Welche Parfümerie auf die Idee gekommen ist, mich mit einer großzügigen Probe von Scandal by Night zu beglücken, weiß ich heute nicht mehr. Mir wäre es höchstwahrscheinlich nie in den Sinn gekommen, mir einen Duft zuzulegen, der sich Scandal by Night nennt. Nicht weil ich so prüde bin, aber weil ich mir vorstellen kann, was mich da erwartet. Dank der Probe im Sprayflakon hab ich nun die Möglichkeit, meine Vorurteile auf deren Bestand zu prüfen.
Aufgrund der Kommentare bin ich davon ausgegangen, dass mich ein Schwall von Honigsüße in Beschlag nehmen würde. Ob nun klebrig süß oder überraschend leicht und erträglicher. Doch der Honig hält sich bei mir nach dem Aufsprühen sehr dezent zurück. Dafür überschwemmt mich eine Welle von Blumenduft, den ich sehr bald als Tuberose identifiziere. Eine alte Bekannte. Ich kenne sie aus Poison, Hypnotic Poison und Loulou – alles Kreationen der 80er und 90er Jahre, in denen man schwere Düfte mochte. Ich besaß sie alle drei. Loulou ist immer noch in meiner Sammlung.
Als ich Hypnotic Poison von Dior vor Jahren bei einem Date von einem Schweizer Mailfreund geschenkt bekam, wusste ich leider schon, dass ich mit sogenannten „hypnotischen“ Düften nicht kann. (Ich hab es trotzdem "aufgebraucht", weil ich es nun schon einmal hatte ...)
Ich erkenne und verstehe ihre Botschaft: Sie muten exotisch an. Man fühlt sich in einen zauberischen nächtlichen Dschungel auf Tahiti versetzt - wobei ich keine Ahnung hab, ob es in der Südsee Dschungel gibt. Nicht ohne Grund ist die weiß blühende Tuberose eine Nachthyazinthe. Ihr Duft ist betörend, schwer, süß, sinnlich, verführerisch. Und genau das will auch Scandal by Night sein. Düfte dieser Art hat es „immer schon“ gegeben und sie waren bei vielen Frauen beliebt.
Gaultier spielt bewusst mit der sinnlichen Note der Tuberose. Der Flakon, in dem eine Dame zu stecken scheint, von der man nur die zappelnden, wohlgeformten Beine mit den Highheels zu sehen vermeint, passt genauso zum Image wie der anrüchig sein sollende Name. Dass der nächtliche Skandal etwas mit Sex zu tun hat, wird mehr als deutlich vermittelt. Wie man weiß, provoziert Jean Paul Gaultier gern. Okay, das hab ich begriffen. Es ist auch für mich in Ordnung. Was mich stört, ist, dass die Botschaft des Parfums mir zu überdeutlich nahegebracht wird. Ich bevorzuge Subtileres. Doch damit hat Gaultier nichts im Sinn. Er will mit seinem Duft laut sein und auffallen.
Und das wollen wohl auch die meisten Frauen, die dieses Parfum tragen. Und sie tragen es nicht nur, sondern - sogar mit Absicht - vor sich her: Schau an, wie sexy ich bin … Ich bin unwiderstehlich … Ich werde deine Sinne benebeln, dich betören, verführen … Das ist es, was Gaultier seiner Zielgruppe über die Wirkung dieses Duftes einzureden versucht.
Mir ist das zu plump. Ich möchte weder als weibliche Verführungsmaschine herumlaufen, noch würde ich – als Mann – auf diesen allzu plakativ sinnlichen Duft ansprechen. Aber ich bin sicher, dass sich viele – vor allem wohl jüngere – Frauen mit diesem Parfum begehrenswerter empfinden, was natürlich eine Schimäre ist. Ich kann mir vorstellen, dass so mancher Mann lieber in Deckung geht vor diesem Duftschwall, als sich erobern zu lassen …
Aber vielleicht bin ich ungerecht. Bestimmt verwenden auch zahlreiche Damen das Parfum, weil ihnen der Duft einfach gefällt und nicht, weil sie erotisch wirken und eine Eroberung machen wollen.
