05.07.2023 - 05:03 Uhr
Marieposa
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45
Clawdia Chauchat
Mit einem Krachen ließ sie die Tür ins Schloss fallen und wartete mit dem Anflug eines Lächelns auf das unterdrückte Zucken seiner Schultern. Wie jeden Tag saß er mit dem Rücken zu ihr auf demselben Platz im Speisesaal des Sanatoriums. Sie hatte nicht mitgezählt, wie viele Wochen es gedauert hatte, bis er sich endlich dazu durchringen konnte, sich zu ihr umzusehen. Sie zog verstohlen die irisblauen Lederhandschuhe von den zierlichen Fingern mit den grob geschnittenen Nägeln und tauschte einen verschwörerischen Blick mit seiner Sitznachbarin auf der ihr zugewandten Tischseite, die bei ihrem Namen immer ins Stottern geriet.
Es fiel ihr schwer, die offensichtliche Anspannung in seiner Körperhaltung zu deuten, kaum dass sie den Raum betrat. Sprach daraus vielleicht doch unverhohlene Ablehnung? Aber warum hätten er und der Doktor dann so ausführlich über den Farbton der ylangcremigen Haut mit dem leichten Rosenton auf dem grässlichen Portrait gefachsimpelt, das der Arzt in unendlichen Sitzungen mit viel Leidenschaft und ohne jegliches Talent von ihr angefertigt hatte. Und warum ging ihr seit dem zufällig belauschten Gespräch der Gedanke nicht mehr aus dem Kopf, dass dieser petit bourgois dort am Tisch ein besseres Konterfei zustande gebracht hätte, würde es ihm nur endlich gelingen, sich von seinem oppressiven Kleingeist zu befreien.
Sie seufzte augenrollend und sank wieder in eine leicht gebeugte Haltung zusammen. Das Rätselraten und die Krankheit setzten ihr zu. Sie hustete verstohlen in ein mit Südfrüchten besticktes Seidentaschentuch, während sie sich auf das Geräusch ihrer leicht von Schnee durchweichten Lederstiefel auf dem Parkettboden aus hellem Birkenholz konzentrierte, und spürte, wie sein Blick in ihrem Nacken den zarten Schal aus jasminweißer Gaze durchdrang, bevor sie ihn für den Bruchteil einer Sekunde aus dem Augenwinkel einfing.
**
Anders als Clawdia Chauchat, die Russin mit dem französischen Namen aus Thomas Manns „Zauberberg“, ist Chanels Cuir de Russie eine Französin mit russischem Namen, doch diese merkwürdige gegengleiche Spiegelung ist nicht das einzige, was den Duft mit Thomas Manns Romanfigur verbindet. Genau wie Madame Chauchat betritt auch Cuir de Russie den Raum mit einem Türenknallen aus den chaneltypischen Aldehyden, Bergamotte und flüsterndem, aber erkennbar rauchigem Birkenteer, worunter schon bald der bekannte blumige Dreiklang aus Jasmin, Rose und Ylang-Ylang hervortritt, der so viele Chaneldüfte miteinander verbindet. Doch die üppigen Blüten sind hier dunkler und indolischer als gewohnt. Im Zentrum des Duftes schlägt ein Irisherz, das sanft pulsierend eine Brücke zwischen den Blumen und dem dunkel-animalischen, Birkenteer gegerbten Leder baut, es weich macht, fast schon buttrig und so zart, dass man die unterschwellig brodelnde Dunkelheit des Duftes fast vergessen könnte. In der Basis zergehen die Blüten dann förmlich in weichem Leder, zartestem Rauch, feinen Tabaknoten und wollüstigem Amber.
So führt Cuir de Russies Weg über die leicht unterkühlte französische Eleganz eines Bilderbuch-Chaneldufts über die spröde Sinnlichkeit der klassischen olfaktorischen russisch-Juchten-Idee hin zu diesem so einzigartigen und kostbaren Lederakkord, von dem ich einfach nicht genug bekomme. Diese harmonisch verbundene Widersprüchlichkeit von Blüten und Leder, von Hell und Dunkel, Kalt und Warm, West und Ost ist es, welche in meiner Wahrnehmung die mannsche Dualität von femme fragile und femme fatal, verkörpert durch Clawdia Chauchat, und die Künstler-Bürger-Problematik von Hans Castorp widerspiegelt. Dies gilt vor allem insofern, dass sich Letzterer offensichtlich entschlossen hat, so langsam wie Cuir de Russies Blüten im dunklen Leder unter dem katzenhaften Blick seiner baudelaireschen Schönheit zu sterben.
Genau wie Chanels Cuir de Russie ist Thomas Manns „Zauberberg“ 1924 erschienen – und wer weiß, was auf Ernest Beaux‘ Nachtkästchen lag, als Coco Chanel ihn beauftragte, ihre Affäre mit Großfürst Dmitri Pawlowitsch Romanow, einem Cousin des letzten russischen Zaren, in ein Parfum zu übersetzen.
