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Von Parfumo empfohlener Artikel
vor 5 Jahren - 05.03.2020
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​So duftet die Schneiderin des Swinging London – Barbara Hulanicki

Durch ein YouTube-Video bin ich neulich wieder auf Barbara Hulanicki aufmerksam geworden. Sie war mir schon länger ein Begriff, doch allzu viele Gedanken hatte ich mir nicht über sie gemacht. Ich wusste noch nicht einmal, ob sie überhaupt noch lebte. Es stellte sich heraus – sie tut’s.


Nun ist es also an der Zeit, endlich wieder einen Blogbeitrag über eine große Dame der quasi Pop-Geschichte zu schreiben. Seit Olivia de Havilland sind immerhin schon fast zehn Monate vergangen.
Wem der Name nichts sagt oder ihn nicht einordnen kann: Barbara Hulanicki ist die Gründerin des britischen Modehauses Biba. Bevor sie das aber in Angriff genommen hat, kam sie erstmal auf die Welt – 1936 in Warschau, um genau zu sein. Ihr Vater war Diplomat und zog mit der Familie arbeitsbedingt nach Palästina. Ende der 40er Jahre dann geschah es: Eines Tages fand man Papa Hulanicki tot im Tempel, die Hände zusammengebunden und mit einer Kugel im Rücken, offenbar das Werk einer paramilitärischen Gang. Der Mord an ihrem Vater ist noch heute ein wunder Punkt. So berichtet sie, wie er sich noch am Morgen vor der Arbeit bei ihr im Kinderzimmer verabschiedet hatte. Dass sie ihn einfach gehen ließ, ohne ihn zu umarmen, belastet sie auch 70 Jahre später noch.

Die Mutter schnappte sich jedenfalls die Kinder und zog mit ihnen nach England, genauer nach Brighton ans Meer. Als junge, kreative Frau besuchte Barbara in den 50er Jahren die dortige Kunstschule, wo sie sich zum ersten Mal mit Modedesign beschäftigte. In einem Interview erzählt sie davon, wie die Modeschüler nicht für voll genommen wurden, da das Fach nicht das größte Prestige genossen hatte. Sie wurde Modeillustratorin und arbeitete unter anderem für die Vogue und den Tatler. Zeichnen schien ihr aber nicht zu genügen, denn sie entwarf selbst Bademode, die prompt einen Wettbewerb des Evening Standard gewann. Die Mode der Zeit bereitete ihr aber Kopfzerbrechen. So erzählt sie, wie die damaligen Modeschöpfer (wahrscheinlich meint sie Dior, Givenchy und Konsorten) Kleider hauptsächlich für Erwachsene schufen und sich die generelle textile Idee der Nachkriegszeit um die Frau ab 30 drehte. Hulanicki aber sah Scharen von unglücklichen jungen Menschen, die sich nicht verstanden und unpassend angezogen fühlten. So hatte sie genau diese Gruppe im Visier, als sie begann, eigene Kleidung zu entwerfen und sie über Zeitungsannoncen zu verkaufen.

1964 schließlich eröffnete sie in London ihre eigene Boutique, die sie nach ihrer Schwester „Biba“ nannte. Und hier kamen nun mehrere Faktoren zusammen, die zu ihrem baldigen Erfolg führten:

Ihr eigener Stil und Geschmack: Hulanicki war in Palästina und danach in England inmitten von Kunstwerken aufgewachsen. Daher ist sie vertraut mit Kunst und Handwerk des 19. sowie des frühen 20. Jahrhunderts. Sie liebt das Art Deco und alles, was die Zwischenkriegsjahre an Design, Mode und Architektur hervorgebracht hatten. Genauso schätzt sie die späte viktorianische und frühe edwardianische Zeit um die Jahrhundertwende. Aus diesen beiden Richtungen floss ihre Inspiration und sie gestaltete Mode, die offensichtlich auf diese vergangenen Themen zurückgriff. Kurze, kindlich-verspielte Kleidchen, die an die Mode der 20er erinnerten, große Hüte und weite Hosen wie in der Rivieramode der 30er Jahre, lange Maxikleider, die den gesamten Körper bedeckten wie ein Sommerkleid von 1910, Schuhe mit Mustern des viktorianischen Arts & Crafts-Künstlers Morris Fuller, …

