ein halbes Kräuterbonbon, das könnten wir uns teilen. Du kannst mir vertrauen. Es gibt dort ganz viele Tannen, sie nadeln wie im Regen nach den Weihnachtstagen. Du brauchst keine Angst zu haben. Sind Rosengeranien, die sich darin ranken, weshalb dort scharfe Nebel wabern, wie die silbernen Wolken aus den Haaren um meine kalten Augen. Willst Du wie ich einen Moosmantel haben, den selben, den unsere Großväter trugen? Geh weiter und er wird Dir wuchern. Siehst Du die dunklen seifigen Spuren wie weiche Furchen in den erdigen Böden zwischen den dürren feuchten Stämmen? In deren langen braunen Schatten noch schleichen Moschusfährten, unsichtbar zwar und doch verflochten mit den Geistern vergangener Zeiten.
**
Erst seit 2017 kreiert der kalifornische Autodidakt Manuel Cross Düfte für sein eigenes Rogue-Label. Wer ein paar seiner Parfums gerochen hat, wird dessen ureigene DNA blind erkennen können, sind es doch zumeist schwere, erdige, eher Vintage-orientierte Moose, die in Verbindung mit balsamischen Noten seine Düfte tragen, so auch in "Targhee Forest", der sich dem gleichnamigen National Forest im Nordwesten der USA widmet.
Man betritt diesen Wald durch einen schroffen, kühlen Nebel aus ätherisch grünem Wüstenbeifuß, feuchten Koniferennadeln und scharfer, leicht Haarspray-artiger Rosengeranie. In Verbindung mit Nuancen von Tannenbalsam kann man entfernt auch bald mal an ein Kräuterbonbon denken, jedoch eher eines der schärferen Sorte, bevor das Cross-typische Eichenmoos schwer erdig, dezent seifig und in Kombination mit dem Moschus auch minimal animalisch wirkend sich dominant unter die hellen Aromen schiebt. Ein Retro-Moos, wie man es noch von den Düften der Väter und Großväter kennt. Patchouly trägt dabei seinen Teil zum feucht-erdigen Gesamtcharakter bei, Zeder färbt dunkel-holziger, das Tannenbalsam ist ein vergilbter, harziger Film, durch welchen man diesen Wald betrachtet, der deutlich bis moderat und auf meiner Haut überdurchschnittlich lange seine Bilder projiziert. Eine herrliche Zeitreise in die Vergangenheit.
48 Antworten
Yatagan vor 22 Tagen 49 73
9
Flakon
9
Sillage
9
Haltbarkeit
9
Duft
Ich, Geisterfahrer
Zunächst einmal vorweg: Ich bin mir durchaus bewusst, dass ich hier als Geisterfahrer unterwegs sein dürfte: wieder mal auf der falschen Spur. Das hat vielleicht auch ein wenig mit der Erwartungshaltung vieler Liebhaber:innen der Düfte von Francesca Bianchi zu tun: die meisten Kreationen sind harzig, animalisch, würzig und ledrig, einige pudrig, aber bisher eher nicht aquatisch oder artifiziell synthetisch. Das ändert "The Mariner's Rhyme | Francesca Bianchi" grundlegend. Der neue FB könnte von Christophe Laudamiel stammen, der gerne provoziert, laute und grelle, innovative und kantig synthetische Düfte komponiert. Ich empfehle seine Kompositionen nachdrücklich für unvoreingenommene Tests.

"The Mariner's Rhyme | Francesca Bianchi" ist für mich zunächst ein pudriger, trockener Irisduft und setzt damit gleich zu Anfang einen Kontrapunkt zur kurz darauf folgenden aquatischen Synthetik-Sirene, die sich (auch hier wieder ein offenbar bewusst gesetzter Kontrast) aus klassischen Aldehyden und postmodernen ozonischen Noten zusammensetzt. Gesteigert wird dieser eigenwillig schrille Ton durch die hersperidischen konsequent sauren Akzente aus Bergamotte und Grapefruit. Dazu ein Klecks Orangenblüte. Den o.a. Weihrauch darf man sich nicht sakral vorstellen, sondern eher sehr hell, prickelnd, fast diffus und damit schließt sich der Kreis zur trockenen Iris am Beginn der Duftentwicklung.

Entscheidend für die Akzeptanz scheint mir hier, ähnlich wie bei den oben erwähnten Düften von Laudamiel, die zurückhaltende Dosierung. Ich habe heute morgen einen winzigen Sprühstoß auf meinen Handrücken aufgetragen und der Duft hat mich den ganzen Tag begleitet: die Haltbarkeit und Projektion ist entgegen der meisten bisherigen Wertungen enorm.

