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LS5s Blog
vor 3 Jahren - 18.04.2021
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Sind unsere Nasen geschlechtsspezifisch erzogen?

In meinem ersten Blogartikel möchte ich gerne über ein Thema sprechen, dass mich schon seit einiger Zeit beschäftigt: Heteronormativität in der Parfumwelt.

Ok, zugegeben, ein Thema, dass sicherlich schon von anderen zur Genüge durchgekaut wurde, aber es verbindet eben zwei meiner Leidenschaften: Fragen Rund um das Thema Geschlechterrollen und Düfte.

Dazu eine kurze Info zu mir: Ich bin studierte Politwissenschaftlerin und setze mich beruflich hauptsächlich mit Themen wie Armut und Soziale Ungleichheit auseinander. Aber auch privat beschäftige ich mich (neben meiner neuen Leidenschaft Parfum) gerne mit solchen Themen.

Zu Beginn werd ich euch mal eben mit zu mir nach Hause nehmen. Hier seht ihr ein Foto von unserem Parfumschrank und unserer kleinen Sammlung:

Ich denke, es ist ziemlich offensichtlich, wem welche Seite gehört. Kleine Anmerkung am Rande, die mir dazu grade einfällt: Unsere Sammlung passt auch irgendwie zu unseren Charakteren: Mein Freund ist der düstere, stille, manchmal ein wenig mürrische Typ. Ich hingegen bin der reinste Sonnenschein :-D (kleiner Spaß! Schatz, falls du das liest- tut er vermutlich nicht- ich liebe dich und du bist toll).

So zurück zum Thema:

Ihr liegt auf jeden Fall richtig, wenn ihr davon ausgeht, dass die rechte Seite mir gehört. Ich werfe an dieser Stelle mal eine Frage in den Raum: Hättet ihr euch gewundert oder wärt sogar irritiert, wenn ich gesagt hätte, die rechte Seite gehört meinem Freund und mir die Linke? Ich bin mal so forsch und behaupte: Ja, viele wären vermutlich zunächst erstmal überrascht.

Ich möchte jetzt gar nicht in das Thema Flakondesign einsteigen, denn das ginge zu weit. Aber es ist erkennbar, dass unsere Sammlung primär mit Düften bestückt ist, die als klar weiblich oder männlich deklariert werden. Die Flakons sind dementsprechend auch sehr geschlechtsspezifisch gestaltet.

So nun zum Thema des Titels:

Ich befasse mich seit ein paar Monaten intensiver mit dem Thema Parfum und probiere seit einiger Zeit sehr gerne Düfte aus, die zumindest vom Label als unisex geführt werden. Mein größter Wunsch ist es einen Duft zu finden, den mein Partner und ich beide gleichermaßen gerne tragen.

Zuletzt hatte ich gehofft, dass z.B. Soleil Blanc von Tom Ford oder Bal d'Afrique von Byredo dazu geeignet wären. Leider ist dem nicht so. Mein Freund findet beide Düfte riechen zauberhaft, aber er möchte sie nicht tragen: Warum, wollte ich wissen. Er sagt, sie sind sehr schön, aber er würde sie eher an einer Frau sehen. Sie sind ihm zu feminin.

Ok, gut. Ich denke das ist etwas, das viele von uns kennen. Es gibt Düfte, die wir wunderschön finden, aber wenn diese Düfte nicht dem eigenen Geschlecht entsprechend riechen, dann trägt man sie meistens nicht. Geht mir übrigens leider häufig nicht anders. Ich hatte z.B. schon überlegt, ob ich mal Spicebomb trage, denn ich finde den Duft wirklich schön. Aber bisher habe ich mich noch nicht getraut, ihn z.B. im Büro zu tragen, denn für meine Nase riecht der schon eher „männlich“ und passt deswegen nicht zu mir.

Aber warum ist das so?

Nicht nur die Flakongestaltung ist häufig noch sehr heteronormativ gestaltet, sondern auch anhand der Duftnoten lässt sich dann doch recht schnell rauslesen, ob das Parfum eher weiblich (z.B. blumig, süß) oder männlich (z.B.herb, holzig) riechen wird.

Wunderbar finde ich die Entwicklung der letzten Jahre, dass immer mehr Unisex Düfte nicht nur auf den Markt kommen, sondern auch auf eine sehr große Nachfrage stoßen. Zumindest verabschiedet sich damit auch die Parfumwelt in Teilen vom binären Geschlechtsmodell und ermöglicht neue Perspektiven für Menschen, die sich auch in Sachen Duft im nichtbinären Spektrum befinden.

Dennoch gehört es noch zur Normalität, dass wir Düfte geschlechtsspezifisch zuordnen: Für viele müssen Männer z.B. würzig, holzig oder animalisch riechen. Frauen hingegen sollten lieblich, wärmend oder kuschelig duften. Selbst bei den als unisex eingestuften Parfums lese ich in den Rezensionen oder Statements häufig Sätze wie „der geht klar in die weibliche Richtung“ oder „der ist schön, aber passt besser zu einem Mann“.  Sollten sich Menschen in der Parfumwelt des anderen Geschlechts befinden, sind negative Folgen leider auch heute noch meist das Resultat: Homophobie, Ausgrenzung und Abneigung.

Was mich an dieser Stelle vor allem interessiert ist die Frage, wie sehr unsere Nase und unsere Geruchsvorlieben von gesellschaftlichen Geschlechterrollen beeinflusst werden: Mag ich z.B. keine animalischen, zu würzigen Düfte, weil ich sie einfach nicht mag oder weil ich eine gesellschaftliche Erwartung erfüllen muss: als Frau steht es mir nicht zu so zu riechen, außer ich bin Managerin von einem riesigen Konzern und werd sowieso als „BossB****“ bezeichnet. Oder möchte mein Freund z.B. Love von Kilian nicht tragen, weil er denkt seine Umwelt könnte ihn als „weniger männlich“ wahrnehmen? Obwohl ihm dieser Duft gefällt? Und was bedeutet eigentlich weniger männlich? Muss ein Mann animalisch oder würzig riechen, damit er so auch als (heterosexueller) Mann wahrgenommen wird?

Werden unsere Geruchsvorlieben, genauso wie die Geschlechterrollen, bereits im Kindesalter anerzogen und vorgelebt? Wären meine Duftvorlieben anders, wenn unsere Gesellschaft nicht einem heteronormativen System unterliegen würde?

Ich weiß es natürlich nicht zu 100%. Aber ich bin 100% der Ansicht, dass jeder Mensch, unabhängig davon ob genderqueer, genderfluid, weiblich, männlich, etc., dass tragen sollte, was gefällt. Und ich bin der Meinung, dass eine Entgrenzung dieser Geschlechtereinteilung im Bereich der Düfte dazu führen würde, dass ich viel mehr Parfums kennen- und lieben lernen würde.

Daher werde auch ich zukünftig häufiger das tragen, was mir gefällt und weniger Wert darauf legen, ob es für andere nicht zu meinem Geschlecht passt.

Ich hoffe, ihr hattet Spaß beim lesen und ich konnte zum Nachdenken anregen. Ich wünsch euch jetzt noch einen tollen Tag. Ich schaue mal, ob ich meinen Freund nicht doch dazu kriege, heute mal Kilians Love zu tragen.

Eure Lynn!

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