27.03.2021 - 02:37 Uhr
Foxear
22 Rezensionen
Foxear
Top Rezension
88
Sex s(m)ells - ein bizarrer Geniestreich
„Kouros“ – zu Deutsch etwa junger Mann oder Bursche. 1981 vom französischen Parfumhaus Yves Saint Laurent auf den Markt gebracht, von Pierre Bourdon erschaffen. Das Konzept für das Parfum kam Herrn Saint Laurent laut eigener Aussage während eines Griechenland Urlaubs. Er war „fasziniert vom kristallklaren Meer, dem blauen Himmel und der intensiven Lebhaftigkeit, welche dieses Universum ausstrahlt“. Die Statuen der jungen, männlichen „Kouroi“ (Singular Kouros) waren Namensgeber für die Kreation. Die von Herrn Saint Laurent gewählten Worte „Lebhaftigkeit“ und „Universum“ sind für mich von ausschlaggebender Bedeutung. Wieso? Ein Erklärungsversuch.
Zurück zu den Anfängen
Zum aktuellen Zeitpunkt als Endzwanziger mit nicht mehr als drei Monaten Parfumbegeisterung, kann ich zur Parfumzeit der 80er natürlich nichts sagen. Daher musste ich in verstaubten Geschichtsbüchern stöbern.
Opium, welches vier Jahre vorher im gleichen Haus erschien, war als würziger Orientale wegweisend und sorgte für große Aufmerksamkeit. Wegen des provokanten Namens wurde das Parfum zunächst in den USA, in China und in den Vereinigten Arabischen Emiraten verboten. Kouros stand dem in Sachen Kreativität in nichts nach. So provokant wie avantgardistisch. Ein Duft zwischen extravaganter Anmut und kantiger Eigenwilligkeit. Für die damalige Zeit ein enormes wirtschaftliches Wagnis- das reich belohnt wurde.
Kouros fand in seiner Anfangszeit großen Anspruch und war ein durchschlagender kommerzieller Erfolg- trotz (oder wegen) seiner abenteuerlichen Duftkomposition. Ein üppiger Gewürzkracher mit einem dominierenden Zibetakkord, vermischt mit einer Menge Moschus. Im Ergebnis verrucht animalisch, mit einer wundervollen Duftentwicklung. Ein Paukenschlag – damals wie heute polarisierend. Heutzutage könnte man meinen, es handele sich hierbei um einen hochpreisigen Nischenduft. Kouros ist einzigartig und störrisch, nicht für jede Nase sofort erschließbar.
Von Göttern und Katzenpisse
Wer eine kurzweilige Beschäftigung sucht, kann sich spaßeshalber die Statements zu Kouros auf Parfumo durchlesen. Ein breites Spektrum an persönlichen Dufteindrücken wird vermittelt. Nachfolgend ausgewählte Beispiele, die ich aus meiner Erinnerung niederschreibe.
Positiv: Ein Duft von Göttern gesandt / Hier trennen sich Männer von Bubis / Einzigartig / Ein wegweisender Monolith der Parfumhistorie / Animalische maskuline Erotik.
Negativ: Abartig penetrant – wer will so riechen / Riecht nach Kuhstall – verschwitzten Bauarbeiterdekoltee – Katzenpisse – ungewaschenen Unterhosen / Besser als jedes Zeckenspray / Kouros? Eher Kuh-Ross – Name ist Programm.
Wohingegen die wohlgesonnenen Statements pathostriefend daherkommen, wird bei den negativen natürlich versucht, so tief wie nur möglich unter die Gürtellinie zu gehen. Dem Einfallsreichtum sind keine Grenzen gesetzt. Spaß und Meinungsvielfalt muss sein- auch ich habe bei vielen geschmunzelt!
Nun eine verblüffende Tatsache: Bricht man den Kern aller Statements auf ein vernünftiges Mittelmaß herunter, so haben alle Recht. Der Duft ist ambivalent – sowohl verführerisch anziehend als auch ekelerregend abstoßend. Wie geht das?
„Apocalypse Now “ oder „Es war einmal … das Leben“
Auch für mich war der Duft anfangs ein Rätsel. Gesandt vom lieben Cappellusman im Vintage Gewand, habe ich Kouros innerhalb eines Monats mehrmals getestet, bevor sich mir sein Duftkonzept erschloss. Erster Test: „Ekelig, schwülstig, sonderbar“ so meine Notizen – „Das Grauen (The Horror)“ wie Colonel Kurtz sagen würde. Ich war kurz davor, mich in die Riege der derben Statement-Verfasser einzureihen- aus Respekt vor diesem 40 Jahre alten Wässerchen und seiner geschichtlichen Relevanz, hielt ich mich allerdings zurück (zum Glück).