Swinging London: Die Stadt an der Themse war der Hotspot der 60er Jahre. England war cool, die Beatles eroberten die Welt, Mary Quant hatte hier den Minirock etabliert, das Londoner Model Twiggy blinzelte großäugig in sämtliche Kameras und alles orientierte sich am Geschehen in der pulsierenden Metropole. Hier, mitten im Leben, stieß Hulanicki in der Mod-Szene (Mod = Modernist, die Szene der jungen Intellektuellen) auf großen Zuspruch mit ihrem ausgefallenen Stil.

Zeitgeist und Jugend: Die Nachkriegszeit war nicht einfach. Der eine Krieg war vorbei, doch der nächste, sinnlose in Vietnam ließ nicht lange auf sich warten. 1963 wurde Kennedy ermordet und das gleiche Schicksal ereilte viele Helden der Bürgerrechtsbewegungen wie Martin Luther King. Die zugeknöpfte Generation der Eltern, die nach Wirtschaftskrise und Weltkrieg eine heile Scheinwelt erzwang, erschien der Jugend fremd und sie machten sie für das gesamte Übel verantwortlich, das um sie herum geschah. Kein Wunder also, dass alle Arten von Flucht versucht wurden: Flucht in Rauschmittel, Flucht zurück in die Kindheit und Flucht in eine vermeintlich friedliche Vergangenheit. Und genau diesen Nerv hatte Barbara Hulanicki getroffen.

Ende der 60er gelang ihr ein gigantischer Schritt: Sie vergrößerte sich geringfügig und bezog nach der kleinen Boutique einfach ein 7-stöckiges Kaufhaus in der Kensington High Street. Dieses Kaufhaus galt zuvor als Oma-Laden und wurde von ihr und ihrem Mann komplett nach der Hulanicki-Retro-Ästhetik umgebaut: Art Deco mit ein paar Spritzern Jugendstil wohin das Auge reichte. Selbstdesignte Teppiche mit geometrischen Mustern bedeckten die Böden, verspiegelte Verkaufsinseln präsentierten die Waren, Türrahmen im Ägypten-Stil der 20er Jahre, eine Schuhabteilung, in der Greta Garbo jeden Moment um die Ecke stiefeln könnte … Die Kunden mussten sich wie in einer Zeitmaschine gefühlt haben.


Doch es war nicht einfach ein Kaufhaus, nein, Biba hatte einen eigenen Club, in dem sich das Who’s Who tummelte – im „Rainbow Room“ gingen Twiggy, Marianne Faithfull, David Bowie, Mick und Bianca Jagger mit den übrigen Rolling Stones nachts zu Orchestermusik feiern. Als wäre das nicht genug, grünte und blühte es im Dachgarten des Kaufhauses, lebendige Flamingos und ein Teehäuschen inklusive. Biba bot die komplette Flucht vor dem Alltag in eine glamouröse Phantasiewelt, daher war das Haus auch bis in die Mitte der 70er-Jahre extrem beliebt. Natürlich hatte es ein gewisses Prestige, dort arbeiten zu dürfen und die Biba-Girls (auch Anna Wintour begann als solches mit 15 ihre Modekarriere) lebten die Marke wie heutzutage vielleicht die Mitarbeiter von Red Bull.

