24.03.2013 - 09:36 Uhr
Yatagan
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Yatagan
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36
Die Würde des Lord Wisebottom (Teil 2)
Wir erinnern uns: Im ersten Kapitel der tragischen Verwicklungen (siehe Woods of Windsor for Men) blieb Lord Wisebottom stoisch im Wintergarten seines Landhauses beim Tee (seine bevorzugte Mischung war stets Earl Grey), während der Gerichtsvollzieher bereits an der Tür stand.
In der Ruhe lag doch immer noch die Kraft und was konnten diese kleinen Beamten schon gegen einen Lord Ihrer Majestät ausrichten.
Doch falsch gedacht! Schon am nächsten Morgen stand ein mittelgroßer Lastkraftwagen vor der Tür und nach und nach verschwanden Teppiche, wertvolle Ölgemälde, Mobiliar und weitere wichtige Wertgegenstände in seinem Inneren. Keinen halben Tag später saß Lord Wisebottom in seinem halbleeren Landhaus und grübelte. Was konnte er tun, um neue Kraft zu gewinnen? Er würde sich in seinen geliebten Bristol Brigand setzen und die 40 Meilen nach London zu seinem Anwalt fahren, um prüfen zu lassen, was jetzt zu tun war. Doch da fiel es ihm wieder ein: Sein teurer Wagen war auch weg, unwiederbringlich, gepfändet, beschlagnahmt, über den Kies seiner Hofeinfahrt davon gerollt. Es hatte ihm fast das Herz gebrochen. Wäre er jemals verheiratet gewesen: So musste es sich anfühlen, wenn man von der eigenen Frau verlassen wurde.
Lord Wisebottom räusperte sich. Er verbat sich jeden Anflug von Melancholie und ging ins Bad. Dort hatten sie nicht gewütet. Alles schien unangetastet. Seine teuren Kent-Bürsten, Rasierpinsel, sein exzellentes Rasiermesser, sein Aftershave von Woods of Windsor (ein Trost an düsteren Tagen) und... Was war das?
Dort stand eine Flasche, die ihm vollkommen unbekannt war. Schwarz, unscheinbar und nicht allzu groß mit einer weißen Aufschrift: Cravache – Robert Piguet – Paris France war da zu lesen. Oh my God! Was hatte ein französisches Eau de Toilette (oder wie diese aufdringliche Form des Colognes hieß) in seinem Bad zu suchen? Wie war es hierher gekommen? Wer mochte es dort abgestellt haben? So viel er wusste, hatte der Gerichtsvollzieher sein Bad nicht betreten, war nur in den repräsentativen Räumen seines Landhauses gewesen; die Möbelpacker, die lieblos und grob seine Habe und die seiner Vorfahren in den Lastkraftwagen verladen hatten, hatten schnell und zielgerichtet gearbeitet und hätten wohl kaum einen Duftflakon hinterlassen. Rose, seine letzte verbliebene, treu ergebene Bedienstete, kam auch nicht in Frage. Sie verwendetet nur – ihrem Namen gemäß - englisches Rosenwasser; leider eine billige Marke, die immer etwas aufdringlich roch, aber er hatte es nie übers Herz gebrach, ihr das zu sagen.
Ohne einen Gedanken an seinen Widerwillen gegen kontinentale Produkte betätigte er mechanisch den Sprühflakon und sprühte sich ein wenig auf sein Handgelenk. Kurze Zeit später betätigte er ihn ein zweites, drittes, viertes und schließlich sogar fünftes Mal. Dann setzte sein Verstand wieder ein. Wie hatte er sich nur so gehen lassen können. Ein französisches Parfum...
Und dennoch: Eigentlich roch es gar nicht so schlecht. Der Auftakt war sogar ähnlich wie die englischen frischen Düfte, die er kannte: Petigrain und Zitrone. Frisch, hell, freundlich, so wie er es mochte. Seine Laune besserte sich merklich.
Und noch etwas war ganz ähnlich wie bei den britischen Duftwässern seiner Wahl: Da war ganz deutlich Lavendel vernehmbar, eine Duftkomponente, die seit jeher Bestandteil der englischen Parfumprodukte gewesen war. Und das bei einem französischen Duft! Offenbar verstand man auf dem Kontinent doch mehr von Stil als er geglaubt hatte.
