29.09.2023 - 11:26 Uhr

Axiomatic
143 Rezensionen

Axiomatic
Top Rezension
64
Dekonstruktion
Was verbirgt sich hinter einem grün blumigen Chypre, was kann so faszinierend verstörend sein?
Die vorliegende Komposition ist schon maliziös, elegant und recht markant, keine Verwechslung möglich.
Doch bliebe es nur dabei.
Es sind die Menschen und die Konstellationen, welche mehr über ein blumiges Vetiver erzählen können.
Vor ein paar Jahren, nach geglaubter Auslöschung plagender Erinnerungen, stand ich sediert am YSL Stand.
Da glänzte diese außerirdische Kapsel in blau, silber und schwarz, der Name und die Konzentration naiv kursiv gedruckt.
Meine Hände zitterten und etwas schnürte mir die Kehle zu.
Ich ignorierte den Hinweis eines Damenduftes, Kouros stünde auf der anderen Seite.
Wie Jahrzehnte zuvor trotzte ich der Warnung.
Zisch!
Daniela Andrier schien 2003 eine Altersvorgabe umgesetzt zu haben, ihre Version zeichnet das Meisterwerk von Jacques Polge aus dem Jahr 1970 FSK tauglich.
Etwas metallisch ist der Start schon, doch weit sanfter als ursprünglich beabsichtigt.
Es waren diese Aldhyde, die sich damals für immer in meinem Hirn einprägen sollten.
Heute verfliegen sie leider schneller, haben etwas Kaschiertes, als hätte man, wie es heute Mode ist, eine Szene subtil zensiert, vielleicht unscharf manipuliert.
Je weiter wir uns freier wähnen, desto reglementierender die Schranken, merkwürdige Entwicklung.
Das den Aldehyden folgende Blumenbouquet ist exquisit zusammen gestellt. So ausgewogen an Weißblühern, grünlichen Rosen, giftigen Maiglöckchen. Sehr frisch und feucht dank der Magnolie, wie à la minute zusammengesteckt und mit einer unheimlichen Grußkarte aus Büttenpapier versehen.
Sicher, der Pfirsich händigt zusammen mit dem Ylang eine wärmere Eintrittskarte für den Autorenfilm aus. Doch hat man den Kinosaal betreten und Platz genommen, werden die Bilder grünlich kühl und ernster flackern.
Der Star des Abends ist ein mit Salzsäure gereinigtes Vetiver. Makellos, aristokratisch grün und mit besten Manieren. Die Wasserstoff-Kationen umschmeicheln äußerst sanft das duftend rauchende Gras.
Ihrer chemischen Eigenschaft folgend warten sie auf gegenpolige Partner. So lauern sie gediegen eingebettet zwischen den Blüten.
Und sie wissen um ihre Zersetzungskraft.
Dabei wird die Umgebung klug betäubt. Ohne es zu merken, verströmt die cremige Basis an Eichenmoos und Sandelholz mit dieser dezenten Tonkaglasur eine delikat bequeme Grundlage. Man kann sich fallen lassen, man wird sanft aufgefangen.
Der sexuelle Trieb des mattierten Moschus tröpfelt wohldosiert und schmackhaft, mit Ambra geschminkt, verstohlen auf die Blätter des Grases.
Eine Idee an Würze, so, als hätte man eine Flocke Fleur de Sel drauf gestreut. Genau diese exakte Prise, um die Gaumenknospen gütig zu stimmen.
Der Vorhang wird sich elegant schließen. Doch dafür ist die Basis einfach zu gelungen, um nicht lechzend nach der nächsten Veranstaltung zu verlangen. Die mondäne Abstimmung des seifig Holzigen, leicht tonka-süßlich, wird lange als Abspann auf der Haut verweilen.
Toll, nicht?
Ich vergebe Frau Andrier 9 Punkte, die glatte 10 verdient weiterhin Herr Polge, sein Rive Gauche ist die ungekürzte Fassung mit Regisseur-Interview.
Die erste Werbung des Duftes kam 1973 heraus, damals war ich noch zu klein, um sie zu verstehen. Das sollte sich allerdings gegen Ende der Dekade ändern.
Hier im ersten Clip wird eine stereotypische, unterwürfige Frau an der Seite ihres herrischen Gatten in einem Café gezeigt. Ich frage mich nur, welches Jahrzehnt damit gemeint war, während meiner Kindheit habe ich keine einzige erwachsene Frau so erlebt.
