02.04.2020 - 16:55 Uhr

FvSpee
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FvSpee
Top Rezension
48
CoViD-Kommentare, dreizehntes Stück: Wir sind Miss!
Es bedarf keiner seherischen Fähigkeiten, sondern bloß eines Blicks auf die vergebene Punktzahl, um zu erkennen, dass ich von diesem Duft begeistert bin und ein enthusiastischer Kommentar auf den geneigten Leser wartet. Zwei Einschränkungen (oder eher Maßgaben) gilt es aber der guten Ordnung wegen vorzuschalten: Vor einer Laudatio wie der nun beabsichtigten würde ich normalerweise eine ganze Anzahl von Tagen testen; in diesem Fall habe ich es bei zwei Tagen (unter etwas abgewandelten Bedingungen) auf der Haut und einem separaten Versuch auf einem Baumwolltaschentuch (mein altes graues aus Bundeswehrzeiten, noch immer top in Schuss) belassen. In Seuchenzeiten gelten eben abgekürzte Verfahren. Und der hier zu bejubelnde Duft wurde von mir hier im Souk, wo er als eben "Miss Dior Originale EdT" anegboten wurde, gekauft, beschriftet war das Pröbchen aber mit "Miss Dior EdT Vintage", was die entfernte Möglichkeit offen lässt, dass ich das originale Original von 1947 vor der Nase hatte. Das glaube ich aber eigentlich eher nicht, und der Unterschied in der Formel soll ja ohnehin gering sein.
Dies vorausgeschickt: Miss Dior reiht sich bei mir unter den ganz, ganz großen "alten" Diors, ganz vorne ein! Diorella ist zweifellos bereits sehr schön, Diorissimo ein herrlicher, wunderschöner Maiglöckchenduft (der indes besser zu Frau von Spee als zu mir passt), mit Dioressence ist es so eine Sache: Das originale, heute nicht mehr hergestellte ist das schönste, vollendetste, vollkommenste Parfum, das ich (dank einer lieben Mitparfuma) jemals riechen durfte; das heutige ist noch immer ausgezeichnet, aber jedes Mal schmerzt die Lücke zur Urversion ein wenig mit. Miss Dior, zeitlich wohl der erste Duft in der Reihe, wenngleich vielleicht nicht so perfekt wie Dioressence, ist allerdings der, in den ich mich sofort und unbedingt verliebt habe.
Deskriptiv ist den bisherigen Rezensionen, vor allem der ganz ausgezeichneten von SchatzSucher, nicht viel hinzuzufügen: Miss Dior eröffnet mit einem herrlichen, wunderschön herbwürzigen, fast bitterem Grün, das nur minimal zitrisch aufgelockert wird und in das sich allenfalls ganz zarte florale Wölkchen mischen, die vorwitzig aus der Herznote aufsteigen. Wie bereits anderen Orts bemerkt, ähnelt der Duft in der Ouverture damit "Vol de Nuit", ist jedoch (obwohl kaum weniger wuchtig) etwas aufgelockerter und heller. Die etwa nach dreißig bis fünfzig Minuten voll einsetzende Herznote hat mit dieser Eröffnung nur noch wenig zu tun, und sie ist alles andere als das satte, schwere Blumenbukett, das man der Pyramide nach erwarten könnte. Wir finden hier ein wirklich bezauberndes, dezentes und doch einmaliges perlmuttartig perlendes, edel schimmerndes, eigentlich nur ganz leicht floral wirkendes Duftgeschehen; leicht, heiter, meist champagner-silbrig, mal bunt, hier fast prickelnd, dort beinahe pudrig, immer fein und zart, aber nur manchmal zerbrechlich wirkend (dann auch von elastischer Stärke). Die wieder recht deutlich abgesetzte dritte Phase, schon sehr hautnah jetzt, vielleicht von der vierten bis zur siebten Stunde ist wie hellwürzig, beige-braun, und erinnert mehr als nur ein bisschen an archetypisch maskuline Barbiersfrische.
Was diese drei scheinbar völlig disparaten Phasen zusammenhält ist für mich (außer der Schönheit einer jeder der Wegstrecken) die moderate Kühle des gesamten Duftverlaufs, seine alles andere als gleißende, aber doch durchaus helle Lichtstärke und zwei "Beinoten", die sich durch den gesamten Verlauf ziehen; einmal eine nur ganz leichte mentholige Frische und sodann der ultraklassische, markante, strenge und dabei wunderschöne Chypre-Bass. Ja, den nehme ich (auf der Haut) wirklich nur als Beiklang wahr: auf Stoff dominiert er alles.
