Persönliche Standardabweichungen
Die Nase ist unglaublich individuell und jeder hat sein eigenes "Geruchsprofil" - Noten, die man extrem, besser, schlechter oder gar nicht wahrnimmt. Es ist eigentlich erstaunlich, dass wir zu überhaupt einem Konsens kommen, was wie riecht und dass es Parfüms gibt, die als Dauerbrenner die Mehrheit zu begeistern scheinen. Vielleicht sind die am Ende auch nur eine Synthese von Duftnoten, über die die allermeisten sich einig sind, wie sie zu identifizieren sind.
Und darüber wollte ich schreiben - meine eigenen Besonderheiten, die Standardabweichungen sozusagen. In der Pyramide steht X, aber ich rieche Y.

Sandelholz.
Am extremsten ist es mir bisher beim Sandelholz aufgefallen. Oder ich sollte schreiben, bei "Sandelholz-Ersatzstoffen". Da der Sandelholzbaum (ah, nach kurzer Google Recherche - der heißt echt so, gut) gefährdet ist, wird in der Parfümerie meistens auf Ersatzstoffe wie z.B, Javanol zurückgegriffen. "Sandelholz" riecht für mich eher so : süßer Milchreis mit Zimt & Zucker / Zitronenspüli, schwitzig / Wachsmalkreidestift / Gurken-Dill-Joghurt-Dressing für Salat / manchmal etwas essbar wie Vollkornbrot. Besonders spannend ist hier die enorme Bandbreite.
Milchreis : Sandalwood Temple
Zitronenspüli : Molecule 04
Wachsmalstift : Santal Blush
Gurken-Dill-Joghurt-Dressing: Santal Blanc

Patchouli.
Oder sollte ich schreiben "Dreamwood", "Clearwood". Jedenfalls die Patchouli-Nachbauten. Oft beziehen sich meine Riech-Abweichungen nämlich auf die synthetischen Nachbauten, das Original riecht normal sozusagen. Jedenfalls Patchouli. Ich rieche oft folgendes : Eine leere Fabrik-Lagerhalle für Autoreifen oder Stapel an Stapel von wasserabweisenden Regenjacken / sehr staubig / frisch verlegtes Laminat, nasser Kleber, der noch giftig ausdampft
(slight OT, dazu hab ich eine lebhafte Erinnerung. Ich hatte früher Blockflöten-Unterricht in einer - damals noch - Hauptschule, erbaut in den 60ern oder so, mit diesem spannenden Geruch von jahrzehntelangem Staub in allen Ritzen, lackiertem Holz, Grünpflanzenerde, Polyester-Teppichboden, alter Stein - ein super nostalgischer Geruch, ich schweife ab - Jedenfalls wurde dann irgendwann der Boden neu gemacht und man konnte anscheinend nicht lang genug warten, bis alles ausgedampft war, sondern es wurde direkt wieder als Unterrichtszimmer benützt. Wochenlang flöteten wir im giftigen Laminat-Dampf. Ich fand's schrecklich haha) Baie 19 Eau de Parfum ist hier die Negativ-Referenz.

Vetiver.
Oder sollte ich schreiben "Vetiverylacetat". Sowas steht natürlich selten in der Pyramide außer man ist eine hippe trendige Molekül-Nischenmarke. Ich kenne tatsächlich da Original nicht, aber im Parfüm riecht es für mich oft (aber nicht immer! Was mir Hoffnung gibt, dass ich Vetiver eigentlich mögen könnte - denn irgendwie hab ich das Gefühl, das wäre schick) chrm chrm - jedenfalls ich rieche : Sellerieeintopf / Liebstöckel, Salz, Brühe / Rindenmulch.
Beispiele : Sycomore (2016) Eau de Parfum
Bowmakers Eau de Parfum
Molecule 03

Ambrocenide.
Ich mein, klar. Das kann hier natürlich nicht fehlen. Keine Ahnung, wie es riechen soll, aber irgendwie angenehm anscheinend. Ich rieche : wie ich mir vorstelle, wie eine illegale Müllverbrennungsanlage riecht. Brennende Autoreifen, schmelzendes Plastik, Abgase 1000-fach konzentriert.

Cashmeran.
Ich glaub, es soll so ein weicher Holzduft sein, oder? Was ich rieche ist das : Schimmelige Wand / Waschküche / schimmeliges Holz. Referenz : Molecule 05. Komischerweise ist es kein Ausschlusskriterium. Z.B. liebe ich den Alien, wo Cashmeran FETT in der Pyramide steht. Also möglicherweise ist der Escentric auch einfach Mist oder es ist eine andere Komponente, die schimmelig riecht. Den Schimmeleindruck hab ich nämlich auch bei Folgenden, wo kein Cashmeran gelistet ist (was wie wir wissen, ja allerdings nicht bedeuten muss, dass es nicht drin ist) :
21 | Twenty-One und
Toni

Treibholz.
Hölzer sind irgendwie generell schwierig. Ich liebe Wälder und Holznoten in echt. Ich glaube, wir haben da einfach ein besonders feines Näschen, vielleicht weil uns Wälder schon seit Urzeiten begleiten und Teil unseres Lebensraums sind (waren?). Ich hab letztens im Urlaub an der Küste mal intensiv an Treibholz geschnuppert, weils mich interessiert hat, wie das wirklich riecht. Echtes Treibholz : dezent holzig, salzig, angenehm süßlich je nach Holzart. In Parfüm rieche ich oft das : Cremige, ranzige Sonnenmilch

Eine bestimmte Art von Aquatik.
Das greift in die Treibholz-Thematik. Ich denke, der Akkord "Treibholz" ist vermutlich diese Art von Aquatik + generische Holznoten. Bei dieser Aquatik rieche ich folgendes : Cremige (!), in der Sonne gärende Algenpfütze, iin Richtung menschlicher Intimbereich. Ich durfte mal in einem WB Sécrétions Magnifiques testen und der roch für mich auch nach dieser cremigen Aquatik - weswegen ich vielleicht mal zaghaft das dort enthaltende Azuron verantworlich machen würde. Ein Beispielduft wäre z.B. der
Eden-Roc,
Sailing Day oder eben der ELdO.

