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Profuma
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Interdita Intensia und Interdella Rouge - Zwei Schwestern aus dem Hause Givenchy
Spritzig und frisch fruchtig ist der Start des "Le Rouge" für meine Nase und fast ein wenig überladen im ersten Augenblick. Doch dann nimmt er sich etwas zurück und das eigentliche wunderbare Dufterlebnis kann beginnen.
Auch wenn der Duft ins Hier und Jetzt gehört, sehe ich vor meinen Augen ganz andere Bilder.
Ich reise in Gedanken ins Jahr 1910.
Die beiden Schwestern Interdita und Interdella flanieren am Seeufer entlang.
Ihre langen, figurbetonten Roben erlauben nur kleine Schritte und von den zarten Lederschühchen ist jeweils kurz das glänzende Näschen unter den sich bewegenden Spitzenlagen unter den Kleidern zu erhaschen. Jede Bewegung hat ein kleines Rascheln der geschichteten Gewebelagen zur Folge und das Aufsetzen der Ledersohlen auf dem Kieselsteinweg verursacht bei jedem Schritt ein leises Knirschen.
Die Stoffe sind edel aber einfarbig gehalten, die Abschnitte der ¾-Ärmel enden in weisser Spitze, die sich trompetengleich vom enggeschnittenen Arm abstellt.
Beide Dekolletés weisen einen doppelten Kragen untereinander auf, als hätte sich der Schneider für keinen der beiden alleine entscheiden können. Einer umschliesst den Hals mit rundem Klapprand, ist mittig geknöpft und eingefasst mit schwarzem Samt.
Durch etwas durchbrochene Spitze getrennt folgt ein breites, plissiertes, kragenartiges Rüschenband, das sich auf die ganze Brusthöhe legt, als sei der Sinn davon, die folgenden Formen etwas zu verbergen. Darunter macht eine Samtschleife den Abschluss und deren Schlaufe und die Bändel wiegen sich in den Bewegungen der Schritte.
Die Schwestern sind fast gleich alt. Die Jüngere Interdita trägt ihr Kleid in Schwarz und die ältere Interdella ein ganz ähnliches in Dunkelrot. Nur die Spitzen und Einfassungen heben sich von der Kleiderfarbe ab . Dazu tragen sie riesige tellerartige Hüte mit gleichfarbigen Stoffblüten und selbst die geöffneten und über die Schultern gelegten Spazierschirme mit den wallenden Spitzenborten sind genau in den Farben der jeweiligen Roben gehalten.
Der Anblick der schönen Damen in den wundervollen Gewändern lockt schon bald Bewunderer an.
Zunehmend bildet sich hinter den beiden flanierenden Damen und in gebührendem Abstand eine grösser werdende Gruppe an sehr elegant gekleideten Herren, die sich zufällig oder absichtlich am Seeufer aufhalten und auf die beiden aufmerksam werden. Hier wird beobachtet, bewundert, entdeckt und getuschelt und nicht selten ergeben sich Bekanntschaften auf diesen Wegen.
Ob es nun flüchtige Affären, ernste Beziehungen oder von Familien geknüpfte Liaisons werden, hier ist nur eines wichtig: Man kommt hierher um zu sehen und um gesehen zu werden.
In einem kleinen Café mit Gartensitzplätzen direkt am See nehmen die beiden Damen Platz. Es ist Zeit für einen Tee und man kann mit dem Nippen an der Tasse einen bemüht gleichgültigen Blick auf den vorbeiführenden Weg oder zu den anderen Tischen riskieren, ohne dass die Absicht dahinter gleich auffällt. Natürlich möchten die Schwestern hier ihr Glück versuchen und sich einen gut betuchten Herrn als Gemahl angeln. Schliesslich sind sie noch beide im besten Alter, doch die Zeit ruht nicht.
Zwei Herren aus dem „Gefolge“ ergreifen die Gelegenheit sofort beim Schopf und setzten sich hastig neben eine Dame an den jeweils an sie angrenzenden Tisch.
