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vor 3 Jahren - 12.06.2021
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Die Freude am Unterschied

Männlich oder weiblich – Ist eine Geschlechtzuordnung von Düften hilfreich oder gesellschaftspolitisch schädlich?

Fabistinkt hat in seinem Blogbeitrag eindrücklich dargestellt, dass die Zuordnung von Düften zu den Kategorien „männlich“ und „weiblich“ vor 200 Jahren noch keine Rolle spielte oder ganz anders aussah. Sie ist ein Produkt des 19. Jahrhunderts und schon im frühen 20. wurde damit gespielt und diese Grenzen wurden genüsslich wieder überschritten. Man denke an Tabac Blond (Eau de Parfum)Tabac Blond Eau de Parfum und "Pour Un Homme de Caron (Eau de Toilette) | Caron"

Eine Wortmeldung unter dem Blog von Fabistinkt fragte, ob Naturvölker den Unterschied zwischen femininen und maskulinen Parfums wahrnehmen würden, so wie wir diese Zuordnung in Europa gegenwärtig gewohnt sind. Ich bin mir sicher, sie würden es nicht.

Was in dem Beitrag nicht verschwiegen wurde: Obwohl über Jahrhunderte adlige Männer Kleidung und Accessoires getragen haben, die mit der modernen männlichen Sachlichkeit nichts gemein haben und obwohl es nicht unschicklich galt, Gefühle zu zeigen, Locken-prächtige Perücken zu tragen, sich zu pudern und zu schminken, haben sich diese Freiheiten und Gleichheiten der Mode nicht im Mindesten in der Freiheit und Gleichheit aller Menschen in der Gesellschaft niedergeschlagen. Noch nicht mal im Leben adliger Frauen. Sie mögen es besser gehabt haben als ihre Geschlechtsgenossinnen der niedrigeren Stände. Insgesamt sah es mit der Wertschätzung der Frau eher trübe aus, sie galt als sündhafte Verführerin, als triebhaft und war in vielen Fällen nichts Anderes als der beste Freund des Menschen.

Man brauchte damals keine Angst haben, wie eine Frau zu riechen und deshalb für schwul gehalten zu werden, dufttechnisch lagen der adlige Mann und die adlige Frau wohl einigermaßen dicht beisammen und ob der Rest der Gesellschaft sich überhaupt Parfum leistete? Das enthob den schwulen Mann aber nicht von der Notwendigkeit, Angst um sein Leben zu haben und seine Sexualität zu verstecken, drohten doch bei Entdeckung drakonische Strafen. Womöglich war die Bereitschaft zum Wegsehen größer, je höher Stellung und Einfluss waren. Darauf konnte man sich aber nicht verlassen, weil man dann in der Regel auch mehr Feinde hatte, die auf der Suche nach einem Angriffspunkt waren.
Finstere Zeiten also für die freie Entfaltung von Frauen und Homosexuellen.

Was die Befreiung der Frau und des Homosexuellen tatsächlich nach vorne brachte, waren nicht gleiche Parfums für beide Geschlechter, sondern die Aufklärung mit der Idee, das Individuum zu schätzen und mit ihrem Anspruch der Toleranz, nicht nur einem anderen Glauben gegenüber, sondern jedem Menschen, der anders denkt, handelt und lebt – solange er anderen nicht schadet. Damit waren Frauen zwar zunächst mal nicht gemeint. Trotzdem wurde hier die Saat gelegt, die bei uns heute für einen Freiheitsgrat sorgt, wie er dem Einzelnen nie zuvor vergönnt war. Falls er genug Geld hat.

Quelle: Wikipedia

Fortan kämpfte die Frauenbewegung für die gleichen Rechte wie sie auch dem Mann zustehen. Dem klassischen Feminismus ging es dabei darum, dass wir alle zuerst Menschen sind und wir nicht auf nur eine Eigenschaft unserer Persönlichkeit, nämlich das Geschlecht, reduziert werden. Es ging nie darum, Geschlechter abzuschaffen.

Auch ich ärgere mich über Aussagen in Statements, Rezensionen und im Forum, die zum Ausdruck bringen, ein Mann dürfe keine Frauenparfums tragen. Und die sich so lesen, als wären Frauen etwas Schlechteres als Männer oder als wäre es schlecht, schwul zu sein oder als wären Schwule keine richtigen Männer.

Die Angst mancher Männer, wie eine Frau zu riechen und deshalb für schwul gehalten zu werden, wirkt auf mich nicht souverän. Wohlgemerkt: „nicht souverän“, nicht: „nicht männlich“. Denn Souveränität und Selbstbewusstsein haben kein Geschlecht. Sie sind Ausdruck unserer Persönlichkeit.

Und diese Persönlichkeit ist so viel wichtiger als die Zugehörigkeit zu einer Gruppe. Ja, mich bestimmt auch, dass ich eine Frau bin. Ich bin übrigens gerne eine Frau. Außerdem bin ich froh, dass ich ein Ossi bin, auch wenn ich das Gefühl habe, immer zuerst mal sagen zu müssen, dass ich nicht ausländerfeindlich bin, nicht AfD wählen würde und auch nicht glaube, dass wegen ein paar Kopftüchern das Abendland untergeht. Wenngleich mir ohne Kopftuch lieber wäre, aber das führt jetzt vom Thema weg. Darüber hinaus hadere ich auch nicht mit meinem Alter und nur manchmal damit, dass ich ein paar Pfunde zu viel auf die Waage bringe. Das gehört alles zu mir.
Viel mehr als mein Geschlecht, mein Alter, meine Herkunft, mein Glauben, meine sexuelle Orientierung, meine Hautfarbe bestimmt mich aber, was mir wichtig ist im Leben, worüber und mit wem ich lache, wie ich meine Mitmenschen behandle, welches das aktuelle Freizeitprojekt ist, für das ich brenne, was ich arbeite und über welche Themen ich nachdenke und diskutiere.