Schon beim nächsten Test, eineinhalb Wochen später, kam mir der Duft weitaus gezähmter vor. Hatte sich meine Nase auf das bevorstehende Grauen gewappnet? War ich innerhalb einer Woche vom Bubi endlich zum Bären geworden? Krallen und Brusthaare sind mir keine gewachsen, indes gefiel mir der Duft spontan viel besser- das Phänomen wiederholte sich bei den darauffolgenden Tests. Für mich schlägt er in eine ähnliche Kerbe wie „Dali pour Homme“, bei dem ich – sofort – an knisternde Erotik denken musste.
Kouros vermittelt mir den Geruch verschwitzter nackter Leiber, die ohne Hemmnisse mit Hand und Mund den Körper des jeweils anderen entdecken. Nicht selten kommt es vor, dass einer dabei in Gefilden landet, die er im unerregten Zustand tunlichst meiden würde. Wenn man den Geschlechtsakt des Menschen betrachtet, ist dieser in seiner Urform nicht sonderlich leidenschaftlich oder erotisch. Nüchtern betrachtet ist er roh und ergebnisorientiert – man will Nachwuchs zeugen und seinen Artbestand gewährleisten. Schon Mal Primaten beim Liebesspiel gesehen? Da ist abstoßend gar nicht Mal unpassend ausgedrückt. Exakt diese Gratwanderung zwischen verruchtem Rausch und faszinierendem Ekel vollführt Kouros in Perfektion.
Kouros als Idee
Nun zurück zu den eingangs erwähnten Wörtern „Lebhaftigkeit“ und „Universum“. Das Universum als Anfang aller Dinge- es folgte das Leben, ein Resultat aus Paarung. Meine These abschließend ist folgende: Kouros ist ein Konzeptduft, der den Geschlechtsakt olfaktorisch festhält. "Ein Duft für lebende Götter" – so der Werbetext. Götter sind in diesem Beispiel Frau und Mann, die beim Geschlechtsakt gemeinsam neues Leben schaffen. Das erklärt auch, weshalb Kouros in der Öffentlichkeit so aneckt – gepimpert wird schließlich Zuhause und nicht in der Kantine vor den Augen aller Arbeitskollegen.
Aus dem weißen Flakon, der Reinheit und Unschuld verspricht, sprießt beim Betätigen des Zerstäubers hellrote Ursuppe. Kouros wirkt ekstatisch und berauschend, ist gleichzeitig aber hintergründig abstoßend. Kouros ist eine Hommage an den Geschlechtsakt und der Geburtsstunde allen Lebens.
Passende Musik: Bloodhound Gang – The Bad Touch
Vielen Dank fürs Lesen und weiterhin viel Spaß beim Entdecken neuer Düfte!
Danke an Cappellusman für die Vintage Probe dieses skurrilen Gebräus!
Zurück zu den Anfängen
Zum aktuellen Zeitpunkt als Endzwanziger mit nicht mehr als drei Monaten Parfumbegeisterung, kann ich zur Parfumzeit der 80er natürlich nichts sagen. Daher musste ich in verstaubten Geschichtsbüchern stöbern.
Opium, welches vier Jahre vorher im gleichen Haus erschien, war als würziger Orientale wegweisend und sorgte für große Aufmerksamkeit. Wegen des provokanten Namens wurde das Parfum zunächst in den USA, in China und in den Vereinigten Arabischen Emiraten verboten. Kouros stand dem in Sachen Kreativität in nichts nach. So provokant wie avantgardistisch. Ein Duft zwischen extravaganter Anmut und kantiger Eigenwilligkeit. Für die damalige Zeit ein enormes wirtschaftliches Wagnis- das reich belohnt wurde.
Kouros fand in seiner Anfangszeit großen Anspruch und war ein durchschlagender kommerzieller Erfolg- trotz (oder wegen) seiner abenteuerlichen Duftkomposition. Ein üppiger Gewürzkracher mit einem dominierenden Zibetakkord, vermischt mit einer Menge Moschus. Im Ergebnis verrucht animalisch, mit einer wundervollen Duftentwicklung. Ein Paukenschlag – damals wie heute polarisierend. Heutzutage könnte man meinen, es handele sich hierbei um einen hochpreisigen Nischenduft. Kouros ist einzigartig und störrisch, nicht für jede Nase sofort erschließbar.
Von Göttern und Katzenpisse
Wer eine kurzweilige Beschäftigung sucht, kann sich spaßeshalber die Statements zu Kouros auf Parfumo durchlesen. Ein breites Spektrum an persönlichen Dufteindrücken wird vermittelt. Nachfolgend ausgewählte Beispiele, die ich aus meiner Erinnerung niederschreibe.