Schon auf dem Weg mussten den beiden die betörenden Düfte der beiden Ladies aufgefallen sein und wie sie sich durch die Luft zu ihnen ein paar Schritte dahinter geschlängelt und ihre Sinne gekitzelt haben. Scheinbar zufällig, so könnte man meinen, aber wer sich solch exquisite Wässerchen auflegt, der möchte ganz bestimmt auch damit auffallen.
Dem Herrn neben der in Schwarz gekleideten Interdita fällt nun sofort der dichte Schleier von Tuberose mit einem pfeffrig spritzigen Kirschenaroma und leichter Karamellnote auf, die darin etwas enthält, was ihn kurz nachdenken lässt. Erinnert ihn die Note nicht an die Bäckerei in der Altstadt, die gerösteten Sesam über die noch warmen Butter-Croissants streut? Ein leckerer Duft, der bei ihm Lust auf mehr auslöst und er rückt scheinbar unbemerkt noch etwas näher. Durch die Wärme von Interditas Haut verströmt feinste Vanille ihre Verführung in seine Richtung und befördert seine Sinne in ein weit entferntes Traumland und an einen einsamen Sandstrand, wo er sich mit dieser unglaublich gut duftenden Dame zu einem Tête-à-Tête trifft. Während er sich zu seinem Glas Wein den weiteren Verlauf der Geschichte zusammenträumt, ist auch dem Herrn auf der anderen Seite nach Abenteuer ausmalen.
Gegenüber und nur einen Arm breit von der dunkelrot gekleideten Interdella entfernt, gibt er sich dem Genuss der Duftwolke hin, die von ihr zu ihm hinüberschwebt. Ihm streichelt als erstes eine frische und fruchtige Note den gezwirbelten Schnurrbart und schlängelt sich dann hoch in seine Nase und auch er schwört, Kirschen zu vernehmen, nur stellt er sich vor, wie diese in einem köstlichen Sirup aus Jasmin und Tuberose schwimmen, denn der Duft ist ihm ganz weich und sinnlich, lecker und betörend. Auch er kann kaum fassen, was ihm da entgegenströmt. Als würde ihm ein dichtparfümierter dunkelroter Samt übers Gesicht gelegt und er würde im Geiste darunter in den siebten Himmel entschweben.
Während die beiden Herren sich benommen ihren Träumen hingeben, haben die Damen längst bemerkt, was in ihrer unmittelbarer Nähe geschieht und tuscheln angeregt im Schutz ihrer ausladenden Hüte. Kichernd zuppeln sie sich ihre Kleiderkragen und Ärmelchen zurecht, nur um einen verstohlenen Blick auf die verträumten Gesichter neben ihnen zu erhaschen.
Als sie sich schliesslich sachte von ihrem Tischchen erheben, um ihren Spaziergang fortzusetzen, schiessen auch die Herren augenblicklich von ihren Stühlen hoch, lüpfen ihre Zylinder, präsentieren ihr schönstes Lächeln und bieten der Dame ihrer Wahl galant einen Arm.
Die beiden Paare lustwandeln erst noch Seite an Seite den Weg am See entlang. Aus der Ferne dringen einige Wortfetzen und Gelächter durch die Seebrise zurück zum Café.
Später gehen die Zweiergruppen in verschiedene Richtungen weiter.
Worüber sie sich wohl unterhalten?
Ich habe einen Vergleich der beiden “Interdit“-Düfte gewagt und mir persönlich gefällt das „Le Rouge“ besser, weil es für meine Nase abgestimmter, harmonischer, weicher und gesammthaft runder ist. Mit der Zeit verstärkt das meinen Eindruck noch, wenn auf der Haut ein beinahe vanilliger Schleier zu liegen kommt. Dann ist der Duft für mich am schönsten.
Zuhören kann man aber beiden Schwestern sehr gut.
Sie haben einfach nur nicht ganz denselben Charakter.