Melisse2
Melisse2s Blog
vor 4 Jahren - 28.06.2020
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Tipps und Tricks: Was sollte ich Anfang des 21. Jahrhunderts als Marke vermeiden, um am Leben zu bleiben?

Meine lieben Freunde vom Parfumhaus Caron,

Ende des letzten Jahres habe ich Euch zufällig entdeckt. Das ist auch schon ein Beweis dafür, dass bei Euch etwas schief läuft, oder? Ich war schon 2 Jahre auf Parfumo und kannte Euch gar nicht. Wie muss das erst bei der großen Masse der weniger Duft-affinen Verbraucher aussehen? Es mag schon sein, dass die künstliche Verknappungs-Strategie von Félice Vanpouille bis Mitte des 20. Jahrhunderts ein geschicktes Marketing war, die Exklusivität der Marke Caron betont und die Begehrlichkeit bei den Kunden gesteigert hat.

Nachzulesen hier in diesem interessanten Beitrag von Coriolon:

https://www.parfumo.de/Benutzer/Coriolon/Blog/Eint...

Ich stelle mir eine gut situierte Dame vor, die natürlich in der damaligen Zeit nicht gearbeitet hat und deren Kinder von entsprechendem Personal versorgt wurden. Sie musste sich ja irgendwie die Zeit vertreiben und hatte sicher Spaß daran, ein Caron-Parfum zu tragen, das zu besitzen ein bisschen Mühe gekostet hat.
Heute ist für derartige Fisimatenten keine Zeit mehr, glaubt mir das. Die Aufmerksamkeitsspanne der Kundschaft ist dafür viel zu gering und die Auswahl an Parfums zu groß.

Könnt Ihr Euch noch daran erinnern, dass der Name Caron in einem Atemzug mit dem von Guerlain genannt wurde? Ich nicht. Wenngleich ich nicht die frischeste bin und die Hälfte meines Lebens schon hinter mir habe, musste ich das bei Luca Turin nachlesen. Was habt Ihr nur getan, um derart dem Nebel des Vergessens anheim zu fallen?

Wegen starken Umsatzrückgangs wurdet Ihr im Oktober 2018 verkauft. Nun ja meine Lieben, wundert Euch das? Ihr habt die Rarität Eurer Düfte derart auf die Spitze getrieben, dass seit Jahren keine Caron-Düfte in den Regalen der großen Ketten zu finden sind. Der durchschnittliche Kunde spaziert aber in den Douglas und testet sich durch die Parfums, die dort rumstehen. Einige Eurer großen Düfte wie z.B. Nuit de Noël habt Ihr schon vor deren Einstellung in bestimmten Ländern wie auch in Deutschland seit Jahren nicht mehr angeboten. Andere habt Ihr in der EdP-Version derartig verwässert, dass ihr Duft nur von denen geschätzt werden konnte, die das jeweilige Parfum noch von früher kennen und diese Erinnerung der verdünnten aktuellen Variante hinzufügen.

Langjährige treue Kunden bestellen auch bei Euch auf der Webseite. Aber einige Eurer Flagschiffe und insbesondere deren Parfum-Versionen gab und gibt es nur in den Fontaines aus Kristallglas in den Pariser Boutiquen. Wie viele Liebhaber gibt es, die wegen eines Parfums nach Paris reisen? Seit November jage ich (vergeblich) Tabac Blond als Extrait. Auch als es das noch gab, war man in der Regel darauf angewiesen, es persönlich in den Boutiquen zu kaufen oder man musste dort anrufen. Des Französischen nicht mächtig habe ich also eine liebe Parfuma gebeten, dies an meiner Stelle zu tun. Wer außer Duft-verrückten Außenseitern macht denn so was?

Nachdem Richard Fraysse, der damalige Hausparfumeur von Caron, im Parfum-Guide von Tania Sanchez und Luca Turin jede Menge Häme dafür einstecken musste, in welcher Verfassung sich die Daltroff-Kreationen Anfang des 21. Jahrhunderts befunden haben sollen, habt Ihr 2017 einen Teil dieser Düfte im Rahmen der CollectionPrivée neu heraus gebracht. Ich gebe zu, dass ich aus dieser Reihe nur die Düfte von Ernest Daltroff und Michel Morsetti getestet habe und die von Richard Fraysse habe ich links liegen lassen. Womöglich ein Fehler.

