„Orientalisch“... darf man den Ausdruck noch benutzen?
Einige Gedanken zur politischen Korrektheit
Kürzlich hat mich ein kluger Bekannter gefragt, wie ich meine Ethnie bezeichnen würde. Er hatte sich zum Ziel gesetzt, alle Freunde und Bekannten, die „anders aussehen“ als er, danach zu fragen. Ich beschreibe mich als halb japanisch, oder halb asiatisch. Wörter wie „exotisch“ und „orientalisch“ empfinde ich als unpassend. Ersteres ist für meine Ohren ein Wort aus dem internationalen Tier- und Frauenhandel, letzteres klingt nach Kolonialismus, oder Speisekarte.
Nun kann man es sicher zu weit treiben mit der political correctness. Andererseits möchte ich kein sprachliches Fossil sein und abwertende Wörter von anno dazumal verwenden. Grundsätzlich erwarte ich eine Sensibilität dafür, dass Ausgrenzung, Vorurteile oder Diskriminierung für viele Menschen bittere Realität sind. Entscheidend ist, wie die Betreffenden sich selber beschreiben, und welchen Ursprung ein Ausdruck hat.
Vielen deutschsprachigen Parfümfans ist nicht bewusst, dass „orientalisch“ ein kolonialistischer Ausdruck ist. Der Kulturkritiker Edward Said definierte in seinem Buch Orientalism (1978) den Ausdruck als westliche Tradition einer mit Vorurteilen behafteten Aussenseiter-Interpretation der östlichen Welt, geformt durch die kulturelle Einstellung des europäischen Imperialismus im 18. und 19. Jahrhundert. Orientalismus ermöglicht gemäss Said „die politische, ökonomische, kulturelle und soziale Dominanz des Westens, nicht nur während der Kolonialzeit, sondern auch in der Gegenwart“.
Abgesehen von den problematischen Ursprüngen ist der Begriff ziemlich nutzlos, denn mit Orient wird der ganze östliche Teil der „alten Welt“ bezeichnet. Es ist offensichtlich, dass er dessen kultureller Vielfalt nicht ansatzweise gerecht wird. Er wirft einen Reichtum von „Andersartigkeit“ in einen Topf, macht ein Konstrukt zum Fetisch, und setzt es gleichzeitig herab. Barack Obama hat 2016 den Begriff per Grundgesetz als diskriminierend verbannt.
Die Redakteurin Madelyn Chung erwägt in ihrem interessanten Essay Does Anyone Else Think It's Weird That Oriental Is a Widely Used Perfume Category? verschiedene Alternativen, zum Beispiel den Begriff “Spice bomb“, die genaue regionale Bezeichnung (jordanisch, japanisch...), oder aber die Bezeichnung der dominanten Noten (sicher die anspruchsvollste Variante).
Selbstverständlich werde ich nicht Sprachpolizei spielen. Ich sehe das gelassen und verstehe, dass solche Veränderungen Zeit brauchen. Ich schreibe dies als Gedankenanstoss, damit wir solche Ausdrücke hinterfragen.
https://en.wikipedia.org/wiki/Orientalism
https://www.flare.com/fashion-beauty/oriental-perfume-problematic/
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Bemerkenswerte Anekdote am Rande: in einer polnischen TV-Debatte über Gleichberechtigung empörte sich gestern eine gestandene polnische Journalistin darüber, dass ihre traditionelle Berufsbezeichnung "Frau Journalist" (Pani dziennikarz) durch Sprachdiktatur in "Journalistin" (dziennikarka) zu verunstalten drohe...
Guter Beitrag!
>>Andererseits möchte ich kein sprachliches Fossil sein und abwertende Wörter von anno dazumal verwenden.
Gerade Männer haben in Bezug auf Asiatinnen teilweise sonderbare Ideen, die aus ihrer Perspektive wohl positiv sein sollen, objektiv jedoch herabwürdigend. Deswegen greift dieses ganze „ist doch positiv gemeint, die soll jetzt mal ein bisschen resilient sein“ aus meiner Sicht zu kurz.
Ich stimme Melisse2 zu: Respekt für die nach wie vor sachliche Beantwortung der Blogkommentare!
https://www.fragrancesoftheworld.com/FragranceWheel
Trotzdem finde ich es nicht verwerflich, die aufgeheizte Debatte hier mal durch einen Witz zu lockern.
Die alternativen Formulierungen sind nicht so griffig und dann bleibt man doch lieber bei den allgemeinverständlichen Worten.
Man mag auch zu Wokeness seine Meinung haben. Hier in diesem konkreten Fall handelt es sich um ein Mitglied unserer Community, das einen überlegten, sachlich begründeten Beitrag als Diskussionsansatz eingebracht hat. Dies ohne jede Argumentation als "nicht ernstzunehmend" abzustempeln, finde ich schade und offenbart keine gute Streitkultur.