Ein paar Zische weiter ist sie nun befreit, mampft schmatzend ein Sahnetörtchen und raucht dabei. Hochkalorisch stärkt sie sich mit einem Milkshake. Das tolle an der Werbung oder dem Film ist, immer eine perfekte Figur dabei abzugeben.
Am Nebentisch im Café hockt ein Mann und bietet ihr Feuer an. Wie unerhört chauvinistisch!
Der potentielle Schuft wird zum Glück von ihren Freundinnen zur Seite geschubst und genüsslich lächerlich gemacht.
Komisch, ich kann mich nicht daran erinnern, je eine Herrenduft-Werbung mit vertauschten Rollen gesehen zu haben.
Die weiteren Werbeclips der 1980er waren an plakativer Mittelmäßigkeit nicht zu übertreffen.
Mal streitet und versöhnt sich ein Yuppie-Pärchen in Paris, mal hat eine Ledige/Ehefrau es fast verpasst, beim Standesamt zu ihrer Blitzhochzeit/Scheidung rechtzeitig zu erscheinen, der Anlass bleibt offen.
Die Krönung des Ulkigen aber ist das Abwehren zweier Einbrecher in einer luxuriösen Wohnung in Paris. Einfach ein YSL Kostüm ohne BH und Bluse tragen, rasch Rive Gauche zischen und schon hat Mademoiselle/Madame den Meister Bruce Lee mit Karate-Griffen übertrumpft. Traurig nur, dass die gewaltbereite Wirklichkeit bei solchen Einbrüchen immer mit schauderhaften, blutverschmierten Meldungen in gewissen Medien für pralle Kassen sorgt.
Schauderhaft ist der Duft nicht, ganz im Gegenteil, er konnte jedoch eine unheilvolle Entwicklung der 1970er wohlriechend untermalen, zumindest in meinem näheren Umfeld.
Die Mutter eines Schulfreundes trug den Duft wie eine zweite Haut.
Und sie war es, die wie keine andere das Wort Selbstverwirklichung sich auf die Fahne geschrieben hatte.
Blöd nur, dass ihre Statisten/Kinder irgendwie nicht filmisch zur Szenerie passten und tollpatschig nach familiärer Geborgenheit lechzten.
Beide Statisten/Kinder werden auf gediegenen Kinosesseln festgezurrt, ich kann jederzeit den Kinosaal frühzeitig verlassen, auf der Heimfahrt entzaubert schweigen und meine heimliche Sprühstelle wie einen Schatz hüten.
Yvette, Du Schönste aller Schönen, verkannte Muse Deines nie gekannten Helmut Newton, devote doch übersehene Prêt-à-porter Ikone Deines Gurus Yves, beste Schülerin Deines dekonstruktivistischen Lehrers Jacques Derrida, nebenbei Mutter zweier Kinder/Statisten.
Dein Kosename Produkt solidarisch freundschaftlicher Umjubelung Deiner Peer-Group, den Zynikerinnen entging Dein Kaufverhalten chez YSL nicht.
Der eine Statist/Sohn mich noch als Kind zu Dir führte.
Mein gesellschaftlicher Stand nie so ironischer in meinen Ohren klang.
Doch eines halte ich Dir hoch, Geschmack und Gestik waren Dir in die wohlhabende Wiege gelegt.
Andere werden auch Rive Gauche benutzen, doch nie so einprägsam wie Du. Sie verschwinden aus meinen Erinnerungen.
Yvette, keine andere sprühte sich so exquisit, so natürlich geschmeidig ein.
Deine Handbewegungen, wie einstudiert, huldigten dem kalten Metallzylinder wie fragiles Porzellan.
Hals, Dekolleté, Oberschenkel.
Gerade da musstest Du immer sarkastisch lachen.
Bis Anfang der 1980er wirst Du Dein Vorhaben erreicht haben, Dein Beitrag zur Zerstörung tradierter Verhältnisse wird Früchte tragen. Doch diese Welt wird umso kälter und gnadenloser werden. Von Deiner Ehe und Familie werden nur noch Ruinen übrig bleiben.
Heute schaue ich mir das aktuelle Foto meines Schulfreunds an. Inmitten der Aldehyden meiner Metalldose wirken seine dunkel umrandeten Augen immer noch traurig und verletzt.
Die Dosis war wohl zu stark für ihn.
Life on Mars von David Bowie sagt alles aus, es erleichtert mir meine Abrichtung an blumigem Vetiver.