Orangenblüte.
Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber der Duft von "Orangenblüte" in Parfüms (stechend, künstlich, metallisch) hat für mich NICHTS zu tun mit dem Duft von echten Orangenblüten (warm, betörend, süß). Das sind für mich zwei komplett unterschiedliche Düfte ohne jegliche Verwandschaft. Beispiele eigentlich alle Düfte mit Orangenblüte gelistet (außer Le Bain), z.B. Armani Code pour Femme Eau de Parfum
So, das wären jetzt mal alle, die mir gerade einfallen. Wie sieht das bei euch aus? Könnt ihr Eindrücke teilen oder habt ihr andere Abweichungen? Wie häufig kommt das wohl vor?
Da ist es bei mir ganz krass. Ich hatte schon so ein schlechtes Gewissen als ich Saffira ein derart schlimmes Statement verpasst habe. Aber da ist von verschmorter Kupplung über Kabelbrand bei mir auch alles dabei. Und ich kann nicht glauben dass das alle so riechen. Es wär ja verrückt sich dann sowas freiwillig aufzusprühen und mit einer Zehn zu bewerten.
Diesen Laminat Dampf kann ich nachvollziehen, mag ich aber bspw in Baie 19. ELdOs Une Amourette hat auch sowas, was mir aber gefällt.
Diese Ambrocenide Düfte riechen für mich wie dreckige Grubenkleidung, fettiges Koksbrikett. Als Kind einer Bergarbeiter Familie kennt man das. Kommt bspw bei Orto Parisi gerne vor. Schade, diese Entwicklung. Gerade holzige Düfte mag ich sehr gern eigentlich. Ich teste nicht so häufig, habe nur begrenzte Kenntnisse der "alten Duftwelt" und habe gerade eher Lust den früheren Mainstream zu erkunden, wenn überhaupt. Da gibt es also immer noch viel zu entdecken.
Bei allem, was mit Aquatik zu tun hat, vermute ich, dass ich das ziemlich abweichend wahrnehme, in der Regel als Chemieunfall. Cremige Aquatik klingt besonders scheußlich, das kenne ich zum Glück nicht, und kann hinzufügen, auch mit cremigen Intimbereichen bin ich glücklicherweise weniger vertraut. Sandelholzersatzstoffe rieche ich in der Regel wie Du - als Milchreis mit Zimt - aber das liegt vermutlich daran, womit sie heutzutage meist kombiniert werden. Aber im modernen Samsara soll ja relativ viel Polysantol drin sein, und das riecht für mich trotzdem schön. Vetiver als Sellerie hatte ich mal in The Hedonist (Ex Nihilo). Ferner rieche ich Immortelle nicht nur (was normal wäre) als Curry, sondern abweichend auch als Sellerie.
Ich bin erstaunt wie exakt du das alles aufschlüsseln kannst.
Ich weiß es bei mir nur bei den Ambroceniden - das ist wirklich gar nicht schön...
Ich hatte vor kurzem mit einem Freund mal Düfte getestet in der Stadt und nach einer Weile wollte ich den Verlauf prüfen und was soll ich sagen --- beide Düfte rochen gleich nach diesem Ätzeschlussakkord. Männer oder Damenduft - ach egal. Alles gleich, Hauptsache ne Pseudokopfnote zusammengeklöppelt und der Rest ist nicht wichtig - nur halten muss er...
Hilfe...!
Wie die das alle aushalten ist mir auch ein Rätsel.
Aquatisches - oder vielmehr wohl: Calone - hat für mich oft Vibes von fauligem Mundgeruch, den man mit scharfem Mundwasser übertünchen möchte. Sprich: für mich meistens ein Fail, die Sache.
Cashmeran zartdosiert ist schön weichglatt, zuviel davon kommt Silikonplaste gleich, die jede lebende Pore zudrückt.
Usw. usf. ^^
Und ach so, bei Sandel bin ich auch bei Dir: häufig ist das Dillgurke. Mysore-Sandel ist aber in der Regel wunderbar (Etro Sandalo, Tam Dao...).
Und so hätte ich das, ohne Mist, alles (!) in den Bereich der Legende abgetan - wenn es mir nicht eines Tages mit #Duchessa so gegangen wäre. Nach Sekunden nur noch Ekelchemie und ein einziges „Whaaat…the Geier ???“.
Da ich Kill the Lights liebe, scheint es kein Gritti-Prob zu sein…………….
Eden-Roc ist bei mir ebenfalls Algenbrühe. Auch schlimm: Acqua di Sale.
Orangenblüte/Petitgrain nehme ich zwar nicht stechend, aber auf gar keine Fall als Orangenblüte oder Petigrain wahr. Für mich häufig eher hefeartig-vergoren-abgestanden.
Vetiver riecht für mich sehr oft nach Schweiß.
Ambrocenide und Ethylmaltol: Erbrochenes in geschmolzenem Plastik - plus etwas Holz/Zuckerwatte
Je nach Dosierung mehr oder weniger ausgeprägt.