Ich zitiere mal einen Ausschnitt aus der schon älteren, aber immer noch wertvollen Studie "Pesthauch und Blütenduft" von Alain Corbin aus dem Jahr 1982. Die Passage handelt von Frankreich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, aber nach allem was ich weiß, war es im Mittelalter nirgends angenehmer. Nur damit Du eine ungefähre Vorstellung bekommst.
Die Menschen, die in dieser Hölle lebten, rochen nicht besser. Und was Parfüm angeht: Wenn man sich dieser Zustände erwehren wollte, insbesondere den krankheitserregenden Miasmen entgehen wollte, dann behalf man sich im Wesentlichen mit Essig.
Ein Sumpf aus Abwässern und Jauche
Als der junge Rousseau die Hauptstadt betritt, schlagen ihm die widerwärtigenDunstschwaden des Faubourg Saint-Marcel entgegen. Im Justizpalast, im Louvre, in den Tuilerien, im Museum, ja sogar in der Oper »wird manverfolgt von den ekligen Gerüchen und Gestänkern der Bedürfnisanstalten«. In den Gärten des Palais-Royal »weiß man imSommer nicht, wo man sich hinsetzen soll, ohne den Geruch von abgestandenem Urin zu atmen«. Die Quais reizen den Geruchssinn biszum Übelwerden; der Kot sammelt sich überall, in den Alleen, am Fuß der Schlagbäume, in den Droschken.
Die Kloakenentleerer verpesten die Straßen; um sich den Weg zum Schindanger zu sparen, kippen sie die Tonnen einfach in den Rinnstein. Die zahlreichen Polizeivorschriften, die dieser Plage ein Ende setzen sollen, finden keine Beachtung. Auch die Walkmühlen und Weißgerbereien tragen ihren Teil dazu bei, den Harngestank zu mehren. Die Fassaden der Pariser Häuser sind vom Urin zersetzt. Es mutet apokalyptisch an,wenn Louis-Sebastien Mercier Paris als ein »Amphitheater vonLatrinen« beschreibt, »die, eine über der anderen, ihren Platzgleich neben den Treppen, den Türen, den Küchen haben und allseitig den schlimmsten Gestank verbreiten«. Ähnlich seine Darstellung der häufig verstopften Abflußrohre, die schließlich platzen, das Haus mit Unrat überschwemmen und die Pestilenz aus den Abtrittsbrillensteigen lassen, bei deren Anblick die Kinder mit Entsetzen glauben, den Schlund zur Hölle entdeckt zu haben. Kurz, Paris, »Zentrum derWissenschaften, der Künste, der Mode und des guten Geschmacks« ist unübersehbar auch das » Zentrum des Gestanks«
Doch die Hauptstadt ist keine Ausnahme. Auch in Versailles befindet sich dieKloake gleich neben dem Palast. »Die schlechten Gerüche im Park, in den Gärten und sogar im Schloß selbst erregen Übelkeit. DieZuwege, die Innenhöfe, die Nebengebäude und die Korridore sind voller Urin und Fäkalien; am Fuß des Ministerflügels schlachtet und brät ein Fleischverkäufer jeden Morgen seine Schweine; die Avenue de Saint Cloud ist bedeckt mit moderndem Schlamm und toten Katzen... .«; die Kühe lassen ihre Fladen in der großen Galerie; der Gestank macht auch vor der Tür des königlichen Schlafzimmers nicht halt. Am Vorabend der Revolution entwirft Arthur Young eine Geographie der städtischen Gestanksabsonderungen: die von Rouen,Bordeaux, Pamiers, vor allem aber von Clermont-Ferrand sind zum Ersticken. In der Hauptstadt der Auvergne »gibt es viele Straßen,die so schwarz, verdreckt und übelriechend sind, daß man sie nur noch mit schmalen Kanälen in einem finsteren Misthaufen vergleichen kann«.