Rene72
Sehr hilfreiche Rezension
8
Das Kräuterbuch von 1491 - meisterhaft umgesetzt
Das Hortus Sanitatis ist ein Buch der Kräuterheilkunde, das 1491 (!) in Mainz gedruckt wurde. Und genau dies ist in erstaunlich guter Weise in diesem Duft umgesetzt. Zum einen die Kräuternoten, die schon auch an Arznei erinnern. Gleichzeitig auch eine unten schon beschriebene Muffigkeit, ich würde eher sagen, der Geruch von alten Mauern, altem Leinen. Es ist wohl orientiert an altem Papyrus, das genau diese Gerüche aufgenommen hat, als Hortus Sanitatis in seiner Zeit. So riecht ein Buch, das lange dort gelagert und geatmet hat, vielleicht auch in einem Kloster, wo im 15. Jahrhundert ja genau solche Kräuter angebaut und zu Tinkturen verarbeitet wurden.
Mich erinnert der Duft an einen Besuch im Dungeon in Hamburg, in dem der Besucher Szenerien der dunklen Geschichte der Hansestadt durchschreitet. Genau genommen ist die Station, die mich erinnert, dem Thema Pest gewidmet. Von einem Mönch in Leinen-Kutte in einem Laboratorium mit zahlreichen Tinkturen wird dem Besucher geschildert, wie sehr auch die Hansestadt Hamburg unter der Pest litt. Das klingt jetzt schlimmer als es ist. Der Duft stinkt nicht wie die Pest!
Man kann dort nur eine sehr extreme Überspitzung dieses Duftes feststellen.
Ich könnte schwören, dass ich eine Animalik herausriechen konnte. Sowohl im Dungeon, wo natürlich auch der Geruch von Körperflüssigkeiten mit den Kräutertinkturen vermischt wurde. Aber auch das Perfum Hortus Sanitatis enthält für mich etwas animalisches im weiteren Verlauf. Es tritt auch eine gewisse Rauchigeit hinzu. Der Duft wandelt sich sehr, immer wieder scheint eine andere Kräuternote durchzukommen. Wenn auch in der Duftpyramide nicht angegeben, sind verschiedene Kräuter enthalten. Ich tippe auf Salbei, der auch in der Natur durchaus eine gewisse Animalik besitzt, teilweise nach abgestandenem Urin riechen kann, Kamille, Thymian, Rosmarin, Estragon und vor allem auch Lorbeer. Ein Klostergarten mit Kräuterbeeten, ein Laboratorium, in dem Tinkturen über offener Flamme köcheln und kokeln und mittendrin, ein Buch der Rezepturen und Wirkungen, das Hortus Sanitatis, das diese Gerüche aufnimmt.
Ich finde, Morillas hat das Thema meisterhaft umgesetzt und aus dieser Herausforderung (denn wer will schon wie ein altes muffiges Buch oder wie eine mittelalterliche Peststation riechen) ein tragbares Parfum gestaltet.
Ich will nicht leugnen, dass dieses Parfum fordernd ist. Aber es gibt so viel herauszuriechen und es schreit nicht nach Komplimenten. Es umhüllt den Träger aber mit einem geheimnisvollen Flair.