Carpintero
Top Rezension
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Verdammt, ich brauch dich, ich brauch dich nicht.
Diese Zeilen von Matthias Reim sind äusserst treffend, wenn es um diesen Duft geht. Denn: Verdammt ich lieb dich, ich lieb dich nicht.
Es folgt ein ausgiebiger Vergleich zwischen dieser und der EDP-Version, die es seit 2009 gibt. Die EDT-Version aus dem Jahre 2014 habe ich bis heute nie getestet, deshalb geht es in diesem Vergleich ausschliesslich um die EDP und P-Version.
Getestet und sofort gekauft habe ich diesen Duft vor 2 Wochen im Duty Free des Zürcher Flughafens — wie mir mitgeteilt wurde, sei diese Version ein “Duty Free Exclusive”. Ob dem tatsächlich so ist und es sich hierbei um eine ausgeklügelte Marketingstrategie handelt, weiss ich nicht.
Was ich aber weiss, ist, dass ich mich ziemlich schnell in diesen neuen alten Duft von Tom Ford extrem verliebt habe.
Denn extrem ist er, der Grey Vetiver Parfum. In sämtlichen Belangen.
Beginnen wir mit dem Flakon — ähnlich zur Parfum-Variante des Black Orchids ist der Flakon dieser Version undurchsichtig und kommt in modernem Silber daher. Während der Flakon der EDP-Version zeitlos klassisch im milchigen Glas erscheint, wirkt das undurchsichtige Silber weitaus moderner und perfekt im Stil der neuen 20-er Jahre.
Nun zum Inhalt:
Gegenüber der EDP-Variante kommt das Parfum gleich zu beginn stärker und intensiver daher. Die ersten paar Augenblicke waren schon beinahe “stechend”, so stark war der Duft. Während das EDP einen auf zeitlosen Gentleman macht, perfekt zu maßgeschneidertem Anzug, perfekt sitzender Frisur und frisch gebügeltem Hemd passt, hat die Parfum-Variante auch das Potenzial, mit Jeans und Hoodie seine volle Wirkung zu entfalten und dabei nicht etwa deplatziert, sondern genau richtig zu sein.
So modern, wie der Flakon der Parfum-Variante daherkommt, so modern lässt er seine:n Träger:in erscheinen. Und der Genderdoppelpunkt ist hier absichtlich Platziert: Während meine Frau die EDP-Version nie tragen würde, hat sie sich in den letzten zwei Wochen immer wieder am Parfum bedient. Und als Reaktion folgten viele Komplimente.
Obschon der Duft immer noch männlich ist, seifiger Vetiver die Hauptrolle spielt und ein gewisses Saubermann (oder -frau) Image verleiht, besticht die Parfum-Version durch Ecken und Kanten, durch eine Tiefe und gewisse Verruchtheit, bei welcher die EDP-Version einfach nicht mithalten kann.
Die EDP-Version ist sauber, clean, straight forward und makellos. Die Duftnoten perfekt aufeinander abgestimmt, man(n) eckt nicht an, strahlt Souveränität und Frische aus — eben: Perfekt zum maßgeschneiderten Designeranzug.
Die Parfum-Version ist dunkler und tiefer, da nach dem etwas (zu) stechenden Auftakt von seifigem Vetiver sich sehr schnell dunkles Leder (ähnlich wie in der Parfum-Version des Ombré Leather) und vermutlich Patchouli gesellen. Diese “erden” das Dufterlebnis, verleihen dem Parfum einen verruchten Twist und passen sowohl zum Maßanzug als auch zu Hoodie und (möglicherweise) Bomberjacke.
Während die Orangenblüte neben der Grapefruit eine vermeintlich eher untergeordnete Rolle beim EDP spielt, kommt diese Duftkomponente in der Parfum-Version zum vollen Einsatz und untermalt auf eine sehr spezielle Art- und Weise den seifigen Vetiver und die ledrige Komponente des Parfums.
Und eine weitere Note ist in dieser Version neu, wenn auch nur im Hintergrund: Der Safran. Während dieser im EDP überhaupt nicht vorkommt, gibt er der Parfum-Version eine zusätzliche Wärme und Tiefe, die nach der anfänglichen Verruchtheit eine gewisse Art der Geborgenheit und gleichzeitigen Verführung ausstrahlt.
Subjektiv habe ich den Eindruck, dass die Duftnoten von seifigem Vetiver, glattem Leder, erdigem Patchouli, blumiger Orangenblüte und wärmendem Safran perfekt aufeinander abgestimmt sind und im Gesamtbild die Parfum-Version deutlich lauter und intensiver daherkommen lassen, dabei allerdings kein unangenehmes Schrei-Konzert veranstalten.
Der Duft ist Modernität in seiner schönsten Form, hat Ecken und Kanten, weniger Saubermann-Image und mehr Individualität. Er unterstreicht die eigene Persönlichkeit und liefert ein Statement ab: Ganz gleich, ob Mann oder Frau, 20 oder 40 oder 60, im Anzug oder Hoodie.
Die ganz große Preisfrage nun aber: Brauch ich ihn?
Wie meine Überschrift verraten lässt, bin ich zwiegespalten: Ich besitze ihn seit zwei Wochen und er ist im ständigen Einsatz.
Komplimente dazu kommen viele und meine Frau liebt ihn so sehr, dass sie ihn sogar selbst benutzt.
Ich denke, es kommt auf das Gesamtbild an: Wer im Büro nicht anecken möchte, einfach sauber und gut riechen möchte und dabei einen zeitlos modernen Klassiker tragen möchte (und viele Sätze mit “möchte” sagen möchte), der ist mit dem EDP perfekt bedient und benötigt vermutlich nicht noch diese Variante.
Wer die EDP-Variante liebt, aber möglicherweise die Ecken und Kanten vermisst, etwas gewagtere Auftritte liebt und sich dabei an etwas Verruchtheit und Tiefe nicht stört, könnte die Parfum-Version lieben.
Für mich ist der Duft ein modernes Kunstwerk, bei dem sich die Geister vermutlich scheiden werden. Für mich einer der besten Releases aus dem Hause Ford und definitiv ein Duft, der durchaus Signature-Potenzial hat.