Führt man meine oben geschilderten Eindrücke zusammen, so ergibt sich tatsächlich ein sehr artifizieller Eindruck von Kunststoff, Sonnencreme, und gechlortem Wasser (Ergreifends Assoziation vom Gummiboot kann ich gut nachvollziehen - und kognitiv auch die daraus resultierende Ablehnung, werde aber selbst affektiv vom Duft erreicht).

Wer Düfte im Stile von The Zoo, Humięcki & Graef oder Comme des Garçons schätzt, sollte einen Versuch wagen und dann meinen Eindruck gerne trotzdem korrigieren. Ich überlebe hier schon lange genug als Geisterfahrer.
73 Antworten
Floyd vor 24 Tagen 46 39
7
Flakon
7
Sillage
7
Haltbarkeit
8.5
Duft
Buch der ätherischen Schatten
Vollmondlichter scheinen Schemengesichter. Aus der Anderwelt huschen eukalyptische Schatten an ätherischen Schnüren aus scharfen Kräutern wie Salbeiblätter in die Brennnesseln. Ein flackerndes Zischen. Bengalische Flammen in den Wipfeln des einsamen Joshua-Baums irgendwo in der Kälte der nächtlichen Wüsten. Helle Stimmen in den grünen Nebeln, die nur langsam im Minzstaub der Erde verglühn in von Tabak vergilbten vanillebleichen Büchern. Hab zwischen moosbewucherten Wänden wohl ein Grimoire gefunden.
**
Abby Hinsman stellt ihre pflanzlichen Düfte in Handarbeit her. Die meisten Materialien dazu baut sie entweder selbst an, oder sie erntet sie in ihrem zweieinhalb Hektar großen Wald in Vermont. Entsprechend schwanken sowohl ihre Düfte als auch ihre Lieferzeiten, da sie eben nur sehr kleine Batches produziert.
"Grimoire" (ein Zauberbuch mit magischem Wissen) erinnert mich mit der Mischung aus Salbei, Kräutern, Harzen und minzigem Patchouly stark an Abbys "Joshua Tree". Von Beginn an ist hellgrün-würziger, krautig-scharfer Salbei dominierend. Eukalyptus und Kampfer lassen ihn jedoch hier noch ätherischer wirken, ehe im Herzen zunächst zitrische Elemiharze und minzig-erdiges Patchouly den Eindruck allmählich in Richtung Moos verschieben, ein Moos das zunächst im harzigen Nebel treibt, welcher nach und nach durch bräunlich weiche Tabaknoten und zarte Vanillearomen die Schärfe dimmt, ohne aber die ätherisch-grünen Obertöne gänzlich zu verlieren. Der Zauber wirkt moderat über etliche Stunden.

(Mit Dank an Marieposa)
39 Antworten
Annabraucht vor 11 Tagen 45 8
10
Sillage
10
Haltbarkeit
8
Duft
Meine Arbeitskollegin hat sich verliebt!
Diesen Schönling testete ich wie immer mit einem Sprühstoß auf dem Arm. Schön, aber irgendwie nichts Neues. Für mich roch es ab Sekunde 1 nach frischer Wäsche. Vielleicht etwas feiner und blumiger als die anderen Wäsche-Kandidaten.
Mein Mann sah das anders! Der schaute mich nur wenige Sekunden nach dem Testen entsetzt an und meinte "Du riechst nach Kloputzmittel!!". Das schockte mich dann doch etwas. Witzigerweise habe ich diese Aussage hier allerdings auch von anderen Damen gelesen, die die selbe Erfahrung mit ihren Partnern gemacht haben

