Fäden
Dein Bademantel war verschwunden und nun sitze ich hier, halte einen neu erworbenen frisch gewaschen auf meinen Knien und sticke deinen Namen oben in den Kragen.
Früher habe ich es für meine Kinder gemacht, alles mit Namen beschriftet für Kindergarten, Schule, Ferienfahrten etc.
Mit ruhiger Hand sticke ich einen Buchstaben nach dem anderen, denke noch über einen Permanentmarker nach – damit ging es definitiv schneller. Aber so hat es mehr Stil, ist persönlicher und Handarbeit ist gut für die Seele.
Ich denke nach, wandere lange zurück. Die Kinder sind nun groß, aus dem Haus, haben selbst Kinder.
Ob von ihnen jemand Namen in Kinderkapuzen oder –mützen stickt? Ich glaube kaum. Sie haben andere Stärken als Handarbeiten.
Du hast die Kinder neulich noch gesehen. Wir haben dich besucht, aber du konntest die Gesichter nicht mehr zuordnen. Namen waren überhaupt nicht mehr präsent. Wer sind sie bloß ….?
Ein Jahr schon dort. Wie ist es dir ergangen?
Ich kann es dir nicht immer anmerken. Meistens sehe ich, dass es dir nicht gut geht. Du weinst, atmest aufgeregt, die Augen suchen nach Sinn, verharren immer öfter in einer merkwürdigen Starre. Aber was geht wirklich in dir vor?
Du hast dich so gefreut, als ich dir einen Parfumflakon mitgebracht habe. Ich helfe dir beim Aufsprühen, deine Finger wollen nicht mehr so; der Duft gefällt dir gut und du lächelst ein klein wenig. Wie oft habe ich dir in den letzten Jahren Abfüllungen von schönen Damendüften besorgt. So konntest du testen, mal was Neues probieren. Hast sie teilweise für „gut“ liegen lassen ….
Vor mehr als drei Jahren habe ich deine Veränderung bemerkt, bis ich mir im Klaren darüber war. Dann die zarten Versuche, dir zu helfen, dich zu Arztbesuchen zu überreden. Schwere Monate kamen auf uns zu, auf dich erst recht. Verloren in Zeit und Raum, Verlust jeglicher Kompetenzen, Verwirrung auf allen Seiten, Verzweiflung, Tränen, Wut. Warum.
Dann der endgültige Schritt. Dieser für mich sehr schmerzhafte Tag, als ich dich nicht mehr allein lassen wollte, konnte. Dein neues Zimmer war die Hölle für dich; dein bisheriges Leben aufzulösen war die Hölle für mich.
Noch einen Buchstaben, dann bin ich fertig. In ein paar Tagen werde ich dich besuchen und deinen neuen Bademantel mitbringen. Ich erzähle dir, was es Neues gibt, erzähle Altes und Bekanntes; es gleitet fast alles ab. Wenn nicht sofort, dann etwas später.
Gedanken – eingefädelt und aufgestickt … ein wenig hilft es mir.