15.01.2013 - 12:17 Uhr
MariellaMmmh
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MariellaMmmh
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33
Pani Stenia
Ich hatte das große Glück, mit zwei Großvätern und zwei Großmüttern aufzuwachsen. Sogar eine Urgroßmutter hatte ich bis vor einigen Jahren. Sie starb nur ein Jahr vor meinem deutschen Opa.
Pani Stenia, also polnisch für Frau Stenia, war die Nachbarin meiner polnischen Großeltern. Sie war wie eine weitere Uroma für mich. Wenn ich in Breslau war, was vor allem in den Sommerferien der Fall war, verbrachte ich auch viel Zeit mit ihr.
Pani Stenia schien mir schon uralt, als ich noch eine kleine Maus war - ihr Gesicht war völlig zerknautscht von den Falten. Trotz ihres Alters hatte sie schütteres, dunkles Haar. Sie war praktisch ihr ganzes Leben allein. Ihre Familie kam größtesteils im Krieg um, genau wie ihr Verlobter. Fortan lebte sie allein. Sie vermisste ihn jeden Tag, sagte sie mir mit schmerzerfüllter Stimme.
Pani Stenia liebte Kinder, und sie liebte mich wie ihr eigenes Enkelkind. Sie drückte mich immer sehnsuchtsvoll an sich, wenn ich mich nach dem Sommer verabschiedete. Leider hatte sie keine eigenen. Dabei wäre sie eine tolle Mutter und Großmutter gewesen.
Pani Stenia war Kettenraucherin. Sie hatte eine kleine Einzimmerwohnung neben meinen Großeltern. Sie schlief im Wohnzimmer, und dieses wurde auch zugequalmt. Da sie nicht mehr gut hören konnte, schaute sie mit voller Lautstärke das Spätabendprogramm, sie war eine regelrechte Nachteule. Da das Sofa auf dem ich immer schlief genau an der Wand stand, hörte ich sie nachts oft lachen, wenn sie Kabarettsendungen schaute.
Pani Stenia hatte die tollsten Hüte, Verkleidungen, Taschen und Schmuck - eine Goldgrube für kleine Mädchen. Sie schminkte mir die Lippen und wir spielten feine Damen. Noch lieber aber spielte ich Einkaufsladen mit ihr. Sie hatte eine echte alte Waage, und bei ihr durfte ich stundenlang alles abwiegen. Sie hatte die Ruhe weg und endlose Geduld.
Pani Stenia war eine Naschkatze, und so hatte sie immer selbstgebackene Zuckerkeske im Haus. Die besten die es gab. Ich bekam immer zwei, wenn ich bei ihr war.
Pani Stenia konnte die tollsten Geschichten erzählen - von verzauberten Schwänen, von Hexen und von Trollen. Sie hat viel gelesen und gern Musik gehört.
Pani Stenia erzählte mir viel von dem, wie die Welt war, als noch alles in Ordnung war. Vor dem Krieg. Sie ist viel rumgekommen und hat sehr viel erlebt. Sie hatte einen derben Humor.
Pani Stenia hatte manchmal Besuch von zwei Freundinnen. Dann tranken sie abends Wódka und zockten Karten. Manchmal durfte ich zugucken. So wurde mir von ihr beigebracht, wie man schummelt, ohne dass andere es merkten.
Das tollste aber an ihr war, dass sie sich niemals hat unterkriegen lassen. Sie war eine einmalige Persönlichkeit, die ich heiß und innig liebte.
Ihre Rente reichte im Winter nicht - sie musste sich entscheiden ob sie heizen wollte, und von ihrem Geld Kohle kaufte, oder ob sie essen wollte. Meine Großeltern fütterten sie durch. Wenn ich da war brachte ich ihr immer Mittagessen vorbei. Oder Eingemachtes von meiner Oma oder frische Sachen aus dem Garten.
Pani Stenia liebte Gardenien. Im Sommer hatte sie immer welche auf der Fensterbank in ihrer Küche, in der ich immer mit ihr war, denn dort rauchte sie nicht. Sie öffnete das große Fenster, wir aßen Kekse, und sie erzählte mir eine Geschichte und strich mir durchs Haar. Die knittrigen Hände waren voller Liebe und Zärtlichkeit. Sie nannte mich ihren kleinen Schmetterling.
Wenn ich an Gardénia rieche, finde ich mich in diesem Augenblick wieder.
Gardénia riecht leicht frisch am Anfang. So, als würde man Blätter und Stengel einer Pflanze in der Hand zerreißen. Dann wird es süßer. Zunächst ist es leicht blumig, dann entwickelt sich die florale Note immer mehr. Das Aroma der Gardenie entwickelt sich synchron mit der Süße, die nun eindeutig wahrzunehmen ist. Dabei bleibt der Duft dicht an der Haut, und wird mit der Zeit immer weicher. Diese Momentaufnahme zieht sich über Stunden hin. Dann, zunächst zögerlich, aber dennoch unaufhaltsam, kann man einen vanilligen Unterton erkennen. Genau wie bei Pani Stenias Keksen. Um noch Mal kurz auf diese Analogie zu kommen: Gardénia riecht für mich, als wäre ich wieder bei ihr in der Küche. Es ist warm, das Fenster geöffnet. Sie schneidet einige von den Gardenien ab, um sie in einer Vase auf den Küchentisch direkt vorm Fenster zu stellen. Das Sonnenlicht durchflutet die Küche in jedem Winkel. Im Ofen sind Zuckerkekse mit Vanille. Während des Backvorgangs breitet sich das Aroma immer mehr aus - und durchströmt dabei die Küche ebenso wie das warme Sonnenlicht. Dann öffnet man den Ofen und nun überströmen die dampfenden Kekse die anderen Gerüche fast komplett. SO riecht Gardénia.
