Parfumtrends durch die Zeit - Die Geschichte des Unsagbaren?
Ich bin eigentlich schon immer von Vintage Sachen fasziniert gewesen. Als die YouTuberin Laura Jane Atelier angefangen hat Videos zu Vintage-Düften zu machen, die man immer noch kaufen kann, ging meine ebay-Jagd nach Vintageminiaturen los. Die Neugierde darauf zu wissen wonach Audrey Hepburn, die Flapper der Goldenen 20er, die Nachkriegsfrauen gerochen haben, war bei mir extrem groß. Bücher, Dokumentationen und Bilder können einem vieles erzählen, aber ein Duft ist ein viel intimerer Bestandteil des Gesamtbildes. Quasi etwas zum Anfassen, woran es mir nach einem Jahr Home-Studying extrem fehlt. Mein neuestes Corona-Hobby war geboren!
Während meine Vintage-Miniaturen-Sammlung wuchs, fielen mir Trends auf. Einige davon kamen mir ungenießbar vor. Genau so wollten die Frauen riechen? In meiner Recherche fand ich den YouTube-Kanal des etwas eigenartigen, aber doch unterhaltsamen SuperDacob, der legendäre Parfums in fast einstündigen Reviews I’m Kontext der Zeit, des Hauses und mit sehr viel Emotion beschreibt. In seinem Video zu Fracas äußerte er einen Gedanken, der sich seitdem in meinem Kopf dreht: Er sagte, dass die skandalöse, fast kreischende Tuberose in Fracas den Frauen nach dem Krieg half das auszudrücken was sie nicht mit Worten sagen konnten. Im Fall von Fracas sei es die Tatsache, dass die Frauen während des Krieges alle Tätigkeiten der Männer an der Heimatfront erfolgreich übernommen hatten, nur um dann wieder in sehr einengende Geschlechterrollen zurückzukehren. Natürlich waren sie froh sich wieder als Frauen fühlen zu können - etwas was im Erfolg der von Dior erfundenen überzeichnet–weiblichen Silhouette des "New Look" wiederzufinden ist -, und dennoch konnten sie den alten Käfig nicht mehr voll genießen. Diesen Konflikt der inneren Wünsche auszudrücken war zu kompliziert - man wollte nach dem Krieg den Frieden genießen -, also übernahm dies Fracas.
Dieser Gedanke fiel mir wieder ein, als ich die dreiteilige BBC-Doku zu Parfums auf YouTube schaute. Dort entdeckte ein britisches Pärchen, dass unter ihren Vorfahren Parfums herstellten. Und die enthielten sehr viel Zibet. Es wurde erklärt, dass die von Sauberkeit und Keuschheit besessenen Viktorianer_innen interessanterweise nicht genug des Öls aus den Analdrüsen der Zibetkatze in ihrem Parfum haben konnte. Ein seltsamer Trend der Zeit? Etwas, das nur jemandem, der sein/ihr Leben in einer stinkenden viktorianischen Großstadt verbracht hat, als angenehm vorkommen kann? Oder war so ein Parfum Ausdruck der dreckigen, verbotenen Begierden, die die Viktorianer_innen in keiner anderen Form zum Ausdruck bringen durften?
In meiner Sammelei entdeckte ich außerdem die wundervollen Düfte, die in den 80er und 90er Jahren für Frauen gemacht wurden. Für mich haben sie alle diesen "Vavavoom"-Effekt: Ich assoziiere sie mit der Präsenz einer reifen, selbstbewussten Frau, die sich ihrer sexuellen Anziehungskraft bewusst ist und weiß, wie sie sie einzusetzen hat. Und von solchen Düften gab es damals eine ganze Menge. Heutzutage gibt es immer mehr Zuckerbomben und Obstaromen in den Mass-Market-Parfums, die allesamt der Fantasie einer zwölfjährigen entsprungen scheinen. Manche davon werden sogar explizit an ältere Frauen vermarktet, was für mich überhaupt nicht passt. Klar bin ich der Meinung, dass jede_r so riechen soll wie er/sie möchte. Aber in diesem Trend sehe ich die Spiegelung unseres aktuellen Verjüngungswahns. Haben wir die Wertschätzung für erwachsene Weiblichkeit verloren, sodass Frauen über 40 nach Lutschbonbons riechen sollen?
Keine kreischenden weißen Blumen mehr. Keine Aldehyde mehr. Keine reinen Parfums mehr. Alles ist leicht, eckt nicht an und hat eine Schicht Puderzucker obendrauf. SuperDacob hat die Theorie, dass während früher die Frauen den Mund halten, lächeln und ihr Parfum für sich sprechen lassen mussten, heute das Gegenteil vorherrscht. Wir haben alle eine laute Meinung und politische Haltung zu allem. Und auf den Social Media–Plattformen teilen wir diese auch ständig mit der ganzen Welt. Unsere Düfte sollen das jetzt ausgleichen und im Sinn der Political Correctness versuchen es jedem/jeder Recht zu machen. Denn jeder mag doch Lutschbonbons, oder? Und wenn nicht, ist es auch nicht schlimm. Der Duft hält eh nicht lange.