Und etwas Außerirdisches schnürt mir erneut die Kehle zu.
Die vorliegende Komposition ist schon maliziös, elegant und recht markant, keine Verwechslung möglich.
Doch bliebe es nur dabei.
Es sind die Menschen und die Konstellationen, welche mehr über ein blumiges Vetiver erzählen können.
Vor ein paar Jahren, nach geglaubter Auslöschung plagender Erinnerungen, stand ich sediert am YSL Stand.
Da glänzte diese außerirdische Kapsel in blau, silber und schwarz, der Name und die Konzentration naiv kursiv gedruckt.
Meine Hände zitterten und etwas schnürte mir die Kehle zu.
Ich ignorierte den Hinweis eines Damenduftes, Kouros stünde auf der anderen Seite.
Wie Jahrzehnte zuvor trotzte ich der Warnung.
Zisch!
Daniela Andrier schien 2003 eine Altersvorgabe umgesetzt zu haben, ihre Version zeichnet das Meisterwerk von Jacques Polge aus dem Jahr 1970 FSK tauglich.
Etwas metallisch ist der Start schon, doch weit sanfter als ursprünglich beabsichtigt.
Es waren diese Aldhyde, die sich damals für immer in meinem Hirn einprägen sollten.
Heute verfliegen sie leider schneller, haben etwas Kaschiertes, als hätte man, wie es heute Mode ist, eine Szene subtil zensiert, vielleicht unscharf manipuliert.
Je weiter wir uns freier wähnen, desto reglementierender die Schranken, merkwürdige Entwicklung.
Das den Aldehyden folgende Blumenbouquet ist exquisit zusammen gestellt. So ausgewogen an Weißblühern, grünlichen Rosen, giftigen Maiglöckchen. Sehr frisch und feucht dank der Magnolie, wie à la minute zusammengesteckt und mit einer unheimlichen Grußkarte aus Büttenpapier versehen.
Sicher, der Pfirsich händigt zusammen mit dem Ylang eine wärmere Eintrittskarte für den Autorenfilm aus. Doch hat man den Kinosaal betreten und Platz genommen, werden die Bilder grünlich kühl und ernster flackern.
Der Star des Abends ist ein mit Salzsäure gereinigtes Vetiver. Makellos, aristokratisch grün und mit besten Manieren. Die Wasserstoff-Kationen umschmeicheln äußerst sanft das duftend rauchende Gras.
Ihrer chemischen Eigenschaft folgend warten sie auf gegenpolige Partner. So lauern sie gediegen eingebettet zwischen den Blüten.
Und sie wissen um ihre Zersetzungskraft.
Dabei wird die Umgebung klug betäubt. Ohne es zu merken, verströmt die cremige Basis an Eichenmoos und Sandelholz mit dieser dezenten Tonkaglasur eine delikat bequeme Grundlage. Man kann sich fallen lassen, man wird sanft aufgefangen.
Der sexuelle Trieb des mattierten Moschus tröpfelt wohldosiert und schmackhaft, mit Ambra geschminkt, verstohlen auf die Blätter des Grases.
Eine Idee an Würze, so, als hätte man eine Flocke Fleur de Sel drauf gestreut. Genau diese exakte Prise, um die Gaumenknospen gütig zu stimmen.
Der Vorhang wird sich elegant schließen. Doch dafür ist die Basis einfach zu gelungen, um nicht lechzend nach der nächsten Veranstaltung zu verlangen. Die mondäne Abstimmung des seifig Holzigen, leicht tonka-süßlich, wird lange als Abspann auf der Haut verweilen.
Toll, nicht?
Ich vergebe Frau Andrier 9 Punkte, die glatte 10 verdient weiterhin Herr Polge, sein Rive Gauche ist die ungekürzte Fassung mit Regisseur-Interview.
Die erste Werbung des Duftes kam 1973 heraus, damals war ich noch zu klein, um sie zu verstehen. Das sollte sich allerdings gegen Ende der Dekade ändern.
Hier im ersten Clip wird eine stereotypische, unterwürfige Frau an der Seite ihres herrischen Gatten in einem Café gezeigt. Ich frage mich nur, welches Jahrzehnt damit gemeint war, während meiner Kindheit habe ich keine einzige erwachsene Frau so erlebt.