Vor allem aber gibt es da eine Seele, die "Miss Dior" bei aller Dynamik der Entwicklung von innen her zusammenhält. Miss Dior ist ein im allerbesten Sinne (ich muss da fast an Nietzsche oder Bergson denken, obwohl das nicht meine philosophische Richtung ist) junger Duft: Frisch, klar, voll élan vital: gespannter, heiterer Kraft. Es ist einer der unverschnarchtesten und trotz seiner Komplexität unverschwurbelsten Düfte, die ich kenne. Gewiss ist Miss Dior auch ein femininer Duft (fernab von allen einschlägigen Klischees, er ist nicht im mindesten süß und nur sehr moderat blumig), aber in diesem schönen Fräulein wohnt nicht nur eine erfahrene Seele (sodass ihren Spielen der Ernst und die Klugheit nicht abgeht), sie hat, wie Niebelschützens Prinzessin Danae, auch alle (vermeintlich) männlichen Qualitäten: Sie kennt die Staats- und Kriegsgeschäfte, weiß den Zügel zu führen und mit der Zunge und dem Degen gleichermaßen empfindlich zu treffen.
Damit ist es für mich kein Widerspruch: Einmal: Diese Miss Dior ist eine schöne junge Frau, der ich mein Herz zu Füßen lege. Und doch auch: Wir sind (wenn schon nicht mehr Papst...) Miss! Jung und weiblich ist Miss Dior nämlich in einer Weise, in der wir das alle sein können: Ein Mensch, der seelisch nicht vergreist ist und sich nicht in einem selbstgemachten Bild von Männlichkeit vermauert, kann diesen Duft, für dessen Namen ich natürlich die glatte Zehn ziehe, unabhängig von Geschlecht und Alter tragen; er wird ihm eine zweite Haut stehen.
Warum nicht die Zehn? Mich irritiert ein wenig der jähe Einbruch an Projektion; nach der sehr raumgreifenden galbanischen Eröffnung sind der zweite und dritte Akte von fast schon erotischer Intimität geprägt. Und im Übrigen, das schlechthin Vollkommene lässt sich schwer lieben. Die kleinen Mängel erst bringen die wirkliche Vollendung: wenn der Zen-Garten perfekt sauber und geordnet ist, lasse man ein vertrocknetes altes Blatt hineinwehen.
EDIT:
PS1: Natürlich Wunschliste.
PS2: Den Namen finde ich auch historisch interessant: "Miss Dior", 1947 so getauft, verweist noch auf das frische gute französisch-angloamerikanische Einvernehmen aufgrund der Waffenbrüderschaft im Zweiten Weltkrieg. Zwölf Jahre später hätte de Gaulle dem Hause Dior was gehustet, wenn es sich erdreistet hätte, den Duft nicht "Mademoiselle Dior" zu nennen.
Dies vorausgeschickt: Miss Dior reiht sich bei mir unter den ganz, ganz großen "alten" Diors, ganz vorne ein! Diorella ist zweifellos bereits sehr schön, Diorissimo ein herrlicher, wunderschöner Maiglöckchenduft (der indes besser zu Frau von Spee als zu mir passt), mit Dioressence ist es so eine Sache: Das originale, heute nicht mehr hergestellte ist das schönste, vollendetste, vollkommenste Parfum, das ich (dank einer lieben Mitparfuma) jemals riechen durfte; das heutige ist noch immer ausgezeichnet, aber jedes Mal schmerzt die Lücke zur Urversion ein wenig mit. Miss Dior, zeitlich wohl der erste Duft in der Reihe, wenngleich vielleicht nicht so perfekt wie Dioressence, ist allerdings der, in den ich mich sofort und unbedingt verliebt habe.
