20.08.2020 - 17:44 Uhr
First
224 Rezensionen
First
Top Rezension
43
Es war einmal...
...ein Mädchen, das nannte sich Belle Absolu. Belle Absolu stammte aus der königlichen Familie des großen Reiches von Lancôme. Doch obwohl sie königlicher Abstammung war, hatte Belle Absolu es nicht leicht, denn ihr Vater war verschollen und ihre Mutter, Lavieé Belle, war eine äußerst imposante und gleichermaßen verehrte wie auch gehasste Prinzessin, deren weithin strahlendes und prächtiges Banner überall in den Straßen des weitläufigen Reiches die Blicke des Volkes auf sich zog.
Belle Absolu hatte noch mehrere Schwestern, die ebenfalls im Schatten ihrer mächtigen Mutter ein unterwürfiges Dasein fristeten, aber Belle Absolu blieb nicht nur im Schatten, sondern die meisten Menschen des Königreiches, wussten noch nicht einmal von ihrer Existenz.
Belle Absolu, die eigentlich nach ihrer Mutter Lavieé Belle L'Absolu hieß, hatte im Laufe der Zeit gemerkt, dass es für sie eher von Nachteil war, Fremden ihren vollen Namen zu nennen. Entweder brachen die Menschen in Lobgesänge über ihre wundervolle Prinzessin Mutter aus und versuchten die kleine Belle zu benutzen, um sich bei Hofe beliebt zu machen, oder sie betrachteten das Mädchen mit Geringschätzung - sie konnte ja wohl kaum weniger rücksichtlos und selbstgefällig sein als ihre allgegenwärtige, aufdringliche Mutter und einige ihrer sich eilfertig in die erste Reihe drängenden Schwestern.
So kam es, dass das Mädchen keine wirklichen Freundinnen hatte.
Dabei war die kleine Belle vom Charakter her ganz anders als ihre Mutter. Nur im ersten Moment erschien sie ihr ähnlich, angefangen damit, dass auch sie die königlichen Roben ihres Hauses trug mit dem feinen, transparent-grauen Halstuch und ihrer edlen Figur. Auch ihre Augenfarbe von dunklem Bernstein war fast gleich und ihre Tendenz zu Obst und Süßem. Aber schon nach wenigen Minuten des Kennenlernens wurde den wenigen, die den Blick nicht gleich von ihr abwandten, deutlich, dass Belle Absolu durch ihre Zurückhaltung viel vornehmer war als ihre Mutter. Auch war sie vom Wesen milder und sanfter. Während die Mutter mit ihrer Vorliebe für gezuckerte und scharf gebrannte, säuerliche Früchte mit Jasmin vielen doch eher laut und bissig anmutete, liebte Belle Absolu reife und saftige Früchte zusammen mit einem großen Strauß puderblauer Iris. Süßes mochte sie genau wie ihre Mutter, aber sie hatte, wie es sich für eine gute Süßspeise gehört, auch die Prise Salz nie vergessen. Genau genommen, war es nicht nur eine Prise, sondern schon so viel, dass es an gesalzenes Karamell erinnerte. Nicht zuletzt konnte man, wenn man die Geduld aufbrachte, die kleine Belle wirklich kennenzulernen, nach einer Zeit noch ihre Vorliebe für erlesenes, zartes und gleichzeitig kraftvolles Leder entdecken, in das sie sich im stillen Kämmerlein gen Abend für die langen Nachtstunden zu hüllen pflegte.
So stand die kleine Belle Absolu also nicht nur im Schatten ihrer Mutter, wurde nicht nur ausgenutzt, um Zugang zum Hof zu bekommen, wurde nicht nur von Hassern der Lavieé Belle Familie in Bausch und Bogen abgelehnt, sondern wurde zudem noch wegen der ihr innewohnenden Zurückhaltung übersehen. Kein Wunder, dass sie sich ungeliebt fühlte und einsam war.
Eines Tages begegnete das Mädchen einem Blinden. Dieser behandelte sie vollkommen anders als sie es kannte, so unvoreingenommen und offen, dass sie eine ganze Nacht lang vor Rührung darüber weinte. Schon am nächsten Tag ersann sie etwas, das sie fortan ihren "Blindentest" nannte: Sie kleidete sich in die sehr einfachen Kutten des gemeinen Volkes und sprach von sich nun nur noch als Belle Absolu. Was war sie verwundert, wie freundlich und wertschätzend ihr die Menschen unter diesen Umständen begegneten. Menschen interessierten sich plötzlich für sie, für sie ganz allein, für sie als ureigenste Person! Manche spürten, dass sie eine königliche Erziehung genossen hatte und fragten sie, ob sie aus dem für Iris so bekannten Haus Guerlain stammte oder verwandt sei mit den Salt Caramels aus dem Königreich von Shay & Blue. Andere meinten in ihr die genetische Linie der für feinstes Leder bekannten Fürsten von Bottega Veneta zu erkennen.
Irgendwann in ferner Zukunft wird die Prinzessin Lavieé Belle, wie so viele Berühmtheiten vor ihr, sich vermutlich einer Unmenge Schönheitsoperationen unterzogen haben. Sobald sie dann auch von ihren Bewunderern nicht mehr wiedererkannt wird, wird das Königshaus sie, so wie es das Schicksal von einstmals strahlenden Prinzessinnen zu sein scheint, wohl in den Ruhestand schicken. Vielleicht schlägt dann die Stunde, in der Belle Absolu ins Rampenlicht treten kann.
Das ist allerdings sehr unwahrscheinlich. Viel wahrscheinlicher ist, dass erneut eine dominantere und raumgreifendere Person ihre Banner durch die Straßen tragen wird.
Letztlich wäre das jedoch auch egal, denn inzwischen hat Belle Absolu durch ihre "Blindentests" eine Reihe echte, treue Freundinnen gefunden und ist auf ihre Art glücklich geworden.
Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.
24 Antworten