Sie sieht ja recht spitzbübisch aus. Es ist Frau Senior Perfumer Violaine Collas also durchaus zuzutrauen, dass sie etwas Verrücktes macht. Etwas ganz Verrücktes. War es auf einer rauschenden Party, die spätnachts etwas aus dem Ruder lief? Wer auf die Idee gekommen ist, war später wohl nicht mehr nachvollziehbar. Aber was man sich so zutratscht, ist, dass sich plötzlich alle in ihrem – natürlich bestausgestatteten - Labor einfanden und eine Menge Spaß dabei hatten, Duftstoffe zusammenzumixen, die so überhaupt gar nicht zusammenpassen.
Veilchen und Kaffee etwa. „Wäääh!“, schüttelt man sich.
„Und dazu Bergamotte“, ruft irgendwer aus der zweiten Reihe. „Bergamotte muss sein in der Kopfnote! Das machen die bei Guerlain auch immer.“ „Wäh, doppelt wäh.“
„Und Vanille!“. „Nein, Patchouli!!! Das wär’s.“ „Ich hab’s, noch besser: Iris!“
Sie überbieten sich nur so in haarsträubenden Mixturen. Violaine schüttelt es fast bis zum Brechreiz. Eine gefeierte Parfümeurin wie sie muss nicht erst an einer Mischung schnuppern, um ihren Duft wahrzunehmen. Die abstrusen Vorschläge genügen ihr vollkommen, um sich das Ergebnis nur allzu lebhaft vorzustellen.
Aber das ist noch lange nicht alles. Es wird drauf los gemixt bis zum Morgengrauen. Jemand muss das Ganze mitgefilmt haben. Keiner hätte sich sonst die Duftnoten gemerkt.
Man mischt, man lacht, hat Spaß. Viel Spaß. Wie Kinder, die kochen und dabei alles zusammenrühren, was sich in ihrer Reichweite befindet. Auch wenn das Ergebnis an ekelhaftem Geschmack nicht zu überbieten ist und das Ganze keiner essen will.
„Ich geh jetzt schlafen“, sagt Violaine irgendwann. „Weckt mich, wenn ihr fertig seid.“ Aber kann man mit so einem Experiment je fertig werden?
Die Vögel beginnen schon zu singen und das Mädchen serviert heißen Milchkaffee und knusprige Croissants.
Violaine wirft sich ihren seidenen Kimono über, als sie von lauten Jubelrufen geweckt wird. „Jaaa! Das ist es! Wir haben es!“
„Und was ist es geworden?“
„Wir sind nicht ganz sicher“, sagt jemand. „Was meinst du?“
Man reicht ihr den Flacon. Sie sprüht. „Mmmmh, Veilchen“, lächelt sie. „Und Bergamotte. Aber sehr schwach.“ „So ist es bei Guerlain auch immer“, ruft jemand aus der zweiten Reihe.
„Kaffee?“ Violaine greift sich erheitert an die Stirn. „Das ist doch tatsächlich Milchkaffee. Milchkaffee und Veilchen … Wäääh …“ Sie wendete sich schaudernd ab.
„Und die Iris?“ „Vanille?“, „Patchouli?“
Violaine hat genug geschnuppert. „Good work“, murmelt sie und schiebt sich die bestickte Schlafmaske über die Augen. Sie lächelt glücklich. Heute würde sie lang schlafen können. Der Auftrag, der ihr schon so lange Sorgen machte, war erledigt.
Doch “Halt, halt“, fällt ihr dann noch ein. „Ein Name. Wir brauchen einen Namen! Und schreit nicht alle so dazwischen, ich versteh ja nichts. „The One? Gibt es schon.“ „Aber was war das, du da hinten?“ „The Only One. What else?“, gluckst es aus der zweiten Reihe. „Perrrfekt. Das ist‘s.“ Niemand sonst würde je so ein Parfum kreieren. Violaine kuschelt sich zufrieden in ihre rosa Merinodecke.
Bald darauf ist es in allen einschlägigen Schaufenstern zu sehen. Und Emilia Clarke, die süße Blonde mit den sündhaft roten Lippen, höchstpersönlich, ist das Gesicht der Werbekampagne. Und die Stimme. „Dimmi quando tu verrai, dimmi quando … quando … quando …“, trällert sie vergnügt in einer römischen Trattoria. „Sag mir, wann du kommen wirst, Sag mir wann, wann wann … Das Jahr, den Tag, die Stunde, in der du mich vielleicht küssen wirst.“ Alles ist heiter, jeder ist glücklich, die Welt ist schön und das Leben wie ein Song von Abba. Du musst nur diesen Duft kaufen und aufsprühen. 45 Euro für 30 ml sind doch nicht viel für so viel Fröhlichkeit und Leichtigkeit des Seins.