Einige Tage nach meinem Testversuch startete dann hier und bei Youtube der große Hype. Ich kam um diesen Duft gar nicht mehr herum! Tilia hier, Tilia da. Alle liebten ihn. Ich musste ihm eine zweite Chance geben!
Kurzerhand sprühte ich ihn mir am nächsten Tag für die Arbeit auf. Drei Sprühstöße. Ich roch mich die ganze Zeit selbst. Aber ich roch eben nur blumige, frische Wäsche.
Irgendwann lief meine Kollegin hinter mir her! Sie ist um die 50 und hat mit Parfum so gut wie nichts am Hut. Ab und an trägt sie den "Pour Femme (Eau de Parfum) | Lacoste" oder den "Versense | Versace". Aber immer sehr dezent. An dem Tag hielt sie mich dann fest und sagte "Anna was hast du heute einen schönen Duft drauf! Hier riecht alles nach dir! Der ist ja wunderschön!! Könnte ich den wohl mal an mir testen?!". Ich dachte wirklich, ich hör nicht richtig. Habe mich unglaublich gefreut, dass sie mich das fragt! Sie empfand den Duft übrigens als "sehr parfümig. Frische Wäsche rieche ich nicht!"
Am nächsten Tag brachte ich ihr die Abfüllung mit.
Und wiederum am nächsten Tag trug sie den Duft auch schon! Und was soll ich sagen - Unsere ganze Apotheke roch nach Tilia! Es war zauberhaft. Nun wusste ich, was ihr so gut gefiel. Ein fluffiges Lindenwölkchen.
Ich fragte sie, ob sie ihn an sich mag und ihre Antwort war der Knaller "ich habe den gestern sofort bestellt!! 115€, das muss mein Mann gar nicht wissen. Das ist mein Duft. Genau so möchte ich riechen!"
Übrigens bat sie mich darum, die Abfüllung noch über das Wochenende behalten zu dürfen, da sie auf eine Feier muss. Wie wundervoll!
Es ist um sie geschehen und ich freue mich wahnsinnig ️
8 Antworten
Axiomatic vor 20 Tagen 45 72
7
Flakon
7
Sillage
8
Haltbarkeit
3
Duft
Aventus deklinieren: Aventeuse
Sechs Jahre hat es lediglich gebraucht, bis Creed sich zum weiblichen Gegenpart von Aventus hat überreden lassen.
Aventus, der Duft einer Generation völlig losgelöst von einschränkenden Unterhosen.
Befreiender konnte eine Ananas nicht sein.
Was waren schon die bekloppten 68er im Vergleich?
Lächerliche polyamouröse Blumenkinder ohne Buchführung!
Dank Creed wurde 2010 gewinnbringend das Swiping inklusive austauschbarer körperlicher Kernschmelze in Duftform an den Mann gebracht.

Irgendeinem Cleverle im Konzern muss 2016 die offene Marktlücke aufgefallen sein.
Warum nur Lancôme, Guerlain, Dior das Rosa-Rennen überlassen?

Zum Teufel damit!
Unsere englischen Mädels werden Euch das Fürchten lehren!

Zisch!

Vielleicht sollte ich an dieser Stelle erwähnen, dass es ratsam wäre, NICHT auf nüchternem Magen eine sportliche Portion des Wässerchens aufzusprühen.

Stechend alkoholisch und seltsam frisch dringt die Plörre in die Nase ein.
Das Freundlichste wären hier der Pfeffer mit der Bergamotte, recht scharfer Schmackes.

Aber der Apfel…

Genauer DER Apfel, welcher über Jahre bei Schauma/Schwarzkopf die Haare hat säuerlich fruchtig duften lassen.

Alsbald folgt die Haarspülung, cremig blumig mit einer pfeffrigen Ananas.
Spätesten hier sollte sich die Trägerin überlegen, ob Ersatzperücken eine Alternative für sie wären.

Nun, für eine kleine Verschnaufpause sorgen tatsächlich Flieder und warmer Ylang.
Aber wer Jaws (1975 - Der weiße Hai) in Erinnerung behalten hat, weiß, dass bei der ersten Schwimmerin unser hungriges Tierchen zunächst ein wenig vorgeknabbert hatte.
Chrissie war eine Verschnaufpause an einer Boje gegönnt, bis sie dann zum Hauptgang serviert wurde.
Nun, hier verhält es sich ähnlich.

Nachdem man Hoffnung an Flieder und Ylang hegte, wurde man jäh in die Tiefe gerissen!

Und dieser Abgrund ist säuerlich!

Die Ananas wird recht schnell von der Johannisbeere bei pH 3 gehalten, um den grandiosen Auftritt der Rose und ihrer Gefolgschaft zu überlassen.
Der Akkord unserer Zeit hat die Höllenpforte überschritten!

Klug werden hier die Ingredienzen verschwiegen, aber machen wir uns doch nichts vor. Wer nicht gerade nasenblind durchs Forum riecht, weiß, dass hier Jasmin und Orangenblüte verarbeitet sind.
Dazu noch eine mächtige Potenzierung mit Synthetik, um ja aufzufallen. Vermutlich Freundchen Ambroxan mit einer leicht salzigen Note, um „Ambra“ günstig nachzuahmen.

Genau hier liegt auch das Unterscheidungsmerkmal zu den anderen Vertretern oben genannter Marken.
Leicht aquatisch frisch gleitet die Basis mit weißem Moschus ins Saubere ab.