In diesem Video bekommt man einen kleinen Einblick in den Arbeitsalltag bei Biba:

Barbara Hulanicki bei der Arbeit

Nun stellt sich die Frage: Wie könnte die kreative Retro-Königin Barbara Hulanicki wohl riechen? Was für ein Parfüm trägt eine einflussreiche Designerin mit derart spezifischen Vorlieben? Im Internet ist leider absolut nichts darüber zu finden. Das ist einerseits schade, andererseits lässt es der Phantasie allen Spielraum. Und Phantasie dürfte ihr gefallen. Hier also meine kleine, erdachte Auswahl, die sich auf ihrem Vanity Table finden könnte:

Shocking von Schiaparelli – Elsa Schiaparelli war eine avantgardistische Designerin in den 30er Jahren, die mit Lady Gaga-haften Ideen von sich reden machte. Sie könnte Barbara durchaus als Vorbild gedient haben, daher dürfte ihr auch der Honig-Puder-Duft im Schneiderpuppenflakon gefallen.

Barbara Hulanicki war und ist trotz aller Nostalgie eine moderne Frau und hat sich bestimmt öfter ein zeitgenössisches Parfum gegönnt. Kurz nach Eröffnung der großen Biba gefiel ihr vielleicht ein neuer Chypre-Duft von Jean Patou besonders gut: 1000 von Jean Patou – eine Ladung Patchouli, wie es sich für 1972 gehört, dazu eine elegante Rosengeranie und zartes Eichenmoos.

Hulanicki ist zwar gebürtige Polin, könnte aber englischer kaum sein. Als Inbegriff angelsächsischer Nostalgie hat sie daher bestimmt ein oder zwei Fläschchen aus dem Hause Grossmith im Schrank – vielleicht Phul-Nana oder Hasu-no-Hana, zwei viktorianische Schönheiten.

Was denkt ihr? Was trägt eine Persönlichkeit wie Barbara Hulanicki?

25 Antworten
HasiHasi vor 5 Jahren
Dein Beitrag und die Fotos haben mich wahnsinnig begeistert! Ich liebe liebe liebe diese Mode und die Frisuren mit dem Augen-Make up sind bis heute meine absoluten Favoriten! Kommt ja zum Glück alles auch immer wieder. :) Super gemacht, Fabi!
Melisse2Melisse2 vor 5 Jahren
Ich kenne Barbara Hulanicki gar nicht, auch Biba nicht und habe diesen Beitrag mit Interesse gelesen. Ich plädiere auch für einen Caron Duft, Narcisse Noir.
CafeliberteCafeliberte vor 5 Jahren
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Als Designerin finde ich den Beitrag wunderbar, danke dafür!
@Tinkerbelle, @Pollita - nicht verwechseln mit der Biba GmbH aus Deutschland! Irreführend, da derselbe Name, hat aber nichts mit BIBA von Hulanicki zu tun, um die es hier geht.
FabistinktFabistinkt vor 5 Jahren
Danke für eure Antworten und die vielen Ideen! Besonders Tabac Blond passt wie die Faust aufs Auge, so genial!