Danke, Lilienfeld.
Pani Stenia, also polnisch für Frau Stenia, war die Nachbarin meiner polnischen Großeltern. Sie war wie eine weitere Uroma für mich. Wenn ich in Breslau war, was vor allem in den Sommerferien der Fall war, verbrachte ich auch viel Zeit mit ihr.
Pani Stenia schien mir schon uralt, als ich noch eine kleine Maus war - ihr Gesicht war völlig zerknautscht von den Falten. Trotz ihres Alters hatte sie schütteres, dunkles Haar. Sie war praktisch ihr ganzes Leben allein. Ihre Familie kam größtesteils im Krieg um, genau wie ihr Verlobter. Fortan lebte sie allein. Sie vermisste ihn jeden Tag, sagte sie mir mit schmerzerfüllter Stimme.
Pani Stenia liebte Kinder, und sie liebte mich wie ihr eigenes Enkelkind. Sie drückte mich immer sehnsuchtsvoll an sich, wenn ich mich nach dem Sommer verabschiedete. Leider hatte sie keine eigenen. Dabei wäre sie eine tolle Mutter und Großmutter gewesen.
Pani Stenia war Kettenraucherin. Sie hatte eine kleine Einzimmerwohnung neben meinen Großeltern. Sie schlief im Wohnzimmer, und dieses wurde auch zugequalmt. Da sie nicht mehr gut hören konnte, schaute sie mit voller Lautstärke das Spätabendprogramm, sie war eine regelrechte Nachteule. Da das Sofa auf dem ich immer schlief genau an der Wand stand, hörte ich sie nachts oft lachen, wenn sie Kabarettsendungen schaute.
Pani Stenia hatte die tollsten Hüte, Verkleidungen, Taschen und Schmuck - eine Goldgrube für kleine Mädchen. Sie schminkte mir die Lippen und wir spielten feine Damen. Noch lieber aber spielte ich Einkaufsladen mit ihr. Sie hatte eine echte alte Waage, und bei ihr durfte ich stundenlang alles abwiegen. Sie hatte die Ruhe weg und endlose Geduld.
Pani Stenia war eine Naschkatze, und so hatte sie immer selbstgebackene Zuckerkeske im Haus. Die besten die es gab. Ich bekam immer zwei, wenn ich bei ihr war.
Pani Stenia konnte die tollsten Geschichten erzählen - von verzauberten Schwänen, von Hexen und von Trollen. Sie hat viel gelesen und gern Musik gehört.
Pani Stenia erzählte mir viel von dem, wie die Welt war, als noch alles in Ordnung war. Vor dem Krieg. Sie ist viel rumgekommen und hat sehr viel erlebt. Sie hatte einen derben Humor.
Pani Stenia hatte manchmal Besuch von zwei Freundinnen. Dann tranken sie abends Wódka und zockten Karten. Manchmal durfte ich zugucken. So wurde mir von ihr beigebracht, wie man schummelt, ohne dass andere es merkten.
Das tollste aber an ihr war, dass sie sich niemals hat unterkriegen lassen. Sie war eine einmalige Persönlichkeit, die ich heiß und innig liebte.
Ihre Rente reichte im Winter nicht - sie musste sich entscheiden ob sie heizen wollte, und von ihrem Geld Kohle kaufte, oder ob sie essen wollte. Meine Großeltern fütterten sie durch. Wenn ich da war brachte ich ihr immer Mittagessen vorbei. Oder Eingemachtes von meiner Oma oder frische Sachen aus dem Garten.
Pani Stenia liebte Gardenien. Im Sommer hatte sie immer welche auf der Fensterbank in ihrer Küche, in der ich immer mit ihr war, denn dort rauchte sie nicht. Sie öffnete das große Fenster, wir aßen Kekse, und sie erzählte mir eine Geschichte und strich mir durchs Haar. Die knittrigen Hände waren voller Liebe und Zärtlichkeit. Sie nannte mich ihren kleinen Schmetterling.
Wenn ich an Gardénia rieche, finde ich mich in diesem Augenblick wieder.
Gardénia riecht leicht frisch am Anfang. So, als würde man Blätter und Stengel einer Pflanze in der Hand zerreißen. Dann wird es süßer. Zunächst ist es leicht blumig, dann entwickelt sich die florale Note immer mehr. Das Aroma der Gardenie entwickelt sich synchron mit der Süße, die nun eindeutig wahrzunehmen ist. Dabei bleibt der Duft dicht an der Haut, und wird mit der Zeit immer weicher. Diese Momentaufnahme zieht sich über Stunden hin. Dann, zunächst zögerlich, aber dennoch unaufhaltsam, kann man einen vanilligen Unterton erkennen. Genau wie bei Pani Stenias Keksen. Um noch Mal kurz auf diese Analogie zu kommen: Gardénia riecht für mich, als wäre ich wieder bei ihr in der Küche. Es ist warm, das Fenster geöffnet. Sie schneidet einige von den Gardenien ab, um sie in einer Vase auf den Küchentisch direkt vorm Fenster zu stellen. Das Sonnenlicht durchflutet die Küche in jedem Winkel. Im Ofen sind Zuckerkekse mit Vanille. Während des Backvorgangs breitet sich das Aroma immer mehr aus - und durchströmt dabei die Küche ebenso wie das warme Sonnenlicht. Dann öffnet man den Ofen und nun überströmen die dampfenden Kekse die anderen Gerüche fast komplett. SO riecht Gardénia.
Danke, Lilienfeld.
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