Für den kleinen Hunger wurde das Sandelholz gut cremig serviert mithilfe vom Ylang und Pfirsich als Geschmacksträger. So wie diese Fruchtjoghurts mit „besonders natürlichen Fruchtstückchen“.

Aber im Grunde riecht hier alles säuerlich und süß.

Je weiter im Duftverlauf, umso stechend synthetischer wird es, leicht metallisch.
Und alles beherrschend der Akkord an Rose, Orangenblüte und Jasmin, der so weit verbreitet ist.

Der Listenpreis ist angenehm konto-belastend, das Roulette-Spielchen um den jeweiligen Batch dürfte für gute Laune und regen Austausch im Forum sorgen.
So eine Art Quartett:
Mein Batch 2016 schlägt Deinen 2018er in Performance. Aber halt, der 2020er hat noch mehr „Ambra“.

Einsatzmöglichkeiten?

Nun, ich würde mit geographischen Orten beginnen.

Sagen wir mal, dass Ortschaften mit Potential und Ambitionen prädestiniert wären.

So ein Slough in der Grafschaft Berkshire westlich von London zum Beispiel.
Eine der beliebten Touristenattraktionen wäre der ehemalige Busbahnhof Brunel Bus Station, feinste Architektur.
Wie keck doch der Hauptakkord die Wartehalle füllen würde!

Das schweizerische Schlieren nordwestlich von Zürich mit dem schicken Briefzentrum Müllingen sorgt für genügend frische Luft entlang der Bahnstrecke für den Duft, Flanieren inklusive.

Kosmopolitisch elegant das hessische Heusenstamm östlich von Frankfurt am Main.
Beim regen Flugverkehr kann sich der Duft wie von selbst über die gesamte Gemeinde ausbreiten und in alle Welt fliegen.

Bekleidung:

Der LVMH-Konzern dürfte sich freuen, wenn die holde Maid das NFC hygienisch korrekt beim Bezahlen bimmeln lässt. Den richtigen Klingelton im Smartphone rechtzeitig einstellen.
Für einen kecken Sound sorgen French Nails beim Tippen auf der Tastatur.

Bitte das Preisschild absichtlich dran hängen lassen, so ist man auch ganz sicher, dass der städtische Sportanzug mit Kapuze (Dior, Givenchy, LV, was auch immer) tatsächlich vierstellig über den Ladentisch ging.

Very British darf hier kein rosa-beige Schal von Burberry fehlen, sonniges Wetter hin oder her. Kann natürlich auch als Stola getragen werden.
Schließlich geht es hier um Creed, for heaven’s sake!

Bequeme Schleicher von Ellesse in Pastellrosa mit Mauve-Untermalung verstehen sich von selbst.

Der Beischlafübernachtungskoffer (BUK) sollte genügend Platz für den Aventeuse-Flakon haben (am besten die OVP aufheben, da die Kappe manchmal locker sitzt).
Außerdem sollte das Täschle die collectible Boxershorts der Aventus-Bubis verstauen können. Je mehr, desto höher der Score!
Das Logo besagter Umhängetüte sollte inklusionskonform auch für Sehbehinderte lesbar sein.

Schminke:

Mädel, bleib sportlich!
Drei verschiedene Foundations sollten den natürlichen Teint lediglich unterstreichen.
Konturen locker lassen, nimm ruhig mahagonibraun und pervyred.
Die Lippen sollten aber das Gold des Flakons wiedergeben.

Und nun bist Du für den wilden Westen gewappnet, meine Teuerste.

High Noon!

Ihr steht Euch gegenüber.

Er, Schweißperlen an den gezupften Augenbrauen.

Du, Hautzellen um Luft schnappend.

Er, Aventus selbst am Allerwertesten.

Du, Aventeuse als Blutersatz.

Jeder von Euch zuckt am Gummibund seiner Schambedeckung.

Und Ihr starrt Euch an.