Besonders bemerkenswert war auch der dezente Geruch nach Minze, einem Kraut, das so typisch für die britische Küche war und das er bisher in Düften immer vermisst hatte. Warum nur war niemand hier auf der Insel auf die Idee gekommen, es so fein und doch nachhaltig zu verarbeiten? Und dazu der Salbei, der dem Duft eine gewisse vornehme Würde gab, die so wunderbar zu seinem alten, aber noblen Harris Tweed Jackett passte.
Lord Wisebottom fühlte sich erfrischt, gestärkt und voller Selbstbewusstsein. Fast ein wenig so, als hätte er einen leichten Schlag mit seiner Reitgerte erhalten, der ihn wach gerüttelt und der ihm wieder Schwung und Tatendrang verliehen hatte. Er würde nach London fahren, wie auch immer er das bewerkstelligen sollte. Er würde seinen Anwalt aufsuchen und alle Hebel in Bewegung setzen, den Familienbesitz zurück zu gewinnen. Er würde sich nicht kampflos geschlagen geben.
Rose war sofort einverstanden gewesen, ihn mit ihrem alten Morris Minor nach London zu fahren und keine halbe Stunde später setzte sich der Wagen in Bewegung, der Kies vor der Einfahrt knirschte unter den Rädern.
Während sie auf die Landstraße abbogen, bemerkte er nicht das feine Lächeln auf dem Gesicht von Rose. In Gedanken war er schon in London, der seltsam beflügelnde neue Geruch immer noch in seiner Nase...
Anmerkung: Dieser Kommentar bezieht sich auf die neue, reformulierte Version von Cravache, der die warme, etwas weichere Basis der alten Version fehlt (eigentlich müsste es daher auch zwei Einträge hier auf Parfumo geben). Beide Versionen sind mir bekannt. Ich gehöre vermutlich zu einer Minderheit hier auf Parfumo, die die neue Komposition der alten vorzieht. Der Name Cravache (Peitschenschlag) passt viel besser zur neuen Fassung. Der Duft ist schärfer, durch die Minze erfrischender und klarer. Hätte Lord Wisebottom die alte Version in seinem Bad vorgefunden, wäre wohl nicht allzu viel passiert...
In der Ruhe lag doch immer noch die Kraft und was konnten diese kleinen Beamten schon gegen einen Lord Ihrer Majestät ausrichten.
Doch falsch gedacht! Schon am nächsten Morgen stand ein mittelgroßer Lastkraftwagen vor der Tür und nach und nach verschwanden Teppiche, wertvolle Ölgemälde, Mobiliar und weitere wichtige Wertgegenstände in seinem Inneren. Keinen halben Tag später saß Lord Wisebottom in seinem halbleeren Landhaus und grübelte. Was konnte er tun, um neue Kraft zu gewinnen? Er würde sich in seinen geliebten Bristol Brigand setzen und die 40 Meilen nach London zu seinem Anwalt fahren, um prüfen zu lassen, was jetzt zu tun war. Doch da fiel es ihm wieder ein: Sein teurer Wagen war auch weg, unwiederbringlich, gepfändet, beschlagnahmt, über den Kies seiner Hofeinfahrt davon gerollt. Es hatte ihm fast das Herz gebrochen. Wäre er jemals verheiratet gewesen: So musste es sich anfühlen, wenn man von der eigenen Frau verlassen wurde.
Lord Wisebottom räusperte sich. Er verbat sich jeden Anflug von Melancholie und ging ins Bad. Dort hatten sie nicht gewütet. Alles schien unangetastet. Seine teuren Kent-Bürsten, Rasierpinsel, sein exzellentes Rasiermesser, sein Aftershave von Woods of Windsor (ein Trost an düsteren Tagen) und... Was war das?
