Chnokfir
Verbale Interaktion chnokfir mit Parfum
vor 3 Jahren - 16.08.2021
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Essenz aus mindestens 30 Jahren: Parfum ist Sex - Von der Verschiebung der Dufterwartung oder Das Soziogramm einer marketinggelenkten Versklavung des Mannes

Essenz aus mindestens 30 Jahren: Parfum ist Sex - Von der Verschiebung der Dufterwartung oder Das Soziogramm einer marketinggelenkten Versklavung des Mannes

Meine Frau Mama würde die Jahreszahl in eine noch ferne Zukunft verschieben, doch ich verorte die Jahre meiner Mannwerdung auf die späten 1980er bis frühen 1990er Jahre.
Damals beschäftigte ich mich erstmalig eingehender mit Parfums. Und damals wurde mir auch schnell klar, beflügelt durch zahllose Beobachtungen in meinem näheren und ferneren sozialen Umfeld: Viel hilft viel!

Es war die Zeit der Power-Houses. Düfte mit einer sehr starken Abstrahlung und einer Haltbarkeit, die man heute in die Welt der Abenteuer von Hieronymus Carl Freierich Freiherr von Münchhausen abschieben möchte. Ich übertreibe nicht, dass man sich als Mann Ende der 80er/Mitte 90er mit Düften wie Joop! Homme, JPG Le Male oder CK One dezent benetze, am Freitagnachmittag das Haus zu einem Rave oder ähnlicher Tanzveranstaltung verliess und erst am Sonntagmittag wieder heim kam, um den gesamten Nachmittag in einer Autowaschanlage zu verbringen, wo man sich mit Kumpels gegenseitig mit der langen Lanzen abkärcherte, damit man am folgenden Montag wieder halbwegs dezent riechend in die Schule, zur Uni oder zum Job gehen konnte.
Ja, damals war die Zeit, in der Mann eine Frau mit seinem Duft wenig subtil benebeln, erlegen und schliesslich in seine Höhle schleppen wollte. Hat auch sehr gut geklappt damals. Aber dies ist weder die Zeit noch der Ort, um den Kerben in der Tischplatte Frauennamen zu geben. Dumm nur, wenn in einer überfüllten Disko (heute: Club) alle so animalisch rochen. Doch was haben wir alle aus dem Nato-Doppelbeschluss gelernt? Wenn du mich 100 mal töten kannst, dann will ich dich 1000 mal umbringen. SS-20 gegen Pershing-II, Joop! Nightflight gegen Boss Number One. Der Overkill. Fatalerweise nahmen irgendwann Männer diese Duftvorlieben mit aus den Diskotheken und Bars in ihre Fabriken und Büros. Nein, es war nicht schön. Mein erster Job war seinerzeit bei einem amerikanischen Unternehmen, Grossraumbüro mit 80+ Arbeitsplätzen. Die Klimaanlage kollabierte, hätte es Nothämmer gegeben, die Fenster wären jeden Tag eingeschlagen geworden. Zustände wie im sündigen Babel, selbst Caligula hätte sich schaudernd abgewandt.

Gut, dass sich irgendwann in den 2000ern dank vieler Jahre der Lektüre von EMMA ein nachhaltig (Dieses Wort wollte ich schon immer mal bei parfumo schreiben!) geändertes Frauenbild etablierte und sich die männlichen Jagdmethoden radikal änderten. Man kam irgendwann doch noch zur finalen Erkenntnis, dass eine willenlos benebelte Frau einen ähnlichen Spassfaktor bereit hält wie diese aufblasbaren stummen Gabis, die bei zahllosen Open-Airs nachts in unzähligen Zelten Trost bringen mussten, weil der Männerübschuss auf solchen Veranstaltungen eigentlich immer eklatant zu gross ist. Welcher Holzkopf hat da beim Kartenvorverkauf eigentlich nie aufgepasst? Nein, das vertiefen wir jetzt nicht. Gut, dass wir jetzt Quotenregelung und Gleichstellungsbeauftragte haben.
Statt dessen kam man zur festen Überzeugung, dass - wenig schmeichelhaft ausgdrückt - die Frauen selber ans Gerät kommen wollen sollen. Und nachdem der Mann, durch jahrelange Verhätschlungen von Mutti kultiviert, auch ein überaus fauler Zeitgenosse ist, sollte sie nicht nur zeigen, wie sehr sie ihn begehrt, sie sollte bitteschön auch die ganze Arbeit machen, selber ihre Panties droppen. Dieser Umstand sollte sich spätestens in der #metoo-Diskussion als grosser Glücksfall herausstellen - eindeutige Willenserklärung und so. Mann konnte auf einmal absolut beliebig bis nicht weiter wahrnehmbar riechen, mix einfach etwas aus der Molekular-Küche hinzu und die Frauen liegen dir zu Füssen. Man riecht zwar selber nichts davon, aber wenn sich der Erfolg einstellt, kann man auch gefärbtes Felsquellwasser als Parfum an den Mann bringen. Ich habe den Selbstversuch gewagt, in einer Zeit, als ich einsam und verzweifelt war, ich habe mit dem Zeugs gebadet, doch selbst nackt und mit grossen Scheinen um mich werfend wurde ich nicht weiter wahr genommen. Beschiss! Haben wohl auch andere so gesehen.

