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vor 3 Jahren - 27.02.2021
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Wie duftete die Nachkriegszeit? – 20 Parfums für „Das Damengambit“

You’re the one that I long to kiss, baby,
you’re the one that I really miss.
You’re the one that I’m dreaming of, baby,
you’re the one that I love.

Ein Wohnzimmer in Kentucky Mitte der 60er Jahre, im Fernsehen läuft die Musikshow Hullabaloo. Die Jungsband The Vogues spielt ihre Version von You're the one. Vor dem Fernseher sitzt eine Handvoll Mädchen im Teenageralter. Sie tragen dunkle Tellerröcke und Caprihosen, darüber helle Blusen und Pullover. Alle trällern lautstark mit und mampfen Cupcakes. Bis auf eine. Sie sitzt im Cocktailkleid auf einem Hocker, elegant verkrampft, und fühlt sich sichtlich fehl am Platz. Mit einer Ausrede verlässt sie den Raum, macht kurz Halt an der Hausbar und verschwindet. Keiner beachtet sie. Zuhause dröhnt sich Beth zu und spielt vor dem inneren Auge eine Partie Schach.

Diese Szene findet sich in der Netflixserie „Das Damengambit/The Queen’s Gambit“ und verrät einiges darüber, wie die Heldin Beth und ihr Umfeld ticken. Der Titel bezieht sich auf eine Schacheröffnung und zeigt damit schon, worum es hauptsächlich geht.
Elizabeth verliert ihre Mutter bei einem Autounfall Mitte der 50er Jahre und entdeckt im Waisenhaus ihr Talent fürs Schachspiel. Die blitzgescheite Außenseiterin arbeitet sich ruckzuck in zahlreichen Turnieren nach oben und macht sich einen Namen als eine der weltbesten Spielerinnen.
Schach klingt jetzt nicht wahnsinnig interessant für die meisten von uns, aber die Macher haben es geschafft, durch den Fokus auf die Emotionen der Spieler und die persönliche Entwicklung von Beth eine Menge Spannung aufzubauen und uns von Anfang bis Folge 7 mitzunehmen.

Was mir persönlich unfassbar gut gefällt, ist die Ästhetik in Bezug auf Kulissen und Kostüme. Beides ist super geglückt und wirkt authentisch, sodass man wirklich mit auf eine Zeitreise genommen wird. Hier in Deutschland können wir sogar einen Großteil der Kulissen besuchen, Bühnenbild und Kostüme entstanden nämlich hauptsächlich in Berlin und nicht in den USA.

Die Szenen im Kaufhaus Ben Snyder beispielsweise, in dem Beth mit ihrer Adoptivmama shoppen geht, wurden in der Humana-Filiale am Frankfurter Tor gedreht. Das Hotel Mariposa in Las Vegas ist tatsächlich das Palais am Funkturm und der Friedrichstadtpalast wurde zum Hotel Aztec Palace in Mexico City umfunktioniert.

Die optische Ästhetik möchte ich unbedingt um eine olfaktorische Dimension ergänzen und mir Gedanken darüber machen, welche Düfte die ProtagonistInnen tragen könnten. Die Serie spielt in den USA von Mitte der 50er Jahre bis 1968, die Parfums müssen also zu dieser Zeit erhältlich gewesen sein. Bitte schreibt in den Kommentaren, welche Düfte ihr allen zuordnen würdet!

