19.06.2025 - 05:21 Uhr

Intersport
109 Rezensionen

Intersport
Top Rezension
19
Abstraktion in Ultramarine
Gegen 1993 und ’94 wurden die Schaufenster der Parfümerien mit Werbung für Insensé (1993) dekoriert. Diese bewirkte bei mir jedoch das Gegenteil: Ich wollte den Duft gar nicht erst kennenlernen. Der leicht angestaubte Beigeschmack, den die Marke damals auf mich ausübte – in Kombination mit dem penetrant närrisch (insensé = fou, unsinnig, torhaft) gut gelaunten Beau im Anzug (heute würde ich das als passiv-aggressiv bezeichnen) – ging für mich gar nicht. Auf YouTube geistern noch bootlegs der damaligen Fernsehwerbung herum – nicht minder passiv-aggressiv...
Insensé lernte ich viele Jahre später dann doch noch kennen – und wurde eines Besseren belehrt. Don’t judge a scent by its advert. Der Duft entpuppte sich als floral-balsamische Komposition aus einer Zeit, in der die Branche bereits stark auf aquatische Frische setzte. Insensé verband mühelos die traditionell eher dem Damensegment zugeordnete Maiglöckchennote mit Seifigkeit und Tannenbalsam – und das derart raffiniert, dass Insensé (wäre es noch erhältlich) heute vermutlich auf einem goldenen Tablett zwischen verschiedensten Nischen- und Neo-Retro-Geschmäckern hin und her gereicht und hochgelobt würde. Allerdings: 1993 hätte ich diesen Duft noch nicht geschätzt oder 'verstanden'.
War diese Art von Innovation bei einer traditionellen Marke wie Givenchy vielleicht einfach zu viel des Guten? Bereits im Jahr darauf, 1994, wurde Insensé Ultramarine nachgeschoben – ebenfalls von Christian Mathieu (1946–2020), also jenem Parfumeur, der mit Kenzo pour Homme (1991) einen zutiefst erfolgreichen Blueprint gelegt hatte.
1.
Insensé Ultramarine ist ein früher Vertreter jener Flanker, die sich weit vom Original entfernen. Insgesamt erhielt Insensé Ultramarine im Laufe der Jahre neun (!) Flanker. Matvey Yudovs Artikel „Original vs. Flankers: Givenchy Insensé“ bietet hierzu eine hilfreiche Übersicht.
2.
Insensé Ultramarine war dermaßen seltsam und eigenwillig, dass ich mich frage, inwiefern sich Givenchys Hoffnung auf einen „Aquatic Hit“ erfüllt hat. Ich vermute: durchaus, allein schon deshalb, weil der Duft selbst nach der Eingliederung von Givenchy in das LVMH-Konglomerat noch recht lange erhältlich war. Heute oszillieren die Preise – wie so oft bei gerade eingestellten Düften – zwischen Low-Budget und spekulativen dreistelligen Summen. Man weiß ja nie…
Auch hier lohnt ein Verweis auf Externes: Christos’ Blog Memory of Scent – eine Goldgrube kritisch-subjektiver Duftanalysen – geht ausführlich auf die eindrucksvoll unnatürlich türkis-blaue Farbe des Duftes ein. Seine Beschreibung trifft den Kern recht gut:
„It seems as if the people responsible for this (because Insensé Ultramarine was not officially signed by a perfumer, unlike the original Insensé) took a trip to the household cleaning aisle and added equal amounts of any detergent available to the original composition.“ (https://memoryofscent.wordpress.com/2012/10/05/givenchy-insense-falling-through-genres/)
Die Mischung aus stechender, chlorartiger Aldehyd-Aquatik, Melonen-artigen Calone-Schlieren und einer deutlich wahrnehmbaren Cassis-Note (Johannisbeere) ist für Ultramarine zentral. Diese Fruchtigkeit – kombiniert mit ozonischen, aromatisch-herben Noten und einer synthetischen Leichtigkeit – war in dieser Form relativ neu. So setzte etwa Jean-François Laporte mit Route du Vétiver (1988) auf eine ähnlich prominente Cassis-Note.
Matvey Yudov geht in seiner Analyse noch weiter ins Detail. Er schreibt:
„To the block of citruses, formed by several natural essential oils, they added the then already classic accord of dehydromycenol/allyl amyl glycolate – ambroxan (say hi to the aforementioned Cool Water). The fruitiness is enhanced by damascene, the floral block is mainly built on the base of hedione, hydroxycitronellal and lilial, adorned by rose odorants and plenty of other details. The aquatic accord consists of a generous dose of calone with an addition of empetal, helional and other similar substances. In the base we find a woody-musk accord on the basis of sandalwood and cedar materials.“ (https://www.fragrantica.com/news/Original-vs-Flankers-Givenchy-Insense-11455.html)
Ähnlichkeiten zur Wirkung von Dehydromycenol mit der Lavendel-Salbei Kombination wie in Cool Water sehe ich hier nicht; auch kann ich das Duftprofil von Insensé Ultramarine nicht direkt in geruchlicher Verbindung mit anderen frühen, sogenannten aquatischen Parfums sehen. Mit einer Ausnahme: wie schon bei den ersten Versionen von Christian Mathieus Kenzo pour Homme lassen sich bei den entsprechenden Fassungen von Insensé Ultramarine die Bausteine der Basis noch gut erkennen – ja, sie weisen auch leichte Überschneidungen auf und bieten ein erdendes Gegengewicht zu den damals noch neuartigen synthetischen Riechstoffverbindungen. Die neuere Version – anhand von Verpackung, Typografie und Farbgebung einfach zu identifizieren – ist insgesamt heller, chloriger und im Ausklang weniger tief, weniger dicht. Überraschenderweise steht genau das dem Duft ausgezeichnet: Er wirkt dadurch noch einen Tick artifizieller und eigensinniger als zuvor. Good unnatural stuff.