Die Spannung steigt…

Filmmusik: Texas - I Don‘t Want A Lover


72 Antworten
Marieposa vor 24 Tagen 43 42
8
Sillage
8
Haltbarkeit
10
Duft
That fiery sadness called desire
Plötzlich warst du da. Ein Geschöpf der Nacht mit glühenden Augen im Neumondschatten. Du hülltest mich in schwarze Blumen, bis sprödes Holz und Lederbahnen zu Katzenfell zerflossen, und bevor ich es begreifen konnte, war ich du. In all den dunklen Stunden spürte ich deine amberweiche Hand auf meiner Stirn und dem fiebrigen Fleisch. In jenen schlaflosen Nächten, als die Atemzüge der ungesagten Worte immer lauter wurden. Weil wir alle im Licht bereit sind, süße Lügen zu kosten, wenn die Herzen hungrig sind. Dann schweigen wir, damit die kleine Welt geordnet bleibt, träumen vom Glück der Zukunft, um zu vergessen, dass die Gegenwart längst Vergangenheit geworden ist.
Führe mich dahin, wo meine Gedanken sind. Lausche den ungesagten Worten Haut an Haut an meiner Seite, denn das Ungesagte redet nachts und seine Wahrheiten sind bitter, selbst wenn die schwarzen Flügel der Nachtfalter glättend über die aufwallenden Wogen streifen, sich Jasminblüten in Zeitlupe entfalten, sich etwas über unsere Seelen legt, das viel älter ist als wir. Dann schließt sich deine Lederhand um meinen Wrist. Nachdrücklich. Sanft. Ein Schritt nur. Ein williges Straucheln in die vertraute Dunkelheit. Weil du meine Abgründe nicht scheust, dich in ihnen spiegelst, und so schließe ich die Augen berauscht vom Schwindelgefühl, wenn wir die hölzernen Böden unter den Füßen verlieren, uns treiben lassen im Strom der Zeit, Seelen sich berühren an einem Ort, der nie war und doch immer sein wird.

**

Immer wenn ich BD rieche, flüstert mir Patti Smith ins Ohr: „Never let go of that fiery sadness called desire.” Und weil ich es niemals wagen würde, Patti Smith zu widersprechen, trage ich BD mit aller Leidenschaft, die mir zu Gebote steht. Aber ist es nur mein ewiges olfaktorisches Verlangen nach Dunkelblumen und derbem Leder zusammen mit der grenzenlosen Bewunderung für Patti Smith, die dafür sorgen, dass mich dieser Duft nicht loslässt?
Rein rational-analytisch betrachtet ist BD nicht besonders komplex: Eine Wagenladung von halluzinogenem Jasmin trifft auf von Anfang an deutlich wahrnehmbares medizinisch-ledriges Castoreum, das die schwüle Indolik der Blüten mit seinen bitteren Akzenten ausgleicht, während immer vernehmlicher Zibetnoten zu schnurren beginnen. Die Facetten von dunklem Assam Oud, die ich mal spröde, mal weich empfinde, verleihen ein stützendes Rückgrat, an dem sich die Blumenranken immer höher in den Nachthimmel hinaufschlingen, unterstützt von Liquidambra (das meiner Recherche zufolge mehr oder weniger Styrax entsprechen müsste), das die kantige Animalik der robusten Ledernoten mit süßer Balsamwärme absoftet.
Auf seiner Homepage bezeichnet Antonio Lasheras, der nur wenige Worte über seine Düfte verliert und sie wohl lieber für sich selbst sprechen lässt, BD als „vintage floral fragrance“ – und, ja, natürlich trifft das den Nagel auf den Kopf. Blind getestet hätte ich definitiv auf eine verschollene Duftlegende aus den 20er- oder 30er-Jahren getippt, aber dennoch erscheint mir BD so viel mehr zu sein. In seiner dunklen Opulenz und abgründigen Leidenschaft steht der Duft über profanen Kategorien wie Zeit und Raum. BD schwebt zwischen den Welten, zwischen den Zeiten, zwischen den Seelen und kommt mir dabei so unglaublich nah. Da ist eine erschütternde Ehrlichkeit in der klaren Sprache dieses Dufts und eine Körperlichkeit, die keine Gefangenen macht und die ich nicht mehr missen möchte, obwohl ich alldem vielleicht nicht immer gleichermaßen gewachsen bin.
42 Antworten
Floyd vor 8 Tagen 42 40
7
Flakon
6
Sillage
7
Haltbarkeit
8
Duft
Das extraterrestrische Eidechsen-Amulett
Er lag auf dem Rücken und schwärmte von Eidechsen. Von außerirdischen Eidechsen. Die freundliche Sorte von Exoplaneten in fernen galaktischen Außenbezirken. Sie seien auf der Suche nach Vanille-Eiskrem den weiten Weg bis zu uns gekommen, hätten Erde und was daraus wuchs vorgefunden und vor Freude zu tanzen begonnen. All das sei in seinem Amulett eingefangen.
Es leuchtete wie ein Zitronenbonbon an einer Faser aus Basilikum. Er legte es mir um. Schon ergoss sich seine schmutzige Füllung aus Tabakspänen und holzigem Balsam auf die Cognac-getränkten Trockenpflaumen meiner noch wirren Gedanken. Die trieben bald schokolierte Blüten mit Früchten in Blättern aus blumigen Seiden an dünnen grünen krautigen Fäden hinab in mulchige Rinden. In ein Tuch aus samtigem Sandel geschlagen hat man dort Vanilletabakblätter gefunden, die nach wenigen Stunden in würzigen Nebeln im Weltenraum verschwanden.
**
Eric von House of Heartistry betreibt sein Ein-Mann-Indie-Artisan-Label ausschließlich über Instagram, wo man direkt mit ihm in Kontakt tritt, wenn man eine seiner Kreationen, die allesamt in kleinen Auflagen erscheinen, erwerben möchte.
"Lizard Mojo" ist eine Kollaboration mit dem Künstler Psychrome aus Bristol, welcher die Illustration des Covers gestaltete, ursprünglich für die Gaming-Plattform Overlord.xyz, woher vermutlich auch die etwas wirre Story zu dem Duft stammt, dass er freundliche außerirdische Eidechsen darstelle, welche auf der Suche nach Vanilleeis die Erde besuchten und dort aber vor Freude über die entdeckten Düfte zu tanzen begonnen hätten.
Tatsächlich betritt man das Amulett (Mojo) über einen Akkord aus Zitrusfrüchten mit einem herben Hauch Basilikum, überzogen von schmutziger, balsamisch-tabakartiger, holzig-trockener Ambra, bevor Noten von Trockenfrüchten und gedörrter Pflaume in Cognac (Davana) darunter zum Vorschein kommen. Ein eher fruchtig-krautiger Jasmin, der weiß schokoliert wirkt, ich tippe hier auf die Iris, bildet die Brücke zu blumigeren Noten (Tulpenbaum), die in der Basis allmählich von samtigen Sandelholznoten, Vanilletabak (Amber) sowie erdig-mulchigem Oud abgelöst werden.
Obwohl die Konzentration des Mixed-Media-Duftes mit 29% relativ hoch ist, projiziert das Eidechsen-Amulett moderat bis hautnah und auch eher durchschnittlich lang, es hält dabei gekonnt die Balance zwischen grün-krautig-zitrisch, blumig-süß-trockenfruchtig und einem Ambergris-Oud-Sandelakkord.
40 Antworten
Cardea vor 6 Tagen 41 30
10
Flakon
7
Sillage
9
Haltbarkeit
9
Duft
Erste Schritte…
Klar, ich könnte nun ein Statement schreiben. Vielleicht sollte ich sogar, schließlich kennen Comète und ich uns noch gar nicht so lange. Persönlich sogar erst einige Stunden.
Aber bei jedem Versuch musste ich feststellen, dass ich bereits jetzt so viel anzusprechen habe und somit das Statement vermutlich drei Anhänge bekäme. Also doch eine Rezension, die dann später gegebenenfalls einfach erweitert und/oder korrigiert wird.