Ein paar Zische weiter ist sie nun befreit, mampft schmatzend ein Sahnetörtchen und raucht dabei. Hochkalorisch stärkt sie sich mit einem Milkshake. Das tolle an der Werbung oder dem Film ist, immer eine perfekte Figur dabei abzugeben.
Am Nebentisch im Café hockt ein Mann und bietet ihr Feuer an. Wie unerhört chauvinistisch!
Der potentielle Schuft wird zum Glück von ihren Freundinnen zur Seite geschubst und genüsslich lächerlich gemacht.
Komisch, ich kann mich nicht daran erinnern, je eine Herrenduft-Werbung mit vertauschten Rollen gesehen zu haben.
Die weiteren Werbeclips der 1980er waren an plakativer Mittelmäßigkeit nicht zu übertreffen.
Mal streitet und versöhnt sich ein Yuppie-Pärchen in Paris, mal hat eine Ledige/Ehefrau es fast verpasst, beim Standesamt zu ihrer Blitzhochzeit/Scheidung rechtzeitig zu erscheinen, der Anlass bleibt offen.
Die Krönung des Ulkigen aber ist das Abwehren zweier Einbrecher in einer luxuriösen Wohnung in Paris. Einfach ein YSL Kostüm ohne BH und Bluse tragen, rasch Rive Gauche zischen und schon hat Mademoiselle/Madame den Meister Bruce Lee mit Karate-Griffen übertrumpft. Traurig nur, dass die gewaltbereite Wirklichkeit bei solchen Einbrüchen immer mit schauderhaften, blutverschmierten Meldungen in gewissen Medien für pralle Kassen sorgt.
Schauderhaft ist der Duft nicht, ganz im Gegenteil, er konnte jedoch eine unheilvolle Entwicklung der 1970er wohlriechend untermalen, zumindest in meinem näheren Umfeld.
Die Mutter eines Schulfreundes trug den Duft wie eine zweite Haut.
Und sie war es, die wie keine andere das Wort Selbstverwirklichung sich auf die Fahne geschrieben hatte.
Blöd nur, dass ihre Statisten/Kinder irgendwie nicht filmisch zur Szenerie passten und tollpatschig nach familiärer Geborgenheit lechzten.
Beide Statisten/Kinder werden auf gediegenen Kinosesseln festgezurrt, ich kann jederzeit den Kinosaal frühzeitig verlassen, auf der Heimfahrt entzaubert schweigen und meine heimliche Sprühstelle wie einen Schatz hüten.
Yvette, Du Schönste aller Schönen, verkannte Muse Deines nie gekannten Helmut Newton, devote doch übersehene Prêt-à-porter Ikone Deines Gurus Yves, beste Schülerin Deines dekonstruktivistischen Lehrers Jacques Derrida, nebenbei Mutter zweier Kinder/Statisten.
Dein Kosename Produkt solidarisch freundschaftlicher Umjubelung Deiner Peer-Group, den Zynikerinnen entging Dein Kaufverhalten chez YSL nicht.
Der eine Statist/Sohn mich noch als Kind zu Dir führte.
Mein gesellschaftlicher Stand nie so ironischer in meinen Ohren klang.
Doch eines halte ich Dir hoch, Geschmack und Gestik waren Dir in die wohlhabende Wiege gelegt.
Andere werden auch Rive Gauche benutzen, doch nie so einprägsam wie Du. Sie verschwinden aus meinen Erinnerungen.
Yvette, keine andere sprühte sich so exquisit, so natürlich geschmeidig ein.
Deine Handbewegungen, wie einstudiert, huldigten dem kalten Metallzylinder wie fragiles Porzellan.
Hals, Dekolleté, Oberschenkel.
Gerade da musstest Du immer sarkastisch lachen.
Bis Anfang der 1980er wirst Du Dein Vorhaben erreicht haben, Dein Beitrag zur Zerstörung tradierter Verhältnisse wird Früchte tragen. Doch diese Welt wird umso kälter und gnadenloser werden. Von Deiner Ehe und Familie werden nur noch Ruinen übrig bleiben.
Heute schaue ich mir das aktuelle Foto meines Schulfreunds an. Inmitten der Aldehyden meiner Metalldose wirken seine dunkel umrandeten Augen immer noch traurig und verletzt.
Die Dosis war wohl zu stark für ihn.
Life on Mars von David Bowie sagt alles aus, es erleichtert mir meine Abrichtung an blumigem Vetiver.
Und etwas Außerirdisches schnürt mir erneut die Kehle zu.
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