22.07.2018 - 14:16 Uhr
Meggi
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Kein Zurück für Herrn Knöselmann
„Was ist mit Ihnen? Ist Ihnen nicht gut?“
Die Stimme des Verkäufers war erfüllt von jener Sorte Anteilnahme, die Geschäftsleute empfinden, wenn sie einen Kollaps – oder Schlimmeres! – ausgerechnet in ihrer vornehmen Boutique befürchten. Tatsächlich erinnerte sich Donato Ducatelli mit Schaudern an ein Erlebnis aus seiner Zeit als Chef der Münchener Filiale von Giorgio Beinabi. Eine adipöse Opern-Diva war vor einem Ständer mit Seiden-Unterwäsche zusammengebrochen und noch an Ort und Stelle verschieden. Zum Abtransport hatte das Technische Hilfswerk anrücken und die Tür entfernen müssen. Der Vorfall war wochenlang Stadtgespräch und Futter für die Klatsch-Postillen gewesen.
Nun war der heutige Kunde gewiss alles andere als prominent. Das hatte Ducatellis Kenner-Blick binnen Sekunden am biederen Habitus erkannt. Außerdem hatte er dauernd „Was kostet es?“ gefragt. Also bitte – wen interessierte denn sowas? Trotzdem: Sollte der hier plötzlich abnippeln, wäre das nicht gut…
In der Tat hatte sich Hubert Knöselmann von Anfang an unbehaglich gefühlt. Hätte seine Frau nicht darauf bestanden, dass er jetzt, als neuer Abteilungsleiter der Buchhaltung beim Sanitätshaus Offenbein & Partner, endlich einen vernünftigen Anzug bräuchte – er hätte im Leben keinen Fuß in ein Zegna-Atelier gesetzt.
Während er sich brav Vorträge über Stoffe und Schnitte angehört und genickt hatte, war sein Unwohlsein stetig angeschwollen. Bereits besagter Anzug allein hatte die Auflösung sämtlicher finanzieller Reserven erfordert. Bloß war es dabei nicht geblieben. Aber ein Zurück gab es nicht mehr, der Verkäufer hatte ihm nämlich leicht mitleidig versichert, ein solcher Anzug ohne die richtige Begleit-Ausstattung ginge ja gar nicht. Nicken.
Schicksalsergeben hatte Knöselmann hinfort die Finanzierung in geübter Professionalität präzise mitkalkuliert. Die unvermeidlichen Änderungen am guten Stück würden sich durch Aufstockung der Hypothek auf das kleine Reihenhaus bezahlen lassen. Die Schuhe und der schwarze Ledergürtel waren durch eine Beleihung des Opel Astra gedeckt. Nicht einmal - es ging um eine Krawatte - die Aussicht auf Urlaub auf dem Zeltplatz Struvenhütten statt in einer Pension auf Föhr hatte ihn aus der Fassung gebracht.
Dass allerdings die Kasse für den stets unerwähnt hinzugefügten Reserve-Schlips selbsttätig einen Betrag ergänzt hatte, der für Familie Knöselmann Nudeln mit Ketchup bis September 2019 verhieß - das hatte ihm dann doch den Boden unter den Füßen weggezogen und er war in einen Sessel gesackt.
„Hallo! Ist Ihnen nicht gut?“, fragte Ducatelli erneut. Ohne weiteres Zögern ergriff er einen würfel-förmigen Flakon aus einem Regal und sprühte damit in ein kleines Glas hinein, bis ungefähr ein Fingerbreit einer hell-bernsteinfarbenen Flüssigkeit darin stand.
„Hier, trinken Sie – das wird helfen!“
„Brrrrr… Ist das ein Magenbitter?“
„Nicht ganz. Das ist ‚Javanese Patchouli‘. Ein Parfüm, aber in der ersten halben Stunde Magenbitter oder besser Magentropfen sehr ähnlich. Wir verwenden das jetzt mal kurativ.“
Knöselmann erwiderte nichts mehr und saß mit geschlossenen Augen da. Zumindest atmete er wieder tief und gleichmäßig.
„Übrigens haben wir bei Ihrer Ausstattung den passenden Duft vergessen. Nehmen Sie diesen! Die intensive Magenbitter-Phase geht – wie gesagt – bald vorüber, lediglich Fragmente davon verbleiben. Danach haben Sie es mit einem praktisch reinrassigen Patchouli-Duft zu tun. Bergamotte liefert vornean unterstützende Säure, doch kein eigenes Profil. Kraftvoll erdig-säuerlich, gleichwohl vollkommen ungruftig, geleitet ‚Javanese Patchouli‘ Sie gediegen durch einen langen Tag. Bisweilen umschwebt ein Anflug malzig-dicker, vanillig-karamelliger Süße sacht den Duft. Schokoladige Akzente, aus dem Patchouli heraus, runden ab. Das ist wie bei einem gut sitzenden Anzug, wie Sie ja inzwischen wissen. Der braucht keine Mätzchen.“
„Was kostet es?“
„220 Euro.“
Das erstickte Winseln Knöselmanns parierte Ducatelli mit einem raschen: „Ich gebe es Ihnen einfach mit dazu!“
Die Stimme des Verkäufers war erfüllt von jener Sorte Anteilnahme, die Geschäftsleute empfinden, wenn sie einen Kollaps – oder Schlimmeres! – ausgerechnet in ihrer vornehmen Boutique befürchten. Tatsächlich erinnerte sich Donato Ducatelli mit Schaudern an ein Erlebnis aus seiner Zeit als Chef der Münchener Filiale von Giorgio Beinabi. Eine adipöse Opern-Diva war vor einem Ständer mit Seiden-Unterwäsche zusammengebrochen und noch an Ort und Stelle verschieden. Zum Abtransport hatte das Technische Hilfswerk anrücken und die Tür entfernen müssen. Der Vorfall war wochenlang Stadtgespräch und Futter für die Klatsch-Postillen gewesen.
