loewenherz
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Floribama Shore
So lautet der Name einer seit Ende der 2010er Jahre vergleichsweise populären Reality TV-Show, die von MTV als Nachfolgerin des seinerzeit legendären Jersey Shore produziert wird. Konnte man dort italienischstämmige Amerikaner mehr weniger erfrischend schlichten Gemüts bei ihren Paarungsritualen beobachten - der New Yorker kommentierte damals, 'man könne sich beim Zusehen des Gefühls kaum erwehren, Anthropologe zu sein und durch eine Baumlücke heimlich einen neuen Eingeborenenstamm zu beobachten' - verlegt der Spin-Off die Handlung an die US-Golfküste, als Kunstwort aus den Bundesstaaten Florida und Alabama zu 'Floribama' verkürzt.
Das Konzept ist identisch. Der gegenüber dem Mid Atlantic-Idiom doch sehr andere breite Südstaatenakzent stellt dem Thema eine neue Komponente bei, doch sind Handlung und Rituale an jenem in den USA als 'Redneck Riviera' bekannten Küstenstreifen noch dieselben. Jede Menge Alkohol meets Zickezacke Hühnerkacke meets großflächige, nicht immer sachkundig ausgeführte Tätowierungen - und fertig ist die Laube. Und selbst wenn das Prinzip 'die selbstwahrgenommene Nichtunterschicht betrachtet die Unterschicht und schreit dazu: Ey, kuck ma - die Assis!' wohl noch viele Wiederholungen verträgt, hat man hier doch das Gefühl: 'Schon mal gesehen. Langweilig.'
Schon mal gesehen. Langweilig.
Habe ich Tom Ford bei Lost Cherry noch insgeheim für seine Chuzpe Anerkennung gezollt, ein Parfum mit eher 'gewöhnlichen' Attributen selbstbewusst in der Private Blend-Liga zu allokieren - because he can! - merke ich hier doch: auch das Konzept lässt sich nicht beliebig wiederholen. Einmal war witzig, einmal war cool. Beim zweiten und beim dritten Mal ist ein billiger Duft eben einfach nur ein billiger Duft. Und wenn man Anfang der 2010er Jahre beim ersten Mal Jersey Shore noch passabel unterhalten war von einem dergestalt selbstbewusst zur Schau gestellten Mangel an Kultiviertheit, reicht der kleine Sidekick "Southern Accent" zehn Jahre später nicht mehr aus.
Lost Cherry, der noch irgendwie souverän zwischen 'classy' und 'trashy' balanciert, war als Parfum schon kein Wagnis mehr. Spätestens seit Guerlains La Petite Robe Noire und seinen Bastarden ist der Akkord Kirsche inklusive all seiner mehr oder weniger subtilen Konnotationen aus dem Parfummainstream nicht mehr wegzudenken. Lost Cherry war somit bereits ein Trittbrettfahrer, wenngleich ein charmanter und einer, den man der Marke Tom Ford gestatten wollte. Ein weiterer ist selbst für einen eingefleischten Jünger seines Œuvres wie mich, dem das sogenannte Preis-Leistungs-Verhältnis bei Parfums im Grunde Wurst ist, einfach ein neues Kaiserkleid zu viel.
Dabei ist Electric Cherry als Parfum noch nicht einmal empörend schlecht. Wer leichte, frivole Mädchendüfte mag, dem mag er vielleicht gut gefallen: Kirsche und Zucker und Jasmin - sexy und frech halt, alles klar? Empörend ist vielmehr, dass hier - und das kann man dem Kaufmann Tom Ford gar nicht mal vorwerfen, denn bei den blauen Sommerdüften hat es ja funktioniert - eine zweitklassige Idee zweitklassig reproduziert wird, die schon beim ersten Mal einer gehörigen Portion Wohlwollens bedurfte, um noch als halbwegs 'classy' durchzugehen. Electric Cherry oszilliert nicht zwischen Trash und Klasse. Electric Cherry, der riecht - sorry - einfach dünn und cheap.
Fazit: mein erster Verriss eines Tom Ford Private Blends. Tut mir echt leid, Tom. Und dir hoffentlich auch.