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Viserons Blog
Von Parfumo empfohlener Artikel
vor 3 Jahren - 25.11.2020
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Über die olfaktorische Selbstfindung, Selbsterkenntnis und das Haben-Wollen-Syndrom

Morgens aufstehen, Smartphone checken, seinen morgendlichen Kaffee trinken und dabei surfen. Die ersten WhatsApp’s schreiben und Mails checken. Instagram kurz abrufen und schon wieder lächelt mich irgendein Entrepreneur mit seinem Colgate-Lächeln an und möchte mir erzählen, wie auch ich meinen Traum der Unabhängigkeit leben kann. Ich kann es nicht mehr sehen.

Vielleicht fühlt sich so mancher 20-30 Jährige durch diese Schilderung angesprochen. Ihr mögt euch vielleicht fragen, was das denn nun mit Parfüm zutun hat? Lasst es mich erklären.

Wir leben in einer Zeit der Reizüberflutung. Das hat mir die Corona-Zeit eindeutig aufgezeigt, auch wenn es mir vorher schon klar war. Wir können nicht mit uns allein sein, brauchen ständig äußere Einflüsse, damit unser Gehirn etwas zutun hat. Habe ich Leerlauf, dann schaue ich gern mal auf YouTube - irgendeine spannende Doku wird’s schon geben. Letztens hatte ich Abends einen seltsamen Moment, in dem mir bewusst wurde, dass ich an dem Tag absolut nichts getan habe. Von der Arbeit kam nicht wirklich was im Home Office, eingekauft hatte ich und der Haushalt war auch erledigt. Weil mein Gehirn so unterstimuliert war, habe ich einen Duft bestellt. Einen Duft, den ich überhaupt nicht gebraucht habe und kurz darauf dann auch wieder weitergegeben wurde. Und so sind wir beim Thema. Eine ähnliche Reizüberflutung kann ich zurzeit sehr stark im Bereich der Düfte wahrnehmen. Das ist schade, denn die meisten Düfte kann ich nicht mehr genießen. Es geht nur noch darum, Dinge zu testen, zu kaufen, zu verkaufen und diesen Zyklus immer zu wiederholen. Dieses Thema ist besonders akut in der Black-Friday-Woche ;)


Ich habe mir fest vorgenommen, diesen Kreislauf zu durchbrechen. Ich möchte erwähnen, dass ich kein Sammler bin und sich auch niemand angegriffen fühlen soll. Mich überfordern große Sammlungen einfach unheimlich und ich möchte meine so klein wie möglich halten. Ich habe schon drastisch reduziert aber wenn ich ehrlich bin, begeistern mich die wenigsten Düfte aus meiner „Sammlung“ noch. Ich habe mich als Typ in den letzten Jahren verändert und es ist extrem schwer, Düfte zu finden, die mich noch begeistern. Woran liegt es? An der hohen Erwartungshaltung, die ich inzwischen entwickelt habe?

Ich denke, es hat viel mit einer Lernkurve zutun. Das Modell des „Dunning-Kruger-Effektes“ zeigt ganz gut, wo ich derzeit stehe.

Dieses Modell bildet das Verhältnis zu wahrgenommenem Wissen und tatsächlichen Wissen über ein Thema ab. Wenn sich ein Neueinsteiger in der Duft-Welt mit einem Thema beschäftigt, denkt er nach kurzer Zeit, extrem Kenntnis zu besitzen, obwohl das tatsächliche Wissen nicht so groß ausgeprägt ist. Je mehr tatsächliches Wissen der Neuling erwirbt, desto mehr wird ihm seine eigene Unwissenheit bewusst. Ich glaube ich befinde mich derzeit an dem Punkt, wo ich erkennen muss, dass ich ziemlich wenig weiß. Es gibt so viel mehr da draußen. Das kann enorm überfordern.

Kürzlich hatte ich eine kleine, freundschaftliche Diskussion mit einem Parfumo (Gruß an dich, falls du das liest), die mich etwas zum Nachdenken angeregt hat. Er vertritt eine sehr nüchtern-nostalgische Einstellungen zu Düften und erzählte mir, dass er, nachdem er sehr viel getestet hat, immer wieder zurück zu den Basics kommt. Er schätzt die Einfachheit der bewährten Designerdüfte und das Feeling und die Erinnerungen an eine Zeit, in der vieles einfacher war. Ihn stört es auch nicht, dass diese nicht sonderlich unique sind. Auf eine Art und Weise kann ich den Ansatz verstehen und auch schätzen, auch wenn ich ich da einen anderen Weg gehe.

In Summe möchte ich eigentlich nur sagen, dass ich mir fest vorgenommen habe, nur noch Düfte zu kaufen, die mich wirklich begeistern. Und wieder mehr zu testen. Denn was bringt mir eine Sammlung, von der ich einen Großteil nicht trage? Ich möchte meine Begeisterung wiederfinden. Leider holen mich die ganzen Hype-Düfte nicht wirklich ab. Oder ist das ein normaler Prozess? Seid ihr auch schon an einem Punkt gewesen, wo euch nichts mehr begeistern konnte? Bin auf eure Meinungen gespannt!

Danke euch für’s Lesen dieses kurzen Blogs :-)

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