Mir ist der Duft zu schwer und zu süß. Man sagt der Tuberose eine entspannende Wirkung nach. Die hat bei mir ebenso wenig stattgefunden wie der angebliche Skandal, den das Parfum ausdrücken will. Dafür ist mir das hier Gebotene zu wenig. Der Skandal ist entsprechend dem Duft nicht einmal ein Skandälchen – höchstens für solche, die sich das einreden lassen. Tatsächlich handelt es sich um einen recht konventionellen Tuberoseduft, wie es viele gibt. Die Sinnlichkeit kommt sozusagen mit dem Holzhammer daher und kann ganz schön nerven, wenn man eine derart süße, betörende Schwere nicht goutiert. Eine erotische Ausstrahlung kann ein Duft auch anders – feiner, raffinierter, spannender – erzeugen.
Zur wie gesagt sehr eindimensionalen Botschaft gehört auch, dass der Duft bei mir keinen großen Veränderungen unterliegt. Er bleibt sozusagen, wie er ist. Nur dass er halt mit der Zeit schwächer wird. Der Duft mag manche nerven, weil er so eindringlich. Dass er überdurchschnittlich haltbar ist und sich von jenen, die ihn los werden wollen, nicht einmal mit Öl entfernen lassen soll, kann ich nicht so ganz glauben. Bei mir ist die Haltbarkeit durchschnittlich. Die Sillage erscheint anfangs eindrucksvoll, nimmt aber bald ab.
Dass dieser Duft nicht für den Alltag gemacht ist, erscheint klar. Im Berufsleben wäre er völlig fehl am Platz. Es ist eindeutig ein Ausgehparfum für den Abend, das ich mir gut in Discos vorstellen kann.
Ich kann mich nicht damit identifizieren. Nicht, weil ich nicht mehr in Discos gehe, sondern weil meine Vorliebe wie gesagt subtileren Düften gilt, die einen spannenden Duftverlauf haben und interessanter bzw. tiefgründiger und vielleicht innovativer sind. Düfte mit einem Touch Avantgarde wie einige Molekülparfums oder etwas mehr „sophisticated“ sind, passen einfach besser zu mir. Andere mögen das natürlich anders sehen.
Da der Duft meinem Empfinden nach wenig Eleganz ausstrahlt, sehe ich ihn am ehesten bei ambitionierten Discoqueens in ihren 20ern.
Die Tuberose mag als Blume intensiv und auffallend duften. Als Duft auf meiner Haut empfinde ich sie zu aufdringlich. Das gilt für alle Düfte mit dieser Note. Ich liebe Hyazinthen und ihren starken Duft, aber im Parfum wird es mir bald zu viel des Guten. Aber das ist Geschmacksache. Ich will jetzt nicht sagen, dass ich prinzipiell mit Tuberose nichts anfangen kann. Ich könnte mir vorstellen, dass diese Note in Düften sehr anregend sein kann, wenn sie nicht überdosiert wird. Leider ist mir bisher noch kein Parfum untergekommen, in dem sie das nicht war - offenbar gibt's viele Fans von Tuberrose-Überdosierungen.
Ich befürchtete, dass mir der Honig in diesem Parfum zu viel sein könnte. Tatsächlich empfinde ich die Tuberose als so dominant, dass sie dem Honig gar keinen Raum gibt, sich zu entfalten. Tonkabohne mag der Tuberose eine gewisse vanillige Wärme und dieses typische sinnliche Mandelaroma verleihen, dient aber eigentlich nur als unterstützende Basis und tritt nie hervor.
Fazit: zu süß, zu schwer, zu intensiv, zu aufdringlich … Nichts für mich.