Fabistinkt
Fabistinkts Blog
Von Parfumo empfohlener Artikel
vor 4 Jahren - 05.03.2020
25 52

​So duftet die Schneiderin des Swinging London – Barbara Hulanicki

Durch ein YouTube-Video bin ich neulich wieder auf Barbara Hulanicki aufmerksam geworden. Sie war mir schon länger ein Begriff, doch allzu viele Gedanken hatte ich mir nicht über sie gemacht. Ich wusste noch nicht einmal, ob sie überhaupt noch lebte. Es stellte sich heraus – sie tut’s.


Nun ist es also an der Zeit, endlich wieder einen Blogbeitrag über eine große Dame der quasi Pop-Geschichte zu schreiben. Seit Olivia de Havilland sind immerhin schon fast zehn Monate vergangen.
Wem der Name nichts sagt oder ihn nicht einordnen kann: Barbara Hulanicki ist die Gründerin des britischen Modehauses Biba. Bevor sie das aber in Angriff genommen hat, kam sie erstmal auf die Welt – 1936 in Warschau, um genau zu sein. Ihr Vater war Diplomat und zog mit der Familie arbeitsbedingt nach Palästina. Ende der 40er Jahre dann geschah es: Eines Tages fand man Papa Hulanicki tot im Tempel, die Hände zusammengebunden und mit einer Kugel im Rücken, offenbar das Werk einer paramilitärischen Gang. Der Mord an ihrem Vater ist noch heute ein wunder Punkt. So berichtet sie, wie er sich noch am Morgen vor der Arbeit bei ihr im Kinderzimmer verabschiedet hatte. Dass sie ihn einfach gehen ließ, ohne ihn zu umarmen, belastet sie auch 70 Jahre später noch.

Die Mutter schnappte sich jedenfalls die Kinder und zog mit ihnen nach England, genauer nach Brighton ans Meer. Als junge, kreative Frau besuchte Barbara in den 50er Jahren die dortige Kunstschule, wo sie sich zum ersten Mal mit Modedesign beschäftigte. In einem Interview erzählt sie davon, wie die Modeschüler nicht für voll genommen wurden, da das Fach nicht das größte Prestige genossen hatte. Sie wurde Modeillustratorin und arbeitete unter anderem für die Vogue und den Tatler. Zeichnen schien ihr aber nicht zu genügen, denn sie entwarf selbst Bademode, die prompt einen Wettbewerb des Evening Standard gewann. Die Mode der Zeit bereitete ihr aber Kopfzerbrechen. So erzählt sie, wie die damaligen Modeschöpfer (wahrscheinlich meint sie Dior, Givenchy und Konsorten) Kleider hauptsächlich für Erwachsene schufen und sich die generelle textile Idee der Nachkriegszeit um die Frau ab 30 drehte. Hulanicki aber sah Scharen von unglücklichen jungen Menschen, die sich nicht verstanden und unpassend angezogen fühlten. So hatte sie genau diese Gruppe im Visier, als sie begann, eigene Kleidung zu entwerfen und sie über Zeitungsannoncen zu verkaufen.

1964 schließlich eröffnete sie in London ihre eigene Boutique, die sie nach ihrer Schwester „Biba“ nannte. Und hier kamen nun mehrere Faktoren zusammen, die zu ihrem baldigen Erfolg führten:

Ihr eigener Stil und Geschmack: Hulanicki war in Palästina und danach in England inmitten von Kunstwerken aufgewachsen. Daher ist sie vertraut mit Kunst und Handwerk des 19. sowie des frühen 20. Jahrhunderts. Sie liebt das Art Deco und alles, was die Zwischenkriegsjahre an Design, Mode und Architektur hervorgebracht hatten. Genauso schätzt sie die späte viktorianische und frühe edwardianische Zeit um die Jahrhundertwende. Aus diesen beiden Richtungen floss ihre Inspiration und sie gestaltete Mode, die offensichtlich auf diese vergangenen Themen zurückgriff. Kurze, kindlich-verspielte Kleidchen, die an die Mode der 20er erinnerten, große Hüte und weite Hosen wie in der Rivieramode der 30er Jahre, lange Maxikleider, die den gesamten Körper bedeckten wie ein Sommerkleid von 1910, Schuhe mit Mustern des viktorianischen Arts & Crafts-Künstlers Morris Fuller, …

Swinging London: Die Stadt an der Themse war der Hotspot der 60er Jahre. England war cool, die Beatles eroberten die Welt, Mary Quant hatte hier den Minirock etabliert, das Londoner Model Twiggy blinzelte großäugig in sämtliche Kameras und alles orientierte sich am Geschehen in der pulsierenden Metropole. Hier, mitten im Leben, stieß Hulanicki in der Mod-Szene (Mod = Modernist, die Szene der jungen Intellektuellen) auf großen Zuspruch mit ihrem ausgefallenen Stil.

