Sleppy94
Sleppy94s Blog
Von Parfumo empfohlener Artikel
vor 3 Jahren - 31.05.2021
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Parfumtrends durch die Zeit - Die Geschichte des Unsagbaren?

Ich bin eigentlich schon immer von Vintage Sachen fasziniert gewesen. Als die YouTuberin Laura Jane Atelier angefangen hat Videos zu Vintage-Düften zu machen, die man immer noch kaufen kann, ging meine ebay-Jagd nach Vintageminiaturen los. Die Neugierde darauf zu wissen wonach Audrey Hepburn, die Flapper der Goldenen 20er, die Nachkriegsfrauen gerochen haben, war bei mir extrem groß. Bücher, Dokumentationen und Bilder können einem vieles erzählen, aber ein Duft ist ein viel intimerer Bestandteil des Gesamtbildes. Quasi etwas zum Anfassen, woran es mir nach einem Jahr Home-Studying extrem fehlt. Mein neuestes Corona-Hobby war geboren! 

Während meine Vintage-Miniaturen-Sammlung wuchs, fielen mir Trends auf. Einige davon kamen mir ungenießbar vor. Genau so wollten die Frauen riechen? In meiner Recherche fand ich den YouTube-Kanal des etwas eigenartigen, aber doch unterhaltsamen SuperDacob, der legendäre Parfums in fast einstündigen Reviews I’m Kontext der Zeit, des Hauses und mit sehr viel Emotion beschreibt. In seinem Video zu Fracas äußerte er einen Gedanken, der sich seitdem in meinem Kopf dreht: Er sagte, dass die skandalöse, fast kreischende Tuberose in Fracas den Frauen nach dem Krieg half das auszudrücken was sie nicht mit Worten sagen konnten. Im Fall von Fracas sei es die Tatsache, dass die Frauen während des Krieges alle Tätigkeiten der Männer an der Heimatfront erfolgreich übernommen hatten, nur um dann wieder in sehr einengende Geschlechterrollen zurückzukehren. Natürlich waren sie froh sich wieder als Frauen fühlen zu können - etwas was im Erfolg der von Dior erfundenen überzeichnet–weiblichen Silhouette des "New Look" wiederzufinden ist -, und dennoch konnten sie den alten Käfig nicht mehr voll genießen. Diesen Konflikt der inneren Wünsche auszudrücken war zu kompliziert - man wollte nach dem Krieg den Frieden genießen -, also übernahm dies Fracas.

Dieser Gedanke fiel mir wieder ein, als ich die dreiteilige BBC-Doku zu Parfums auf YouTube schaute. Dort entdeckte ein britisches Pärchen, dass unter ihren Vorfahren Parfums herstellten. Und die enthielten sehr viel Zibet. Es wurde erklärt, dass die von Sauberkeit und Keuschheit besessenen Viktorianer_innen interessanterweise nicht genug des Öls aus den Analdrüsen der Zibetkatze in ihrem Parfum haben konnte. Ein seltsamer Trend der Zeit? Etwas, das nur jemandem, der sein/ihr Leben in einer stinkenden viktorianischen Großstadt verbracht hat, als angenehm vorkommen kann? Oder war so ein Parfum Ausdruck der dreckigen, verbotenen Begierden, die die Viktorianer_innen in keiner anderen Form zum Ausdruck bringen durften?

In meiner Sammelei entdeckte ich außerdem die wundervollen Düfte, die in den 80er und 90er Jahren für Frauen gemacht wurden. Für mich haben sie alle diesen "Vavavoom"-Effekt: Ich assoziiere sie mit der Präsenz einer reifen, selbstbewussten Frau, die sich ihrer sexuellen Anziehungskraft bewusst ist und weiß, wie sie sie einzusetzen hat. Und von solchen Düften gab es damals eine ganze Menge. Heutzutage gibt es immer mehr Zuckerbomben und Obstaromen in den Mass-Market-Parfums, die allesamt der Fantasie einer zwölfjährigen entsprungen scheinen. Manche davon werden sogar explizit an ältere Frauen vermarktet, was für mich überhaupt nicht passt. Klar bin ich der Meinung, dass jede_r so riechen soll wie er/sie möchte. Aber in diesem Trend sehe ich die Spiegelung unseres aktuellen Verjüngungswahns. Haben wir die Wertschätzung für erwachsene Weiblichkeit verloren, sodass Frauen über 40 nach Lutschbonbons riechen sollen?

Keine kreischenden weißen Blumen mehr. Keine Aldehyde mehr. Keine reinen Parfums mehr. Alles ist leicht, eckt nicht an und hat eine Schicht Puderzucker obendrauf. SuperDacob hat die Theorie, dass während früher die Frauen den Mund halten, lächeln und ihr Parfum für sich sprechen lassen mussten, heute das Gegenteil vorherrscht. Wir haben alle eine laute Meinung und politische Haltung zu allem. Und auf den Social Media–Plattformen teilen wir diese auch ständig mit der ganzen Welt. Unsere Düfte sollen das jetzt ausgleichen und im Sinn der Political Correctness versuchen es jedem/jeder Recht zu machen. Denn jeder mag doch Lutschbonbons, oder? Und wenn nicht, ist es auch nicht schlimm. Der Duft hält eh nicht lange. 

Ich bin sehr gespannt, ob euch mehr Beispiele zu dem Gedanken einfallen. Kennt ihr Trends in den Mass-Market-Parfums, die gewisse (un)ausgesprochen Gedanken/Gefühle ihrer Zeit ausdrückten? Ich bin sehr gespannt auf eure Kommentare!

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