Beginnen wir mit Elizabeth Harmon (Anya Taylor-Joy): Beth kommt nach dem Suizid ihrer Mutter in ein Waisenhaus, wo sie das Schachspiel für sich entdeckt. Sie hat ein besonderes Talent dafür, sich nachts Partien vorzustellen und sie vor dem inneren Auge durchzuspielen. Besonders gut funktioniert das, wenn sie mehrere Beruhigungspillen auf einmal vor dem Schlafengehen nimmt. Wie es damals Usus war, müssen die Waisen täglich Pillen schlucken, was für Beth den Beginn einer Suchtkarriere markiert. Schon in der Schule zeigt sich Beths enorme Intelligenz, wegen der sie immer als erste mit ihren Aufgaben fertig wird. Deshalb darf sie die Tafelschwämme im Keller saubermachen, wo sie den Hausmeister beim Schachspiel mit sich selbst beobachtet. Zögerlich finden die beiden als Schachfreunde zueinander. Als sie mit 13 adoptiert wird und das Waisenhaus verlassen darf, wird sie in der Schule wegen ihrer introvertierten Art und ärmlichen Kleidung gemobbt. Letzteres ändert sich, als sie mit zunehmendem (finanziellem) Erfolg im Schach die Modewelt der 60er für sich entdeckt. Ihre Outfits entsprechen anfangs einer jugendlichen Abwandlung von Diors New Look und werden mit der Zeit immer spektakulärer. Was sich als Motiv durchzieht, sind die verschiedenen Karomuster und die schwarz-weiße Farbgebung, was natürlich ihre Liebe zum Schach symbolisieren soll. Im Finale in Moskau wird sie schließlich selbst zur Figur der weißen Dame im schneeweißen Mantel mit Barett. Ihre große Leidenschaft für Mode könnte sich in ihrer Duftwahl zeigen: In jungen Jahren trägt sie vielleicht wie Audrey Hepburn „L’Interdit (1957) (Parfum)“ von Givenchy. Mit wachsendem modischem Interesse entdeckt sie möglicherweise die aufstrebenden Designer ihrer Zeit und trägt deren Chypre-Kreationen wie „Y (1964) (Eau de Toilette)“ von Yves Saint Laurent, „Fidji (1966) (Eau de Toilette)“ von Guy Laroche oder „Norell (1968) (Perfume)“ von Norman Norell.

Jolene (Moses Ingram) ist das Enfant Terrible im Waisenhaus: Als die Leiterin Beth dort begrüßt, hört man sie im Hintergrund „You’re all a bunch of fucking cock suckers!“ rufen. Sie nimmt Beth unter ihre Fittiche und wird so etwas wie ihre große Schwester, die ihr mit Rat und Tat zur Seite steht. Es wurmt sie gewaltig, dass sie wahrscheinlich bis zu ihrem 18. Lebensjahr im Heim bleiben muss, da schwarze Jugendliche nie adoptiert werden. Jolene verschwindet nach Beths Adoption für lange Zeit aus der Handlung und kehrt erst am Ende zurück. Nun ist sie Jurastudentin und Anwaltsgehilfin und will künftig für die Rechte von Benachteiligten kämpfen. Bei ihrer Karriere könnte ihr die würzige Dickköpfigkeit von Madame Gres‘ „Cabochard (1959) (Eau de Toilette)“ gute Dienste erweisen. In entspannteren Situationen greift sie vielleicht zum Chypre „Vivara (1965) (Parfum)“ vom Meister der psychedelischen Muster, Emilio Pucci.

William Shaibel (Bill Camp) ist der Hausmeister im Waisenhaus und bringt Beth widerwillig Schach bei. Trotz seiner abweisenden Art entwickelt sich so etwas wie eine Freundschaft zwischen den beiden. Mr. Shaibel ist es, der Beths Talent entdeckt und es nach außen trägt. Parfum an sich trägt er wahrscheinlich keines, er benutzt allenfalls das rosig-zimtige Aftershave „Old Spice (1938)“.

Auch an Mr. Fergusson (Akemnji Ndifornyen), der hauptsächlich die Pillen und das Essen im Waisenhaus ausgibt, kann ich mir so recht kein Parfum vorstellen. Er könnte ein frisches Aftershave tragen, beispielsweise „Brut (1964)“.

Helen Deardorff (Christiane Seidel) ist die Leiterin des Waisenhauses Methuen (Drehort: Schloss Schulzendorf) und führt die Einrichtung mit oberflächlich liebevoller Strenge. Über ihr Privatleben erfährt man wenig, nur dass sie sich kurz nach Beths Adoption die Hüfte bricht, von da an am Stock geht und „nie wieder die Alte“ ist. Miss Deardorff könnte das luxuriös-saubere „L’air du Temps (1948) (Parfum)“ von Nina Ricci tragen, da sie mit so vielen Kindern um sich herum wahrscheinlich das friedliche Täubchenimage des Duftes schätzt. Abends dagegen schwelgt sie bestimmt im warm-würzigen Badeöl von Estee Lauders „Youth-Dew (1953) (Perfume)“ und sinniert über die Finanzen des Waisenhauses.

Über das Privatleben von Miss Lonsdale (Rebecca Root) weiß man noch weniger als über das von Miss Deardorff. Die Frau mit der kraftvollen Stimme leitet den Chor und erteilt den Mädchen im Waisenhaus Benimmunterricht. Als Chorleiterin könnte sie sich von musikalisch inspirierten Düften angezogen fühlen wie „Quadrille (1955) (Eau de Toilette)“ von Balenciaga und „Melodie (1932)“ von Lucien Lelong.