Zu der Guerlain-Frage: Es ging nicht um "Sippenhaft", sondern um die Kontinuität gewisser Weltbilder, die ja in Familien durchaus auftreten kann, wenn sie nicht hinterfragt wird. Das ist ja nicht nur in Frankreich so.
Eines möchte ich hinsichtlich einiger Antworten noch anmerken: Jean-Paul Guerlain hat sich in der Tat rassistisch
Konkret: Im Falle des Begriffes 'orientalisch' als tradierte Bezeichnung einer Duftgattung möchte ich mich auf die Seite des Angeklagten schlagen. Im Laufe der Zeit verschieben sich ursprüngliche Bedeutungen, werden neu konnotiert. Ambrierte, vanillige Düfte von molekularer Schwere mögen eine europäische - genauer französische - olfaktorische Interpretation des Orients sein. Ja, es werden sicher auch Klischees
Beim dem Begriff 'Orient' ist die Sache ambivalent: eskapistischer Sehnsuchtsort - mag man darin nun eine Form des 'positiven Rassismus' sehen oder nicht - und zugleich Schauplatz kriegerischer Auseinandersetzungen und kolonialer Gewalt.
Mentalitäten und Ansichten wandeln sich glücklicherweise.
Ich finde z.B. dass ein Binnen-I uns auf dem Weg zu mehr Gleichberechtigung keinen Schritt nach vorne bringt. Das ist für mich nur Kosmetik.
Obwohl diese Zuschreibungen positiv gemeint sind, würde ich mich wahrscheinlich über das vermeintliche Mathegenie und die Geigenvirtuosin sogar noch mehr ärgern. Jeder Mensch ist einzigartig und hat ein Recht darauf, genau in dieser kostbaren Einzigartigkeit wahrgenommen zu werden. Alles andere empfinde ich als respektlos.
Der Orient steht für mich nur für das Schöne und Kluge. Wer diesen Begriff allerdings nicht hören möchte, der hat Recht und ich frage nach, wie ich es besser ausdrücken soll. Aber Orient oder orientalisches Parfum... das klingt in meinen Ohren nur schön.
-hunderten/ -tausenden gibt. Hierzulande wird seit einigen Jahren künstlich etwas aufgebauscht. Sei es die berühmte rote Sauce im Glas, sei es Genderstern. Ich finde, wir sollten alle etwas "entspannt" bleiben. Das Wort Orient führt sicher nicht zu Ausgrenzung.
(Wär ja auch schlimm gewesen. Fast so wie der Stress kein Nestlé zu kaufen...)
Es braucht weder diese Veränderungen, noch die diesbezügliche Zeit. Es braucht mehr Coolness und Resilienz.
Diese aktuelle Entwicklung ist wie Kuros in meiner Nase.
Dafür habe ich gerade eins meiner Statements gelöscht, wo ich selber das Wort 'Orientale ' als Beschreibung der Parfumfamilie verwendet habe - hat mich grad eine Parfuma drauf hingewiesen...
Sprache kann auch rassistisch sein. Beabsichtigt, oder auch nicht!
Ich finde, bei diesem Thema, ob man nun Parfums orientalisch oder wer weiß wie nennen soll, handelt es sich um Haarspalterei und lenkt nach meiner Meinung von Rassismus oder einem anderen -ismus ab. Ansonsten bin ich bei DarkWinter.
1. ich verstehe nicht, dass du dich selbst u.a. öfter als halb asiatisch bezeichnest, aber die Kategorie orientalisch nicht gut findest. Wo liegt zwischen den beiden Einordnungen für dich der Unterschied? Da wird man doch ebenfalls der kulturellen Vielfalt nicht gerecht.
"Homoehe/N*g*r/Kriegsverbrecherdenkmal/...? Wir haben gerade /Krieg im Irak/Corona/XYZ, wie könnt ihr jetzt darüber reden?"
Die Herabsetzung der "Orientalen" durch die imperialistischen Machthaber und die vermeintliche Deutungshoheit durch zivilisatorische Überlegenheit sind aber dennoch Tatsachen, die sich nicht wegleugnen lassen, indem man das Wort unbedarft weiternutzt und betont, dass man es ja grundsätzlich positiv und anerkennend verwende.
Ich habe erwartet, dass ich mit dem Thema anecke oder Verständnislosigkeit hervorrufe. Und dass einige das, worum es mir geht, nicht verstehen: dass man über die Geschichte des Wortes nachdenkt, und die Sicht einer Person mit asiatischen Wurzeln erfährt.
So. Im Ursprung ist nichts „offensive“. Da wo die Sonne aufgeht... Da könnte den Begriff doch stehen lassen? Aber: Von wo aus wird definiert? Das ist wohl guter Anlaß für eine Begriffsdiskussion! Wer also macht sich zum Dreh und Angelpunkt? (Zunächst die Kolonialstaaten.) Und da wird es dann freilich imperialistisch.