Zeitgeist und Jugend: Die Nachkriegszeit war nicht einfach. Der eine Krieg war vorbei, doch der nächste, sinnlose in Vietnam ließ nicht lange auf sich warten. 1963 wurde Kennedy ermordet und das gleiche Schicksal ereilte viele Helden der Bürgerrechtsbewegungen wie Martin Luther King. Die zugeknöpfte Generation der Eltern, die nach Wirtschaftskrise und Weltkrieg eine heile Scheinwelt erzwang, erschien der Jugend fremd und sie machten sie für das gesamte Übel verantwortlich, das um sie herum geschah. Kein Wunder also, dass alle Arten von Flucht versucht wurden: Flucht in Rauschmittel, Flucht zurück in die Kindheit und Flucht in eine vermeintlich friedliche Vergangenheit. Und genau diesen Nerv hatte Barbara Hulanicki getroffen.

Ende der 60er gelang ihr ein gigantischer Schritt: Sie vergrößerte sich geringfügig und bezog nach der kleinen Boutique einfach ein 7-stöckiges Kaufhaus in der Kensington High Street. Dieses Kaufhaus galt zuvor als Oma-Laden und wurde von ihr und ihrem Mann komplett nach der Hulanicki-Retro-Ästhetik umgebaut: Art Deco mit ein paar Spritzern Jugendstil wohin das Auge reichte. Selbstdesignte Teppiche mit geometrischen Mustern bedeckten die Böden, verspiegelte Verkaufsinseln präsentierten die Waren, Türrahmen im Ägypten-Stil der 20er Jahre, eine Schuhabteilung, in der Greta Garbo jeden Moment um die Ecke stiefeln könnte … Die Kunden mussten sich wie in einer Zeitmaschine gefühlt haben.


Doch es war nicht einfach ein Kaufhaus, nein, Biba hatte einen eigenen Club, in dem sich das Who’s Who tummelte – im „Rainbow Room“ gingen Twiggy, Marianne Faithfull, David Bowie, Mick und Bianca Jagger mit den übrigen Rolling Stones nachts zu Orchestermusik feiern. Als wäre das nicht genug, grünte und blühte es im Dachgarten des Kaufhauses, lebendige Flamingos und ein Teehäuschen inklusive. Biba bot die komplette Flucht vor dem Alltag in eine glamouröse Phantasiewelt, daher war das Haus auch bis in die Mitte der 70er-Jahre extrem beliebt. Natürlich hatte es ein gewisses Prestige, dort arbeiten zu dürfen und die Biba-Girls (auch Anna Wintour begann als solches mit 15 ihre Modekarriere) lebten die Marke wie heutzutage vielleicht die Mitarbeiter von Red Bull.

In diesem Video bekommt man einen kleinen Einblick in den Arbeitsalltag bei Biba:

Barbara Hulanicki bei der Arbeit

Nun stellt sich die Frage: Wie könnte die kreative Retro-Königin Barbara Hulanicki wohl riechen? Was für ein Parfüm trägt eine einflussreiche Designerin mit derart spezifischen Vorlieben? Im Internet ist leider absolut nichts darüber zu finden. Das ist einerseits schade, andererseits lässt es der Phantasie allen Spielraum. Und Phantasie dürfte ihr gefallen. Hier also meine kleine, erdachte Auswahl, die sich auf ihrem Vanity Table finden könnte:

Shocking von Schiaparelli – Elsa Schiaparelli war eine avantgardistische Designerin in den 30er Jahren, die mit Lady Gaga-haften Ideen von sich reden machte. Sie könnte Barbara durchaus als Vorbild gedient haben, daher dürfte ihr auch der Honig-Puder-Duft im Schneiderpuppenflakon gefallen.

Barbara Hulanicki war und ist trotz aller Nostalgie eine moderne Frau und hat sich bestimmt öfter ein zeitgenössisches Parfum gegönnt. Kurz nach Eröffnung der großen Biba gefiel ihr vielleicht ein neuer Chypre-Duft von Jean Patou besonders gut: 1000 von Jean Patou – eine Ladung Patchouli, wie es sich für 1972 gehört, dazu eine elegante Rosengeranie und zartes Eichenmoos.

Hulanicki ist zwar gebürtige Polin, könnte aber englischer kaum sein. Als Inbegriff angelsächsischer Nostalgie hat sie daher bestimmt ein oder zwei Fläschchen aus dem Hause Grossmith im Schrank – vielleicht Phul-Nana oder Hasu-no-Hana, zwei viktorianische Schönheiten.

Was denkt ihr? Was trägt eine Persönlichkeit wie Barbara Hulanicki?

25 Antworten

Weitere Artikel von Fabistinkt