Deskriptiv ist den bisherigen Rezensionen, vor allem der ganz ausgezeichneten von SchatzSucher, nicht viel hinzuzufügen: Miss Dior eröffnet mit einem herrlichen, wunderschön herbwürzigen, fast bitterem Grün, das nur minimal zitrisch aufgelockert wird und in das sich allenfalls ganz zarte florale Wölkchen mischen, die vorwitzig aus der Herznote aufsteigen. Wie bereits anderen Orts bemerkt, ähnelt der Duft in der Ouverture damit "Vol de Nuit", ist jedoch (obwohl kaum weniger wuchtig) etwas aufgelockerter und heller. Die etwa nach dreißig bis fünfzig Minuten voll einsetzende Herznote hat mit dieser Eröffnung nur noch wenig zu tun, und sie ist alles andere als das satte, schwere Blumenbukett, das man der Pyramide nach erwarten könnte. Wir finden hier ein wirklich bezauberndes, dezentes und doch einmaliges perlmuttartig perlendes, edel schimmerndes, eigentlich nur ganz leicht floral wirkendes Duftgeschehen; leicht, heiter, meist champagner-silbrig, mal bunt, hier fast prickelnd, dort beinahe pudrig, immer fein und zart, aber nur manchmal zerbrechlich wirkend (dann auch von elastischer Stärke). Die wieder recht deutlich abgesetzte dritte Phase, schon sehr hautnah jetzt, vielleicht von der vierten bis zur siebten Stunde ist wie hellwürzig, beige-braun, und erinnert mehr als nur ein bisschen an archetypisch maskuline Barbiersfrische.
Was diese drei scheinbar völlig disparaten Phasen zusammenhält ist für mich (außer der Schönheit einer jeder der Wegstrecken) die moderate Kühle des gesamten Duftverlaufs, seine alles andere als gleißende, aber doch durchaus helle Lichtstärke und zwei "Beinoten", die sich durch den gesamten Verlauf ziehen; einmal eine nur ganz leichte mentholige Frische und sodann der ultraklassische, markante, strenge und dabei wunderschöne Chypre-Bass. Ja, den nehme ich (auf der Haut) wirklich nur als Beiklang wahr: auf Stoff dominiert er alles.
Vor allem aber gibt es da eine Seele, die "Miss Dior" bei aller Dynamik der Entwicklung von innen her zusammenhält. Miss Dior ist ein im allerbesten Sinne (ich muss da fast an Nietzsche oder Bergson denken, obwohl das nicht meine philosophische Richtung ist) junger Duft: Frisch, klar, voll élan vital: gespannter, heiterer Kraft. Es ist einer der unverschnarchtesten und trotz seiner Komplexität unverschwurbelsten Düfte, die ich kenne. Gewiss ist Miss Dior auch ein femininer Duft (fernab von allen einschlägigen Klischees, er ist nicht im mindesten süß und nur sehr moderat blumig), aber in diesem schönen Fräulein wohnt nicht nur eine erfahrene Seele (sodass ihren Spielen der Ernst und die Klugheit nicht abgeht), sie hat, wie Niebelschützens Prinzessin Danae, auch alle (vermeintlich) männlichen Qualitäten: Sie kennt die Staats- und Kriegsgeschäfte, weiß den Zügel zu führen und mit der Zunge und dem Degen gleichermaßen empfindlich zu treffen.
Damit ist es für mich kein Widerspruch: Einmal: Diese Miss Dior ist eine schöne junge Frau, der ich mein Herz zu Füßen lege. Und doch auch: Wir sind (wenn schon nicht mehr Papst...) Miss! Jung und weiblich ist Miss Dior nämlich in einer Weise, in der wir das alle sein können: Ein Mensch, der seelisch nicht vergreist ist und sich nicht in einem selbstgemachten Bild von Männlichkeit vermauert, kann diesen Duft, für dessen Namen ich natürlich die glatte Zehn ziehe, unabhängig von Geschlecht und Alter tragen; er wird ihm eine zweite Haut stehen.
Warum nicht die Zehn? Mich irritiert ein wenig der jähe Einbruch an Projektion; nach der sehr raumgreifenden galbanischen Eröffnung sind der zweite und dritte Akte von fast schon erotischer Intimität geprägt. Und im Übrigen, das schlechthin Vollkommene lässt sich schwer lieben. Die kleinen Mängel erst bringen die wirkliche Vollendung: wenn der Zen-Garten perfekt sauber und geordnet ist, lasse man ein vertrocknetes altes Blatt hineinwehen.
EDIT:
PS1: Natürlich Wunschliste.
PS2: Den Namen finde ich auch historisch interessant: "Miss Dior", 1947 so getauft, verweist noch auf das frische gute französisch-angloamerikanische Einvernehmen aufgrund der Waffenbrüderschaft im Zweiten Weltkrieg. Zwölf Jahre später hätte de Gaulle dem Hause Dior was gehustet, wenn es sich erdreistet hätte, den Duft nicht "Mademoiselle Dior" zu nennen.
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