13.01.2013 - 08:07 Uhr

Yatagan
410 Rezensionen

Yatagan
Top Rezension
36
Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit
"Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?" lautet das wohl berühmteste Essay des Philosophen Immanuel Kant von 1784. Philosophie und Düfte? Habe ich hier nun endgültig die Bodenhaftung verloren? Sowieso, aber eigentlich gehören Parfums und Philosophie doch eng zusammen! So wollen es uns die Marketingexperten der großen Duftproduzenten jedenfalls ständig weis machen. Duftwerbung nimmt da gelegentlich schon einen absurden Zug an. Die meisten Düfte sind aber m.E. so weit von einer großen Idee, der Umsetzung einer Leidenschaft, der Sehnsucht nach höheren Zielen entfernt wie die Produktion von Waschmitteln, Zahncreme oder Deodorants. Da geht es nicht um Philosophie, sondern um Verkauf. Zudem leidet solche Werbung ja auch darunter, dass sie den Begriff der Philosophie missbraucht und in Verkehrung der eigentlichen Absichten Marketingideen als philosophische Konzepte verkauft.
Warum also nicht einmal Duft an sich und Philosophie im wahren Sinne zusammen bringen?
Ich behaupte: Wenn aber einem Duft ein fast schon philosophisches Konzept unterliegt, dann ist es dieser: Chamade Homme von Guerlain.
Guerlain hat sich ganz offensichtlich nach wie vor die Entwicklung von Qualitätsprodukten auf die Fahnen geschrieben. Auch das hat etwas mit Verkaufsstrategien zu tun (man denke nur an die wie Pilze aus dem Boden schießenden Nischenparfumhäuser, die sich mal mehr, mal weniger bemühen, Qualität statt Quantität anzubieten). Andererseits darf man Guerlain aber auch eine gewisse Liebe zum Parfum unterstellten, anders ist es wohl kaum erklärbar, dass man nach wie vor so viele Klassiker im Programm hält, so sorgfältig bei der Entwicklung neuer Düfte vorgeht und so viele hochwertige Produkte lancieren konnte. Man werfe nur einen Blick auf die Dufthitlisten dieser Seite. Ich bleibe aber bei Immanuel Kant:
"Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit."
So Kants erste Definition auf die Frage, was eigentlich politische bzw. gesellschaftliche Aufklärung charakterisiere. Wer sich mit einer Sache kritisch befassen will, der muss das auf der Grundlage seiner eigenen Mündigkeit tun, nicht fremd gesteuert und geleitet. Das durfte man nicht nur dem Menschen des 18. Jahrhunderts ins Stammbuch schreiben. Das gilt auch heute mehr denn je. Chamade Homme ist kein Duft, für den geworben wird, der für sich wirbt, der mir an jeder Ecke mit bunten Bildern entgegen springt. Er gehört wohl eher zum lieb gewordenen Repertoire der Marke Guerlain und wartet darauf, selbständig entdeckt zu werden. Und das ist schwer, sehr schwer. Nur in den wenigen Flagshipstores von Guerlain ist er erhältlich.
"Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen", so Kant in der Fortführung seiner Definition.
Wer bestimmt uns eigentlich in unserem Denken und Handeln? Politiker, Ideologen, Wissenschaftler? Wohl kaum. Der Mensch des 21. Jahrhunderts wird all zu häufig gelenkt und geleitet durch Werbung. Da nehme ich mich keinesfalls aus. Ein Duft wie Chamade Homme liegt nun aber weit abseits aller Dufterfahrungen unserer Tage. Zwar flankiert die kräftigen grünen Noten des Auftakts die klassische Guerlinade aus Vanille, Kräutern, Tonkabohne, Bergamotte und Blütendüften (Genaueres weiß ohnehin keiner), bleibt aber recht subtil im Hintergrund. Man muss zunächst einmal lang mit diesem Duft streiten, sich fast eine Stunde durch den grünen, scharfen (Pfeffer?) Kräutergarten kämpfen, bevor die lieblicheren Komponenten erkennbar werden. Die Kopfnote dieses Duftes will intellektuell bezwungen werden. Und das ist kein leichtes Hindernis. Aber nun weiter mit Kant:
"Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Muthes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen."
Konnte sich der Mensch des 18. Jahrhunderts noch leicht entschuldigen, indem er auf die gefährlichen äußeren Umstände verwies - schließlich führte eine kritische Haltung schnell zu peinlichen Strafen - bleibt uns Heutigen kein Rückzugsraum. Wir sind aufgerufen nicht jeder populistischen Idee hinterher zu laufen und nicht jedem Marketinggag zu folgen. Für Düfte könnte das heißen: Erfahrungen sammeln, üben, lernen, krisch bleiben, sich nicht blenden lassen und vergleichen. Chamade Homme macht es uns auch da nicht leicht. Auch die Herznote ist nicht gleich verständlich, da mischen sich klare Veilchenklänge mit deutlichen Muskatakzenten. Diese Kombination muss man erst mal verkraften. Das ist kein Duft, den man großzügig aufträgt, damit er deutlicher vernehmbar ist. Überdosierung kann bei diesem dezenten Duft nämlich schnell schwierig werden. Da verkehrt sich die Dezenz in Strenge, die Klarheit in Härte.
Die Basisnote jedoch ist das Schönste: Nach einer längeren Zeit der Geduld, des kritischen Abwägens und des Prüfens offenbart sich eine weichere Note aus Holz und Leder, die den Duft nach der abschließenden Erkenntnis fast weich erscheinen lässt. Alles andere als dies hätte ich am Anfang erwartet.