Alma Wheatley (Marielle Heller) und ihr Mann adoptieren Beth, als sie 13 ist. Obwohl sie anfangs wie das Bilderbuch-Ehepaar von nebenan wirken, bröckelt bald der Putz der biederen Perfektion. Der Adoptivvater ist fast nie zuhause, da er sich auf Geschäftsreisen am wohlsten fühlt. Auf einer solchen ist er auch, als er Alma per Telefon seine Scheidungspläne mitteilt.
Alma selbst besitzt musikalisches Talent, hat aber eine Karriere am Flügel zugunsten des Hausfrauendaseins aufgegeben. Unzufrieden, wie sie mit ihrer Situation ist, greift sie zum Alkohol. Dessen Konsum hat glücklicherweise keine allzu tragischen Folgen - bis auf die, dass er ihre Adoptivtochter ebenfalls auf den Geschmack bringt.
Die beiden brauchen ein wenig Zeit, um zueinander zu finden. Mit steigendem Erfolg im Schach reisen sie häufig zu Turnieren und kommen sich dabei näher. Hier zeigt sich Almas tatsächlicher Charakter, der von Humor, Lebenslust und Melancholie geprägt ist. Alma bleibt immer ihrem mütterlich-mondänen Kleidungsstil aus den 50er-Jahren treu, weshalb ich mir vorstellen kann, dass sie parfümtechnisch keine Experimente wagt. Stattdessen trägt sie wahrscheinlich Parfüms, die sie schon lange kennt, wie das pudrige „Soir de Paris (1928) (Parfum)“ von Bourjois. Als Pianistin dürfte sie die Anspielung auf die Akkordart des Arpeggio reizen und das holzig-aldehydische „Arpege (1927) (Extrait)“ von Lanvin tragen. Die Mutter-Tochter-Symbolik hinter dem Markenlogo würde sogar noch eine Verbindung zu ihrer Beziehung mit Beth schaffen. Und falls ihr einmal Lubins „Gin Fizz“ von 1955 begegnet sein sollte, hat sie es bestimmt mit einem Schmunzeln in ihre Garderobe aufgenommen.

Alice Harmon (Chloe Pirrie) war die biologische Mutter von Beth, die wir nur in Rückblenden kennenlernen. Ihren Intellekt hat die Mathematikerin an ihre Tochter weitergegeben, ihre psychischen Probleme glücklicherweise nicht. Als Zahlenmensch hätte sie sich von Düften angesprochen fühlen können, die schlicht nummeriert sind und keine Marketingphantasien bedienen, z. B. „Le Dix (1947) (Eau de Toilette)“ von Balenciaga, „N°5 (1921) (Parfum)“ von Chanel und „715 (1937)“ von Helena Rubinstein.

Harry Beltik (Harry Melling) und D. L. Townes (Jacob Fortune-Lloyd) gehören zu den ersten national erfolgreichen Spielern, gegen die Beth als Teenagerin gewinnt. Keiner von ihnen bleibt jedoch professioneller Schachspieler.
Townes arbeitet bald als Journalist für eine Schachzeitschrift und erlebt einen kurzen Moment voll erotischer Spannung mit Beth, der jäh unterbrochen wird. Am gutaussehenden Townes könnte ich mir “Habit Rouge (1965) (Eau de Cologne)” vorstellen oder „Eau Sauvage (1966) (Eau de Toilette)“.
Beltik kommt Beth zur Hilfe, als sie etwas persönliche Unterstützung braucht, und arbeitet am Ende im Lebensmittel-Einzelhandel. Beltik wirkt nicht wie die Art von Mann, der damals viel über Düfte nachgedacht hätte. Er benutzt vielleicht wie Mr. Ferguson das Aftershave von „Brut“.

Benny Watts (Thomas Brodie-Sangster) ist aus einem ähnlichen Holz geschnitzt wie Beth und war selbst ein Kinder-Schachgenie. Die beiden erleben ein Auf und Ab aus Unterstützung, Streit und Loyalität. Benny könnte als modisch nicht vollends überzeugender Bad Boy das trocken-würzige “Aramis (1964) (Eau de Toilette)” tragen.

Bitte schreibt in den Kommentaren, welche Düfte ihr allen zuordnen würdet und ob ihr die Serie kennt!

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