Jedenfalls ließen die Neuauflagen von 2017 bestimmt nicht nur meines, sondern das Herz jedes begeisterten Caron-Fans höher schlagen. Insbesondere in der Parfum-Version haben die meisten eine Tiefe, Komplexität, Rundheit und Ausstrahlung, die an Vintage-Düfte denken lässt. Ich weiß nicht, was da passiert ist. Wollte es Richard Fraysse kurz vor der Pensionierung nochmal richtig krachen lassen und der Duftwelt beweisen, dass er sein Handwerk versteht? Ob die Reihe zusammen mit seinem Sohn aufgelegt wurde, um diesen als Nachfolger gut zu positionieren? Oder brauchtet Ihr gute Kritiken, um die Attraktivität der Marke Caron vor dem Verkauf aufzuhübschen?

Inzwischen seid Ihr verkauft. Richard und William Fraysse sind als Hausparfumeure von Caron Geschichte.

Mit Cattleya Finance hat Euch eine Investment-Firma übernommen, die Benjamin und Ariane de Rothschild gehört. Ihr kennt die Familie schon. Als Ihr in den 60er und 70er Jahren im Besitz von Großonkel Alain de Rothschild wart, wurde Infini neu aufgelegt und Yatagan auf den Markt gebracht. Keine schlechten Zeiten also.

Davon, dass die Verwandten versprachen, an die Geschichte Eures Hauses anzuknüpfen und die Klassiker zu pflegen, ist aktuell allerdings bisher wenig zu spüren.

Es gibt noch „Narcisse Noir“. Der Duft ist derart sperrig, dass ich vermute, Ihr habt Euch hier eine wahrscheinlich ziemlich echte Reformulierung des ersten großen Erfolgs von Ernest Daltroff getraut, Hut ab vor Eurem Mut in diesem Fall! Aus der Reihe „La Collection Privée“ sind außerdem noch „Montaigne“ und „Secret Oud" auf Eurer Webseite erhältlich. Die Auswahl dieser drei Düfte erscheint mir derart willkürlich, dass ich jetzt doch die Frage nachschiebe: Wart Ihr bei Narcisse Noir wirklich beherzt oder sind das die drei Ladenhüter der Reihe und Ihr verkauft gerade noch die Restbestände?

Ansonsten habt Ihr erstmal alle großen Damen-Klassiker aus dem Programm geworfen. Für Tabac Blond ist auf der Webseite noch ein Platzhalter vorhanden, es ist aber seit Oktober nicht mehr vorrätig.

Nachdem Ihr zunächst auf meine zahlreichen Briefe nicht geantwortet habt, gibt es inzwischen einen überaus netten Mail-Kontakt und Ihr habt angekündigt, dass es Tabac Blond im Juni wieder geben wird. Meine Lieben, Ihr macht es recht spannend, denn heute ist ja schon der 28. Juni. Aber ich denke und verfahre nach der Devise: Gut Ding will Weile haben. Wenn am Ende eine Tabac Blond Version herauskommt, die dem Duft ähnelt, in den ich mich verliebt habe, dann warte ich auch gerne noch ein paar Monate. Ihr seht, Ihr habt mich inzwischen doch ganz schön abgehärtet und ich bin in meinen Erwartungen bescheiden geworden.

Vielleicht habt Ihr auch so viel zu tun gehabt mit der Renovierung und Neugestaltung Eurer Pariser Geschäfte und Eures Logos, von denen ich gelesen habe. In der Boutique in der Rue François soll es künftig auch Räumlichkeiten geben, in denen man mit dem neuen Hausparfumeur Jean Jacques in Kontakt treten kann. Eine sympathische Idee.

Apropos Mr. Jacques: Seine vier neuen Kreationen sind für mich bislang Phantome. Zwei Rosen-Düfte, eine Tuberose und Tabac Noir, auf den ich besonders gespannt bin. Die könnte ich blind auf Eurer Webseite bestellen. Woanders habe ich sie noch nicht gesehen.

Als ich im Juni bei Euch „Narcisse Noir“ über die Webseite kaufte, hatte ich natürlich darauf gehofft, dass Ihr mir ein Pröbchen des neuen Tabak-Dufts zukommen lasst. Da Ihr dies nicht getan habt, denke ich, dass es davon noch keine Proben gibt. Vielleicht ist ja Corona-bedingt Kurzarbeit, falls es so was in Frankreich auch gibt. Nun ja, ich habe mich trotzdem sehr über die großzügigen Samples der Richard-Fraysse-Kreationen und –Reformulierungen sowie die anderen hübschen Geschenke gefreut.

Aber ich mache mir Sorgen um Euch: Was ist, wenn die Umsatzzahlen nicht steigen? Weil Ihr Eure Produkte so gut vor uns versteckt?

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