Was habe ich vorab alles über diesen Duft verschlungen und wie habe ich mich vor Heliotrop und Kirschblüte gefürchtet. Zu Recht? Zu Unrecht? Im ersten Moment absolut zu Recht!

Kennt ihr Amarettinis? Diese Mini-Kekse, die gerne als Paar auftreten und dem Cappuccino im Café beigelegt werden? Genau das ist meine Assoziation mit dem ersten Sprühstoß. Süßes Amaretto-Gebäck. Nicht Marzipan, denn Marzipan ist feucht, dieser Duft hier ist trocken.

Und dann passiert etwas ganz Wunderbares, denn die aufdringliche Marzipan-Amaretto-Süße verzieht sich innerhalb von Minuten und etwas Staubiges bahnt sich seinen Weg: Iris!

Viel habe ich gelesen zu pudrig vs. cremig und fürchtete mich vor Creme mindestens genauso wie vor Shampoo und Marzipan. Aber ist der Duft cremig? Nein, ich finde nicht, aber ich glaube, ich weiß, woher dieses Gefühl kommt. Der Duft ist feinst gemahlenes Puder, so pudrig, dass ein Finger darin sich fast so anfühlt, als fasse man in Creme, aber eben nur fast. Die Damen (und vielleicht auch einige Herren) kennen das Gefühl möglicherweise von einem extrem fein gemahlenen Lidschatten oder Gesichtspuder. Ungefähr diese Form von Pudrigkeit fühle ich hier.

Die Iris bleibt lange, dominiert das Herz des Parfums, begleitet es aber vom Kopf bis in die Basis. Sie ist pudrig, aber auch leicht grasig-grün angehaucht. Im Verlauf nehme ich den Moschus immer deutlicher wahr, er erinnert mich an Jersey und 1957.