Ich bin sehr gespannt, ob euch mehr Beispiele zu dem Gedanken einfallen. Kennt ihr Trends in den Mass-Market-Parfums, die gewisse (un)ausgesprochen Gedanken/Gefühle ihrer Zeit ausdrückten? Ich bin sehr gespannt auf eure Kommentare!
Aber danke für den tollen Blog, den ich fast übersehen hätte, und für die Video-Vorschläge.
Turbo
Ein Trend der mir schon Sorgen macht, immer mehr Synthetik, mehr Microplatik und die große Anzahl an Düften ist schon seit längerem unüberschaubar - wer blickt da noch durch?
Auch ich habe vor einigen Jahren meine Liebe zu den Vintageschätzen entdeckt, würde Düfte jedoch generell nicht an ein Alter festmachen. Schön ist, was gefällt.
Ab und an packt mich diese Lust und dann bin ich froh, dass ich wenigstens an etwas Süßem schnuppern kann. Nur süß ist mir jedoch zu viel. Es liegt ja in unserer Hand, wie abwechslungsreich wir unsere Duftsammlungen gestalten.
Die Lust auf süßes wurde uns mit der Muttermilch in die Wiege gelegt. Die ersten Gourmanddüfte durchbrachen ja auch durchaus erfolgreich den Trend als Frau stets feminin- verführerisch und als Mann stets maskulin duften zu müssen. Natürlich hat der Zucker-Hype wie in der Lebensmittelindustrie zu viel Platz eingenommen, aber leider bestimmen wir Verbraucher den Markt mit. Das schöne an Zucker-Düften ist ja, dass sie nicht auf die Hüften gehen und
Ich, knapp Mitte zwanzig, die total auf kreischende weiße Blüten und Aldehyde abfährt.
Was mir missfällt, ist die Kategorisierung einer Altersklasse für Parfums und ich bin außerdem der Ansicht/ Meinung, dass die Unisexualisierung der größeren bzw. renommierte(re)n Dufthäuser eine Sache ist, die durchaus Einzug in den Mainstream zu nehmen scheint.
Wünschenswert wäre es jedenfalls.
Es ist immer noch bezüglich des Marketings zu leicht,..
Was mir aufstößt, ist die Parallele die du zu Political Correctness ziehst. Ich fass ganz kurz: PC bedeutet vor allem, dass Menschen nicht aufgrund von Aussehen, Sexualität, Herkunft etc diskriminiert werden und dies durch Sprache zum Ausdruck gebracht wird. Nein, ich mag keine Lutschbonbons, aber ich mag Diversität und Inklusion.
Ich würde mir wünschen, wenn dein Blog dazu anregt, solche Zusammenhänge auch hier auf Parfumo in den Blick zu nehmen. Parfum ist eben weit mehr, als ein Ausdruck eigener Persönlichkeit.
zum Regressiv-Infantilen und Anti-Emanzipatorischen, sondern auch in Mode, Design und Architektur.
So löblich es angesichts dieses mangelnden Bewußtseins für das Düften innewohnende seismographischen Potential auch ist, wenn Youtuber Parfum kontextualisieren und konkrete historische Bezüge herstellen:
Es gibt Gründe, weshalb Epochen so duften wie sie duften. Parfum ist immer auch Ausdruck von Zeitgeist.
Muss ich gleich Lubins Upper Ten for her rausholen und los geht's Richtung 20 iger Jahre. :-)
Besonders nervig finde ich derzeit den "Luxus-Mass-Market" (und hier insbesondere Xerjoff), der den Wunsch der Normalos nach Glitzer, Glam und Exklusivität aufgreift und sich dabei durch die am Massengeschmack orientierte Banalität seiner Produkte, die im krassen Widerspruch zur Preispolitik steht, selbst karikiert.
-> danke!
Das ist doch echt mal eine profunde und tolle Aussage.
Der Duft-Mass-Market richtet sich aber nach seiner Klientel und man muss sich nur umschauen: Diese ganzen Instagram-Gestalten sind doch auch jugendwahn-gleichgeschaltet. Logisch, dass die Beduftung folgt. Schade.
Die Verdünnung der Duftstoffe bzw liebgewonnener Parfums bis hin zur Beliebigkeit führte ich bisher (wie Du) auf die zunehmende Konformität zurück, als ein olfaktorisches Nicht-Festlegen-Wollen, um nicht aufzufallen. Als Ausdruck wachsender Gleichberechtigung eher nicht.
Mir fallen spontan Patchoulidüfte und Moschus ein, wenn ich an die 70er denke. Ausdruck der (sexuellen) Revolution und Selbstbestimmung?
NeoChypres, Neo-Animalik, Oud-Kracher.
Wir leben in bunten, diversifizierten Zeiten (oder Bubbles oder Nischen?)...
Ich denke, es ist wie bei der Mode - von lang nach kurz, von sackartig zu körperbetont, von 'ist-mir-doch-egal-wie-ich-aussehe' vom Designer dahin, dass jedes Haar exakt liegen muss.
Und dann wieder retour.
Aber von jeder Mode bleibt was hängen und irgendwann kommt alles wieder.