Insensé lernte ich viele Jahre später dann doch noch kennen – und wurde eines Besseren belehrt. Don’t judge a scent by its advert. Der Duft entpuppte sich als floral-balsamische Komposition aus einer Zeit, in der die Branche bereits stark auf aquatische Frische setzte. Insensé verband mühelos die traditionell eher dem Damensegment zugeordnete Maiglöckchennote mit Seifigkeit und Tannenbalsam – und das derart raffiniert, dass Insensé (wäre es noch erhältlich) heute vermutlich auf einem goldenen Tablett zwischen verschiedensten Nischen- und Neo-Retro-Geschmäckern hin und her gereicht und hochgelobt würde. Allerdings: 1993 hätte ich diesen Duft noch nicht geschätzt oder 'verstanden'.
War diese Art von Innovation bei einer traditionellen Marke wie Givenchy vielleicht einfach zu viel des Guten? Bereits im Jahr darauf, 1994, wurde Insensé Ultramarine nachgeschoben – ebenfalls von Christian Mathieu (1946–2020), also jenem Parfumeur, der mit Kenzo pour Homme (1991) einen zutiefst erfolgreichen Blueprint gelegt hatte.
1.
Insensé Ultramarine ist ein früher Vertreter jener Flanker, die sich weit vom Original entfernen. Insgesamt erhielt Insensé Ultramarine im Laufe der Jahre neun (!) Flanker. Matvey Yudovs Artikel „Original vs. Flankers: Givenchy Insensé“ bietet hierzu eine hilfreiche Übersicht.
2.
Insensé Ultramarine war dermaßen seltsam und eigenwillig, dass ich mich frage, inwiefern sich Givenchys Hoffnung auf einen „Aquatic Hit“ erfüllt hat. Ich vermute: durchaus, allein schon deshalb, weil der Duft selbst nach der Eingliederung von Givenchy in das LVMH-Konglomerat noch recht lange erhältlich war. Heute oszillieren die Preise – wie so oft bei gerade eingestellten Düften – zwischen Low-Budget und spekulativen dreistelligen Summen. Man weiß ja nie…
Auch hier lohnt ein Verweis auf Externes: Christos’ Blog Memory of Scent – eine Goldgrube kritisch-subjektiver Duftanalysen – geht ausführlich auf die eindrucksvoll unnatürlich türkis-blaue Farbe des Duftes ein. Seine Beschreibung trifft den Kern recht gut:
„It seems as if the people responsible for this (because Insensé Ultramarine was not officially signed by a perfumer, unlike the original Insensé) took a trip to the household cleaning aisle and added equal amounts of any detergent available to the original composition.“ (https://memoryofscent.wordpress.com/2012/10/05/givenchy-insense-falling-through-genres/)
Die Mischung aus stechender, chlorartiger Aldehyd-Aquatik, Melonen-artigen Calone-Schlieren und einer deutlich wahrnehmbaren Cassis-Note (Johannisbeere) ist für Ultramarine zentral. Diese Fruchtigkeit – kombiniert mit ozonischen, aromatisch-herben Noten und einer synthetischen Leichtigkeit – war in dieser Form relativ neu. So setzte etwa Jean-François Laporte mit Route du Vétiver (1988) auf eine ähnlich prominente Cassis-Note.
Matvey Yudov geht in seiner Analyse noch weiter ins Detail. Er schreibt:
„To the block of citruses, formed by several natural essential oils, they added the then already classic accord of dehydromycenol/allyl amyl glycolate – ambroxan (say hi to the aforementioned Cool Water). The fruitiness is enhanced by damascene, the floral block is mainly built on the base of hedione, hydroxycitronellal and lilial, adorned by rose odorants and plenty of other details. The aquatic accord consists of a generous dose of calone with an addition of empetal, helional and other similar substances. In the base we find a woody-musk accord on the basis of sandalwood and cedar materials.“ (https://www.fragrantica.com/news/Original-vs-Flankers-Givenchy-Insense-11455.html)
Ähnlichkeiten zur Wirkung von Dehydromycenol mit der Lavendel-Salbei Kombination wie in Cool Water sehe ich hier nicht; auch kann ich das Duftprofil von Insensé Ultramarine nicht direkt in geruchlicher Verbindung mit anderen frühen, sogenannten aquatischen Parfums sehen. Mit einer Ausnahme: wie schon bei den ersten Versionen von Christian Mathieus Kenzo pour Homme lassen sich bei den entsprechenden Fassungen von Insensé Ultramarine die Bausteine der Basis noch gut erkennen – ja, sie weisen auch leichte Überschneidungen auf und bieten ein erdendes Gegengewicht zu den damals noch neuartigen synthetischen Riechstoffverbindungen. Die neuere Version – anhand von Verpackung, Typografie und Farbgebung einfach zu identifizieren – ist insgesamt heller, chloriger und im Ausklang weniger tief, weniger dicht. Überraschenderweise steht genau das dem Duft ausgezeichnet: Er wirkt dadurch noch einen Tick artifizieller und eigensinniger als zuvor. Good unnatural stuff.
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