Dort stand eine Flasche, die ihm vollkommen unbekannt war. Schwarz, unscheinbar und nicht allzu groß mit einer weißen Aufschrift: Cravache – Robert Piguet – Paris France war da zu lesen. Oh my God! Was hatte ein französisches Eau de Toilette (oder wie diese aufdringliche Form des Colognes hieß) in seinem Bad zu suchen? Wie war es hierher gekommen? Wer mochte es dort abgestellt haben? So viel er wusste, hatte der Gerichtsvollzieher sein Bad nicht betreten, war nur in den repräsentativen Räumen seines Landhauses gewesen; die Möbelpacker, die lieblos und grob seine Habe und die seiner Vorfahren in den Lastkraftwagen verladen hatten, hatten schnell und zielgerichtet gearbeitet und hätten wohl kaum einen Duftflakon hinterlassen. Rose, seine letzte verbliebene, treu ergebene Bedienstete, kam auch nicht in Frage. Sie verwendetet nur – ihrem Namen gemäß - englisches Rosenwasser; leider eine billige Marke, die immer etwas aufdringlich roch, aber er hatte es nie übers Herz gebrach, ihr das zu sagen.
Ohne einen Gedanken an seinen Widerwillen gegen kontinentale Produkte betätigte er mechanisch den Sprühflakon und sprühte sich ein wenig auf sein Handgelenk. Kurze Zeit später betätigte er ihn ein zweites, drittes, viertes und schließlich sogar fünftes Mal. Dann setzte sein Verstand wieder ein. Wie hatte er sich nur so gehen lassen können. Ein französisches Parfum...
Und dennoch: Eigentlich roch es gar nicht so schlecht. Der Auftakt war sogar ähnlich wie die englischen frischen Düfte, die er kannte: Petigrain und Zitrone. Frisch, hell, freundlich, so wie er es mochte. Seine Laune besserte sich merklich.
Und noch etwas war ganz ähnlich wie bei den britischen Duftwässern seiner Wahl: Da war ganz deutlich Lavendel vernehmbar, eine Duftkomponente, die seit jeher Bestandteil der englischen Parfumprodukte gewesen war. Und das bei einem französischen Duft! Offenbar verstand man auf dem Kontinent doch mehr von Stil als er geglaubt hatte.
Besonders bemerkenswert war auch der dezente Geruch nach Minze, einem Kraut, das so typisch für die britische Küche war und das er bisher in Düften immer vermisst hatte. Warum nur war niemand hier auf der Insel auf die Idee gekommen, es so fein und doch nachhaltig zu verarbeiten? Und dazu der Salbei, der dem Duft eine gewisse vornehme Würde gab, die so wunderbar zu seinem alten, aber noblen Harris Tweed Jackett passte.
Lord Wisebottom fühlte sich erfrischt, gestärkt und voller Selbstbewusstsein. Fast ein wenig so, als hätte er einen leichten Schlag mit seiner Reitgerte erhalten, der ihn wach gerüttelt und der ihm wieder Schwung und Tatendrang verliehen hatte. Er würde nach London fahren, wie auch immer er das bewerkstelligen sollte. Er würde seinen Anwalt aufsuchen und alle Hebel in Bewegung setzen, den Familienbesitz zurück zu gewinnen. Er würde sich nicht kampflos geschlagen geben.
Rose war sofort einverstanden gewesen, ihn mit ihrem alten Morris Minor nach London zu fahren und keine halbe Stunde später setzte sich der Wagen in Bewegung, der Kies vor der Einfahrt knirschte unter den Rädern.
Während sie auf die Landstraße abbogen, bemerkte er nicht das feine Lächeln auf dem Gesicht von Rose. In Gedanken war er schon in London, der seltsam beflügelnde neue Geruch immer noch in seiner Nase...
Anmerkung: Dieser Kommentar bezieht sich auf die neue, reformulierte Version von Cravache, der die warme, etwas weichere Basis der alten Version fehlt (eigentlich müsste es daher auch zwei Einträge hier auf Parfumo geben). Beide Versionen sind mir bekannt. Ich gehöre vermutlich zu einer Minderheit hier auf Parfumo, die die neue Komposition der alten vorzieht. Der Name Cravache (Peitschenschlag) passt viel besser zur neuen Fassung. Der Duft ist schärfer, durch die Minze erfrischender und klarer. Hätte Lord Wisebottom die alte Version in seinem Bad vorgefunden, wäre wohl nicht allzu viel passiert...
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