Mein schwuler Freund ist nicht in erster Linie schwul (genauso wie mich nicht über alle anderen Merkmale hinweg auszeichnet, dass ich hetero bin). Er hat einen Namen und eine Vielzahl von Eigenschaften und Erfahrungen, die ihn prägen und ihn auf der Welt einzigartig sein lassen. Diese Einzigartigkeit ist es, die jeden Menschen so kostbar macht. Eine Facette seiner Persönlichkeit ist es, dass er schwul ist. Deshalb ist mir das auch nicht egal, er ist ja mein Freund.

Viel wäre gewonnen, wenn wir aufhören würden (Und hatte vor den woken Identitäts-Diskussionen eine breite Mehrheit das nicht bereits geschafft?), unsere Nachbarn, Bekannten, Kollegen, Vereinskameraden in solche Kategorien einzusortieren wie Homo oder Hetero, Christen oder Muslime, Alte oder Junge, Weiße oder Schwarze. Sondern sie als Individuen sehen, die Namen haben und weit mehr von ihrer Persönlichkeit bestimmt werden als von der Zugehörigkeit zu einer Gruppe.

Wenn wir uns darüber einmal einig sind, was ist dann mit dem Mann, der Schwule und Transgender respektiert und der beste Freund seiner Frau ist, aber trotzdem sagt: „Ich will nicht wie eine Frau riechen und ich will auch kein Kleid tragen“, wohl wissend, dass die sexuelle Anziehungskraft zwischen den Geschlechtern auch auf Gegensätzen beruht?

Ich muss an diese Stelle gestehen, dass mir bewusst ist, dass Duft- und Mode-Schubladen kein Naturgesetz sind, es sie in der Geschichte womöglich noch nicht so lange gibt und sie in 100 Jahren vielleicht obsolet sind: Aber heute finde ich an einem Mann trotzdem die Düfte am anziehendsten, die JoHAnnes in seinem Blog beschreibt und die in den Parfumo-Diagrammen deutlich blau gefärbt sind.
Es gibt eine ganze Reihe Frauen-Parfums, die ich an meinem Mann genauso gerne riechen würde: Damen-Chypres und unsüße Aldehyd-Düfte z.B.

Wenn wir jedoch darüber reden, wie reaktionär die Zuordnung von Düften zu einem bestimmten Geschlecht ist, dann reden wir nicht darüber, dass ein Mann Mitsouko (Eau de Parfum)Mitsouko Eau de Parfum trägt. Dann reden wir über Poême (Eau de Parfum)Poême Eau de Parfum . Und bei Frauen geht es dann nicht um Opium pour Homme (Eau de Toilette)Opium pour Homme Eau de Toilette , sondern um Yatagan (Eau de Toilette)Yatagan Eau de Toilette und den Le 3ᵉ Homme (Eau de Toilette)Le 3ᵉ Homme Eau de Toilette . Wir können es als politisch korrekt empfinden, das so zu postulieren, verlogen ist es trotzdem. Denn die meisten von uns empfinden diese Düfte nicht als unisex.

Ich möchte hier übrigens niemandem absprechen, genau bei diesen Düften auch Geschlechtergrenzen zu überschreiten. Wenn ich an einem Mann Poême (Eau de Parfum)Poême Eau de Parfum rieche, werde ich nicht die Nase rümpfen. Im Gegenteil, ich werde ihn für seine Souveränität und sein Selbstbewusstsein bewundern, wenn er das tut, weil es seinem persönlichen Duftgeschmack entspricht.

Aber notwendig für die Emanzipation der Frauen, der Homosexuellen und von Transgendern finde ich das nicht. Genauso wenig wie Gendersternchen und Glottischlag. Das sind reine Äußerlichkeiten. Das Patriarchat lacht sich darüber ins Fäustchen. Denn diese Verhunzung unserer Sprache sorgt nicht für eine gerechte Bezahlung von Frauen oder dafür, dass mehr Frauen gut dotierte Männerberufe für sich entdecken oder dass zu Hause mehr Männer die Wäsche waschen. Diese Äußerlichkeiten kosten die Firmen nichts. Und obendrein machen sie für breite Teile der Bevölkerung den Feminismus lächerlich und wirken dadurch absolut kontraproduktiv.

Auch die Diskussion über die Abschaffung der Geschlechter verstört mich zutiefst. 99% der Menschen empfinden sich als Männer und Frauen. Wer immer sich nicht so empfindet, hat genauso wie jeder andere Mensch unseren Respekt verdient. Aber mir zu sagen, dass es gar keine Rolle spielt, dass ich eine Frau bin, würde mich einer wichtigen Facette meiner Persönlichkeit berauben.

Wenn es darum geht, Geschlechter per Gesetz abzuschaffen, würde das bedeuten, dass ich mich künftig in der Damentoilette neben einem 2m-Mann mit Bart wiederfinde, der sich als Frau fühlt. Es würde bedeuten, dass Athleten, die bei den Männern „nur“ den 4. Platz belegen, es im Frauensport mit mehr Erfolg versuchen könnten. Der Mann, der wegen Vergewaltigung zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurde, könnte es im Männergefängnis zu ungemütlich finden. Und schläft fortan in einer Frauenzelle – natürlich nicht alleine. Das kommt mir alles vollkommen krude vor.

Ich entschuldige mich für diesen langen Text, der trotzdem vieles sehr vereinfacht. Es handelt sich hier zwar um eine Antwort auf den Beitrag von Fabistinkt, gleichwohl habe ich seinen Text mit viel Sympathie und Zustimmung gelesen.

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