An dieser Stelle möchte ich ein paar eigene und bei anderen gelesene Duftvergleiche anstellen, soweit ich das zum jetzigen Zeitpunkt kann:

Après L‘Ondée:
Comète ist süßer und wärmer, Après L‘Ondée könnte die kühle Cousine sein. Sie geben einem die gleichen Vibes, Après L‘Ondée empfinde ich aber durch Veilchen etwas näher an Creme als an Puder.

La Peau Nue:
Iris ist das gemeinsame Thema, allerdings finde ich La Peau Nue viel neutraler. Ähnlich fein gemahlenes Puder, vergleichbare Vibes, aber andere Iris-Interpretation.

1957:
Ja, der Polge-Moschus. Aber abgesehen davon gibt es den noch in einem weiteren Duft, an den ich zuerst denken musste:

Jersey:
Nach etwa ein bis zwei Stunden auf der Haut musste ich zwei Mal riechen und dachte, dass Comète mich wirklich an Jersey erinnert. Mit Iris statt Lavendel. Da ist diese hintergründige Süße, die gleiche Art Moschus und etwas Grasiges, was Comète auf erstaunliche Art frisch wirken lässt.

An der Stelle ist zum Glück auch der Amaretto-Keks weg und Comète flufft angenehm vor sich hin. Kirschblüte vermag ich nicht zu identifizieren und ehrlich gesagt, weiß ich nicht mal, wie die riechen soll. Ich las glaube ich sogar mal, dass Kirschblüte eigentlich gar nicht (intensiv) riecht, aber da fehlt mir die Erfahrung, um den Wahrheitsgehalt dieser Aussage beurteilen zu können.

Eine Punktzahl mag ich noch nicht vergeben, aber ich schätze es wird sich wohl um die 9 einpendeln.

So viel für den Moment.

Erste Ergänzung:

L‘Eau d‘Hiver:
Eindeutig Ähnlichkeit vorhanden, danke für den Hinweis in den Antworten. Den wollte ich eigentlich auch angesprochen haben. Aber auch hier, L‘Eau d‘Hiver ist für mein Empfinden kühler. Als Iris-Liebhaber kann man beide rechtfertigen.

Beige:
Joah… ein bisschen ähneln sie sich durch die grasig angehauchte Süße und ich glaube, Beige hat den gleichen Moschus, auch wenn er nicht genannt wird. Ansonsten ist aber Comète ein waschechter Iris-Duft.

Misia:
Für mich nicht, Misia ist für mich viel mehr Veilchen, weniger süß und dafür distanzierter. Eher noch…

La Pausa:
Iris-Parfum, anders interpretiert. Puder, nicht bis zur scheinbaren Cremigkeit zermahlen. Mehr Make-Up, mehr Grün, weniger süß, dezenter und luftiger als Comète.

Paris-Venise:
Ja! Deutliche Verwandtschaft, die süße pseudo-Cremigkeit ist sehr vergleichbar. Paris-Venise ist aber leichter, hat etwas Zitrisches und verfliegt viel schneller. Comète ist dichter, edler und pudriger.

Ergänzung Teil 2:

Die Haltbarkeit ist beeindruckend. Heute Morgen roch meine Haut noch sehr wahrnehmbar nach Comète. Das Parfum hat sogar den Geruch des Coromandel Body Oils wieder verdrängt, das ich gestern Abend auf den Unterarmen testete.
Auf der Kleidung riecht es ebenfalls noch sehr deutlich. Aber ich würde nicht mal sagen, dass das Parfum dort stärker riecht, meine Haut roch eigentlich genauso intensiv.

Sillage ist dagegen gut bis mittelmäßig. Ich würde nicht sagen, dass man andere mit dem Parfum direkt zu ersticken vermag. Comète bleibt relativ nah am Träger und strahlt hauptsächlich eine gewisse Puder-Aura ab.

Ergänzung Teil 3:

Der Duft startet sehr chanel-untypisch süß, trocknet dann aber zu einem recht trocken-klassischen Iris-Moschus-Chanel runter. Möglicherweise ist dieser Kontrast für einige zu extrem und damit problematisch, weil Comète zu viel auf einmal möchte?
Oder wird hier die Transformation eines Kometen gezeichnet, der im ersten Stadium erstrahlt und dann verglüht? Mir gefällt Option 2 besser.