@Pinkdawn: Ich frag sie gleich morgen, falls ich sie beim Bäcker sehe ;)
SciaScia vor 5 Jahren
Auf diesem aktuellen Foto trägt sie Onda (Extrait de Parfum) :D
MagineerMagineer vor 5 Jahren
Wahnsinn. Ein großartiger und informativer Beitrag, back to swinging London. Vielen vielen Dank dafür. Und ganz ehrlich, was sie heute trägt, weiß ich nicht, aber in den 60ern hätte ich ihr einen knallharten Fougere zugetraut...
TinkerbelleTinkerbelle vor 5 Jahren
Sehr schön geschrieben! Die Idee mit Biba war sehr gut, leider ging das Unternehmen den Weg so vieler in meiner Branche....
McConrenMcConren vor 5 Jahren
Chapeau, was für ein schöner Artikel über Person & Epoche. Die Dame war mir bislang tatsächlich unbekannt, aber Dein Blog ist wie eine schöne Parfumprobe, dankeschön!
PinkdawnPinkdawn vor 5 Jahren
Ausserdem: Barbara lebt ja. Sie ist jetzt 83, glaube ich. Man könnte sie also nach ihren Duftvorlieben fragen ...
PinkdawnPinkdawn vor 5 Jahren
Mit ihrer Vorliebe für den Orient, Opulenz und Exzentrik tippe ich eher auf Shalimar von Guerlain, das 1937 erschien. In den späten 50er Jahren könnte es auch Diorissimo gewesen sein, dieser raffinierte Maiglöckchenduft. Bestimmt hat sie mehrere Parfums benutzt.
Ich hab den interessanten Artikel sehr gern gelesen, war aber am Ende schon etwas enttäuscht, dass man nichts über die Duftvorlieben von Madame Barbara erfährt, wie der Titel eigentlich verspricht.
ExUserExUser vor 5 Jahren
Netter Artikel und gut dokumentiert, aber in einem Punkt muss ich dir widersprechen: 1000 de Patou war und ist alles andere als eine "Ladung Patchouli". Das hätte Barbara garantiert nicht gemocht. Zu elegant, zu erwachsen und viel zu französisch! Schon gar nicht schräg genug für ihre Vorstellungen von kulleräugigen Püppis. Schneiderin war sie übrigens auch nicht, aber ihre Idee mit einem pompös aufgemachten Billig-Label war damals absolut clever. Eine Zeitlang wenigstens.
ErgoproxyErgoproxy vor 5 Jahren
Damals könnte sie auch Halston oder Charles of the Ritz getragen haben.
Marquise27Marquise27 vor 5 Jahren
Vielleicht hätte sie Vu von TED Lapidus getragen, der hätte super zu ihr gepasst . Übrigens ein sehr guter Bericht -was für eine Zeit war das doch oder... wird, frei und sehr extrovertiert!
BlausternBlaustern vor 5 Jahren
Was für ein großartiger Beitrag -vielen Dank dafür! Die Gründerin von Biba war mir bisher kaum bekannt. In meiner Phantasie hätte sie ganz sicher "Shocking von Schiaparelli" getragen.
16paws16paws vor 5 Jahren
Was für ein toller, informativer Blog. Chapeau.
GirlainGirlain vor 5 Jahren
Toller, spannender Blog, danke dafür! :)
Meine Mutter sagt auch immer: In den späten 50ern und frühen 60ern sahen wir aus wie unsere eigenen Omas...:-D
ivkoivko vor 5 Jahren
Super! :) ...und ich denke, nein ich weiß, sie trägt was englisches, selbstverständlich ... vielleicht einen Hoflieferanten ... irgendwas mit C ;D
SchatzSucherSchatzSucher vor 5 Jahren
Das ist wieder einer deiner so großartig und liebevoll erarbeiteten Beiträge und mir ein großes Vergnügen, ihn zu lesen. Biba ist mir auch ein Begriff. Über die Gründerin war mir bis jetzt kaum etwas bekannt. Eine so bemerkenswerte Persönlichkeit wird sicher an an bemerkenswerten Düften mit Aussage Gefallen finden, evtl. eine der Kreationen aus dem Hause Estée Lauder, Azurée, Estée z.B. Oder Futur von Piguet. Möglicherweise auch einen Klassiker von Guerlain.
TangoTango vor 5 Jahren
Richtig toller Artikel! Im Biba wäre ich auch gern mal ein und aus gegangen. Als Parfum trug sie sicher etwas Üppiges mit Hammersillage!
SeejungfrauSeejungfrau vor 5 Jahren
Danke für diesen tollen Bericht samt Fotos.Sie trug evtl.Shocking oder - Herrenparfum :-)
HallodriHallodri vor 5 Jahren
Ich als Sowieso-Mode-Fangirl, besonders der 60ies und noch mehr der Mod-Szene, danke dir für diesen echt tollen Artikel!
PollitaPollita vor 5 Jahren
Lieben Dank für die Infos. Ich kenne mich mit Mode zwar wenig aus, aber ich besitze einige Outfits von Biba. Trage ich sehr gerne zu festlichen Anlässen oder im Business. Sympathische Frau!
WhinkWhink vor 5 Jahren
Interessanter Artikel und schön geschrieben!
Vielen Dank dafür!
SüchtigSüchtig vor 5 Jahren
Wundervoll, vielen herzlichen Dank
ElmarElmar vor 5 Jahren
Einfach großartig! .

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