Positiv: Ein Duft von Göttern gesandt / Hier trennen sich Männer von Bubis / Einzigartig / Ein wegweisender Monolith der Parfumhistorie / Animalische maskuline Erotik.
Negativ: Abartig penetrant – wer will so riechen / Riecht nach Kuhstall – verschwitzten Bauarbeiterdekoltee – Katzenpisse – ungewaschenen Unterhosen / Besser als jedes Zeckenspray / Kouros? Eher Kuh-Ross – Name ist Programm.
Wohingegen die wohlgesonnenen Statements pathostriefend daherkommen, wird bei den negativen natürlich versucht, so tief wie nur möglich unter die Gürtellinie zu gehen. Dem Einfallsreichtum sind keine Grenzen gesetzt. Spaß und Meinungsvielfalt muss sein- auch ich habe bei vielen geschmunzelt!
Nun eine verblüffende Tatsache: Bricht man den Kern aller Statements auf ein vernünftiges Mittelmaß herunter, so haben alle Recht. Der Duft ist ambivalent – sowohl verführerisch anziehend als auch ekelerregend abstoßend. Wie geht das?
„Apocalypse Now “ oder „Es war einmal … das Leben“
Auch für mich war der Duft anfangs ein Rätsel. Gesandt vom lieben Cappellusman im Vintage Gewand, habe ich Kouros innerhalb eines Monats mehrmals getestet, bevor sich mir sein Duftkonzept erschloss. Erster Test: „Ekelig, schwülstig, sonderbar“ so meine Notizen – „Das Grauen (The Horror)“ wie Colonel Kurtz sagen würde. Ich war kurz davor, mich in die Riege der derben Statement-Verfasser einzureihen- aus Respekt vor diesem 40 Jahre alten Wässerchen und seiner geschichtlichen Relevanz, hielt ich mich allerdings zurück (zum Glück).
Schon beim nächsten Test, eineinhalb Wochen später, kam mir der Duft weitaus gezähmter vor. Hatte sich meine Nase auf das bevorstehende Grauen gewappnet? War ich innerhalb einer Woche vom Bubi endlich zum Bären geworden? Krallen und Brusthaare sind mir keine gewachsen, indes gefiel mir der Duft spontan viel besser- das Phänomen wiederholte sich bei den darauffolgenden Tests. Für mich schlägt er in eine ähnliche Kerbe wie „Dali pour Homme“, bei dem ich – sofort – an knisternde Erotik denken musste.
Kouros vermittelt mir den Geruch verschwitzter nackter Leiber, die ohne Hemmnisse mit Hand und Mund den Körper des jeweils anderen entdecken. Nicht selten kommt es vor, dass einer dabei in Gefilden landet, die er im unerregten Zustand tunlichst meiden würde. Wenn man den Geschlechtsakt des Menschen betrachtet, ist dieser in seiner Urform nicht sonderlich leidenschaftlich oder erotisch. Nüchtern betrachtet ist er roh und ergebnisorientiert – man will Nachwuchs zeugen und seinen Artbestand gewährleisten. Schon Mal Primaten beim Liebesspiel gesehen? Da ist abstoßend gar nicht Mal unpassend ausgedrückt. Exakt diese Gratwanderung zwischen verruchtem Rausch und faszinierendem Ekel vollführt Kouros in Perfektion.
Kouros als Idee
Nun zurück zu den eingangs erwähnten Wörtern „Lebhaftigkeit“ und „Universum“. Das Universum als Anfang aller Dinge- es folgte das Leben, ein Resultat aus Paarung. Meine These abschließend ist folgende: Kouros ist ein Konzeptduft, der den Geschlechtsakt olfaktorisch festhält. "Ein Duft für lebende Götter" – so der Werbetext. Götter sind in diesem Beispiel Frau und Mann, die beim Geschlechtsakt gemeinsam neues Leben schaffen. Das erklärt auch, weshalb Kouros in der Öffentlichkeit so aneckt – gepimpert wird schließlich Zuhause und nicht in der Kantine vor den Augen aller Arbeitskollegen.
Aus dem weißen Flakon, der Reinheit und Unschuld verspricht, sprießt beim Betätigen des Zerstäubers hellrote Ursuppe. Kouros wirkt ekstatisch und berauschend, ist gleichzeitig aber hintergründig abstoßend. Kouros ist eine Hommage an den Geschlechtsakt und der Geburtsstunde allen Lebens.
Passende Musik: Bloodhound Gang – The Bad Touch
Vielen Dank fürs Lesen und weiterhin viel Spaß beim Entdecken neuer Düfte!
Danke an Cappellusman für die Vintage Probe dieses skurrilen Gebräus!
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