Ergänzung Teil 4 (und hoffentlich die letzte):
Für mich ist Comète kein Veilchenduft, auch wenn etwas Veilchen mitschwingt. Wenn Misia Veilchen mit etwas Iris ist, dann ist Comète Iris mit etwas Veilchen. Subjektives Empfinden meinerseits.
30 Antworten
Gandix vor 27 Tagen 39 74
10
Flakon
8
Sillage
9
Haltbarkeit
8
Duft
Die Hoffnung stirbt nie
Ozon
Die Erde ein blauer Ball...
Selbst wenn die Welt 1000 grüne Tränen weint,
bis das Wasser cremige Wellen über das Land trägt...
Erde zu Lehm wird und nach Mitti riecht...
Steinwüsten
Geosmin schwitzen...
Blüten im blasssilbrigen Dunst der sterbenden Sonne zu Eis erstarren...
im Raumschiff ein Duft nach Gestern schwebt...
Damals - Erinnerung...
Menschen verloren im All...

Doch Hoffnung stirbt nie

Wenn leise ein erstes fluffiges Wölkchen seine Bahn zieht...
eine Moosflechte sich frech über einem Stein ausbreitet...
ein Bienchen, noch schwach, nach Nahrung sucht...
(Wo hatte es sich nur versteckt?)...
dann komm ich nach Haus...
fühl mich warm und geborgen im sanften Grün-Braun...
und oben drüber ist es immer noch blau.

Diane macht sich viele Gedanken über die Auswirkungen der Umwelteinflüsse auf die Ökosysteme der Erde, möchte in diesem Duft die Schönheit dieser Ökosysteme zeigen, sowie deren Zerbrechlichkeit. Das ist ihr ganz wundervoll gelungen. Für mich ist es ein Duft voller Hoffnung geworden. So besteht der Duft aus 7 Duftakkorden, manches davon kann ich riechen, anderes nicht. Zum Beispiel fällt es mir schwer, die einzelnen Blumen auszumachen, doch es sind sehr kühle Blumen, fast schon unnahbar.
Oberflächlich betrachtet ist es ein ausgesprochen grüner Duft, mit deutlich Ozon, schon fast stechend im Auftakt, der auch cremige Noten aufweist.
Geht man in die Tiefe, ist er ungeheuer spannend, und zeigt sehr viele Facetten. Es ist mal wieder ein Duft, bei dem ich umso mehr entdecke, je weniger ich auftrage. Sprühe ich mehr, dann ist auch mir das Grün und das Ozon zu prägnant.
In jedem Fall aber spannend zu testen.
74 Antworten
Can777 vor 9 Tagen 38 57
9
Flakon
9
Sillage
9
Haltbarkeit
10
Duft
Carry me home..!
Trägst Du mich hinab zum Sumpf? Wenn ich nicht mehr selber laufen kann. Bis zur Grenze wo der brennende Torf das dunkle Wasser trifft. Halte mich tief umschlungen wie die Wurzeln aus Narden. Versenkst Du mich im tiefsten Harz der Zedern und Tannen? Trage mich auf Deinen starken Armen hinab ins grüne Feuer. Tief unter die glühende Erde…!

Trägst Du mich…?
Dorthin wo kein Lebender jemals war. Dorthin wo die Tiere hausen. Dorthin wo man Haut an Haut liebt. Dorthin wo die Birken brennen und der Patchouli glimmt in verrusster Zweisamkeit. Salbst Du mich mit schlammigen Moos wenn ich nicht mehr bin? Ich warte dort wo wir uns einst liebten..!

Trägst Du mich…?
In die salzige Erde der Wälder. Dorthin wo der Schmerz begraben ist. Genau dort will ich ruhen. Genau dort will ich sein. Genau dort darfst Du mich ablegen. Und genau dort wirst Du die Asche meiner Haut riechen. In lodernden Grau und tiefsten Grün werden wir uns treffen. Genau dort wo die Flora brennt und den Himmel in Flammen steht wird mein neues Heim sein. Und jetzt lass mich dort nieder…!

Fazit
Essences - Millefleures 2023 von N•O•A•M
Das Ende aller Tage. So und nicht anders könnte es duften. Wenn die Flora brennt und in grauer Asche die Glückseligkeit verschwendet wird. Wirf ins Feuer was Dir Freunde bringt und unsagbaren Frieden. Hier brennt so einiges. Dein Wunsch wird gewährt! Hier brennen die Sümpfe in tiefsten und dunkel-schlammigsten Grün. Wenn Moose Dich umschlingen wie Wurzeln aus dem tiefsten Erdreich. Und Dich die Tiere umarmen wie einst die erste Liebe. Tief begraben unter dem Salz der Erde. Lecken wir die Unendlichkeit auf….
Zuhause…!

Wenn es dunkel genug ist,werden die schönsten Sterne sichtbar…!


57 Antworten