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vor 4 Jahren - 29.10.2019
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Die Aber-Düfte

Vor kurzem saß ich in einer Konferenz und habe die Wörter gezählt. Als wir fertig waren, habe ich eine Zahl in den Raum geworfen: 71. Alle haben mich verständnislos angeschaut, und ich habe es ihnen erklärt. In den vergangenen 60 Minuten haben sie 71 mal „Aber“ gesagt. „Die Idee ist gut, aber“, „Ich verstehe Dich, aber“, „Aber ist es nicht so, dass...“. Aber, aber, aber. Und dann sind alle auseinander gegangen.

Man könnte jetzt einwenden, dass ich ein ziemlicher Klugscheisser bin. Aber an dieser Stelle ist ein Aber angebracht. Ich bin es nicht, und normalerweise halte ich die Klappe. Nur manchmal muss man auch ein bisschen zivilen Ungehorsam leisten. Es geht mir auf die Nerven. Denn es ist eines der aggressivsten Wörter, das ich kenne, eine permanente Doppelbotschaft, ein semantischer Entzündungsherd. Es fegt in einem Handstreich weg, was zuvor gesagt wurde, tut dies aber stillschweigend. Man merkt es kaum. Nur abends fragt man sich, warum man den ganzen Tag seine inneren Heere in Gefechtsbereitschaft gehalten hat. Stundenlange Generalmobilmachung.

Am schlimmsten ist das Aber in der Liebe, denn es beschreibt Gefühle unter Vorbehalt. „Ich liebe Dich, aber Du könntest mal mehr aufräumen“ klingt wie etwas, das man schonmal gehört hat. Und klar kann der andere einem sagen, dass man ein Chaot ist. Aber was hat das mit der Liebe zu tun? Es ist eigentlich eher friendly fire, weil man ganz vergessen hat, dass es auch das Wort Und gibt.

Und jetzt kommen wir zu den Düften. Ich verwette meine gesamten Roja-Abfüllungen darauf, also eine, dass jeder von uns einen guten Teil an Aber-Düften bei sich herumstehen hat. „Er hat einen tollen Start, aber dann wird er irgendwie altbacken.“. „Der Rosenakkord ist toll, aber warum hat er so wenig Haltbarkeit?“. „Ich liebe diesen Duft, aber irgendwie passt er nicht zu mir.“. Mir ist das bei mir selber aufgefallen, weil ich im Grunde genommen immer dieselben Düfte trage. Und drumherum drängeln sich ganze Mannschaften von Auswechselspielern, die nie zum Einsatz kommen – und irgendwie auch nicht auf den Transfermarkt dürfen.

Die Aber-Düfte sind nicht schlecht. Sie haben meistens Aspekte, die einem gefallen, manchmal sogar Resonanz, was ja besonders wertvoll ist. Ein Teil von ihnen spricht also etwas in einem an. Aber es sind dann eben doch nur Kompromisse und verkürzte Narrationen. Daumenkino statt großer Filmabend. Warum halten wir daran fest?

Ich habe auf parfumo mal ein Wort kennengelernt, das ich vorher noch nie gehört hatte: Briefkastenduft. Das ist also ein Parfum, das man sich aufsprüht, wenn man zum Briefkasten geht. Es ist offensichtlich gut genug, um den Nachbarn nicht peinlich aufzufallen, aber zu nachrangig, um ausgeführt zu werden. Könnte ein klassischer Aber-Duft ein.

Bei Parfums ist es immerhin nicht so, dass das Aber zu Aggressionen führt, sondern nur zu einem gut versteckten schlechten Gewissen. Man hat dann immer wieder diesen kleinen Stich, wenn man sieht, dass auf manche Verpackungen der Staub rieselt. Und irgendwie mag man sich trotzdem nicht von ihnen trennen, und dann ist es so wie in der Liebe. „Du bist mir wichtig, aber ich gehe nicht mehr so gerne mit Dir aus.“. Voll schade eigentlich.

Was also tun? Ich habe vor kurzem gelesen, dass sich in den 80er Jahren in den amerikanischen Ghettos der Slang „Don't but me“ verbreitet hat. Und klar ging es da um eine Sprache für robuste Auseinandersetzungen. Aber wir sollten das Verb in unseren Wortschatz aufnehmen. Denn insgesamt wird in der Welt viel zu viel herumgeabert. Man könnte dann auch versuchen, bei der Arbeit weniger rumzuabern. Und für Parfums gilt dasselbe. Wir sagen uns dann also beim nächsten Mal „Hey, aber jetzt nicht so rum“, wenn wir mal wieder um unsere geruchlichen Missverständnisse herumscheichen. Und verkaufen den Flakon dann einfach. Oder stecken ihn frankiert in den Post-Briefkasten, „to whom it may concern“. Das wäre dann kein Aber-Duft mehr, sondern was ganz Neues, das die Welt zum Blühen bringt. Ein Briefkastenduft – aber in toll.

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