Liebe Trollo, ich danke dir von ganzem Herzen, dass du mir ermöglicht hast, das Original aus den 1920er-Jahren kennenzulernen! Es ist eine unvergleichliche Kostbarkeit und ich hüte jeden Tropfen wie meinen Augapfel.
Es fiel ihr schwer, die offensichtliche Anspannung in seiner Körperhaltung zu deuten, kaum dass sie den Raum betrat. Sprach daraus vielleicht doch unverhohlene Ablehnung? Aber warum hätten er und der Doktor dann so ausführlich über den Farbton der ylangcremigen Haut mit dem leichten Rosenton auf dem grässlichen Portrait gefachsimpelt, das der Arzt in unendlichen Sitzungen mit viel Leidenschaft und ohne jegliches Talent von ihr angefertigt hatte. Und warum ging ihr seit dem zufällig belauschten Gespräch der Gedanke nicht mehr aus dem Kopf, dass dieser petit bourgois dort am Tisch ein besseres Konterfei zustande gebracht hätte, würde es ihm nur endlich gelingen, sich von seinem oppressiven Kleingeist zu befreien.
Sie seufzte augenrollend und sank wieder in eine leicht gebeugte Haltung zusammen. Das Rätselraten und die Krankheit setzten ihr zu. Sie hustete verstohlen in ein mit Südfrüchten besticktes Seidentaschentuch, während sie sich auf das Geräusch ihrer leicht von Schnee durchweichten Lederstiefel auf dem Parkettboden aus hellem Birkenholz konzentrierte, und spürte, wie sein Blick in ihrem Nacken den zarten Schal aus jasminweißer Gaze durchdrang, bevor sie ihn für den Bruchteil einer Sekunde aus dem Augenwinkel einfing.
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Anders als Clawdia Chauchat, die Russin mit dem französischen Namen aus Thomas Manns „Zauberberg“, ist Chanels Cuir de Russie eine Französin mit russischem Namen, doch diese merkwürdige gegengleiche Spiegelung ist nicht das einzige, was den Duft mit Thomas Manns Romanfigur verbindet. Genau wie Madame Chauchat betritt auch Cuir de Russie den Raum mit einem Türenknallen aus den chaneltypischen Aldehyden, Bergamotte und flüsterndem, aber erkennbar rauchigem Birkenteer, worunter schon bald der bekannte blumige Dreiklang aus Jasmin, Rose und Ylang-Ylang hervortritt, der so viele Chaneldüfte miteinander verbindet. Doch die üppigen Blüten sind hier dunkler und indolischer als gewohnt. Im Zentrum des Duftes schlägt ein Irisherz, das sanft pulsierend eine Brücke zwischen den Blumen und dem dunkel-animalischen, Birkenteer gegerbten Leder baut, es weich macht, fast schon buttrig und so zart, dass man die unterschwellig brodelnde Dunkelheit des Duftes fast vergessen könnte. In der Basis zergehen die Blüten dann förmlich in weichem Leder, zartestem Rauch, feinen Tabaknoten und wollüstigem Amber.
So führt Cuir de Russies Weg über die leicht unterkühlte französische Eleganz eines Bilderbuch-Chaneldufts über die spröde Sinnlichkeit der klassischen olfaktorischen russisch-Juchten-Idee hin zu diesem so einzigartigen und kostbaren Lederakkord, von dem ich einfach nicht genug bekomme. Diese harmonisch verbundene Widersprüchlichkeit von Blüten und Leder, von Hell und Dunkel, Kalt und Warm, West und Ost ist es, welche in meiner Wahrnehmung die mannsche Dualität von femme fragile und femme fatal, verkörpert durch Clawdia Chauchat, und die Künstler-Bürger-Problematik von Hans Castorp widerspiegelt. Dies gilt vor allem insofern, dass sich Letzterer offensichtlich entschlossen hat, so langsam wie Cuir de Russies Blüten im dunklen Leder unter dem katzenhaften Blick seiner baudelaireschen Schönheit zu sterben.
Genau wie Chanels Cuir de Russie ist Thomas Manns „Zauberberg“ 1924 erschienen – und wer weiß, was auf Ernest Beaux‘ Nachtkästchen lag, als Coco Chanel ihn beauftragte, ihre Affäre mit Großfürst Dmitri Pawlowitsch Romanow, einem Cousin des letzten russischen Zaren, in ein Parfum zu übersetzen.
Liebe Trollo, ich danke dir von ganzem Herzen, dass du mir ermöglicht hast, das Original aus den 1920er-Jahren kennenzulernen! Es ist eine unvergleichliche Kostbarkeit und ich hüte jeden Tropfen wie meinen Augapfel.
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