Nun war der heutige Kunde gewiss alles andere als prominent. Das hatte Ducatellis Kenner-Blick binnen Sekunden am biederen Habitus erkannt. Außerdem hatte er dauernd „Was kostet es?“ gefragt. Also bitte – wen interessierte denn sowas? Trotzdem: Sollte der hier plötzlich abnippeln, wäre das nicht gut…
In der Tat hatte sich Hubert Knöselmann von Anfang an unbehaglich gefühlt. Hätte seine Frau nicht darauf bestanden, dass er jetzt, als neuer Abteilungsleiter der Buchhaltung beim Sanitätshaus Offenbein & Partner, endlich einen vernünftigen Anzug bräuchte – er hätte im Leben keinen Fuß in ein Zegna-Atelier gesetzt.
Während er sich brav Vorträge über Stoffe und Schnitte angehört und genickt hatte, war sein Unwohlsein stetig angeschwollen. Bereits besagter Anzug allein hatte die Auflösung sämtlicher finanzieller Reserven erfordert. Bloß war es dabei nicht geblieben. Aber ein Zurück gab es nicht mehr, der Verkäufer hatte ihm nämlich leicht mitleidig versichert, ein solcher Anzug ohne die richtige Begleit-Ausstattung ginge ja gar nicht. Nicken.
Schicksalsergeben hatte Knöselmann hinfort die Finanzierung in geübter Professionalität präzise mitkalkuliert. Die unvermeidlichen Änderungen am guten Stück würden sich durch Aufstockung der Hypothek auf das kleine Reihenhaus bezahlen lassen. Die Schuhe und der schwarze Ledergürtel waren durch eine Beleihung des Opel Astra gedeckt. Nicht einmal - es ging um eine Krawatte - die Aussicht auf Urlaub auf dem Zeltplatz Struvenhütten statt in einer Pension auf Föhr hatte ihn aus der Fassung gebracht.
Dass allerdings die Kasse für den stets unerwähnt hinzugefügten Reserve-Schlips selbsttätig einen Betrag ergänzt hatte, der für Familie Knöselmann Nudeln mit Ketchup bis September 2019 verhieß - das hatte ihm dann doch den Boden unter den Füßen weggezogen und er war in einen Sessel gesackt.
„Hallo! Ist Ihnen nicht gut?“, fragte Ducatelli erneut. Ohne weiteres Zögern ergriff er einen würfel-förmigen Flakon aus einem Regal und sprühte damit in ein kleines Glas hinein, bis ungefähr ein Fingerbreit einer hell-bernsteinfarbenen Flüssigkeit darin stand.
„Hier, trinken Sie – das wird helfen!“
„Brrrrr… Ist das ein Magenbitter?“
„Nicht ganz. Das ist ‚Javanese Patchouli‘. Ein Parfüm, aber in der ersten halben Stunde Magenbitter oder besser Magentropfen sehr ähnlich. Wir verwenden das jetzt mal kurativ.“
Knöselmann erwiderte nichts mehr und saß mit geschlossenen Augen da. Zumindest atmete er wieder tief und gleichmäßig.
„Übrigens haben wir bei Ihrer Ausstattung den passenden Duft vergessen. Nehmen Sie diesen! Die intensive Magenbitter-Phase geht – wie gesagt – bald vorüber, lediglich Fragmente davon verbleiben. Danach haben Sie es mit einem praktisch reinrassigen Patchouli-Duft zu tun. Bergamotte liefert vornean unterstützende Säure, doch kein eigenes Profil. Kraftvoll erdig-säuerlich, gleichwohl vollkommen ungruftig, geleitet ‚Javanese Patchouli‘ Sie gediegen durch einen langen Tag. Bisweilen umschwebt ein Anflug malzig-dicker, vanillig-karamelliger Süße sacht den Duft. Schokoladige Akzente, aus dem Patchouli heraus, runden ab. Das ist wie bei einem gut sitzenden Anzug, wie Sie ja inzwischen wissen. Der braucht keine Mätzchen.“
„Was kostet es?“
„220 Euro.“
Das erstickte Winseln Knöselmanns parierte Ducatelli mit einem raschen: „Ich gebe es Ihnen einfach mit dazu!“
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