Aber die Zeiten ändern sich immer weiter, auch wir Männer haben knapp vor den 2020ern gelernt, neben Hunger und Durst auch andere Gefühle zu zeigen und zu artikulieren. Und wir wollen nicht nur vor, sondern auch nach dem Sex beim Kuscheln über unsere Gefühle sprechen und verstanden werden. Während dem Sex sich über Emotionen auszutauschen kann auch sehr schön sein, meint meine Therapeutin, ist aber manchmal auch etwas hinderlich, finde ich. Belassen wird das an dieser Stelle aber erst einmal dabei. Irgendwie kommt der Mann aber nicht aus seiner Rolle als Jäger und Sammler heraus und will von der Frau gelobt werden. Das geht mittlerweile jedoch deutlich über ein "Erster! ... und, wie war ich???" beim Sex hinaus. Jede Katze, die eine halbtote Maus mit vom Feld ins Haus schleppt, ist schneller mit Lob zu befriedigen. Der Mann von heute will nicht nur, dass sie ihre Panties dropped und sich ihm hemmungslos und leidenschaftlich hingibt! Nein, er will auch noch wissen, wieso! Was ihn so betörend macht. Es kann nicht nur sein blendendes Aussehen, sein studio-gestählter, epilierter Body, sein unvorstellbares Stehvermögen kombiniert mit sagenhaft tantrischer Technik, sein sensibles Einfühlungsvermögen, sein unschlagbarer Humor, seine unmessbare Intelligenz, sein überzeugender Charme, seine ausgewählte Höflichkeit, sein elitärer Traumjob, all seine Statussymbole wie Stadtvilla in München-Bogenhausen, Chalet bei St. Moritz, Yacht vor Porto Cervo, Uhren von Richard Mille, etc. pp. sein. Es muss auch an seinem betörenden Duft liegen. Das Kompliment-Monster will bei seinem Namen gerufen werden. Immer und immer wieder, laut und lauter.
Und was haben wir aus 15 Jahren youtube und facebook und noch längerem Studium von medizini gelernt? Spielende Katzen-Babys sind ja sowas von süss. Sooooo Süüüüüssss! Ich werd wahsinning!!! Womit kommen die als nächstes? Ananas?
Süss geht immer und diese Welle will jetzt auch erst einmal bei Parfums geritten werden. Ich gebe ja zu, ich verstehe nicht sonderlich viel vom Produktmarketing und all dem Tinnef. Aber hier irren sich die Gelehrten. Man muss nicht jeden Herrenduft süsser machen als Zuckerwatte, Liebesäpfel oder Cherry-Coke. Dass es dabei auch jedem Zahnarzt das blanke Gruseln überkommt. Nein, da bin ich raus. Aber sowas von. Sowas will ich gar nicht mehr testen. Punkt.

Diese aktuelle Mode sitze ich aus, auch wenn es noch so lange dauert. Bin gespannt , was als nächstes kommt. Es kommt meist nichts besseres nach. Aber wenn die mal wieder was Altes machen, Vintage oder Retro oder so? Früher war doch alles besser. Jetzt bloss nicht die Absätze weiter oben nochmal korrektur lesen...

Nachtrag:
SIE hat mich ausgewählt, nicht weil ich gut geduftet habe, sondern obwohl ich geduftet habe. Wasser, Seife und Deo würden IHR an mir reichen. SIE hat mich trotzdem geheiratet. Und bleibt wohl auch. Auch wenn SIE die meisten meiner Düfte nicht sonderlich toll findet. Obwohl, ein paar gehen wohl, so lala. Warum? Sagt SIE mir nicht. Mann hat es nicht einfach. Verstehe einer die Frauen. Na, wenigstens mag ich mich selber gern riechen. Ist auch schon mal viel wert.

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