Ich muss mir den Duft nicht einmal kaufen. Er hat sich von selbst bei mir eingefunden. Als großzügige Probe, mit der ich nun ausgiebig testen kann, ob ich mich binden will mit The Only One – sei es für einige Wochen oder für ewig.
Ich sprühe es auf. Mmmmh, Veilchen, denke ich sofort. Ein violetter Blumenteppich rollt sich vor mir aus. Der Duft ist lieblich, floral und anmutig. Veilchen eben. Sollte nicht auch Bergamotte in der Kopfnote sein? Ich schnuppere und schnuppere. Aber nix Bergamotte. Dafür breitet sich langsam die Kaffeenote aus. Veilchen und Kaffee – das hatte ich mir als unglaublich gewagt vorgestellt. Praktisch ein olfaktorisches No Go – und gerade deshalb so reizvoll. Wie alles Verbotene.
Milchkaffee, stelle ich fest. Der teilt sich nun mit den Veilchen die Arena. Dagegen kommt die Iris höchstens als etwas Dumpfes, Undefinierbares an. Oder besser: Sie kommt natürlich nicht gegen diese Milchkaffeesuppe mit Veilchen an. Ob das auch wirklich genauso gewollt war?
Was hätte das für eine Sensation geben können: Veilchen, Kaffee, Iris. Und dann sogar noch Vanille und Patchouli.
Ich warte. Nämlich auf Vanille und Patchouli. Aber die wollen irgendwie nicht hervor. Heute nicht und morgen nicht. Es bleibt bei Veilchen, die im Milchkaffee schwimmen.
Angesagte Revolutionen finden bekanntlich nie statt. So geht es mir auch mit The Only One, dieser gewagten Mischung, die letztlich doch nur ein floral-gourmandiger Jung-Mädchen-Duft geworden ist, der wirklich schon von der Kopfnote an schwächelt, sprich kaum Sillage, Intensität und Haltbarkeit hat. Ich hab das Gefühl, alle 10 Minuten nachsprühen zu müssen, um noch etwas von The Only One wahrnehmen zu können.
Ich kann es nicht glauben. Immer noch warte ich auf die Sensation, das Aha-Erlebnis. Doch da kommt nichts mehr. Was hätte aus dieser Komposition werden können? Hat der Mut nicht gereicht, etwas Innovatives und wirklich Besonderes zu machen? The Only One ist ein gefälliger Allerweltsduft geworden. Ganz nett, aber im Gedächtnis bleibt er nicht. Zumindest nicht in meinem. Er schwächelt so, dass man ihn schon wieder vergessen hat, bevor man in Dialog mit ihm treten kann. Schade!
Vielleicht bin ich zu anspruchsvoll? Andererseits hab ich normalerweise keine Berührungsängste mit dem Mainstream und schon gar keine mit Düften, die uns vorgaukeln, wie schön doch das Leben ist. Und das ist durchaus wörtlich zu nehmen. Denn der ebenfalls blumig-gourmandig-süße Erfolgsduft La Vie est Belle erinnert mich irgendwie an The Only One. Wobei mir The Only One eigentlich immer noch origineller erscheint.
Immerhin muss The Only One ebenfalls ein Erfolg sein. Hätte man sonst 2019 eine fruchtig-süße Neuauflage herausgebracht, „The Only One 2“? Auch hier treffen sich Veilchen und Kaffee, eh klar, never change a winning team. Patchouli ist ebenfalls wieder mit von der Partie, aber auch Brombeere, Freesie, Birne, Rose, Tonkabohne und edle Hölzer. Emilia Clarke ist erneut das Gesicht der Werbekampagne. Aber hier muss ich passen. The Only One 2 – irgendwie ist der Name ja fast lachhaft, ich meine, entweder etwas ist „the only one“ oder nicht … - kenne ich noch nicht. Ich weiß auch nicht, ob hier ebenfalls Violaine am Werk war und wie diese Kreation entstand. Beides wird konsequent verschwiegen. Warum wohl?