Und so mutet uns Guerlain bei diesem Duft einiges zu, nämlich einen Duftverlauf, der diesen Namen tatsächlich noch verdient: von der grünen, etwas kratzigen Note des intellektuell konturierten Auftakts zur streng floralen Note des Herzens bis hin zur weichen, warmen Seele aus Holz, Leder und Vanille, quasi einer variierten Guerlinade.
Und Kant?
"Sapere aude! Habe Muth, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!"
Warum also nicht einmal Duft an sich und Philosophie im wahren Sinne zusammen bringen?
Ich behaupte: Wenn aber einem Duft ein fast schon philosophisches Konzept unterliegt, dann ist es dieser: Chamade Homme von Guerlain.
Guerlain hat sich ganz offensichtlich nach wie vor die Entwicklung von Qualitätsprodukten auf die Fahnen geschrieben. Auch das hat etwas mit Verkaufsstrategien zu tun (man denke nur an die wie Pilze aus dem Boden schießenden Nischenparfumhäuser, die sich mal mehr, mal weniger bemühen, Qualität statt Quantität anzubieten). Andererseits darf man Guerlain aber auch eine gewisse Liebe zum Parfum unterstellten, anders ist es wohl kaum erklärbar, dass man nach wie vor so viele Klassiker im Programm hält, so sorgfältig bei der Entwicklung neuer Düfte vorgeht und so viele hochwertige Produkte lancieren konnte. Man werfe nur einen Blick auf die Dufthitlisten dieser Seite. Ich bleibe aber bei Immanuel Kant:
"Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit."
So Kants erste Definition auf die Frage, was eigentlich politische bzw. gesellschaftliche Aufklärung charakterisiere. Wer sich mit einer Sache kritisch befassen will, der muss das auf der Grundlage seiner eigenen Mündigkeit tun, nicht fremd gesteuert und geleitet. Das durfte man nicht nur dem Menschen des 18. Jahrhunderts ins Stammbuch schreiben. Das gilt auch heute mehr denn je. Chamade Homme ist kein Duft, für den geworben wird, der für sich wirbt, der mir an jeder Ecke mit bunten Bildern entgegen springt. Er gehört wohl eher zum lieb gewordenen Repertoire der Marke Guerlain und wartet darauf, selbständig entdeckt zu werden. Und das ist schwer, sehr schwer. Nur in den wenigen Flagshipstores von Guerlain ist er erhältlich.
"Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen", so Kant in der Fortführung seiner Definition.
Wer bestimmt uns eigentlich in unserem Denken und Handeln? Politiker, Ideologen, Wissenschaftler? Wohl kaum. Der Mensch des 21. Jahrhunderts wird all zu häufig gelenkt und geleitet durch Werbung. Da nehme ich mich keinesfalls aus. Ein Duft wie Chamade Homme liegt nun aber weit abseits aller Dufterfahrungen unserer Tage. Zwar flankiert die kräftigen grünen Noten des Auftakts die klassische Guerlinade aus Vanille, Kräutern, Tonkabohne, Bergamotte und Blütendüften (Genaueres weiß ohnehin keiner), bleibt aber recht subtil im Hintergrund. Man muss zunächst einmal lang mit diesem Duft streiten, sich fast eine Stunde durch den grünen, scharfen (Pfeffer?) Kräutergarten kämpfen, bevor die lieblicheren Komponenten erkennbar werden. Die Kopfnote dieses Duftes will intellektuell bezwungen werden. Und das ist kein leichtes Hindernis. Aber nun weiter mit Kant:
"Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Muthes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen."
Konnte sich der Mensch des 18. Jahrhunderts noch leicht entschuldigen, indem er auf die gefährlichen äußeren Umstände verwies - schließlich führte eine kritische Haltung schnell zu peinlichen Strafen - bleibt uns Heutigen kein Rückzugsraum. Wir sind aufgerufen nicht jeder populistischen Idee hinterher zu laufen und nicht jedem Marketinggag zu folgen. Für Düfte könnte das heißen: Erfahrungen sammeln, üben, lernen, krisch bleiben, sich nicht blenden lassen und vergleichen. Chamade Homme macht es uns auch da nicht leicht. Auch die Herznote ist nicht gleich verständlich, da mischen sich klare Veilchenklänge mit deutlichen Muskatakzenten. Diese Kombination muss man erst mal verkraften. Das ist kein Duft, den man großzügig aufträgt, damit er deutlicher vernehmbar ist. Überdosierung kann bei diesem dezenten Duft nämlich schnell schwierig werden. Da verkehrt sich die Dezenz in Strenge, die Klarheit in Härte.
Die Basisnote jedoch ist das Schönste: Nach einer längeren Zeit der Geduld, des kritischen Abwägens und des Prüfens offenbart sich eine weichere Note aus Holz und Leder, die den Duft nach der abschließenden Erkenntnis fast weich erscheinen lässt. Alles andere als dies hätte ich am Anfang erwartet.
Und so mutet uns Guerlain bei diesem Duft einiges zu, nämlich einen Duftverlauf, der diesen Namen tatsächlich noch verdient: von der grünen, etwas kratzigen Note des intellektuell konturierten Auftakts zur streng floralen Note des Herzens bis hin zur weichen, warmen Seele aus Holz, Leder und Vanille, quasi einer variierten Guerlinade.
Und Kant?
"Sapere aude! Habe Muth, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!"
19 Antworten