Weil sonst wäre ja von der Französischen Atlantikküste aus bereits Paris, ja und Deutschland sowieso „Orient“. Wär vielleicht gar nicht so schlecht? ;)
„Die Orientalistik beschäftigt sich mit historischen und kulturellen Aspekten des Nahen und Mittleren Ostens sowie Nordafrikas, oftmals mit besonderem Augenmerk auf dem Islam.“
Der Begriff als solcher hat erst mal keine abwertenden Bedeutungsinhalte. Oder doch? Schließlich gibt es auch „positiven“ Rassismus, bzw. als solcher verkleideter. So die orientalische Frau.. Rassig, erotisch, im Klischee womöglich auch lüstern und willig? Jede*r ist hier aufgerufen im eigenen Kopf zu forschen.
An der Orientalischen Musikakademie wird auch Indische Musik unterrichtet. Indien ist aber nur im Englischen Sprachraum „Orient“. Die Orientalistik als Fachgebiet bezieht aber einen noch viel weiteren Raum gen Osten mit ein. Aber auch das scheint nicht klar definiert. Im Deutschen Hochschulkompass fand ich eine sehr viel engere Beschreibung:
Ich schätze solcherlei Gedanken sehr! Danke Dir fürs Einbringen.
Viele Umstellungen, die zunächst komisch erscheinen, sind bald danach gewohnter Sprachgebrauch, und dann merkt man, dass sich da was in der Tat besser, weil richtiger, wahrhaftiger anfühlt. Bei "Orient" hab ich nun erst mal wieder zu tun... Spontan fiel mir als erstes ein die „Orientalische Musikakademie“. Wie würde die dann nun heissen? Und, was ist eigentlich Orient?
Ich antworte erst einmal direkt auf den Blog, nicht auf Antworten.
Wegen der Zeichenbeschränkung stückele ich...
Neben den ethischen & politischen Implikationen scheint mir gerade auch Dein Hinweis ästhetisch wertvoll und parfumologisch sachdienlich, dass die Zutaten und Duftnuancen des als 'orientalisch' ziemlich grob Schubladisierten nach Möglichkeit präziser aufzuschlüsseln sind.
Auch das mit 'keine andere Wahl' sehe ich anders. Ich glaub nur, die Diskussion sprengt jetzt den Rahmen.
Danke nochmal an die Autorin des Blogs.
Bei den Düften ist es das gleiche. Man erkennt eventuell bestimmte Gewürze oder Akkorde, welche man oft in Düften der arabischen Häuser findet. Dann würde ich den Duft auch so benennen. Man kann die ...
Sprache ist vielfältig und wird letztendlich in seiner Benutzung definiert. Jetzt ist einWort in seiner Verwendung negativ, morgen wieder positiv.
Heutzutage meinen alle mit dem Begriff die Länder als 1001 Nacht bzw. der arabischen Welt. Man sieht es an Geschäften, die Leute aus der Region hier in Deutschland betreiben, als auch wie wir den Ausdruck im Kontext verwenden. Niemand will damit etwas aus der Kolonialzeit beschreiben.
Mich interessiert sehr, warum das so ist..geht es um das sensible Differenzieren von Sprache und deren Gebrauch? Was genau ist der Auslöser? Ist es ein Entwirren oder ein Verkomplizieren? Wo ist der Sinn?
DarkWinter, wenn ich höre, dass jemand 'orientalisch' in Bezug auf Düfte verwendet, die zB im Oman hergestellt werden oder nur, weil sie Oud enthalten, empfinde ich das als falsch und auch ein bisschen ungebildet. Der Begriff klassifiziert in der Parfümerie eine bestimmte Duftrichtung, neben zB Chypre und Fougere.**
'Asiatisches Essen'.... Hmmm. Auch schwierig zu verallgemeinern und 'amerikanische Verhältnisse' funktioniert ohne Kontext gar nicht.
Wenn der Begriff verwendet wird, dann nur zum Ausdruck der in der arabischen Welt vorkommenden Duftnoten und Duftakkorde.
Seraphima: Schlimm, diese Vorurteile... :(
Ich meinte nur Turbobean und die etwaigen orientalischen Frauen.
Für mich ist 'orientalisch' eine klar definierte Duftrichtung und total positiv besetzt. Der Begriff geht für mich Hand in Hand mit 'tausend und einer Nacht' bzw. einer fremden, faszinierenden Welt.
Und das orientalische Aussehen einer Frau ... es gibt Schlimmeres :-)
Dein Foto ist faszinierend! Der Flakon steht ja richtiggehend auf dem Schotterboden.
Was die Diskussion betrifft, die kajsa5 aufgeworfen hat, möchte ich aus dem verlinkten Artikel zitieren......